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Waschen ohne hinzusehen

Wenn ich sage, dass Waschen nicht zu meinen liebsten Tätigkeiten gehört, dann kommt in neun von zehn Fällen die Bemerkung: „Für Dich als blinde ist das auch total schwierig“, oder „Deine Kinder helfen doch bestimmt dabei, oder nicht“? Zum ersten Mal hörte ich eine solche Frage, als meine Kinder im Kindergarten waren. Irgendwann habe ich auch mal gefragt: „Würdest Du Dein Kind im Alter von vier oder fünf Jahren an Deine Waschmaschine lassen“? Oder ich frage meinen Gesprächspartner in welchem Alter er zum ersten Mal selbst gewaschen hat.
Mir ist klar, dass jemand, der blinde Menschen nur aus Berichterstattungen der Regenbogenpresse kennt, nicht wissen kann wie ich dieses oder jenes mache. Blinde haben nicht zwangsläufig eine Haushaltshilfe, die ihre Wäsche mitmacht. Sicher, ich hätte auch manchmal gerne eine. Aber bekanntlich ist Dienerschaft teuer. Und so habe ich für mich entschieden mein Geld für andere Dinge auszugeben und meine Wäsche selbst zu waschen.

Wäsche farblich sortieren
Ich habe einen Behälter für Schmutzwäsche mit drei Sortierfächern. In das oberste Fach kommt die helle Wäsche rein, in die unteren beiden Fächer die dunkle Wäsche. Handtücher, Bettwäsche und andere große Teile kommen ganz oben drauf. Auf diese Weise kann ich sehr schnell feststellen wie viel von welcher Wäsche da ist und was ich als nächstes waschen kann.
Nun wäre es viel zu einfach den Inhalt aus dem Wäschefach in die Waschmaschine zu tun, und fertig. Da ich davon ausgehen muss, dass die Wäsche zwar sortiert ist, jedoch nicht unbedingt fehlerfrei, nehme ich mir einen leeren Wäschekorb mit an den Behälter für die Schmutzwäsche. Ich nehme jedes einzelne Wäschestück in die Hand, prüfe ob sich was in den Taschen befindet, oder ob es nach links gedreht werden möchte, und lege es dann in meinen leeren Korb. So kann ich auch fühlen, wenn der Inhalt zu viel für die Waschmaschine wird.
Ich verfüge über einen kleinen Sehrest, der es mir ermöglicht helle und dunkle Wäsche zu unterscheiden. Allerdings erkenne ich keine Farben mehr, so dass ich nicht feststellen kann, ob das Kleidungsstück blau, rosa oder grün ist. Wenn ich das wissen möchte, nehme ich ein Farberkennungsgerät zur Hand, mit dessen Hilfe ich das feststellen kann. In der Regel kenne ich die Wäschestücke in meinem Haushalt und weiß somit wie diese gepflegt werden wollen. Wenn etwas neu ist, stelle ich erst mal fest ob es färben kann, bevor ich es in die Familienwäsche lasse.
Kommen wir zum Thema Socken passend sortieren. Ich habe hier zu Hause die Regel eingeführt, dass die Socken nach dem Ausziehen einfach zusammengesteckt werden. So habe ich sie passend zusammen und befestige sie an Sockenringen. So bleiben sie auch während des Waschens zusammen. Natürlich gehen auch mal welche auseinander. Die muss ich dann von Hand sortieren. Aber die Menge bleibt überschaubar.

Waschmaschine
Voraussetzung ist eine Waschmaschine, die für mich blind bedienbar ist. Ältere Modelle sind es oft noch, bei neueren Modellen muss man oft lange suchen. Meine Waschmaschine hat einen Drehregler, der bei jedem Programm einrastet, und ein paar klar definierte Drucktasten für Kurzwaschgang, Drehzahl oder Temperatur. Da ich mit meinem Sehrest Helle Schrift auf dunklem Hintergrund lesen kann, habe ich darauf geachtet, dass meine Maschine das hat. Alternativ kann man sich bestimmte Stellen am Drehregler der Waschmaschine fühlbar machen, indem man tastbare Punkte aufklebt. Was absolut nicht geht, sind Bedienelemente, die nicht fühlbar sind und auf bloße Berührung reagieren.

Waschmittel dosieren
Dosieren von Waschpulver oder Weichspüler mache ich entweder nach Gefühl, wenn ich ein bekanntes Produkt nehme, oder ich benutze auch mal einen Messlöffel.
Bevor auch nur ein Wäschestück in die Waschmaschine wandert, fühle ich mit der Hand hinein. Damit stelle ich sicher, dass sich nichts in der Waschmaschine befindet, das nicht reingehört. Jeder, der kleine Kinder hatte, die eine Waschmaschine gern mit allen möglichen Gegenständen füttern, wird mir da sicher zustimmen. Anschließend nehme ich jedes Wäschestück aus meinem Wäschekorb einzeln in die Hand und gebe es in die Wäschetrommel. Damit stelle ich sicher, dass auch nur Wäsche in der Maschine landet, und dass diese locker in der Wäschetrommel liegt.

Nach dem Waschen
Ich erlebe immer wieder, dass normal sehende versuchen mich davon zu überzeugen, dass ein Wäschetrockner die beste Lösung für blinde Menschen sei. Ich besitze tatsächlich einen. Er hat nur einen Drehregler, und ist also für mich blind bedienbar. Dennoch nutze ich ihn selten. Ich bin der Meinung, dass die Wäsche auf dem Wäscheständer gut trocknet. Außerdem finde ich, dass die Geräte zu viel Strom verbrauchen. Mein Wäschetrockner kommt also nur dann zum Einsatz, wenn es wirklich schnell gehen muss, oder viele große Wäschestücke gewaschen werden müssen, wie z. B. Kopfkissen oder Bettwäsche.
Wäsche aufhängen ist für mich kein Problem. Ich richte den Pullover, die Hose oder was auch immer auf dem Wäscheständer aus und streiche es glatt. So ist es einfacher die Wäsche später faltenfrei zusammenzulegen. Und zwar so, dass man sich damit problemlos auf die Straße trauen kann.
Beim Zusammenlegen der Wäsche habe ich am liebsten eine ebene Fläche. Darauf wird das Wäschestück gelegt und noch mal ausgestrichen. Nähte und Form fühle ich. Somit kann ich auch einschätzen wo die Mitte eines Oberteils ist. Wäsche zusammenlegen geht bei mir ebenso schnell wie bei einem normal sehenden. Der eine sieht, der andere tastet und letztendlich zählt das Ergebnis nach Jahrelanger Erfahrung.

Also, wenn ich sage, dass Wäschewaschen nicht gerade zu meinen liebsten Hobbys zählt, dann hat das nichts mit meiner Sehbehinderung zu tun, sondern mit meiner Vorliebe für andere Dinge. Ach ja, noch weniger als waschen mag ich Bügeln. Und ich denke, da befinde ich mich mit vielen anderen in guter Gesellschaft. Doch solange noch kein bezahlbarer Bügelautomat auf den Markt kommt, werde ich meine Bügelwäsche selbst machen oder beim Kleiderkauf nach bügelfreien Sachen schauen müssen.

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Blind einkaufen Teil 1

Immer wieder werde ich gefragt wie blinde Menschen einkaufen gehen. Daher möchte ich im Folgenden auf dieses Thema eingehen.
Zunächst einmal ganz wichtig: den typischen Blinden gibt es nicht. Somit gibt es auch keine typische Vorgehensweise wie blinde Personen einkaufen. Das was auf mich und meine Vorgehensweise zutrifft, ist für einen anderen blinden Menschen nicht zwangsläufig die beste Lösung.
Als erstes einmal will ich auf die Art des Einkaufens bei vielen normal sehenden Menschen eingehen. Manche machen sich zuhause einen Einkaufszettel und arbeiten diesen strickt ab, fertig. Andere machen sich vielleicht irgendwelche Notizen und lassen sich ein stückweit inspirieren, und wieder andere machen sich gar keinen Einkaufszettel und schauen was es so im Angebot gibt, und ob sie das haben möchten. Kurz, jeder hat seine Vorgehensweise, mit der er am besten zurechtkommt.
Auch ich gehöre zu denjenigen, die sich nie einen Zettel schreiben. Das hat nichts damit zu tun, dass blinde Personen ein super tolles Gedächtnis haben, sondern ist mehr meiner Faulheit geschuldet. Einen Zettel mache ich nur dann, wenn ich eines meiner Kinder zum Einkaufen schicke. Also eher selten. Aber einfach mal eben so durch den Supermarkt bummeln und durch die Regale stöbern geht auch nicht. Es würde für mich bedeuten, dass ich jedes Regal mit Inhalt einzeln ertasten müsste. Das ist mir persönlich zu stressig und zu zeitintensiv.
Meist gehe ich in den Supermarkt meines Vertrauens. Hier kenne ich die grobe Anordnung der Produkte. Am liebsten gehe ich früh morgens einkaufen, wenn noch nicht so viel Betrieb herrscht. Zum einen lässt es sich entspannter einkaufen, zum zweiten kann ich mir helfen lassen, wenn ich ein Produkt nicht gefunden habe oder Fragen auftauchen.
Bei Dingen wie Obst oder Gemüse brauche ich keine Hilfe. Auch wenn es noch immer Leute gibt, die mir, sobald ich etwas in die Hand nehme, erklären wollen was ich da gerade in Händen halte. So Kommentare wie „Das was sie in der Hand haben ist eine Gurke“, oder „Das sind Bananen“ empfinde ich als absolut überflüssig. Leute, ich bin zwar blind, aber nicht doof! Ich sage doch auch nicht zu einer sehenden Frau: „Das was sie auf ihrem Kopf fühlen sind ihre Haare“, oder „Das unter ihren Fußsohlen sind ihre Schuhe“. Was Qualität von Obst oder Gemüse angeht, das rieche und fühle ich. Und wenn ich etwas abwiegen muss, dann packe ich die Menge, die ich haben möchte, in eine Tüte und lasse sie an der Kasse abwiegen. Gut, dass es diese Möglichkeit gibt. Denn die Waagen im Supermarkt sind nicht barrierefrei.
Hilfe brauche ich bei Dingen, die ziemlich unkenntlich verpackt sind. Ich meine jetzt nicht, dass sie nicht gekennzeichnet sind, sondern dass die Form der Verpackung nicht unbedingt auf den Inhalt schließen lässt. Hier mal ein Beispiel. Wenn ich Nudeln habe, die in einer flexiblen Plastikverpackung sind, kann ich durch Erfühlen feststellen ob es sich um Spaghetti, Spiralnudeln oder Penne handelt. Sind diese aber in einem gleich großen Karton verpackt, dann wird es schwieriger. Denn auch wenn man die Verpackung schüttelt, kann man nicht immer hören was genau darin ist. Besonders spannend wird es dann bei Salaten, Käsescheiben oder Konservendosen.
Meistens mache ich das so, dass ich erst einmal die Sachen zusammensuche, die ich alleine finden kann. Die wenigen, die übrig bleiben, lasse ich mir dann von einem der Mitarbeiter heraussuchen. Das sind in der Regel die Dinge, die nicht eindeutig verpackt sind, oder die ich nur selten einkaufe.
Jeder, der für eine Familie einkauft weiß, dass einmal einkaufen nicht ausreicht. Und erst recht nicht, wenn man diesen ohne Auto bewerkstelligt und Wert auf frisches Obst und Gemüse im Haus legt. Seit einiger Zeit habe ich eine sehende Freundin, mit der ich einmal in der Woche noch mal einkaufen gehe. Hier kann ich auch mal nach Neuheiten oder Aktionsangeboten fragen. Ich empfinde das als entspannend, da ich mich nicht so sehr konzentrieren muss, als wenn ich alleine einkaufen gehe.
Früher hatte ich das Gefühl, dass der Supermarkt meines Vertrauens die Ordnung der Ware recht oft änderte. Da ich damals nicht die Möglichkeit hatte morgens einkaufen zu gehen, und das ständige suchen mir Stress bereitete, bezahlte ich Jahrelang jemanden, der alle paar Wochen mit mir zum Einkaufen fuhr. Mit dem Auto konnte man alles einkaufen und mitnehmen, was sich hält. Mit dem restlichen Einkauf konnte ich problemlos alleine fertig werden. Als mir diese Assistenz irgendwann nicht mehr zur Verfügung stand, habe ich auf der Suche nach Lösungen alles Mögliche ausprobiert.
In einem anderen Supermarkt musste ich die Erfahrung machen, dass ich zwar Hilfe beim Einkaufen bekam, jedoch unter Bedingungen, die nicht schön waren. Einmal musste ich miterleben wie zwei Mitarbeiter sich darüber Stritten wer denn jetzt mit der blinden Frau einkaufen gehen muss. Oder man stellte mir eine Praktikantin zur Seite, die sich nicht besser in dem Supermarkt auskannte als ich es tat. Das Highlight war dann, dass ich eine Mitarbeiterin hatte, deren Kenntnisse der deutschen Sprache so schlecht waren, dass ich mich kaum mit ihr verständigen konnte. Ich habe dann die Sachen, die ich dort suchte, woanders gekauft und um dieses Geschäft lange Zeit einen großen Bogen gemacht.
Ich erinnere mich noch an einen Einkauf bei Real, der mich wirklich begeistert hat. Ich hatte dort angerufen und nachgefragt ob ich Hilfe bekommen könnte. An der Information wurde ich von einer echt taffen Auszubildenden abgeholt, die sich erst mal ein grobes Bild von meinen Einkaufswünschen machte und dann sehr systematisch durch den Markt ging. Dabei las sie mir auch Sonderangebote und Aktionen vor, was ich richtig klasse fand.
Oft bekomme ich die Frage gestellt wie ich meinen Einkauf denn nach Hause bekomme. Das ist eine berechtigte Frage. Nun, einen kleinen Einkauf bekomme ich im Rucksack nach Hause. Allerdings bin ich kein Fan davon schwere Einkäufe nach Hause zu tragen. Ich bevorzuge einen Shopper, den ich hinter mir herziehen kann. Anstatt die Produkte in einen großen Einkaufswagen zu füllen, dieses sperrige Teil hinter mir herzuziehen und mich anschließend darüber zu ärgern, das mein Einkauf nicht mehr in meinem kleinen Wagen passt, nehme ich gleich den Shopper und laufe damit durch den Supermarkt. So habe ich sofortige Kontrolle darüber, ob mein Einkauf nicht zu viel für das kleine Teil ist. Außerdem ist mein Wagen leichter zu handhaben.
Natürlich gibt es inzwischen einige Supermärkte, die nach Hause liefern, oder Onlineportale, bei denen man ein reichhaltiges Angebot findet. Allerdings konnte ich mich noch nicht damit anfreunden. Dafür liebe ich es einfach zu sehr meinen Einkauf selbst zu machen. Allerdings nutze ich solche Portale auch schon mal zum virtuellen Schaufensterbummel. Jedenfalls wenn die Beschreibungen der Artikel gut und die Portale barrierefrei sind. Bis jetzt ist das bei nur wenigen Anbietern der Fall. Aber als hoffnungslose Optimistin möchte ich daran glauben, dass immer mehr Portale für blinde und sehbehinderte Kunden zugänglich gemacht werden.

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Als blindes Vorschulkind in Deutschland

An das erste halbe Jahr in Deutschland kann ich mich nur sehr lückenhaft erinnern. Ich weiß, dass ich meinen Vater kennenlernte, den ich bisher nur aus Erzählungen kannte. Ich weiß auch, dass wir während dieser Zeit einige Male umgezogen sind, da mein Vater an verschiedenen Orten arbeitete. In dieser Zeit lernten mein ein Jahr jüngerer Bruder, meine Mutter und ich ein bisschen deutsch.

Kurz vor Weihnachten 1972 zogen wir nach Neu-Isenburg, wo mein Vater Arbeit in einer Chemiefabrik gefunden hatte. Für die nächsten Jahre war eine Zweieinhalbzimmerwohnung nebst einer Wohnküche unser Zuhause. Dazu gehörte eine Toilette, die ein Stockwerk tiefer lag als unsere Wohnung, und die wir uns mit mehreren Mietern teilten. Ein Bad gab es nicht. Lediglich eine Spüle in der Küche, Wollte man Baden oder Wäsche waschen, so wurde erst mal Wasser auf dem Gasherd erhitzt und in einen Waschzuber gegossen. Und zur großen Freude meiner Mutter gehörte auch ein kleiner Garten dazu. Mein Bruder und ich hatten zum ersten Mal ein eigenes Kinderzimmer.
Am liebsten mochte ich unsere Küche. Und hier verbrachten wir auch die meiste Zeit. Während meine Mutter kochte, wusch oder anderen Arbeiten nachging, sprach oder sang sie mit uns Kindern. Am Küchentisch wurde gemalt, gebastelt, und später auch Hausaufgaben gemacht. Kamen uns andere Frauen besuchen, so saßen sie ebenfalls mit in der Küche. Es war der Raum, der für mich die meiste Gemütlichkeit ausstrahlte und am besten roch. – Wahrscheinlich liebe ich deshalb Wohnküchen noch immer so sehr, weil ich so schöne Erinnerungen aus meiner Kindheit damit verbinde.
So langsam lebten wir uns ein und kamen etwas zur Ruhe. Ich lernte, dass ich im Winter Handschuhe und Mütze tragen musste, was ich vorher überhaupt nicht kannte. Und so nach und nach fanden wir Anschluss in der Stadt. Unser Bekanntenkreis bestand zwar größtenteils aus Arabern. Dennoch lernten wir nach und nach immer mehr deutsch. Meine Mutter konnte sich mit etwas englisch und Händen und Füssen verständigen. Aber für mich galt dies nicht. Ich verfügte weder über Englischkenntnisse, noch konnte ich Gesten oder Mimik sehen. Daher war es für mich noch wichtiger so schnell wie möglich Deutsch zu lernen, weil dies der einzige Weg war mich Menschen, die nicht arabisch sprachen, mitzuteilen. Meine Mutter hat sehr früh erkannt, dass es wichtig ist die deutsche Sprache zu beherrschen. Also haben wir manchmal untereinander versucht deutsch zu sprechen. Und irgendwann habe ich meine Mutter einfach überholt, so dass ich mit sechs Jahren bei Behördengängen in der Lage war zu übersetzen, wenn die Deutschkenntnisse meiner Mutter nicht ausreichten. Sie verstand zwar das meiste, konnte sich jedoch nicht so gut artikulieren wie ich es inzwischen konnte.
Und da meine Mutter ganz offen mit mir über die behördlichen Dinge sprach, lernte ich schnell welche Stelle für was zuständig war. Ich wusste also im zarten Alter von sechs oder sieben Jahren schon, dass Eltern für jedes Kind Kindergeld bekommen, dass das Arbeitsamt für die Arbeit zuständig war, dass das Sozialamt sich um Menschen kümmerte, die nicht genügend Geld hatten und dass wir alle sechs Monate auf das Landratsamt mussten, um unsere Aufenthaltserlaubnis für Deutschland verlängern zu lassen. Das war nötig, um in Deutschland leben zu dürfen. Es war ein gutes Gefühl zu wissen, dass ich etwas besser konnte als der Rest meiner Familie. Diese Tatsache sollte mich bis in das Erwachsenenalter begleiten. Es erfüllte mich sehr oft mit Stolz, dass ich Briefe, Beschwerden oder sonstige Korrespondenz für meine Familie führen durfte.

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Als blindes Kind arabischer Eltern

Mein Name Ist Lydia. Ich lebe seit mehr als 40 Jahren in Deutschland. Ich wurde als Kind arabischer Eltern in Jordanien geboren.
Als ich etwa vier Monate alt war, fiel meinen Eltern auf, dass irgendetwas mit meinen Augen nicht normal war. Ab da taten meine Eltern alles aus ihrer Sicht Menschen mögliche, um mir zu helfen.
In manchen Gegenden ist es noch heute gängige Praxis Kinder mit einer Behinderung im Verborgenen aufwachsen zu lassen. Teilweise aus Angst vor Minderwertigkeit anderen Familien gegenüber, teilweise aber auch aus Unwissenheit heraus. Und nicht jeder hält es gleich gut aus sich dem Spott anderer auszusetzen.
Mein Vater, der bereits vor seiner Heirat einige Jahre in Deutschland gearbeitet hatte, ging dorthin zurück. Denn dort gab es Arbeit und damit auch Geld, um die Familie zu ernähren, und um die blinde Tochter behandeln lassen zu können. Zu diesem Zeitpunkt glaubten meine Eltern noch an eine Heilung für mich und klammerten sich noch Jahre lang an jeden noch so dünnen Strohhalm.
Meine Mutter versteckte mich nicht. Sie nahm mich überall hin mit. Ich wuchs mit dem Wissen auf, dass ich ein armes blindes Mädchen war. Denn das bekam ich täglich zu hören, bis ich es einfach als gegeben hinnahm. Und dann war noch die Tatsache, dass ich einen Vater hatte, der in Almanja, das ist das arabische Wort für Deutschland, arbeitete. Und dass war zu weit weg, um nach der Arbeit zu uns nach Hause zu kommen. Und deshalb lebte meine Mama mit mir und meinem ein Jahr jüngeren Bruder eben bei Oma und Opa.
Ich war vier Jahre alt, als meine Mutter erklärte, dass wir zu meinem Vater fliegen würden. Damals fand ich das ungeheuer spannend. Erst recht, da alle Menschen, die ich kannte, nur positives von Deutschland zu berichten wussten.
Ich konnte damals nicht wissen, dass sich mein Leben von Grund auf ändern würde. Es war der Weg vom Dasein eines armen blinden Mädchens hin zu einer Frau, die ihr Leben selbstbestimmt lebt. Dazu gehören fast erwachsene Kinder, zwei Katzen, Berufstätigkeit und noch einiges mehr.

Ich möchte euch einladen mich auf diesem Weg zu begleiten.