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Allgemein Alltag unterwegs

Öffentlicher Nahverkehr, diese Infos brauche ich

Donnerstagnachmittag an der S-Bahn-Station Konstablerwache. Gemeinsam mit einer anderen blinden Frau warte ich auf die Linie S3. Und mal wieder funktioniert die Ansage der einfahrenden S-Bahn-Linien nicht. Das ist seit ein paar Jahren normal, dass die Ansage nur sporadisch funktioniert. Für blinde Fahrgäste heißt das, dass wir bei jeder einfahrenden Bahn fremde Personen danach fragen müssen. Und wir müssen blind darauf vertrauen, dass die Auskunft richtig ist. Das ist nicht nur anstrengend, sondern einfach nur nervig. Denn ich kann keinen Blickkontakt herstellen. Und so muss ich mich irgendwie anders bemerkbar machen und hoffen, dass derjenige meine Sprache spricht. Dazu kommt, dass die Bahnen chronisch verspätet sind, so dass ich mich nicht auf die Zeiten im Fahrplan verlassen kann. Bei der nächsten Bahn frage ich also eine Frau welcher Zug da einfährt. Sie antwortet, dass es die S3 ist, und ich steige ein. Die Bahn ist so voll, und die Ansage der Haltestelle leise genug, um sie zu überhören. Und so dauert es etwas, bis mir klar ist, dass ich in der falschen Bahn sitze. Warum die Frau draußen mir die falsche Bahn genannt hat, das weiß ich nicht. Fakt ist jetzt, dass mich diese Sache mindestens eine halbe Stunde Zeit und Konzentration kostet. Das alles wäre nicht passiert, wenn die Ansage der einfahrenden Züge funktioniert hätte.

Wenn ich mit dem öffentlichen Nahverkehr unterwegs bin, brauche ich einmal die Information was da gerade einfährt. Und normalerweise sollte das bei U-Bahnen und S-Bahnen angesagt werden. Meist funktioniert das auch.
Was ich ebenso brauche ist eine Ansage der nächsten Haltestelle. Bei U-Bahnen und S-Bahnen funktioniert diese normalerweise. Bei Bussen oft nicht. Jedenfalls nicht in den meisten, die sich hier im Kreis Offenbach bewegen. Wenn sie mal funktionieren, dann sind sie so leise, dass man sie bestenfalls noch erahnen kann. Spreche ich den Busfahrer darauf an, ist das meist ergebnislos. Ich bekomme oft Antworten wie „Funktioniert nicht“, oder „Ich sage Ihnen Bescheid“. Aber das mit dem Bescheid sagen funktioniert nicht immer zuverlässig. In der vergangenen Woche stieg ich in einen Bus ein, und fragte nach der Busnummer. Auf die Frage: „Bis wohin wollen Sie“, antwortete ich „Ich fahre bis Brauerei mit“. Der Fahrer meinte, er sage mir dann Bescheid. Tja, aber genau das tat er nicht. Und als ich das gemerkt hatte, waren wir schon daran vorbei gefahren. Für mich hieß das jetzt, dass ich einen Umweg von ca. 20 Minuten in Kauf nehmen musste, um an mein Ziel zu kommen.

20 Minuten sind jetzt kein Weltuntergang. Allerdings kann es ziemlich nervig werden, wenn einem so was öfter passiert. Erst recht, wenn man einen Fixtermin hat. Ein weiterer Aspekt ist, dass viele blinde Menschen ihre Wegstrecke regelrecht auswendig lernen. Wenn sie dann ihre Haltestelle verpassen, können sie nicht einfach mal einen anderen Weg einschlagen. Oft heißt die Lösung dann ein Taxi rufen, sich von irgendwem abholen lassen, oder fremde Menschen ansprechen und sich durchfragen. Für blinde Menschen, die noch etwas unsicher im Straßenverkehr sind, ist das eine echt blöde Situation. Dasselbe Problem haben übrigens auch Menschen, die ortsfremd sind, oder nicht so oft mit dem öffentlichen Nahverkehr unterwegs sind.

Es gibt ein paar wenige Busfahrer, die mir bevor ich frage schon ansagen welche Linie ich gerade vor mir habe. Darüber freue ich mich riesig, da es mir die Fragerei erspart. In blind Busfahren, das ist für mich wichtig gehe ich noch mal speziell auf das Thema ein.

Und jetzt freue ich mich auf Eure Meinung und einen Erfahrungsaustausch in den Kommentaren hier auf dem Blog.

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Allgemein Bildung Zu Gast auf lydiaswelt

Inklusion, das lerne ich von meinen Schülern

Das Thema Inklusion ist eines der Themen, welche immer wieder kontrovers diskutiert werden. In Inklusion, ich war immer die Ausnahme, habe ich dazu ein Interview mit einem blinden Schüler geführt. Ergänzend dazu hat ein Gastautor den Beitrag Gedanken zum Thema Inklusion geschrieben, der dieses Thema von mehreren Seiten beleuchtet. Heute ist Sunnybee vom Mutter-und-Sohn.Blog meine Gastautorin, die aus der Sicht einer Lehrerin erzählt.

Inklusion im Schulunterricht: Was ich von meinen körperlich eingeschränkten Schülerinnen und Schülern lerne

Ich arbeite seit inzwischen fast zehn Jahren als Lehrerin an einer Schule, an der Erwachsene ihr Abitur nachholen. Meine Schüler, bzw. Studierenden, wie die Erwachsenen an unserer Schule genannt werden, sind äußerst unterschiedlich. Unter ihnen sind Menschen mit Fluchterfahrung und noch geringen Deutschkenntnissen, ebenso wie junge Frauen und Männer mit psychischen und körperlichen Erkrankungen oder körperlichen Einschränkungen. Einer meiner Kollegen sitzt im E-Rollstuhl und unterrichtet mit Assistenz. Für alle ist es inzwischen Alltag, ihn mit seiner Begleitung zu sehen, die ihm z.B. in der Schulmensa bei der Nahrungsaufnahme behilflich ist oder Kursmaterialien für ihn kopiert. Auch einer meiner Studierenden ist aufgrund einer spastischen Lähmung auf Assistenz angewiesen. Sein jeweiliger Assistent, bzw. seine Assistentin sitzt mit im Unterricht und macht auf seine Anweisungen hin Notizen. In Klausuren erhält er als Nachteilsausgleich 50% mehr Zeit für das Bearbeiten der Aufgaben. Sein Assistent oder seine Assistentin notiert dabei wie im Unterricht handschriftlich, was er ihnen diktiert.

Methodik mit Tücken

An einem meiner Leistungskurse nimmt neben diesem Studierenden ein junger Mann mit starker Seheinschränkung teil. Ich finde es beeindruckend, wie locker und selbstverständlich beide mit ihrer Behinderung umgehen. Letztlich lernen alle im Kurs dadurch viel von ihnen. Mein seheingeschränkter Studierender verfügt, wie er mir erklärte, noch über einen Sehrest, der ihm die Wahrnehmung von Schwarz-weiß-Kontrasten, Konturen und kräftigen Farben ermöglicht. Texte liest er mit einem elektronischen Lesegerät, bzw. mit einer Leselupe auf dem Tablet, das ihm diese stark vergrößert. Auch seine Notizen macht er, indem er die Arbeitsblätter unter die elektronische Lupe legt und so seine eigene Schrift lesen kann. Tafelbilder fotografiert er ab und sieht sie sich auf dem Tablet von Nahem und vergrößert an, die Klausuren schreibt er an einem extra dafür verwendeten PC. Ich, als Fachlehrerin, speichere das Dokument nach Ende der Klausur auf USB-Stick und drucke es mir für die Korrektur aus.
Kürzlich wurde mir während einer Stunde aber noch einmal bewusst, wie „blind“ wir Sehenden manchmal trotz aller Reflektiertheit für die Andersartigkeit – und damit auch die anderen Bedürfnisse – unserer Gegenüber sind. Ich hatte die, wie ich fand, tolle Idee gehabt, als Einstieg in ein neues Thema ein „Schreibgespräch“ zu initiieren, eine Methode, bei der meine Studierenden sich in kleinen Gruppen über ein vorher bestimmtes Thema (hier eine neu begonnene Lektüre) ausschließlich schriftlich austauschen sollten. In ihrer Mitte lag also ein großes Blatt und sie sollten ihre Gedanken und Assoziationen darauf notieren und wiederum Kommentare und Anmerkungen – ebenfalls ohne Worte – neben die Notizen ihrer Mitschüler/-innen schreiben. Als Abschluss der Gruppenarbeit sollten sie, nun wieder mündlich, die wichtigsten Ergebnisse des Austauschs im Plenum vortragen.
Logisch, dass diese Methode nicht gerade inklusiv für sehbehinderte Schülerinnen und Schüler ist? Ebenso wenig wie für diejenigen, die nicht selbst einen Stift halten können? Mir fiel das tatsächlich erst auf, als meine Studierenden schon mitten in der Gruppenarbeit steckten und es war mir, ehrlich gesagt, ganz schön peinlich.

Die soziale Kompetenz meiner Studierenden

Nun kam ich jedoch in den Genuss der wahren Kompetenz meiner Studierenden – der körperlich eingeschränkten wie der nicht eingeschränkten: wirklich alle beteiligten sich an der Gruppenarbeit. Mein Studierender mit Schreibassistenz, indem er seinem Assistenten halblaut diktierte, was dieser auf das Blatt in der Mitte schreiben sollte. Mein Studierender mit Seheinschränkung, indem ihm seine Mitstudierenden halblaut vorlasen, was sie geschrieben hatten, bzw. indem er ihre Notizen mithilfe der Leselupe auf seinem Tablet vergrößerte und anschließend seine Kommentare dazu schrieb. Außerdem gingen die Studierenden in dieser Gruppe wie selbstverständlich dazu über, ihre Notizen in verschiedenen Farben zu machen. Eigentlich klar: für jemanden, der nur eingeschränkt sehen kann, bedeutet es eine zusätzliche Anstrengung, auch noch verschiedene Handschriften auseinanderzuhalten und somit ohne Worte zu erfassen, wer was in diesem „Schreibgespräch“ gesagt hat… Das alles lief so selbstverständlich und entspannt ab, dass ich wirklich staunte. Dafür, dass ich mit der Absicht methodischer „Auflockerung“ eigentlich gerade jede Barrierefreiheit beseitigt hatte, wussten sich ALLE meine Studierenden beeindruckend gut zu helfen.
Auch das Feedback meines seheingeschränkten Studierenden nach der Übung, als ich alle im Kurs um eine kurze Rückmeldung zur Methodik bat, war äußerst aufschlussreich für mich. Es sei eine „sehr interessante Erfahrung“ gewesen, „wenn auch vielleicht nicht die ideale Methode für Menschen mit Seheinschränkung“, wie er mit feiner Ironie bemerkte. Aber was ihm sehr gefallen habe: in der Klasse sei es endlich mal komplett ruhig gewesen… Wir mussten alle lachen und auch diesbezüglich hatte ich durch einen einzigen Satz wieder etwas begriffen: wie anstrengend nämlich sonstige Gruppenarbeit, in der 20 bis 30 Menschen, wenn auch nur halblaut, sich zur selben Zeit unterhalten, für Studierende mit Seheinschränkung sein muss. Wenn ich ohnehin schon einen Großteil meiner Sehkraft über das Gehör kompensieren muss und nonverbale Gesprächssignale wie Nicken oder Kopfschütteln für mich nur schwer erkennbar sind, wie anstrengend muss dann eine solche Geräuschkulisse während des Austauschs mit anderen sein!
Tja… und so ging ich selbst an diesem Tag ein Stückchen klüger nach Hause sowie ziemlich beeindruckt von der echten Inklusion, die ich an diesem Tag erlebt hatte!

Danke Dir, liebe SunnyBee für Deine Erfahrungen, die Du mit uns teilst. Deine Blogbeschreibung „Mutter – berufstätig – alleinerziehend – kreativ“ trifft die Vielseitigkeit Deines Blogs, den ich immer wieder mit Spannung lese.

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Allgemein Alltag Haushalt

Mein Gastkind aus Palästina – Teil 4

2 Monate ist es nun her, seit Amal bei uns lebt. Seither ist viel passiert. Im Haushalt bewegt sie sich immer sicherer und selbständiger. Es ist inzwischen normal, dass sie an den Wasserkocher geht und Tee zubereitet. Ich habe ihr gezeigt wie man T-Shirts oder Pullover auf Din A4 falten kann, was sie inzwischen sehr gut umsetzt. Momentan arbeiten wir daran, dass sie sicherer im Umgang mit Messer und Gabel wird. Sie lernt ihr Fleisch selbst zu schneiden und den Inhalt des Tellers zu beherrschen.
Eine meiner Leserinnen hat ein iPhone 5S für Amal gespendet, dass ich für sie eingerichtet und an unsere Familienfreigabe angeschlossen habe. Eine ebenfalls blinde palästinensische Freundin hat ihr den Umgang damit gezeigt. Weitere Einheiten sind in Planung.
Ebenso haben wir ihr gezeigt, wie sie die Euroscheine voneinander unterscheiden kann. In meinem Beitrag Wie erkennen Blinde Geld hatte ich das beschrieben.
Und natürlich darf auch der Freizeitbereich nicht zu kurz kommen. Sie hat inzwischen Bekanntschaft mit Gesellschaftsspielen gemacht. Hier noch ein Dankeschön an die Leserin, die uns ein Rommee Spiel für Blinde überlassen hat. Rommee spielt sie zwar noch nicht, dafür aber Mau-Mau.
Sie würde so gern stricken lernen. Ich selbst traue mir das allerdings nicht zu. Denn da ich nicht sehe was sie tut, muss ich es anfassen. Und wenn wir mit vier Händen an der Handarbeit herumtasten, stelle ich mir das ziemlich verwirrend vor. Vielleicht findet sich noch jemand, der wie ich Spaß am Stricken hat, und mir hilft ihr das zu vermitteln.

Anfang März wurde sie durch das Bürgerhospital Frankfurt kostenlos untersucht. Dabei ist rausgekommen, dass man evtl. etwas an ihrem Sehen verbessern kann. Allerdings haben wir es mit drei Fakten zu tun:
1. Es gibt wie bei jeder Operation keine Garantie auf Erfolg.
2. Ihr Schengen Visum läuft in weniger als einem Monat aus, die Wartezeiten auf die erste OP betragen garantiert acht Wochen.
3. Da ihre Auslandskrankenversicherung bei allem was die Sehbehinderung betrifft keine Kosten übernimmt, müssen wir diese irgendwie anders auftreiben.

Tja, das sind die Hürden, die mich gedanklich beschäftigen.
Inzwischen hat sich ihr Wortschatz in Deutsch deutlich vermehrt, so dass sie kleine Sätze zusammenbauen kann. Unterhaltungen, die darüber hinausgehen, führt sie weiter in Englisch.
Durch sie habe ich viel über das Leben blinder Menschen in Palästina erfahren. Als blinde Frau darf sie ihr Studium nur bis zu einem bestimmten Grad durchführen. Allein und blind auf die Straße gehen ist ein Nogo, da sie Gefahr läuft mit Steinen oder Unrat beworfen zu werden. Ebenso ist ihr der Zugang zur Berufstätigkeit oder zu einem eigenen Bankkonto verwehrt. Eine weitere Tatsache ist, dass blinde Menschen Analphabeten gleichgestellt werden. Das heißt, dass ihre Unterschrift nur in Form des Fingerabdrucks akzeptiert wird. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie mit einem Stift umgehen können, oder nicht. Diese Aussagen habe ich nicht nur von Amal, sondern von anderen blinden Bewohnern des Landes bekommen. Für Amal heißt das, dass sie ihr Zuhause noch nie ohne sehende Begleitung verlassen hat. Sie staunt immer wieder über Dinge, die man hier blind machen kann und darf. Ihr größter Wunsch ist eines Tages Übersetzerin für Deutsch, Englisch und Arabisch zu werden. In ihrer Heimat wird sie das niemals erreichen. Ich wünsche mir so sehr, dass ich ihr dabei helfen kann ihrem Ziel näher zu kommen. Noch fehlt mir die richtige Idee dazu. Aber der Name Amal bedeutet auf Deutsch Hoffnung. Und eben diese Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Noch mal Danke an diejenigen, die uns mit einer Spende über PayPal unterstützen. Es ist gut zu wissen, dass wir nicht alleine sind.

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Allgemein Bildung

Wahrheit oder Einschaltquote

Ich stehe in Frankfurt und warte auf meine S-Bahn, als mein Handy klingelt. Am anderen Ende der Leitung eine Journalistin, die gern einen Beitrag zum Thema Blindheit machen möchte. Mit genauen Vorstellungen vom Ablauf. Sie möchte mich besuchen und einen Tag lang mit verbundenen Augen begleiten. Vorher solle ich sie noch in den Gebrauch des Blindenstocks einweisen. Und wir müssten bereits übermorgen drehen, da sie zeitliche Vorgaben bezüglich der Fertigstellung ihres Beitrags habe.
Ich bin einen Moment lang sprachlos, und fühle mich an ein paar Videos dieser Art auf YouTube erinnert. Und so erkläre ich meiner Gesprächspartnerin, dass ich für solche auf Sensation ausgelegten Beiträge nicht zur Verfügung stehe, aber gern dabei bin, wenn es um Beiträge geht, die der Aufklärung dienen.
Stille. Dann fängt es am anderen Ende der Leitung an zu stottern. Anschließend folgen die Rechtfertigung und die Erklärung, dass es doch nur ein Selbstversuch sei. Ich gebe der Dame noch ein paar hilfreiche Tipps mit auf den Weg, und beende das Telefonat.
Ich habe immer wieder gern Interviews gegeben, Gastbeiträge geschrieben oder andere öffentlichkeitswirksame Aktionen unterstützt. Einmal wurde ich eine Woche lang durch einen Journalisten begleitet. Alles kein Ding. Aber solche Dinge wie sensationshungrigen Fernsehtourismus unterstütze ich nicht. Das hat mehrere Gründe. Einmal erinnert es mich an ein Tier im Zoo, dass für viel Geld zur Schau gestellt wird. Es gibt ein YouTube-Video, in dem sehende Leute mit verbundenen Augen durch einen Supermarkt gehen, wahllos irgendwas aus den Regalen nehmen und sich zuhause ansehen was sie da gekauft haben. Denn Blinde sehen schließlich nicht was sie einkaufen. Ein weiterer Aspekt ist, dass ich mir gut vorstellen kann, dass die Kernaussage eines solchen Beitrags lautet: Für einen Tag blind, so hilflos habe ich mich gefühlt. Oder, ein Tag in völliger Dunkelheit, gut dass ich wieder Sehen kann.
Es reicht nicht aus einem blinden Menschen einen Blindenlangstock in die Hand zu drücken und zu sagen: So, jetzt mach mal. Das braucht lange Übung, um sich damit zuverlässig orientieren zu können. So eine Übung für jemanden der sieht möchte ich also lieber nicht blind im Straßenverkehr begleiten. Jedenfalls nicht ohne kundige Assistenz. Ich würde einem Eintagsblinden auch ganz sicher nicht mein scharfes Küchenmesser in die Hand drücken und ihn zum Schnibbeln von Gemüse auffordern, geschweige denn an meinen Herd lassen.
Ich habe immer wieder Projekte an Schulen begleitet, wo Menschen mit Behinderung entsprechende Übungen mit Schülern gemacht haben. Dies geschieht im abgesicherten Raum, und ist bei guter Vor- und Nachbereitung eine sinnvolle Sache mit nachhaltiger Wirkung.
Was Fernsehsendungen angeht, so schaue ich mir die Leute, denen ich etwas erkläre, etwas genauer an. Ich möchte wissen was sie oder er mit dem jeweiligen Beitrag bezwecken wollen.
Ich erinnere mich an ein Team eines privaten Fernsehsenders, die mit blinden Eltern drehen wollten. Ich war damals noch unerfahren. Daher habe ich nicht gleich kapiert, dass die beiden Mitarbeiter bereits genauere Vorstellungen hatten, und wir quasi die Schauspieler für einen vordefinierten Beitrag waren.
Vielleicht braucht es solche Erfahrungen, um daraus zu lernen.

ICH möchte diesen Kommentar mit einem positiven Ergebnis abschließen. Vor ein paar Monaten schrieb mich ein Journalist an, der mich auf einem Stadtspaziergang durch meine Heimatstadt begleiten wollte. Sein Thema waren Barrieren für blinde Fußgänger im Straßenverkehr. Ich nahm mir viel Zeit für ihn, er stellte ganz viele Fragen und schickte mir unaufgefordert einen Link zum Artikel, der echt gut war. Erlebnisse wie dieses motivieren mich dazu an Aktionen teilzunehmen, die die Situation behinderter Menschen realistisch darstellen.

Dieser Beitrag wurde am 15.01.2019 im Newsletter von Raul Krauthausen veröffentlicht. Dieser erscheint an jedem Dienstag mit Hand verlesenen Links rund um Behinderung und Inklusion. Danke für die Erlaubnis ihn auch hier noch mal posten zu dürfen.

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Allgemein Alltag Bildung blinde Eltern

Blind unterschreiben, so geht’s

Irgendwann hatte meine Tochter die Idee sich Löcher in die Ohren stechen zu lassen. Und sie hatte auch schon eine Idee in welches Geschäft sie gehen und das machen lassen möchte. Der einzige Haken war, dass sie das Einverständnis eines Erziehungsberechtigten dazu brauchte. Soweit, so gut. Also gingen wir hin, und meine Tochter trug ihren Wunsch vor. Die Mitarbeiterin erklärte ihr, dass ein Formular auszufüllen und dieses von mir zu unterschreiben sei. Und das sei das Problem. Denn sie wisse nicht wie wir das mit dem Unterschreiben machen sollten. Ich versuchte ihr zu erklären, dass ich sehr wohl in der Lage bin zu unterschreiben. Nur wurde ich einfach nicht zur Kenntnis genommen. Stattdessen fing die Dame an mit einer Kollegin darüber zu diskutieren wie das mit der Unterschrift zu lösen sei. Ich machte noch zwei Versuche zu Erklärung. Nachdem man mich aber weiterhin ignorierte, verließ ich mit meiner Tochter den Laden. Denn eine solche Ignoranz steht im Widerspruch zu kundenorientiertem arbeiten. Und das wollte ich nicht dadurch unterstützen, indem ich Geld dort ausgab. Wir suchten und fanden eine kundenfreundlichere Alternative.
In der Regel passiert sowas nicht in einem solchen Extrem. Ich erlebe oft, dass ich gefragt werde: „Können Sie unterschreiben“, oder „Wie unterschreiben Sie“. Dann erkläre ich was ich brauche, und gut.

Aber wie geht das mit dem Unterschreiben?
Menschen, die erst später blind geworden sind, wissen wie ihre Unterschrift aussieht, und können diese recht einfach schreiben, wenn man ihnen zeigt wohin sie gesetzt wird. Blinde Menschen, die kaum bis gar nicht mit der Hand schreiben können, müssen ihre Unterschrift regelrecht lernen und üben. Eine Möglichkeit ist diese für den Blinden erhaben darzustellen, damit diese eine Vorstellung davon bekommt wie diese auszusehen hat. Ist noch ein Restsehen vorhanden, kann man die Unterschrift alternativ mit einem dicken Stift aufmalen. In beiden Fällen muss diese solange geübt werden, bis man sie beherrscht.

Wohin mit der Unterschrift?
Ich mache das so, dass ich mir zeigen lasse, wohin die Unterschrift muss. In manchen Fällen kann ich die entsprechende Linie noch erkennen. Alternativ lasse ich mein Gegenüber eine Karte oder ein Stück Pappe auf die Linie setzen, während ich diese mit einer Hand fixiere, kann ich mit der anderen Hand entspannt unterschreiben. Außerdem kann man eine Plastikkarte oder einen anderen flachen Gegenstand nehmen, der diese Form hat.
Eine weitere Alternative ist eine Unterschriftenschablone. Diese gibt es aus Pappe, Kunststoff oder Metall. Und es gibt sie in unterschiedlichen Größen. Der Trick ist, dass man hier ein fühlbares Fenster hat, in dem die Unterschrift zu leisten ist. Mit Hilfe eines Lineals und einer guten Bastelschere kann man diese auch gut selbst herstellen. Ansonsten werden diese in Fachgeschäften für Blindenhilfsmittel angeboten.

Mythen für die Unterschrift
„Soll ich Ihnen die Hand führen“, ist eine Frage, die ich oft zu hören bekomme. Aus meiner Sicht ist es Blödsinn, da diese Unterschrift jedes Mal anders aussieht, abhängig vom Helfer. Und es fühlt sich einfach unangenehm an. Diesen Leuten sei gesagt: Auch blinde Menschen können unterschreiben. Sie müssen nur wissen wo. Und wir unterschreiben auch nicht mit einem Fingerabdruck, wie es in manchen Ländern bei blinden Personen vorgeschrieben ist.