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Behörde glaubt an Spontanheilung

Blindengeld bekommen Personen, die dem Gesetz nach blind sind. Das sind Menschen, die höchstens zwei Prozent auf dem besseren Auge sehen können. Dieses Geld ist als Nachteilsausgleich für blindheitsbedingte Mehraufwändungen vorgesehen. Da die Regelung Ländersache ist, unterscheidet sich die Höhe der Summe von Bundesland zu Bundesland.

Was sind blindheitsbedingte Mehraufwändungen?

Das sind Kosten, die aufgrund einer Sehbehinderung anfallen. Das kann die Anschaffung eines Hilfsmittels sein, eine Begleitung auf einen Ausflug oder eine Hilfe im Haushalt. Blinde Menschen sind so vielseitig wie ihre Bedürfnisse. Daher bestimmt jeder selbst wie er dieses Geld für sich und für mehr Lebensqualität einsetzt.
Hier in Hessen wird dieses Geld durch den Landeswohlfahrtsverband Hessen, LWV ausgezahlt. Diese Behörde verlangt alle zwei Jahre eine Lebensbescheinigung, die man beispielsweise beim Hausarzt, der Bank oder dem Einwohnermeldeamt bekommt. Unter Anderem wird einem auch die Frage gestellt, ob man sich während der letzten 18 Monate einer Augenoperation unterzogen hat. Wenn ja, dann wird es so richtig schön bürokratisch.
Im Frühjahr 2018 wurde bei mir eine Hornhauttransplantation am Auge durchgeführt. Einen Monat später wurde ich, wie alle zwei Jahre, aufgefordert nachzuweisen, dass ich noch am Leben bin. Die Frage, ob während der letzten 18 Monate eine Augenoperation durchgeführt wurde, beantwortete ich wahrheitsgemäß mit einem ja. Das beiliegende Formular übergab ich meinem Augenarzt, damit er es ausfüllte. Dieser bestätigte, dass meine Sehschärfe noch immer klein genug ist, um die Voraussetzungen für das Blindsein zu erfüllen. Dieses schickte ich unterschrieben zurück. Daraufhin bekam ich ein dickes Formular, welches der Augenarzt noch mal ausfüllen sollte. Das muss bis Juli eingegangen sein. Sonst wird mir das Landesblindengeld nicht weiter bewilligt.
In den vergangenen Jahren habe ich mich mehreren Operationen unterzogen. Bei jeder einzelnen waren die Ärzte und ich uns einig, dass sich mein Sehen nicht wesentlich verbessern wird. Bei einigen Operationen war es erforderlich, dass nach sechs, zwölf oder achtzehn Monaten Fäden entfernt werden müssen. Ich habe Nystagmus. Das heißt, dass meine Augen unkontrolliert zittern. Daher werden solche Eingriffe unter Vollnarkose durchgeführt. Das ruft wieder die Behörde auf den Plan, da die das als Operation zählen. Ich muss also nach jedem solchen Eingriff den Beweis erbringen, dass ich noch immer blind genug für die Leistung Blindengeld bin.
Eins steht fest. Nämlich dass manche Behörden an Spontanheilung glauben. Fäden aus einer transplantierten Hornhaut entfernen, und Schwups ist die Blindheit weg. Mir und meinem Augenarzt ist kein einziger Fall bekannt, bei dem allein durch das Entfernen von Fäden ein blinder Patient wieder so viel gesehen hat, dass der den Status blind verliert.
Ich habe Verständnis dafür, dass von Zeit zu Zeit geprüft wird, ob die Person, die Blindengeld bezieht, noch am Leben ist. Schließlich wurde auch hier bereits schon Missbrauch getrieben. Ich habe auch Verständnis dafür, dass man nach einer OP den Visus vom Augenarzt feststellen und angeben muss. Wofür dann aber noch so ein dickes Formular durch den Augenarzt ausgefüllt werden muss, ist mir schleierhaft. Und erst recht, dass nach einem Entfernen von Fäden der erneute Beweis für die noch Blindheit angetreten werden muss. Das empfinde ich als unnötigen Stress für alle Beteiligten.

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Allgemein Bildung Zu Gast auf lydiaswelt

Der Blinde und das Jobcenter

2013 hatte ich nachdem ich mich Arbeitsuchend gemeldet hatte, einen Termin bei einer Mitarbeiterin der Agentur für Arbeit, welche für Menschen mit Behinderung zuständig war. Ich viel daher aus allen Wolken, als sie sagte, sie wisse gar nicht, wie sie mir jetzt helfen könne. Außerdem sprach sie fortwährend mit meinem Begleiter, den ich wegen der schlechten Verbindung mit dem ÖPNV mitgenommen hatte. Inwieweit es sich bei diesem Termin um Zeitverschwendung oder aber ein Lerngeschenk handelt, liegt im Auge des Betrachters.

Heute schreibt mein Gastautor Kamil Günay über seine Erfahrungen mit dem Jobcenter, welche sich durch hartnäckige Lernresistenz und einem falschen Weltbild von Menschen mit Behinderung auszeichnen.
Blinde erleben im Alltag die unterschiedlichsten Hindernisse. Manche davon sind so gestaltet, dass man sie mit etwas Geschick umschiffen kann. Oft sind es Menschen, die durch Unwissenheit Barrieren aufbauen. Aber auch da, ein freundliches Gespräch löst meistens alles auf. Ich möchte euch heute von Diskriminierungen und Demütigungen erzählen, die sich in den letzten Jahren auch nicht durch noch so viele Gespräche haben lösen lassen. Denn gerade in der Jobsuche oder auf Behörden gerät man oft an Grenzen, die auch psychisch ziemlich aufreibend sein können.

Kurz zu mir:
Ich bin 43 Jahre alt, von Geburt an blind und lebe in Wuppertal. 1998 habe ich eine Ausbildung als Kaufmann für Bürokommunikation abgeschlossen. Von 1999 bis 2002 habe ich als Systemadministrator und Netzwerktechniker für eine türkischen Telefongesellschaft gearbeitet. Als die Niederlassung geschlossen wurde, wurde ich arbeitslos.

Neben meinem privaten Blog, wo es hauptsächlich um Science Fiction und Fantasy geht, wo ich aber auch immer mal wieder persönliches poste, betreibe ich noch die Plattform TuKSuB. Das steht für Technik und Kommunikation für Sehbehinderte und Blinde. Hier wird über Hilfsmittel, Alltagsgeräte oder Smartphones diskutiert. Das geschieht in Blogbeiträgen, Podcasts und hauptsächlich in einer Mailingliste.

Behördenstress!
Zum Ausfüllen von Formularen benötige ich Hilfe. Ich kann zwar mit meinen Hilfsmitteln, Scanner oder auch mit dem iPhone, lesen, was da auf den Formularen steht, aber ausfüllen kann ich diese nicht. Hier wird mir von den Behörden immer wieder die Hilfe verweigert, aktuell vom Jobcenter Wuppertal. Oft bekomme ich Hilfe erst nach langen Diskussionen oder anwaltlicher Hilfe.

Immer wieder wird mir vom Jobcenter gesagt, ich sei eigentlich ja gar nicht erwerbsfähig. Auf meine Frage, wie man denn jetzt darauf komme heißt es, ich hätte ja das Merkzeichen H im Schwerbehindertenausweis, welches für „Hilflos“ stünde, und da gäbe es ja ein Dokument, wonach man mich in die Grundsicherung befördern müsse… Meine Argumente, dass das Merkzeichen H im Schwerbehindertenausweis eines jeden Blinden steht und viele Blinde berufstätig sind, zählten da nie.

Aktuell versucht man mich im Rahmen einer Mietsenkungsmaßnahme zu einem Umzug zu bewegen. Die Wohnung sei zu groß und zu teuer. Nun, eine für mich als Blinden einigermaßen barrierefreie Wohnung zu finden, die günstiger ist, dürfte schwierig sein. Für mich ist ja nicht nur die Größe der Wohnung wichtig, sondern auch die Infrastruktur, wie ÖPNV, Einkaufsmöglichkeiten und dergleichen. Auch hier wird seitens des Jobcenter Wuppertal nahezu jedes Argument ignoriert, welches ich anbringe. Stattdessen soll ich nachweisen, ob ich in einer Pflegestufe bin.

Die ganze Angelegenheit ist selbstverständlich wesentlich komplexer. Um aber hier den Rahmen nicht zu sprengen, habe ich die Sache nur oberflächlich angerissen. Wer Interesse am Behördenwahnsinn Wuppertals hat, kann die ganze Geschichte auf meinem Blog hier nachlesen.

Mehr über Kamil könnt Ihr auf Science/Fantasy-Ecke dem Treffpunkt für SF- und Fantasy-Fans oder auf TuKSuB | Technik und Kommunikation für Sehbehinderte und Blinde lesen.

Ich danke Kamil für seinen Beitrag, und lade Euch ein in den Kommentaren darüber zu diskutieren.

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Allgemein Alltag Bildung blinde Eltern

Ranzenpost und Formulare bei blinden Eltern

Meine erste E-Mail-Adresse bekam ich 2003, gemeinsam mit einer Einführung in die Bedienung eines E-Mail-Programms und meinen ersten Gehversuchen im Internet. Eigentlich geschah das mehr aus Neugierde, als aus einer Notwendigkeit heraus. Denn bisher reichten mir für das, was ich zu tun hatte, die Kommunikation in Form von Telefon, Fax oder Papierpost. Gedruckte Briefe ließ ich mir entweder vorlesen, oder ich scannte sie ein, und ließ meinen Computer die gedruckten Buchstaben in Sprache oder Braille umwandeln. Und wenn ich etwas verschickte, dann schrieb ich diesen am PC, druckte ihn aus, oder schickte ihn per Fax weg. Gepaart mit dem guten alten Telefon war das für mich die Vorgehensweise, mit der ich gut gelebt habe.

Mit dem Einzug von E-Mail vereinfachte sich für mich die schriftliche Kommunikation. Bekam ich eine Info per Mail, brauchte ich diese nicht mühsam einzuscannen, und mögliche Fehlerquellen bei der Texterkennung einzukalkulieren. Ich hatte die Info quasi sofort. Es ersparte mir also nicht nur Papier, sondern auch viel Zeit. Denn Briefe in Papierform wollten eingescannt, in Braille beschriftet und richtig abgeheftet werden. Bei der E-Mail reichte eine übersichtliche Ordnerstruktur, um diese gezielt wiederzufinden. Außerdem besitzt mein PC eine Suchfunktion, mein Ordnerregal jedoch nicht.

Als meine Kinder in den Kindergarten kamen, bat ich die Mitarbeiter mir schriftliche Mitteilungen per E-Mail zu schicken. Das klappte mehr schlecht als recht. Für mich wäre es eine große Erleichterung gewesen. Denn ich kann Anhand eines Papiers, das im Fach meines Kindes liegt, nicht feststellen, ob es sich um ein gemaltes Bild oder einen Elternbrief handelt. Und ich kann auch keine Aushänge lesen. Ich musste viel fragen, und hoffen, dass mir keine wichtige Information, wie ein außerplanmäßiger Schließungstag, ein Elternabend oder ein „Wir haben Läuse im Haus“ entging. Manchmal halfen mir andere Eltern bei der Informationsbeschaffung.

Als meine Kinder in die Grundschule kamen, bekam ich immer mehr das Gefühl, das die Lehrkräfte E-Mails mehr fürchten als der Teufel das Weihwasser. Die einzige Mitarbeiterin, die ab und zu an mich dachte, war eine Mitarbeiterin im Sekretariat, die mir Mails schickte. Ein Lehrer meines Sohnes rief ab und zu an, wenn es ein Problem gab. Auch damit konnte ich gut leben. Aber oft genug musste ich mir anhören, dass die Kinder alt genug seien, um die Ranzenpost bei den Eltern abzugeben, oder das Elternheft zu zeigen.

Es gibt mehrere Informationsquellen, die man als Elternteil überblicken können muss. Da wäre einmal das Mitteilungsheft an die Eltern, in welches handschriftliche Mitteilungen gemacht werden können. Manche Lehrkräfte möchten, dass diese von den Eltern abgezeichnet werden. Dann gibt es die Elternmappe, in die das Kind Briefe der Schule oder Lehrkraft abheften soll. Und dann gibt es die losen Blätter, die viele Kinder vergessen in eben diese Mappe einzuheften. Und das sollen wir Eltern nach Möglichkeit kontrollieren. Denn mal Hand aufs Herz, wessen Kind im Grundschulalter ist so gewissenhaft, und gibt diese zuverlässig zeitnah an die Eltern weiter?

Eine sehende Mutter hat die Wahl selbst in den Schulranzen zu schauen oder die Verantwortung auf das Kind zu übertragen. Sie kann erkennen, ob es sich um ein Schreiben oder ein bemaltes Stück Papier handelt, ob etwas auszufüllen oder zu unterschreiben ist. Das kann ich nicht. Handschriftliche Mitteilungen sind für mich selbst mit meinen technischen Hilfsmitteln unlesbar. Eine Information, die per E-Mail zu mir kommt, kann ich ohne fremde Hilfe bearbeiten. Und da die meisten Elternbriefe ohnehin am PC erstellt werden, ist es kein Mehraufwand diese per E-Mail zu versenden.

Der Hort meiner Kinder hat das verstanden, und mir bei der Informationsbeschaffung geholfen. Für die Post aus der Grundschule fand ich Hilfe bei Miteltern oder bezahlte mir eine entsprechende Hilfe, die den Schulranzen regelmäßig durchsah.

Schwieriger wurde es auf der weiterführenden Schule. Hier gab es noch mehr Informationsquellen. Der Klassenlehrer meiner Tochter hat mir zu dem Zeitpunkt einen wertvollen Luxus geboten, indem er die Informationen für mich sammelte und lesbar machte. Ich besuchte den Elternsprechtag, und erklärte mehreren Lehrkräften, dass es schneller geht, wenn er oder sie per E-Mail mit mir Kontakt aufnimmt. Und die meisten verstanden das. Und das war auch gut so, da meine Kinder die Ordnung zeitweise nicht als ihren besten Freund ansahen.

Problematisch war die Kommunikation mit der Sorte Lehrkräfte, welche die Meinung vertraten, dass ein Kind in dem Alter selbst darauf achten müsse, dass die Informationen zu den Eltern kämen. Meine Bitte mir die für uns Eltern bestimmten Informationen in einer für mich als Eltern wahrnehmbaren Form zu Verfügung zu stellen artete auch schon mal in eine Grundsatzdiskussion über Selbstverantwortung der Kinder aus. Dabei sind wir einer Meinung, nämlich, dass Kindern ein bestimmtes ihrem Alter entsprechendes Maß an Verantwortung übertragen sollten. Dem gegenüber steht jedoch, dass ich meine Pflichten als Eltern wahrnehmen muss. Und das setzt vorraus, dass ich Informationen, die an mich als Eltern gerichtet sind, auch ohne die Hilfe meiner Kinder wahrnehmen kann. Das brauche ich, um meine Kinder auf dem Weg in ein selbständiges Leben zu unterstützen.

Meine Kinder sind inzwischen beinahe erwachsen, und können selbst darauf achten, dass ich relevante Informationen bekomme. Aber da draußen gibt es noch ganz viele Eltern, deren Kinder das noch nicht können. Und diese freuen sich über Mitteilungen ohne Barrieren.

Liebe Lehrer, Erzieher und alle Anderen, die mit Kindern blinder Eltern zu tun haben könnten!

Mitteilungen per Ranzenpost stellen eine Barriere dar, eine E-Mail oder ein Anruf der Schule nicht. Vor Allem macht Ranzenpost abhängig. Nämlich davon, dass das Kind diese abliefert, und davon, dass ein Formular nicht eigenhändig ausgefüllt werden kann. Und ich glaube nicht, dass das im Sinne des Lehrauftrags ist. Einfach fragen, und gemeinsam eine Lösung finden. Allerdings hören wir blinden Eltern Sätze wie „Das kann Ihnen jemand vorlesen“, oder „ihr Kind kann das ja machen“ überhaupt nicht gern. Denn auch wir sind in erster Linie Eltern mit Pflichten. Und unsere Kinder sind nicht dazu da, um die Behinderung zu kompensieren.

Eure Lydia

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Allgemein unterwegs

Das wünsche ich mir als blinder Gast in einem Hotel

Ich sehe noch gut genug, um mich an Lichtverhältnissen oder Unterschiede bei Kontrasten zu orientieren. Wenn es also draußen bewölkt ist, sehe ich besser als wenn die Sonne scheint. Und wenn es draußen dunkel ist, orientiere ich mich an beleuchteten Hauswänden, Straßenlaternen oder Schaufenstern. Laufe ich durch einen schlecht beleuchteten Park, dann fällt mein Sehrest für die grobe Orientierung aus, und wird komplett durch mein Gehör und das Tasten mit dem Blindenstock ersetzt.

Im Rahmen eines Events für blinde und sehende Blogger wurden wir in einem Hotel untergebracht. Blauäugig und auf das Gute vertrauend hinterfragte ich die Unterbringung nicht, da ich davon ausging, dass die Organisatoren nicht zum ersten Mal mit unserem Personenkreis zusammenarbeiteten.

Da der Termin während der Schulferien lag, hatte ich die Idee meine normal sehende Tochter mitzunehmen. Da wir bereits am Vortag anreisen würden, konnten wir noch ein bisschen die Gegend erkunden.

Bei unserer Ankunft bekamen wir Schlüssel gegen Kaution ausgehändigt. Dazu gab es noch eine Beschreibung zu dem Gebäude, in welchem wir unterkommen würden. Dort angekommen, präsentierte sich uns ein Zimmer mit zwei schmalen Betten, einigen an der Wand angebrachten Kleiderhaken und einem offenen Regal. An der Wand war ein Spiegel angebracht, und irgendwo fanden wir noch zwei Hocker. Es gab eine Toilette und eine Dusche für alle Bewohner auf dem Flur.

Am Abend wollte ich zur Toilette. Fehlanzeige. Meine Tochter musste erst mal nach dem Lichtschalter suchen. Auf dem Rückweg stellte sich heraus, dass dieser zeitgesteuert war, sodass ich erst mal wieder nach dem Schalter suchen musste. Aber man ist ja flexibel. Da er nicht beleuchtet war, ging ich eben im Dunkeln zurück zum Zimmer.

Frühstück gab es ab 8:30 Uhr. Das hatten wir dazu gebucht. Ein Raum, in welchem Tische und Stühle standen, und ein kleines Buffet mit Platten und Gläsern mit Aufstrich. Bedienung oder so? Fehlanzeige. Darauf war das hier nicht ausgelegt. Gut, meine Tochter half mir beim Zusammenstellen des Frühstücks. So brauchte ich nicht nach einer buchstäblich helfenden Hand zu suchen.

Eine solche Unterbringung erinnert mich an diverse Klassenfahrten während meiner Schulzeit. Und bis dato dachte ich, das ich aus dem Alter raus sei.

So, genug gemeckert. Jetzt reden wir mal über die Voraussetzungen, die ich als blinder Gast haben möchte. Reise ich alleine, dann möchte ich ab der Rezeption eine Begleitung, die mir den Weg zu meinem Zimmer zeigt, und mir die dortigen Gegebenheiten erklärt. Dazu gehören sanitäre Anlagen genauso wie das Mobiliar, Lichtschalter und Steckdosen. Gut wäre eine Telefonnummer, die ich bei Fragen anrufen kann, wenn es sich um ein weitläufiges Haus handelt. Außerdem möchte ich wissen wo es einen Aufenthaltsraum, oder Frühstückszimmer gibt. Für mich reicht es aus, wenn man mir das einmal zeigt.

Bad und Toilette außerhalb des Zimmers, die ich mir auch noch mit anderen Personen teilen muss, mag ich gar nicht. Zum einen kann ich nichts liegen lassen, und darauf vertrauen, dass der Gegenstand später noch immer an seinem Platz liegt. Außerdem kann ich nicht sehen, wie mein Vorgänger die sanitären Anlagen hinterlassen hat. Und ich lege keinen gesteigerten Wert auf Sakrotanpartys vor der Benutzung von Dusche und Toilette. Ich weiß noch, wie ich in einem Hostel duschen wollte, und gleich mal ohne Vorwarnung beim Betreten des Duschraums im Wasser stand, weil mein Vorgänger den Duschraum vorher unter Wasser gesetzt hatte. Ein Sehender Hotelgast hätte das gesehen, ich eben nicht.

Mahlzeiten mit Buffet gehen bei mir nur, wenn es jemand gibt, der mir dessen Inhalt erklärt. Denn ich kann das nicht mit einem Blick erfassen. Und aus hygienischen Gründen darf ich nicht Hand anlegen. Möchte ich auch nicht. Bisher hatte ich Glück, und bekam Hilfe, wenn ich diese freundlich eingefordert habe. Denn in der Regel sind Menschen nett, wenn man sie lässt. Vor Allem aber, wenn man klare Wünsche äußert, und ernst genommen wird.

Kommen wir zur Orientierung. Ich kann mir merken, auf welchem Stockwerk mein Zimmer liegt. Wenn es möglich ist, laufe ich die Treppen. Einerseits um mich zu bewegen, andererseits aber auch der Aufzüge wegen, die meistens nicht über eine Sprachausgabe verfügen. Wenn ich laufe, habe ich eine Kontrolle darüber wo ich mich befinde. Wenn ich den Knopf für den dritten Stock gedrückt habe, heißt es nicht gleich, dass ich genau dort lande. Wenn der Fahrstuhl zwischendurch woanders hält, sehe ich die Anzeige nicht. Und nicht immer ist jemand in der Nähe, der mir das Stockwerk ansagen kann.

Viele Menschen mit einem geringen Sehrest orientieren sich an Kontrasten und Lichtverhältnissen. Grelle Beleuchtung ist genauso schrecklich wie zu dunkle Beleuchtung. Ich persönlich finde es schön, wenn die erste und letzte Stufe sich farblich stark abhebt. Gerade sehbehinderte Gäste sind dankbar dafür.

Wenn ich einen langen Flur mit vielen Zimmern habe, fühle ich nach, ob es tastbare Merkmale gibt. Das kann eine erhabene Beschriftung der Zimmernummer sein, oder einen andere Markantes Merkmal wie ein Verteilerkasten, eine Zwischentür oder eine Nische sein. Am liebsten schließe ich   eine Zimmertür mit einem Schlüssel auf. Auch Schlüsselkarten, die man an eine bestimmte Stelle hält, gehen. Problematisch wird es, wenn man einen Code eingeben muss. Damit kommen viele blinde Hotelgäste nicht zurecht. Erst recht nicht, wenn die Bedienelemente auf bloße Berührung reagieren. Solange dieses zu berührende Element nicht mit mir spricht, nehme ich dessen Inhalt nicht wahr.

Den Klassiker in vielen Hotels habe ich mir bis zum Schluss aufgehoben. Nämlich den auszufüllenden Anmeldebogen. Ich kann diesen nicht alleine ausfüllen. Und ich habe schon so manchen Mitarbeiter eines Hotels erlebt, der doch etwas mit der Situation überfordert war. Dabei hätte man einfach nur fragen müssen, wie wir beide das jetzt machen können, dann hätte ich dem Mitarbeiter erklären können, dass ich ihm die entsprechenden Angaben diktieren und anschließend selbst unterschreiben kann. Fertig!

Vor Jahren machte ich mit meinen Kindern Urlaub in Ägypten. Hier holte uns jemand von der Rezeption am Transfer ab, ging mit uns zu einer Sitzecke, und erklärte mir, er würde den Anmeldebogen für mich ausfüllen. Wenn ich ihm meinen Ausweis zeigte, könne er sich die Angaben einfach abschreiben. Und so machten wir das dann auch.

Ich war ziemlich erstaunt darüber, dass dieser Hotelmitarbeiter einen so lösungsorientierten Vorschlag machte. Bisher kannte ich es so, dass gefragt wurde, ob meine Kinder, damals noch im Grundschulalter, das ausfüllen können. Nein, können sie nicht. Die wenigsten Kinder in diesem Alter können das. Und das ist in Ordnung so.

Ganz wichtig zu erwähnen ist, dass diese Liste keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Deshalb bin ich ein großer Freund davon, dass man per Anruf oder E-Mail die Gegebenheiten abklärt, die man als Hotelgast braucht, und die vom Mainstream abweichen.
Und jetzt lade ich alle Leser ein in den Kommentaren über diesen Beitrag zu diskutieren.

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Allgemein Alltag

Zugänglichkeit und Datenschutz

Das Foto zeigt mich an meinem Schreibtisch. Vor mir ist ein Computerarbeitsplatz aufgebaut.

Ich habe schneller Deutsch gelernt als meine Eltern. Daher kümmerte ich mich bereits als Jugendliche um Formulare, die mich und meine Angelegenheiten angingen. Meine Eltern bat ich um dieses oder jenes Schreiben, oder darum etwas zu unterschreiben, was ich als Minderjährige noch nicht durfte. Ich denke, ich bin daran gewachsen, und habe gelernt mir Hilfe zu holen, wenn ich etwas nicht wusste. Und da ich schon immer gerne geschrieben habe, durfte ich später auch mal Schreiben an Behörden, Krankenkasse usw. verfassen. Anfangs schrieb ich mit der Schreibmaschine. Später zog dann ein PC mit Scanner und Drucker bei mir ein. Damit konnte ich mir Vorlagen für Briefe basteln, die ich mehrmals brauchte. Und ich konnte Briefe, die ich früher geschrieben hatte, ohne fremde Hilfe nachvollziehen.
Von der Wiege bis zur Bahre, begleiten uns Formulare.

In Zusammenhang mit schriftlichen Mitteilungen und Formularen taucht oft die Bemerkung auf: „Das kann Ihnen jemand vorlesen“. Oder „Ihr Mann sieht doch?“ Dabei handelt es sich um Ämter, die sich gern damit herausreden, dass sie aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Information per E-Mail verschicken dürfen. Für mich ist das ein Widerspruch. Einerseits beruft man sich auf den Datenschutz, andererseits fordert man mich explizit dazu auf, den Brief oder das Formular einer dritten Person zugänglich zu machen.

Um das zu veranschaulichen, möchte ich eine Geschichte erzählen, die sich so zugetragen haben könnte.

Tina ist blind und Mutter eines Sohnes im Teenageralter. Dieser hatte sich in den vergangenen zwei Jahren in der Schule so unwohl gefühlt, dass er sehr oft die Schule versäumte. Von den unentschuldigten Fehlzeiten erfuhr Tina meist durch den Klassenlehrer, der ihr die Mitteilungen per E-Mail schickte. Diese konnte sie selbst mit Hilfe einer Sprachausgabe oder Braillezeile lesen und sofort reagieren. Bei Mitteilungen in gedruckter Form hätte sie diese erst einscannen und durch eine entsprechende Software wieder in Text umwandeln müssen. Und bei handschriftlichen Mitteilungen wäre sie auf sehende Hilfe angewiesen.

Aufgrund von hohen Fehlzeiten in der Schule, beantragte diese ein Busgeldverfahren gegen die Erziehungsberechtigten. Inzwischen war das nächste Schuljahr angebrochen. Johnas hatte die Klasse wiederholt und fühlte sich in der neuen Klassengemeinschaft gut integriert. Gemeinsam arbeiteten alle nun daran, dass Johnas wieder regelmäßiger zur Schule ging.

Zwei Monate später wurde den Eltern der Bußgeldbescheid zugestellt. Da Tina und ihr Mann das nicht zahlen wollten, beantragten sie eine Ersatzauflage, die durch das Kind abzuleisten war. Es ging fast ein halbes Jahr ins Land, bis Johnas und seine Eltern den Bescheid bekamen, dass Johnas 12 Sozialstunden in einer gemeinnützigen Einrichtung abzuleisten habe. Dies sollte bis Mitte Mai geschehen.

Dieser Bescheid ging den blinden Eltern und Johnas in Papierform zu. Der Absender war das zuständige Amtsgericht.

Die Geschichte hatte sich also fast ein Dreivierteljahr hingezogen. Inzwischen war Johnas gut in seiner Klasse aufgenommen, seine Leistungen hatten sich deutlich verbessert und bei ihm hatte ein Umdenken stattgefunden. Tina sprach mit ihrem Sohn darüber, der sich erst mal selbst darum kümmern wollte. Und so vergingen vier Wochen. Ein weiteres Gespräch ergab, dass Johnas sich zwar bemüht hatte, jedoch keine Stelle gefunden hatte, die ihn für zwölf Stunden beschäftigen wollte. Erschwerend dazu kam, dass Johnas nicht wollte, dass seine Freunde sahen, wie er jetzt irgendwo die Straße kehren musste oder so. Und Tina respektierte die Entscheidung. Schließlich handelte es sich hier um Altlasten aus dem Vorjahr. Die Beiden kamen überein, dass sie sich nach einer entsprechenden stelle erkundigen würde, die nicht an ihrem Wohnort liegt. Das konnte schließlich kein Hexenwerk sein.

Einen Tag später hatte Tina eine passende Stelle gefunden. Es war geplant, dass Johnas die Stunden während der Osterferien ableisten sollte. Und an sich war erst mal alles gut. Aber leider steckt man oft nicht drin. Kurz, es war während der Ferien nicht möglich. Möglich war allerdings, dass sich jetzt der eine Sachbearbeiter des Jugendamts für die Angelegenheit interessierte. Tina bekam somit ein Anschreiben, ebenfalls in Papierform, dass Johnas sich bei ihm melden solle, um eine Ersatzstelle für die Sozialstunden zu finden. Es brauchte einige Telefonate, bis Tina herausfand, dass das Jugendamt vom Amtsgericht  beauftragt worden war den Vorgang zu begleiten. Und es hatte ein paar Tage gedauert, bis Tina der Inhalt des Schreibens vorgelesen worden war. Denn trotz vorherrschender Meinung von Ämtern und Behörden legen auch Blinde Wert auf ein selbstbestimmtes Leben. Tina ist der Meinung, dass ihre Kinder nicht dazu da sind, um ihre Sehbehinderung zu kompensieren. Erst recht nicht, wenn es sich um offizielle Schriftstücke handelt.

In der darauf folgenden Woche rief sie zweimal bei dem Sachbearbeiter an und sprach beide Male auf den Anrufbeantworter. Jeweils ohne den gewünschten Rückruf zu bekommen. Eine andere Mitarbeiterin vom Jugendamt, die die Familie schon länger begleitet hatte, konnte ihr hier nicht weiterhelfen. Schreiben und Bescheide per E-Mail zu versenden sei ihr aus datenschutzrechtlichen Gründen untersagt. Sie solle sich an den Sachbearbeiter wenden.

Als hoffnungslose Optimistin dachte Tina sich, sie könne ja direkt beim Amtsgericht nachfragen. Aber wo in aller Welt war jetzt das Aktenzeichen von Johnas? Das stand in dem Brief. Und diesen hatte ihr Teenager unauffindbar verlegt. Gleiches galt für die Kopie, die Tina hatte. Da sie glaubte diese nicht mehr brauchen zu müssen, hatte sie ihre Vorlesekraft nicht darum gebeten ihr das Aktenzeichen zu diktieren. Eigene Blödheit.

Also rief Tina beim Amtsgericht an, und schilderte ihren Fall. Die Dame bei der Telefonzentrale meinte nach längeren Vorhaltungen, dass sie Tina zur Staatsanwaltschaft durchstellen würde. Die könnten ihr sicher helfen. Danach vergingen lange 45 Minuten in einer musikalisch untermalten Warteschleife. Also noch mal das Ganze von vorne. Nur mit dem Unterschied, dass Tina diesmal bei der Vorauswahl die Taste für eine Verbindung mit der Staatsanwaltschaft drückte.

Ein Herr meldete sich, und Tina schilderte ihre Situation. Sie war sich darüber im Klaren, dass man ihr nicht so einfach das erforderliche Aktenzeichen telefonisch durchgeben würde. Vielleicht ging es ja, wenn sie persönlich dort vorbeikommen könnte. Oder sie könnte eine E-Mail an den Sachbearbeiter schreiben. Aber nichts davon war möglich. Stattdessen riet ihr die Stimme am anderen Ende der Leitung bei den Nachbarn herumzufragen, ob jemand helfen könnte den verlegten Brief wiederzufinden. Eine andere Möglichkeit sähe er nicht.

Tina war erst mal absolut fassungslos. Wie stellte der sich das eigentlich vor? Sollte Tina jetzt in den Nachbarhäusern klingeln und darum bitten, dass jemand aus der Nachbarschaft ihr Haus nach diesem Brief durchsuchte? War das jetzt echt? Sie machte ihm klar, dass sie sich das hier nicht ausgesucht hatte, und keine Person des Vertrauens zur Verfügung habe, die zeitnah suchen helfen könnte. Nach längerer Diskussion bat er Tina in 15 Minuten noch mal anzurufen und gab ihr die Nummer. Er würde noch mal abklären inwieweit er ihr helfen könnte. Vor Aufregung hatte Tina vergessen sich den Namen des Mannes zu notieren. Als sie 20 Minuten später noch mal anrief, landete sie direkt in der Zentrale des Amtsgerichts. Und zwar bei der Dame, die sie vorher in die 45 Minütige Warteschleife geschickt hatte. Diese sagte ihr, es seien 300 Leute im Haus, sie könne nicht mehr für sie tun, als sie wieder in Richtung Staatsanwaltschaft durchzustellen. Tina wollte noch nach einer E-Mail-Adresse fragen. Aber da war sie schon in der Warteschleife. Und hier gab sie einfach auf. Die Barrieren des Amtsschimmels hatten sie genau da, wo sie sie hinhaben wollten, nämlich an ihren Grenzen.

Am Abend fand ihr Mann, der etwas besser sieht als Tina, das gesuchte Schreiben wieder. Er diktierte ihr das Aktenzeichen und die E-Mail-Adresse. Hier schrieb sie am kommenden Tag hin, und schilderte ihre Situation. Ihrer Bitte um Rückruf kam der Sachbearbeiter nach, und half ihr die Situation zu klären. Ein Telefonat, welches keine 10 Minuten lang währte. Und wie so oft fragte Tina sich: „Warum nicht gleich so“?

Überweisungen von einer dritten Person ausfüllen lassen

Lange bevor das Onlinebanking bei mir einzog, hatte ich mit meiner Hausbank die Vereinbarung, dass ich die Überweisungen per E-Mail schicken kann. Und zwar an einen bestimmten Bankberater. Ich sammelte die Überweisungen und schickte diese an zwei Terminen im Monat hin. Es war eine Lösung, mit der wir alle gut leben konnten. Denn die Homepage war für mich mit meinen Hilfsmitteln nicht zugänglich. Irgendwann wechselte dieser Berater. Sein Nachfolger stellte die Hilfe ein, ohne mir das zu sagen. Ich merkte das erst, als die erste Mahnung ins Haus flatterte. Auf meine Nachfrage erklärte er mir, dass dieser Service nicht länger für mich geleistet werden könne und ich mir jemanden suchen sollte, der die Überweisungen für mich ausfüllte. Als Beispiel könnte ich ja meine Kinder bitten. Ups, meinte der das ernst? Beide waren noch im Grundschulalter. Gut, letztendlich fanden wir eine Lösung.

Liebe Mitarbeiter von Ämtern, Behörden, Versicherungen!
Bitte behandelt uns blinde und sehbehinderte Menschen nicht wie Bittsteller, wenn wir Euch um eine zugängliche Mitteilungsform bitten. Uns liegt genauso wie Euch an einer schnellen und Nerven schonenden Abwicklung. Und das geht am besten, wenn wir Eure Mitteilungen ohne fremde Hilfe erfassen und bearbeiten können. Die blinde Person sagt Euch in der Regel was sie genau braucht.

Und jetzt lade ich Euch ein in den Kommentaren über diesen Beitrag zu diskutieren und über Eure Erfahrungen zu schreiben.