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Blinde Eltern, sehende Kinder, Teil 1 – die ersten Jahre

Über meine ersten Jahre als blinde Mutter mit sehenden Kindern

In den ersten 9 Monaten brauchte ich nur wenig sehende Hilfe im Alltag. Ich hatte eine richtig tolle nachsorgende Hebamme, die mir die Handgriffe und Tricks zeigte, die bei der Säuglingspflege wichtig sind. Dies passierte in meiner vertrauten Umgebung, so dass ich all das Erlernte direkt umsetzen konnte. Außerdem sorgte sie dafür, dass ihre Patienten Kontakt zueinander hatten, wenn sie das wollten. Das war eine große Hilfe für uns alle. Gerade während der ersten Jahre.
Nachdem sich unser Alltag eingespielt hatte kam ich sehr gut zurecht. In meiner Wohnung kannte ich mich aus. Und wo man ein Baby ablegt, da bleibt es liegen bis man es wieder abholt. Jedenfalls in den ersten Monaten.
Die erste Veränderung kam, als meine Tochter begann sich mehr zu bewegen und sich zu drehen. Ab da habe ich sie beispielsweise nur noch auf dem Boden gewickelt. So war ein Herunterfallen ausgeschlossen. Außerdem hatte ich immer eine Hand am Kind. So hatte ich Windel, Kind und Platz im Griff. Vor dem Wickeln oder Umziehen habe ich mir mein Aktionsfeld vorbereitet, so dass ich nicht zwischendurch irgendwo irgendwas holen brauchte.
Wenn ich mit meinem Baby unterwegs war, gebrauchte ich ein Tragetuch, welches ich mir so band, dass meine Tochter direkt vor meinem Bauch war. Anfangs platzierte ich sie so, dass sie mit dem Gesicht zu mir lag. Später, als die Wachfasen länger wurden, trug ich sie mit dem Gesicht nach vorne vor mir her. Das war für sie wie Fernsehen. Auf diese Weise konnte ich auch das Problem mit den visuellen Eindrücken und dem Aufbau von Blickkontakt lösen. Da sie ein sehr kommunikatives Baby war, war das für mich sehr entspannend. Während andere Babys im Kinderwagen aus Langeweile quengelten, betrachtete meine Tochter die Umgebung und alles und jeden, der sich bewegte.
Als meine Tochter 5 Monate alt war, meldete ich uns in einer Mutterkindgruppe an. Der Schwerpunkt lag auf gemeinsames Singen, Spielen und Erfahrungsaustausch. Außerdem besuchte ich gemeinsam mit einer Freundin einen freien Babytreff. Hier half man mir auch mal beim Füttern mit dem Löffel, da das anfangs noch nicht so recht klappen wollte. Meine Tochter vertrat lange Zeit den Standpunkt, dass ich nun mal die Brust sei und verweigerte alles andere, was ich ihr anbot. Und da ich den Standpunkt vertrete, dass Essen Freude machen sollte, akzeptierte ich das erst einmal so.
Ich achtete darauf, dass wir viel unter andere Eltern und Kinder kamen. Da meine Tochter auf Action stand, war sie dadurch ausgeglichener. Für mich war es der Lösungsweg, um ihr Dinge wie Gestik und Mimik näher zu bringen.
Schwierig wurde es erst, als sie das Laufen erlernte, und anfing draußen die Welt zu entdecken. Wir wohnten damals in einer Gegend, in welcher die Sandkisten und Wiesen schon mal Hundehaufen oder Glasscherben enthalten konnten. Freies Spielen auf dem Spielplatz war daher nur mit Hilfe einer sehenden Begleitung möglich.
Fragen, Telefonate usw. Ergebnis war, dass ich auf dem Sozialamt einen Antrag auf Assistenz gestellt habe. Man prüfte unsere finanzielle Situation, um mir nach einiger Zeit mitzuteilen, dass uns keine Mittel zur Verfügung gestellt werden können. Auch von anderen Stellen gab es keine Hilfe, allenfalls einen Verweis auf den ansässigen Blindenverein oder das Blindengeld. Wenn ich also eine Hilfe brauchte, dann war dies mit viel Organisation, viel Bitten oder selbst zahlen verbunden. Kurz gesagt, es musste eine kreative Lösung her.
Mein Mann, der etwas mehr sieht als ich, konnte solche Aufgaben schon mal übernehmen. Eine andere Lösung war sich mit Freunden zu verabreden, deren Kinder im Alter meiner Tochter waren. Einmal in der Woche besuchten wir meine Eltern und Geschwister, die gern mit meiner Tochter draußen waren.
Meine Elternzeit endete, als mein Kind ein Jahr alt wurde. Wir gaben Sie zu einer Tagesmutter, während ich wieder arbeiten ging. Die Kosten trugen wir selbst. Diese Tagesmutter betreute meist vier Tageskinder im Alter von ein bis zwei Jahren. Mit diesen war sie viel draußen, einkaufen usw. Wir sahen es als Krabbelstube mit einem erhöhten Betreuungsschlüssel an.
Da es damals weder eine Anlaufstelle für blinde Eltern, noch eine Möglichkeit gab sich auszutauschen, wusste ich auch nicht, dass es für Kinder behinderter Eltern eine Frühförderung gibt. Diese würde dem Kind in meinem Fall die Dinge vermitteln, die ich nicht sehe. Ich kann keinem sehenden Kleinkind Farben benennen, da ich diese nicht sehe. Daher sprach ich das Thema bei unserer Tagesmutter an, damit sie darauf achtete, dass meine Tochter keine Defizite aufwies.
Mein Sohn wurde geboren, als meine Tochter 17 Monate alt war. Ich ging erneut in Elternzeit. Mein Mann und ich entschieden uns dafür unsere Tochter weiter zur Tagesmutter gehen zu lassen, da diese ihr mehr Förderung bieten konnte, und sie sich dort sehr wohl fühlte.
Zum ersten Mal bekam ich den Assistenzbedarf richtig zu spüren, als mein Sohn ein halbes Jahr alt war, und meine Tochter zwei Jahre. Zu dem Zeitpunkt hatte unsere Tagesmutter einen dreiwöchigen Urlaub während der Sommerferien genommen. Meine Freundin, welche Kinder im Alter meiner beiden hatte, zog weg, so dass wir uns nicht mehr so oft verabreden konnten, und Aktivitäten für Eltern mit kleinen Kindern waren mir nicht bekannt. Zuhause mit einem Baby und einem Kleinkind, welches so gerne auf den Spielplatz wollte, und nicht durfte. Und dass weil die blinde Mutter nicht verantworten wollte, dass ihr Kind genüsslich an einer Glasscherbe des Sandkastens lutschte. Das war ein ganz schreckliches Gefühl für mich.
Zeitweise bezahlte ich eine Schülerin aus der Nachbarschaft dafür, dass sie mit meiner Tochter auf den nahegelegenen Spielplatz ging. Irgendwann machte mich eine Bekannte auf ein Projekt aufmerksam, wo an drei Tagen in der Woche zwei oder drei Stunden lang Aufsicht auf einem Spielplatz in Frankfurt Bockenheim gemacht wurde. Hier konnte man Kleinkinder zum Spielen abgeben. Es war wohl für Eltern gedacht, die eben mal schnell ohne Kinder einkaufen oder Termine wahrnehmen wollten. Und für mich kam das wie gerufen. Ich konnte mit meinen Kindern ganz entspannt auf den Spielplatz und hatte jemanden, der für mich schaute.
Im Herbst 2001 stellten wir einen Antrag auf Übernahme der Kosten für die Tagesmutter, der bewilligt wurde. Warum weiß ich bis heute nicht. Auch ist mir unverständlich, dass mir die Tagesmutter bewilligt wurde, die ein Vielfaches mehr kostete als eine Honorarkraft, welche mir zuhause hätte zur Hand gehen können. Zeitgleich hätte ich einen Platz in einer Kindertagesstätte haben können, der ebenfalls weniger gekostet hätte als die Tagesmutter. Aber der wurde nicht bewilligt, da ich nicht arbeitete, und meine Tochter unter drei Jahre alt war.
Als mein Sohn ein Jahr alt wurde, ging auch er an zwei Vormittagen zur Tagesmutter. Ich nutzte die Zeit meist, um mit meiner Tochter einen Minikindergarten zu besuchen, in welchem auch geturnt und gebastelt wurde. Und zwar ohne aktive Mitarbeit der Eltern, wie es sonst in Kleinkindergruppen üblich ist. Auf diese Weise hatte ich eine Aktivität, die ich problemlos mit ihr machen konnte.
Meine Tochter besuchte die Tagesmutter etwa eineinhalb Jahre lang. Danach zogen wir von Frankfurt weg. Sie hat in dieser Zeit vieles gelernt, was ich ihr nicht hätte beibringen können. Ganz wichtig war mir die Verkehrserziehung. Sie hat gelernt wohin sie schauen musste, wenn sie eine Ampel überqueren wollte. Und sie hat einen ganz normalen Umgang in einer visuell orientierten Gesellschaft gelernt.

Von lydiaswelt

Ich bin blinde Mutter von zwei Kindern. Beiträge aus meinem Alltag und dem meiner Gastautoren finden hier eine Plattform.

3 Antworten auf „Blinde Eltern, sehende Kinder, Teil 1 – die ersten Jahre“

Hallo liebe Lydia, ich würde gern ein Interview mit dir führen. Da ich leider kein Impressum finden kann, hinterlasse ich dir einen Kommentar. Ich würde dich über eine Rückantwort sehr freuen! Viele Grüße Nina von Du und Dein Kind

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