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Ranzenpost und Formulare bei blinden Eltern

Meine erste E-Mail-Adresse bekam ich 2003, gemeinsam mit einer Einführung in die Bedienung eines E-Mail-Programms und meinen ersten Gehversuchen im Internet. Eigentlich geschah das mehr aus Neugierde, als aus einer Notwendigkeit heraus. Denn bisher reichten mir für das, was ich zu tun hatte, die Kommunikation in Form von Telefon, Fax oder Papierpost. Gedruckte Briefe ließ ich mir entweder vorlesen, oder ich scannte sie ein, und ließ meinen Computer die gedruckten Buchstaben in Sprache oder Braille umwandeln. Und wenn ich etwas verschickte, dann schrieb ich diesen am PC, druckte ihn aus, oder schickte ihn per Fax weg. Gepaart mit dem guten alten Telefon war das für mich die Vorgehensweise, mit der ich gut gelebt habe.

Mit dem Einzug von E-Mail vereinfachte sich für mich die schriftliche Kommunikation. Bekam ich eine Info per Mail, brauchte ich diese nicht mühsam einzuscannen, und mögliche Fehlerquellen bei der Texterkennung einzukalkulieren. Ich hatte die Info quasi sofort. Es ersparte mir also nicht nur Papier, sondern auch viel Zeit. Denn Briefe in Papierform wollten eingescannt, in Braille beschriftet und richtig abgeheftet werden. Bei der E-Mail reichte eine übersichtliche Ordnerstruktur, um diese gezielt wiederzufinden. Außerdem besitzt mein PC eine Suchfunktion, mein Ordnerregal jedoch nicht.

Als meine Kinder in den Kindergarten kamen, bat ich die Mitarbeiter mir schriftliche Mitteilungen per E-Mail zu schicken. Das klappte mehr schlecht als recht. Für mich wäre es eine große Erleichterung gewesen. Denn ich kann Anhand eines Papiers, das im Fach meines Kindes liegt, nicht feststellen, ob es sich um ein gemaltes Bild oder einen Elternbrief handelt. Und ich kann auch keine Aushänge lesen. Ich musste viel fragen, und hoffen, dass mir keine wichtige Information, wie ein außerplanmäßiger Schließungstag, ein Elternabend oder ein „Wir haben Läuse im Haus“ entging. Manchmal halfen mir andere Eltern bei der Informationsbeschaffung.

Als meine Kinder in die Grundschule kamen, bekam ich immer mehr das Gefühl, das die Lehrkräfte E-Mails mehr fürchten als der Teufel das Weihwasser. Die einzige Mitarbeiterin, die ab und zu an mich dachte, war eine Mitarbeiterin im Sekretariat, die mir Mails schickte. Ein Lehrer meines Sohnes rief ab und zu an, wenn es ein Problem gab. Auch damit konnte ich gut leben. Aber oft genug musste ich mir anhören, dass die Kinder alt genug seien, um die Ranzenpost bei den Eltern abzugeben, oder das Elternheft zu zeigen.

Es gibt mehrere Informationsquellen, die man als Elternteil überblicken können muss. Da wäre einmal das Mitteilungsheft an die Eltern, in welches handschriftliche Mitteilungen gemacht werden können. Manche Lehrkräfte möchten, dass diese von den Eltern abgezeichnet werden. Dann gibt es die Elternmappe, in die das Kind Briefe der Schule oder Lehrkraft abheften soll. Und dann gibt es die losen Blätter, die viele Kinder vergessen in eben diese Mappe einzuheften. Und das sollen wir Eltern nach Möglichkeit kontrollieren. Denn mal Hand aufs Herz, wessen Kind im Grundschulalter ist so gewissenhaft, und gibt diese zuverlässig zeitnah an die Eltern weiter?

Eine sehende Mutter hat die Wahl selbst in den Schulranzen zu schauen oder die Verantwortung auf das Kind zu übertragen. Sie kann erkennen, ob es sich um ein Schreiben oder ein bemaltes Stück Papier handelt, ob etwas auszufüllen oder zu unterschreiben ist. Das kann ich nicht. Handschriftliche Mitteilungen sind für mich selbst mit meinen technischen Hilfsmitteln unlesbar. Eine Information, die per E-Mail zu mir kommt, kann ich ohne fremde Hilfe bearbeiten. Und da die meisten Elternbriefe ohnehin am PC erstellt werden, ist es kein Mehraufwand diese per E-Mail zu versenden.

Der Hort meiner Kinder hat das verstanden, und mir bei der Informationsbeschaffung geholfen. Für die Post aus der Grundschule fand ich Hilfe bei Miteltern oder bezahlte mir eine entsprechende Hilfe, die den Schulranzen regelmäßig durchsah.

Schwieriger wurde es auf der weiterführenden Schule. Hier gab es noch mehr Informationsquellen. Der Klassenlehrer meiner Tochter hat mir zu dem Zeitpunkt einen wertvollen Luxus geboten, indem er die Informationen für mich sammelte und lesbar machte. Ich besuchte den Elternsprechtag, und erklärte mehreren Lehrkräften, dass es schneller geht, wenn er oder sie per E-Mail mit mir Kontakt aufnimmt. Und die meisten verstanden das. Und das war auch gut so, da meine Kinder die Ordnung zeitweise nicht als ihren besten Freund ansahen.

Problematisch war die Kommunikation mit der Sorte Lehrkräfte, welche die Meinung vertraten, dass ein Kind in dem Alter selbst darauf achten müsse, dass die Informationen zu den Eltern kämen. Meine Bitte mir die für uns Eltern bestimmten Informationen in einer für mich als Eltern wahrnehmbaren Form zu Verfügung zu stellen artete auch schon mal in eine Grundsatzdiskussion über Selbstverantwortung der Kinder aus. Dabei sind wir einer Meinung, nämlich, dass Kindern ein bestimmtes ihrem Alter entsprechendes Maß an Verantwortung übertragen sollten. Dem gegenüber steht jedoch, dass ich meine Pflichten als Eltern wahrnehmen muss. Und das setzt vorraus, dass ich Informationen, die an mich als Eltern gerichtet sind, auch ohne die Hilfe meiner Kinder wahrnehmen kann. Das brauche ich, um meine Kinder auf dem Weg in ein selbständiges Leben zu unterstützen.

Meine Kinder sind inzwischen beinahe erwachsen, und können selbst darauf achten, dass ich relevante Informationen bekomme. Aber da draußen gibt es noch ganz viele Eltern, deren Kinder das noch nicht können. Und diese freuen sich über Mitteilungen ohne Barrieren.

Liebe Lehrer, Erzieher und alle Anderen, die mit Kindern blinder Eltern zu tun haben könnten!

Mitteilungen per Ranzenpost stellen eine Barriere dar, eine E-Mail oder ein Anruf der Schule nicht. Vor Allem macht Ranzenpost abhängig. Nämlich davon, dass das Kind diese abliefert, und davon, dass ein Formular nicht eigenhändig ausgefüllt werden kann. Und ich glaube nicht, dass das im Sinne des Lehrauftrags ist. Einfach fragen, und gemeinsam eine Lösung finden. Allerdings hören wir blinden Eltern Sätze wie „Das kann Ihnen jemand vorlesen“, oder „ihr Kind kann das ja machen“ überhaupt nicht gern. Denn auch wir sind in erster Linie Eltern mit Pflichten. Und unsere Kinder sind nicht dazu da, um die Behinderung zu kompensieren.

Eure Lydia

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Tips im Umgang mit blinden Menschen

Menschen, die nicht blind oder sehbehindert sind, fühlen sich oft unsicher im Umgang mit uns blinden Personen. Daraus resultieren dann schon mal Handlungen, die gut gemeint, jedoch eher kontraproduktiv sind. Lassen Sie mich daher ein bisschen Licht ins Dunkel bringen. Denn auch blinde Menschen verdienen einen respektvollen Umgang.

Begegnen Sie einem blinden Menschen auf der Straße, dann stellen Sie sich bitte mit Namen vor. Spielchen wie die frage „Na, weißt Du wer ich bin“, sind keine gute Basis für einen guten Gesprächsbeginn. Nicht jeder merkt sich die Stimme einer Person, die er oder sie vor drei Wochen in der Straßenbahn getroffen hat. Ach ja, sprechen Sie bitte in normaler Lautstärke. Blinde Personen hören ebenso gut wie Sehende.

Sehverlust heißt nicht den Verlust intellektueller Fähigkeiten. Sie brauchen also auch nicht gut artikuliert oder langsam mit der blinden Person zu sprechen. Und bitte, sprechen Sie nicht mit der Begleitperson über den Blinden. Fragen wie „Was möchte er oder sie gern trinken“ sind abwertend. Fragen Sie den blinden Gast doch selbst. Der beißt nicht, und er weiß besser als seine Begleitperson was er trinken möchte. Ach ja, wenn die blinde Person zahlt, bekommt auch sie das Wechselgeld zurück, und nicht die Begleitung.

Möchten Sie blinden Menschen einen Weg beschreiben, dann benutzen Sie Angaben wie links, rechts, hinter Ihnen oder zweiter Hauseingang. Mit der Hand irgendwohin zeigen, die Schultern hochziehen oder „Dahinten“ machen bei der Kommunikation mit blinden Passanten keinen Sinn.

Wenn blinde Menschen irgendwo herumstehen, dann schauen sie sich vielleicht nur etwas aus der Nähe an, oder warten auf jemanden. Bevor Sie also die Person anfassen, und über eine Straße führen, fragen Sie, ob derjenige das überhaupt möchte. Ist Gefahr in Verzug, dann erst mal nur warnen, statt einfach so anfassen. Übergriffigkeiten mag niemand gern.

Beim Führen wird der blinde Begleiter Sie am Ellenbogen anfassen, oder Ihne die Hand auf die Schulter legen. Und er läuft etwa einen halben Schritt hinter Ihnen. Fragen Sie, ob Sie Treppenstufen ansagen sollen. Möchten Sie ihn zu einem Stuhl führen, dann reicht es seine Hand auf die Lehne zu legen. Es besteht keine Notwendigkeit ihn auf den Stuhl zu drücken oder ihm diesen unter den Hintern zu schieben.

Kommen wir mal zur Kommunikation. Gesten wie Schultern hochziehen, nicken, mit dem Finger zeigen sind sinnlos, da sie einfach nicht wahrgenommen werden können. Sprechen ist hier die wirkungsvollere Alternative. Worte wie blind, sehen, schauen sind Begriffe der alltäglichen Kommunikation. Sie können diese also uneingeschränkt verwenden, wenn Ihr Gesprächspartner blind ist. Doch sollten Sie mit fragen zur Sehbehinderung sensibel umgehen, Diese betreffen den persönlichen Bereich eines Jeden, und sind nicht immer für ein Gespräch geeignet, welches nur eine Straßenüberquerung lang währt.

Blinde Verkehrsteilnehmer lernen wie sie eine Straße sicher überqueren. Wenn Sie mit laufendem Motor halten, um diese vorbeizulassen, schaffen Sie Verunsicherung, ganz gleich wie viel Handzeichen Sie geben, oder hupen. Der Blinde sieht das nicht. Also einfach weiterfahren. Damit helfen Sie uns am besten.

Auch blinde Menschen haben Spaß an Kino, Fußballspiel oder Theater. Sie interessieren sich genauso für Kunst, Kultur, Reisen und andere Aktivitäten, die Sie gemeinsam unternehmen können. Auch unser Lebensinhalt besteht nicht nur aus Gesprächsthemen rund um Sehbehinderung.

Und zum guten Schluss noch eine Sache die mir besonders am Herzen liegt. Blinde Menschen arbeiten anders als Sehende. Und für manche Tätigkeiten müssen sie sich stärker konzentrieren. Wenn dann auch noch jemand ständig jeden Schritt kommentiert oder unsinnige Ratschläge von sich gibt, hilft das niemanden, sondern schafft Verunsicherung. Denn der Blindenstock ist dafür vorgesehen den nächsten Schritt des Blinden vorzufühlen. Es ist also völlig normal, wenn er Hauswände, Laternenpfähle oder Fahrräder berührt. Sparen sie sich Kommentare wie „Vorsicht“, oder „Da steht ein Zaun“. Vielleicht braucht der blinde gerade diese Stelle für seine Orientierung.

Wollen Sie einem blinden Menschen auf Augenhöhe begegnen, dann streichen Sie am besten Sätze wie „Ich mach das mal schnell“ aus Ihrem Sprachgebrauch. Denn das ist eher verletzend als förderlich für eine gemeinsame Ebene der Zusammenarbeit.

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Beyond-seeing, Mode ohne zu sehen

Die Sonne scheint. Ich sitze auf einer Bank unter Bäumen. Zu sehen sind ein Kiesweg, dahinter ein Brunnen mit Wasserspielen und Menschen unterschiedlichen Alters.

Schade, dass Du das nicht sehen kannst, würde jetzt der ein oder andere sagen. Und aus der Sicht des normal Sehenden Betrachters ist das nachvollziehbar. Wenn der Fokus allein auf das Sehen gelegt wird, entgeht einem so manches. Daher dieselbe Situation mit ausgeblendetem Auge. Nämlich so, wie sie sich für mich mit ca. 2 % Restsehen darstellt.

Ich sitze auf einer Bank. Vor mir muss sich ein Schotterweg befinden, auf dem hin und wieder Leute vorbeilaufen. Dahinter plätschert ein Brunnen mit einem Wasserspiel. Ab und zu verirrt sich ein Wassertropfen in meine Richtung. In den Bäumen zwitschern Vögel und am Wasser spielen Kinder. Links von mir macht jemand Musik. Auf meiner Haut spüre ich die Nachmittagssonne, und ein leichter Wind fährt durch mein Haar. Auf der benachbarten Bank höre ich wie sich Menschen in französischer Sprache unterhalten.

Ich muss nicht sehen können, um etwas schön oder entspannend zu finden. Schönheit lebt von meiner eigenen Wahrnehmung und natürlich von meinem Geschmack. Nicht jeder findet es entspannend, wenn er Kinderstimmen oder Vogelgezwitscher hört.

Im Oktober 2016 initiierte das Goethe-Institut Paris in Zusammenarbeit mit vier renommierten Modehochschulen aus Deutschland, Frankreich, Schweden und Belgien das Recherche- und Ausstellungsprojekt BEYOND SEEING. Im Rahmen von internationalen Recherche-Workshops, einer Ausstellung und einem diskursiven Begleitprogramm zielt das Projekt darauf ab, Mode in einem Zusammenspiel von Sinneswahrnehmungen über den visuellen Reiz hinaus erfahrbar zu machen. Bislang nicht miteinander in Berührung gekommene Zielgruppen – Designstudierende, blinde und sehbehinderte Teilnehmer, sowie Experten verschiedenster künstlerischer Disziplinen – werden erstmalig zusammengebracht, um gemeinsam innovative Designkonzepte zu entwickeln. Dieses Projekt durfte ich als blinde Bloggerin aus Deutschland ein stückweit begleiten. In meinem Beitrag Mode, Kunst und Shoppingtour hatte ich über die Veranstaltung aus dem Oktober 2017 in Berlin berichtet.

Die abschließende Veranstaltung fand ab dem 18.01.2018 in Paris statt. Neben der Ausstellung der renommierten Modehochschulen aus Frankreich.

Deutschland, Schweden und Belgien fand ein umfangreiches Rahmenprogramm statt, zu dem alle Beteiligten eingeladen wurden. In meinem Beitrag Nähen ohne zu sehen, so geht’s habe ich über einen Nähworkshop berichtet, der von Reiner Delgado vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband DBSV angeboten wurde.

Nach zwei Jahren voller Konferenzen, Recherchen, Workshops und kreativer Schaffensprozesse, wurden die fertigen Kollektionen der Modestudierenden nun endlich präsentiert. Dort trafen verschiedenste Ansätze auf vielfältige Designs, die vor allem neugierig auf eines gemacht haben: Die Geschichte hinter der Kollektion.

Die erste Kollektion, die ich betastet habe, war die ‚Invisible Imagination‘ von Verena Kuen aus Berlin. Sie hat sich mit den Träumen einer spät erblindeten Berlinerin auseinandergesetzt. Eines der drei Kleider bestand zur Hälfte aus Seide, und Silikon. Er stellt den Traum eines halb abgebrannten Baums dar, wobei die Seide für die lebendige, das Silikon für die tote Hälfte steht.

In der schwedischen Kollektion ‚Sonic Haptic Wardrobe‘ etwa lag der Fokus mehr auf der Haptik von Kleidungsstücken. Diese bestanden aus unterschiedlichen Materealien mit unterschiedlicher Oberfläche. Muster wie Pünktchen wurden durch dreidimensionale Applikationen fühlbar gemacht. Mit eingearbeiteten Glöckchen oder Schmirgelpapier veränderte sich sogar die Akustik, wenn man darüberstrich. Um passende Textilien zu finden, haben die Studierenden zahlreiche Interviews mit blinden und sehbehinderten Menschen geführt.

Einen ganz anderen Ansatz verfolgte Maxi Tilch aus Berlin. Sie ließ sich dadurch inspirieren, dass sie für sie unbekannte Orte mit verbundenen Augen besuchte. Ihre Kollektion heißt ,Perception of Space‘ und experimentiert damit, wie man einen Raum erleben und mit ihm interagieren kann, ohne ihn jemals gesehen zu haben. Sehr räumlich sind deshalb auch ihre Entwürfe geworden, sie stehen für ein Zelt, ein Wohnzimmer und eine Bahnhaltestelle. Sie hat in abstrakten Silhouetten Stoffe verarbeitet, die sowohl optisch als auch haptisch verschiedene Erinnerungen wachrufen. Im Wohnzimmer zum Beispiel das geblümte und Samtweiche Sofa der Oma oder beim Zelt die typisch knisternde Plane. Beim Entwerfen ging es anders als bei „normalen“ Kollektionen nicht um den ästhetischen Aspekt, sondern vielmehr um die haptische Wahrnehmung. Für mich waren die einzelnen Stoffe und Formen tastbar, nicht aber alle dargestellten Modelle. Auf die Bahngleise wäre ich von alleine nie gekommen, ohne die Geschichte hinter der Inspiration zu kennen.

Es wurden nicht nur Kollektionen ausgestellt, sondern auch diverse Workshops rund um das Thema Wahrnehmung angeboten. Ebenso wurde in Filmsequenzen und einer Bilderausstellung das Thema Wahrnehmung von allen Seiten beleuchtet.
Hier noch die Links zu den Beiträgen der eingeladenen Bloggerinnen auf einen Blick:
Der Beitrag von Pauline, sehbehinderte Bloggerin aus Belgien.

Die Seite von Typhaine, sehende Bloggerin aus Frankreich.

Sowie der deutschsprachige Beitrag von Sonja, sehende Bloggerin aus Deutschland.

Die Beiträge sollen in einem Gesamtwerk die jeweilige Perspektive aufgrund unterschiedlicher Wahrnehmung aufzeigen. Die Ausstellung ist bei allen dieselbe, die Werke und Designer ebenfalls. Die Unterschiede liegen schlichtweg in der Wahrnehmung. Ein Unterschied besteht zwischen sehen oder nicht sehen, sowie das Verständnis der einzelnen Personen von Kunst, Mode und der Geschichte der Inspiration.

An dieser Stelle möchte ich dem Goetheinstitut in Paris für die Einladung zur Ausstellung danken, und auf dessen Artikel verweisen. Und ein ganz persönlicher Dank gilt Sonja vom Goldfasanblog, die mir mit dem Beitragsbild und einigen Links ausgeholfen hat.

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Wie unfähig sind blinde Kinder?

Vor einiger Zeit lernte ich den Vater eines inzwischen 19jährigen Sohnes kennen, der bei einer Anlaufstelle Rat suchte. Sein einziger Sohn, sieht etwa 5 %. Die Familie hatte die letzten vielleicht 15 Jahre mit dem Sohn im Ausland gelebt. Nun ging es darum, dass der Sohn die Deutsche Sprache erlernen und andere Menschen kennenlernen sollte. Denn dieser verbrachte die meiste Zeit vor dem PC, und sei total passiv. Gleichaltrige Freunde gab es keine. Soweit, so gut.

Im Laufe des Gesprächs erfuhr ich die traurige Geschichte der Familie. Der Junge wurde zwar an einer Normalen Schule unterrichtet, jedoch ohne jegliche Kenntnis von Blindentechnischen Möglichkeiten. Und weil dieses Kind sehbehindert war, wurde ihm alles abgenommen. Vom Schulweg, bis hin zu allem was man im Leben so können sollte. Auch die außerschulischen Aktivitäten wurden von den Eltern vorgegeben.

Das ist kein Einzelfall. Kinder werden oft aus Liebe behinderter gemacht, als sie es sein müssen. Und wenn ein Mensch sein Leben lang hört, dass er behindert und damit permanent hilfebedürftig ist, dann ist er es auch am Ende tatsächlich. Jeder, der mit Kindern arbeitet, weiß, dass ein Kind neugierig ist, ausprobieren will, und dabei auch mal auf die Nase fällt. Und aus der Erfahrung lernt es dann etwas an seinem Tun oder Verhalten zu ändern. Diese Erfahrung fehlt Kindern, die permanent vor allen Gefahren beschützt und umsorgt werden. Wenn ein blindes Kind niemals ein Messer indie Hand bekommen hat, aus Angst sich zu schneiden, lernt es, dass dieses Gerät gefährlich ist. Dabei wäre es vernünftiger dem Kind zu zeigen, wie es dieses Messer handhaben kann.

In der Regel haben Kinder, die so aufwachsen, kaum bis keine Aufgaben in der Familie. Beim Abwaschen könnte das Geschirr nicht sauber werden, beim Schneiden könnte es sich verletzen, und an der Kaffeemaschine könnte es sich ja verbrühen. Die Botschaft lautet: „Du bist behindert, und Du kannst nichts“. Und wenn dieses Kind mit dieser permanenten Negativsuggestion aufwächst, braucht es mit viel Glück viele Ressourcen und Jahrelange Arbeit, um diesem Menschen zu einer gesunden Psyche zu verhelfen.

Inklusion ist das Modewort der letzten Jahre. In der Regel wird es in Zusammenhang mit der Beschulung behinderter und nicht behinderter Kinder verwendet. Über das Für und Wieder wurde schon viel geschrieben. Ich möchte ein paar Gedanken zur Situation integrativ beschulter Kinder loswerden, die mir als betroffene immer wieder kommen.

Kinder brauchen ein gesundes soziales Umfeld. Dazu gehören Familien, die einen Fördert und auch mal fordert. Liebe Eltern, auch Euer Kind mit einer Behinderung hat es verdient Aufgaben im Haushalt zu übernehmen. Durch permanentes Umsorgen und Bemuttern tut Ihr dem Erwachsenen von Morgen keinen Gefallen. Wenn Ihr nicht wisst, wie Ihr das machen sollt, dann holt Euch Rat bei den Behindertenverbänden.

Ich kann jetzt hauptsächlich für blinde Kinder sprechen. Dafür gibt es Orientierungstraining. Damit lernt das Kind sich draußen zu orientieren, seinen Schulweg alleine zu bewältigen und auch mal Freunde ohne Elterntaxi zu besuchen. Es gibt Schulungen für lebenspraktische Fertigkeiten. Da lernt das Kind sich auch mal ein Brot zu streichen, Haushaltstätigkeiten oder was sonst noch erforderlich ist. Und dann laßt Euer Kind das Erlernte auch mal zuhause umsetzen und üben. Regt Euch nicht auf, wenn mal was daneben geht. Ihr wart als Kinder auch nicht von Anfang an perfekt.

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Was heißt eigentlich barrierefrei?

Gemeinsam mit meiner obligatorischen Tasse Kaffee am Morgen sitze ich auf dem Sofa, und lese meine Nachrichten, Zeitung usw. Unter anderem lese ich einen Beitrag, der zu Kommentaren einlädt. Also beschließe ich auch meinen Senf dazuzugeben. Ich schreibe meinen Kommentar, Trage meinen Namen und meine E-Mail-Adresse ein, und will das Ganze absenden. Da taucht ein Captcha auf, dessen Inhalt ich in ein Eingabefeld eingeben soll. Für mich heißt das so viel wie „Du bleibst draußen. Denn die meisten Programme, mit denen blinde Nutzer arbeiten, können diesen graphischen Zahlencode nicht erkennen und vorlesen. Für mich ist das eine unüberwindbare Barriere.

Das Wort Barrierefreiheit, oder auch Barrierearmut ist seit ein paar Jahren in aller Munde. Aber was eigentlich bedeutet das?

In meiner Heimatstatt entsteht ein Neubaugebiet. Und da ich neugierig bin, besuche ich eine Informationsveranstaltung. Die entsprechende Wohnungsgesellschaft preist ihre Wohnungen als barrierefrei an. Das möchte ich genauer wissen, und frage nach. Ja, die Wohnungen verfügen über ebenerdige Duschen und über einen Fahrstuhl. Das reicht aus, um diese Wohnungen als barrierefrei zu kennzeichnen. Wie ich erfahre, sind die Aufzüge nicht einmal mit einer Sprachausgabe versehen. Und die brauchen blinde Menschen, um festzustellen wo der Fahrstuhl gerade gehalten hat. Es reicht nicht aus, dass die Knöpfe im Fahrstuhl mit fühlbaren Buchstaben, oder sogar Brailleschrift gekennzeichnet sind, wenn ich nicht kontrollieren kann, wann ich den Fahrstuhl verlassen muss? Und die Devise „Blindsein macht schlank“ funktioniert auch nur bedingt. Was machen sehbehinderte Menschen, die nicht mehr so gut zu Fuß sind, um mal eben in den fünften Stock zu laufen?

Barrierefrei bedeutet für jemanden mit einer Gehbehinderung etwas ganz anderes, als beispielsweise für jemanden mit einer Sehbehinderung. Während eine Stufe für einen Rollstuhlfahrer eine Barriere, also ein Hindernis darstellt, ist eine Nullabsenkung eines Bürgersteig eine für blinde Teilnehmer im Straßenverkehr. Der Rollstuhlfahrer nutzt den Aufzug, der Blinde kann ihn nur nutzen, wenn dieser mit einer Sprachausgabe versehen ist. Blinde Menschen sehen Bordsteine als Orientierungshilfe an. Rollstuhlfahrer und Nutzer eines Rollators wünschen sich eine Nullabsenkung. Da diese aber für blinde Verkehrsteilnehmer gefährlich ist, hat man sich auf eine Höhe von drei CM Höhe geeinigt. Diese ist mit dem Blindenstock tastbar, und kann auch mit einem Rollstuhl noch überwunden werden.

Hier ein paar hilfreiche Links zur Barrierefreiheit.
– Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Verena Bentele – Was ist Barrierefreiheit?
– Aktion Mensch – Barrierefreiheit Definition & Bedeutung
– Sozialverband VdK Hessen-Thüringen e.V. – Was bedeutet Barrierefreiheit?
– Bundesministerium für Umwelt – Leitfaden Barrierefreies Bauen Deutschland.
– Eine Broschüre für die baulichen Bedürfnisse blinder und sehbehinderter Personen gibt es hier.
– Sowie eine Erklärung der Unterschiede für Barrierefreiheit

Fazit: bevor man das Wort Barrierefreiheit benutzt, sollte man sich darüber im Klaren sein, dass Barrieren für jede Behinderung etwas anderes darstellen. Während es für mich okay ist, wenn im Hintergrund Musik läuft, findet eine hörbehinderte Person das bei der Kommunikation eher hinderlich.

Die Erfahrung zeigt, dass die meisten Maßnahmen, bei denen an Menschen mit Behinderung gedacht wird, von Menschen geplant und durchgeführt werden, die über ein unzureichendes Wissen verfügen. Das muss nicht sein. Denn die Behindertenverbände sind hier Experten in eigener Sache, und können kompetente Hilfe leisten. „Mit uns, und nicht über uns“, sollte die Devise sein. Dann haben alle Beteiligten etwas davon. Und es werden nicht sinnlos Gelder für unsinnige Projekte verschwendet, die an anderer Stelle effektiver eingesetzt werden können.