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Tag der offenen Moschee, was passiert da eigentlich?

Auf dem Foto sitzt meine Gastautorin Susanne Aatz’ an einem Tisch. Ihre Finger gleiten lesend über eine mobile Braillezeile.

Susanne und ich kennen einander schon sehr lange. Durch ihren Umzug nach Hamburg beschränkte sich unser Kontakt auf Telefonieren und Schreiben. Bis ich dann Gelegenheit hatte sie Ende Oktober 2017 in Hamburg zu besuchen. Als sie mir im Laufe dieses Besuchs von ihrem Erlebnis „Tag der offenen Moschee“ berichtete, bat ich sie das einmal aufzuschreiben. Dabei ist dieser Bericht entstanden.

Das tägliche soziale Glaubensbekenntnis

Die Eröffnung des New Hamburg Festivals am 3. Oktober 2014 auf der Veddel führte meinen Freund, mich und eine kleine Gruppe Interessierter zum Tag der offenen Tür unserer örtlichen Moschee. Die islamische Gemeinde Veddel e. V. veranstaltete in Kooperation mit der örtlichen evangelischen Gemeinde eine Moscheeführung mit anschließendem Vortrag.

Die Veddel ist eine Insel zwischen Norder- und Süderelbe, mitten in Hamburg. Ich bin einige Monate zuvor in diesen einerseits interessanten, andererseits problembelasteten Stadtteil gezogen. Hier habe ich eine behindertengerechte Wohnung. Auf der Veddel leben zwischen Bahngleisen und der Autobahn A255 ca. 5000 Menschen unterschiedlicher Nationalitäten und Kulturen auf denkbar engem Raum zusammen. Der Anteil an sozial schwachen Bewohnerinnen und Bewohnern ist sehr hoch. Dadurch bekommt das Quartier Brennpunktcharakter.

siehe näheres zum Stadtteil.

Neben der islamischen Gemeinde gibt es auch eine evangelische Gemeinde und die Immanuelkirche. Beide Gemeinden arbeiten häufig zum Wohle aller Bewohnerinnen und Bewohner zusammen. So fand am 3. Oktober nicht nur der Tag der offenen Moschee, sondern auch ein Stadtteilfest auf dem Gelände der evangelischen Kirchengemeinde statt.

Mein Freund und ich besuchten das Fest und erfuhren, dass ein begleiteter Besuch in der örtlichen Moschee angeboten wurde.

So fanden wir uns gegen 16:15 bei der islamischen Gemeinde ein. Die Moschee ist in einem Wohnhaus im Erdgeschoß untergebracht. Außer dem Schild vor der Tür der Gemeinde gibt es keinerlei Hinweise, die darauf hindeuten könnten, dass hier der Islam gelebt und praktiziert wird.

Wir wurden sehr freundlich willkommen geheißen und erhielten zuerst die Gelegenheit beim Nachmittagsgebet dabei zu sein. Für den Tag der offenen Moschee wurde die Geschlechtertrennung aufgehoben. Eine nette junge Frau half meinem Freund und mir beim Schuhe ausziehen und verstauen und führte uns in den Gebetsraum der Männer. Dort saßen wir auf Stühlen, andere auf dem Boden, und lauschten dem Gebet. Ein bisschen fühlten wir uns wie Eindringlinge. Und so saßen wir still da und nahmen die sehr neuen Eindrücke in uns auf.

Im Anschluss wurde uns vom Beauftragten für Öffentlichkeitsarbeit und dem Imam der Gemeinde die Arbeit und die Struktur der Gemeinde erklärt. Zu Beginn seines kleinen Vortrages distanzierten sich der Imam und seine Vorstandsleute ganz deutlich von dem Gewaltakten des IS und vom sogenannten „Heiligen Krieg“!

Der Imam fragte in die Runde, was denn das Wort „Dschihad“ bedeuten würde. „Heiliger Krieg“ antwortete eine Teilnehmerin spontan. Ich betonte daraufhin, dass dies die Übersetzung ist, die in den Medien gebräuchlich ist.

Der Imam erklärte uns daraufhin, dass diese Übersetzung völlig falsch sei. Dschihad ist nichts anderes, so sagte er, als die tägliche Anstrengung oder Bemühung sich für seinen Gott, die Gemeinde und für seine Umwelt spirituell und sozial zu engagieren.

Der Tenor war, dass „Dschihad“ eher eine Haltung, denn ein Zustand ist. Jeder Mensch, der etwas Gutes tut, der sich engagiert, der über andere Menschen positiv denkt, wer anderen Beistand leistet, lebt „Dschihad“.

Wir sprachen dabei ausführlich über die Möglichkeiten den Koran auszulegen. Es wurde die Wichtigkeit des Dialoges vor allem innerhalb des Islams betont. Nur, wenn insbesondere junge Leute in ihrer Gemeinde eingebunden seien und im Umgang mit ihrer Religion angeleitet würden, könne eine Radikalisierung verhindert werden, erklärte der Imam.

Die radikalen Islamisten schadeten vor allem den Menschen in ihrer eigenen Religionsgemeinschaft, da sie zu ihrer Ausgrenzung und Stigmatisierung beitrügen, stellte der Imam weiter fest. Auf meine Frage, was sich denn geändert hätte, seit die Gräueltaten durch die Medien gehen, berichtete der Imam: Seit dem 11. September 2001 müsse sich jeder Muslim, müsse sich jede Gemeinde mal mehr mal weniger, bevor eine unvoreingenommene Begegnung möglich sei, von den Islamisten distanzieren und ihren Standpunkt klar erklären. Die Mitglieder der Gemeinde drückten Ihr Bedauern darüber aus.

Ziel der Arbeit muss also sein, dass innerhalb der Gemeinde eine verlässliche Gemeinschaft entsteht, die auf Unterstützung, soziales Miteinander und Toleranz zwischen Menschen, Kulturen und den Religionen setzt. Dies wird in der Zusammenarbeit beider Gemeinden auf der Veddel vorbildlich umgesetzt.

Die Aufgabe der Imame sei es den Koran und seine verschiedenen Deutungsmöglichkeiten im gesellschaftlichen Kontext so zu vermitteln, dass ein soziales Miteinander möglich ist.

Nach diesem Vortrag fühlte ich mich ein wenig ertappt. Denn ich kann nicht verhehlen, dass ich zu Beginn der Führung nicht ein wenig Sorge hatte. Vielleicht machst Du etwas falsch, dachte ich.

Es war eine gute Idee mit einer Gruppe in die Moschee zu gehen. So kam ein Dialog zu Stande, der sehr offen und entspannt verlief. Unsere Begleiterin zeigte uns auf unser Bitten hin noch die Einzelheiten der Moschee. Hier war dann noch einmal Gelegenheit zum Diskutieren und wir zogen Vergleiche zwischen der christlichen und der muslimischen Religion. Und vieles ist sich wirklich sehr ähnlich.

Wenn wir wieder einmal hingehen, sind wir entspannter, und werden dann keine Vorbehalte mehr haben.
Danke, liebe Susanne, für den schönen Bericht. Als Gastautorin bist Du mir stets willkommen.

Liebe Leserinnen und Leser,
wenn Euch das gefallen hat, freue ich mich, wenn Ihr auf „gefällt mir„ drückt, und oder einen Kommentar hinterlasst.
Eure Lydia

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Allgemein Alltag

Kuchen backen, wenn man blind ist

Nicht nur das Verzehren von süßem Gebäck bereitet mir Freude, sondern auch das Backen selbst. Ich liebe es einen Kuchen zu backen, wenn ich weiß, dass meine Familie und ich diesen am Nachmittag gemeinsam genießen werden. Oder wenn ich weiß, dass ich lieben Besuch erwarte, dem ich mit einem selbst gebackenen Kuchen eine Freude machen möchte.

Ich denke, dass ich mich mit vielen anderen Hobbybäckern in guter Gesellschaft befinde. Der einzige Unterschied ist, dass ich blind bin, und sich das Backen für mich etwas anders gestaltet. Und darüber schreibe ich heute.

Wo ist das Rezept?

Fangen wir mal mit der Rezeptfindung an. Ich kann keine Kochbücher in normal gedruckter Schrift lesen. Es sei denn, ich mache ein Foto davon, und jage dieses durch ein Programm zur Texterkennung. Das geht mit Hilfe meines PC oder auch mit meinem Smartphone. Aber dazu bin ich meist zu faul, wenn es auch anders geht. Es gibt Kochbücher in Brailleschrift. Allerdings ist die Auswahl recht spärlich. Ich habe auf meinem PC eine Sammlung meiner liebsten Rezepte. Und wenn ich was Bestimmtes Suche, dann hält das Internet das gesuchte Rezept für mich bereit. Eine gut bedienbare Seite ist beispielsweise Chefkoch. Alternativ tausche ich mich auch mal mit Freunden aus, wie viele andere Bäcker auch. Wichtig ist dabei, dass ich das Rezept in Wort oder Schrift habe. Eine Anleitung, die ausschließlich aus Bildern besteht, ist für mich wertlos.

Abmessen, abwiegen und dosieren

Irgendwann haben die meisten Köche und Bäcker so viel Erfahrung gesammelt, dass sie die meisten Zutaten ohne Waage zuverlässig dosieren können. Auch mir geht es so. Wenn ich bei einer Zutat doch mal abwiegen muss, dann habe ich eine Waage mit einer Sprachausgabe. Oder ich benutze auch mal Messlöffel zum Backen. Manche Rezepte leben von Mengenangaben wie Tassen oder Gläsern oder Angaben in Löffeln. Und mit ein bisschen Erfahrung weiß ich was dem Teig noch fehlt, wenn ich ihn leicht anfasse. Das verrät mir die Konsistenz.

Was ist wo drin?

Wenn man auf eine Tüte mit Mehl, Haferflocken oder Zucker drückt oder klopft, fühlt es sich unterschiedlich an. Ich meine nicht die Verpackung, sondern das Druckgefühl auf der Packung. Alternativ kann man diese leicht schütteln. Auch hier entstehen unterschiedliche Geräusche. Daran merke ich sofort was ich in der Hand habe. Dass ich diese Dinge in Dosen aufbewahre, mache ich deshalb, weil ich es schöner finde. Dinge die sich unterschiedlich anfühlen, erkenne ich sofort, Dinge, die sich gleich anfühlen, markiere, beschrifte ich, oder bewahre es in entsprechenden Behältnissen auf. Die meisten meiner Gewürze haben eine Beschriftung in Braille, da sich die Behälter ziemlich gleich anfühlen.

Wo sind meine Utensilien?

In meiner Küche weiß ich, wo meine Küchengeräte, Kochutensilien oder Lebensmittel stehen. Dementsprechend sitzt dann auch jeder Handgriff. Grundsätzlich ist es für mich wichtig, dass alles an seinem Platz ist. Hat jemand meinen Mixer auf die andere Seite der Küche platziert, erfasse ich das nicht wie eine sehende Person mit einem Blick, sondern muss erst mal solange durch meine Küche tasten, bis ich meinen Mixer gefunden habe. Dementsprechend länger dauert es.

Vor Jahren wollte mir eine Bekannte eine große Freude zum Geburtstag machen, und räumte meine Küche über Nacht um. Für mich bedeutete das eine Katastrophe, da ich mich nicht mehr alleine in meiner eigenen Küche zurecht fand. Es endete damit, dass ich mit einer anderen Freundin den ohnehin fälligen Frühjahrsputz in der Wohnung einläutete. Veränderungen finden entweder gemeinsam mit mir oder gar nicht statt. Alles andere bedeutet Stress und Auseinandersetzung mit unnötigen Zeitkillern.

Haushaltsgeräte.

Ich benutze genauso Mixer, Küchenmaschine usw. wie andere auch. Für mich ist wichtig, dass meine Geräte nicht auf bloße Berührung reagieren, sondern wirklich eingeschaltet, gedrückt oder gedreht werden müssen. Mein Handmixer rastet bei jeder Geschwindigkeitsstufe ein, meine Küchenmaschine lässt sich drehen, und damit für mich einstellen. Auch mein Herd und mein Backofen rasten bei jeder Stufe ein. Außerdem gibt es eine klar fühlbare Markierung auf der Stufe 0. Das ist wichtig, damit ich den Herd sofort und gezielt ausschalten kann. Ich arbeite mit einem Zeranfeld. Es hat ein bisschen gedauert, bis ich mir gemerkt habe wie mein Topf oder meine Pfanne draufstehen muss, um exakt über der Kochplatte positioniert zu sein. Auch meine Mikrowelle funktioniert mit zwei Drehbaren Reglern. Einer für die Zeit, der andere für die Intensität.

Immer mehr Geräte kommen auf den Markt, die auf bloße Berührung hin eine Funktion ausführen, oder ein optisches Menü haben, um eine Funktion auszuwählen und auszuführen. Das ist für blinde Nutzer einfach nicht ohne fremde Hilfe machbar. Und für jeden, der gern allein in der Küche arbeitet, eine absolutes Nogo.

Es gibt immer mehr Haushaltsgeräte, die man mit dem Smartphone bedienen kann. Ich selbst habe damit noch keine Erfahrungen sammeln können, beobachte diese Entwicklung jedoch mit großem Interesse. Vielleicht ist das eine Perspektive für blinde Nutzer, die mit einem Smartphone umgehen können.

Die heißen Angelegenheiten.

Nein, ich verbrenne mir die Finger nicht öfter als ein normal sehender Koch. Ich sehe zwar nicht, kann aber die Hitze rechtzeitig fühlen. Und so habe ich meine Techniken entwickelt, mit deren Hilfe ich heiße Dinge anfassen, aus dem Backofen holen oder bearbeiten kann. Gute Topflappen, Handschuhe aus Silikon oder andere Küchenhelfer tun ihr Übriges zu meiner Unversehrtheit.

Die Angaben über die Backzeit sind lediglich Richtwerte. Wenn ich feststellen möchte, ob mein Teig bereits fertig gebacken ist, stecke ich eine Gabel in den Teig. Klebt nichts dran, dann ist es gut. Wenn nicht, braucht der Kuchen noch etwas Zeit.

Und zum guten Schluss.

Ich fasse meine Arbeit öfter an als jeder, der sieht. Dafür wasche ich mir nach jedem Kontakt mit dem Teig die Hände. Denn wenn es klebt, fühle ich nicht mehr so gut. Das ist vergleichbar mit einer Brille, die beschlagen und daher Trüb wird. Der Blick wird wieder klar, sobald man sie wieder geputzt hat.

In meiner eigenen Küche komme ich bestens zurecht. Bin ich in einer anderen Umgebung, dann habe ich zwei Optionen, entweder lasse ich mir helfen, oder erarbeite mir die neue Umgebung Schritt für Schritt. Ein Beispiel dafür ist eine Ferienwohnung, in der ich mich voraussichtlich einige Tage aufhalten werde. Da bedeutet es für mich Lebensqualität, wenn ich mir selbst etwas aus dem Kühlschrank holen, eine Kleinigkeit zu essen machen oder aufräumen kann.

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Mystery Blogger Award

Es ist einige Zeit her, dass ich durch einen Kommentar auf meinem Blog von meiner Nominierung zum Blogger Mystery Award erfuhr. Ich hörte zum ersten Mal von dieser Auszeichnung, und klickte den entsprechenden link von „Neues aus der Mikrowelle“ zum ursprünglichen Beitrag an.

Das Schwerpunktthema von Neues aus der Mikrowelle ist
Das Leben, die MS, die Depris und der ganze Rest. Und so bunt wie diese Überschrift sind auch die Beiträge auf dem Blog.

Mystery Blogger Award
Logo des Mystery Blogger Awards, Schriftzug in einem Kranz aus roten und rosafarbenen Ginko-Blättern in Wasserfarbenoptik

The Mystery Blogger Award
Mein herzlicher Dank geht zunächst an „Neues aus der Mikrowelle“, der über ein Leben mit MS und Depressionen im Alltag berichtet. Ich freue mich sehr, dass ihm mein Blog gefällt, und er ihn für nominierungswürdig findet. Hier ist der Link zu dem Post, in dem sie mich nominiert hat.

Über den Mystery Blogger Award
Die Urheberin des Awards, Okoto Enigma, beschreibt ihre Intention so:
„This is an award for amazing bloggers with ingenious posts. Their blog not only captivates, it inspires and motivates. They are one of the best out there, and they deserve every recognition they get. This award is also for bloggers who find fun and inspiration in blogging and they do it with so much love and passion.“ Hier der Link zur Urheberin.

Die Regeln:
• Stelle das Logo in dein Blog.
• Liste die Regeln auf.
• Danke der Person, die dich nominiert hat, und füge einen Link zu ihrem Blog bei.
• Nenne die Urheberin des Awards und füge ebenfalls einen Link bei.
• Erzähle den Lesern drei Dinge über dich.
• Nominiere 10 bis 20 Personen.
• Informiere die Nominierten, indem du in ihrem Blog kommentierst.
• Stelle den Nominierten fünf Fragen deiner Wahl; eine davon sollte seltsam oder lustig sein.
• Teile einen Link zu deinen besten Posts.

Drei Dinge über mich die ihr noch nicht wisst:
• Als Kind wollte ich unbedingt Lehrerin werden. Es ist gut, dass ich es nicht geworden bin. Mein Respekt gilt den Lehrern, die Täglich mit Herzblut aufs Neue versuchen Kindern und Jugendlichen ein Stück Wissen weiterzugeben.
• Ich liebe Vanille in allen erdenklichen Formen. Das kann ein Duschgel, ein Vanillepudding oder auch ein Duftöl sein.
• Ich ziehe Greten magisch an. Wahrscheinlich würde ich diese sogar in Fischstäbchen finden.

Meine Fragen an die Nominierten, nebst meinen Antworten:
• Hast Du auch einen Spitznamen? Wenn ja, hat der eine Geschichte?
Nein, nicht wirklich.
• Was ist Dein absolutes Lieblingsessen?
Rumpsteak mit Bratkartoffeln und Salat ist was ganz Feines. Aber es ist nicht mein einziges Lieblingsgericht.
• Tee, Kaffee oder Kakao?
Milchkaffe oder Cappuccino.
• Was für Musik hörst Du am liebsten?
Ich bin hauptsächlich in den 70er und 80er Jahren zuhause, höre aber auch vieles andere.
• Du darfst eine Ritter-Sport-Sorte kreieren. Was für eine wäre das?
Auf jeden Fall wäre da Vanille, Marzipan und Mandeln drin. Über den Namen muss ich noch nachdenken.

Und hier kommen meine Fragen an die Nominierten, und meine Antworten dazu:
• Was liest Du am liebsten?
Historische Romane, Frauenromane oder auch mal ein Sachbuch.
• Was machst Du, wenn Du nicht einschlafen kannst?
Ich mache mir ein Hörbuch an, und stelle einen Sleeptimer ein.
• Glaubst Du, dass Pflanzen Gefühle haben?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass nur wir Menschen Gefühle haben.
• Hund oder Katze?
Katze.
• Hast Du jemals den Wunsch verspürt, Dich einmal in ein Tier zu verwandeln?
Als Kind vielleicht. Aber ich fühle mich in meiner Menschengestalt wohl.

Dies sind meine nominierten Personen bzw. ihre Blogs, die ebenso vielseitig sind wie mein Leben und ich:
Luisa von Lukonblog lebt in Kanada und schreibt über ihre Erlebnisse.
Stefan von Blindnerd ist blinder Astronom und schreibt über Blindheit und Wissenschaft.
Gina von Zeuneblog bloggt über ihren Alltag in einer Blindenschule
Marwamin von Marokkomittenmang schreibt über ihr Leben in Marokko.
Matze von Mainrausch nimmt uns mit durch Frankfurts Vielseitigkeit.
Rollingplanet schreibt rund um Behinderung und Inklusion.
Sven von Berlinerontour arbeitet in Jordanien und erkundet in seiner Freizeit Land und Leute.
Nicole von Linichri schreibt über ihr etwas anderes Familienleben.
Julia von Wheelymum Bloggt über ihren Alltag als Mutter mit Behinderung und Familienanschluss.
Simone von Mamapremiere[i]
All diese Blogs inspirieren und begeistern mich. Für mich sind sie alle etwas Besonderes.

Und zum Schluss noch die fünf Beiträge auf meinem Blog, die mir am wichtigsten sind:
Als blindes Kind arabischer Eltern war mein erster Post.
Helfen, oder lieber nicht zeigt wann Helfen angebracht ist, und wann nicht.
Wenn der Bus woanders hält – Schwierigkeiten und Lösungen für blinde Fahrgäste.
Blinde sind blind. Aber was genau heißt das?
Barrierefrei Bloggen auf WordPress. So haben auch blinde Nutzer etwas davon.

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Interview mit Insan e. V. -Jugendprävention mal ganz anders

Talha und Tarik haben vor einigen Jahren zusammen mit Freunden den Verein Insan e. V. in Neu-Isenburg gegründet. Hier sollte jungen Erwachsenen Perspektiven aufgezeigt werden, das wollte ich genauer wissen. Wir trafen uns in einem Eiskaffee zum Gespräch. Hier ließ ich ein Aufnahmegerät mitlaufen und stellte den Beiden einige Fragen zu ihrer Arbeit. Dieses Gespräch wurde dann verschriftlicht und mit Unterstützung von Matze vom Blog Mainrausch etwas in Form gebracht. Dabei ist das folgende Interview herausgekommen.

Lydia:
Hallo, ihr Beiden! Seid ihr so nett, euch unseren Lesern kurz vorzustellen?

Talha:
Talha
Gerne doch! Mein Name ist Talha, ursprünglich bin ich aus Bremen. Nach Frankfurt bin ich gekommen, um Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt Islam und Pädagogik zu studieren. Schon seit einigen Jahren arbeite ich mit viel Herzblut in einem Präventionsnetzwerk. Vor kurzem dann konnte ich gemeinsam mit einigen Freundinnen und Freunden einen Verein für Jugendarbeit gründen. Dessen Name ist „Insan“ – dazu erzähle ich nachher gerne mehr. Ich will ja nicht gleich alles verraten!

Tarik:
Tarik

Und mein Name ist Tarik, aufgewachsen bin ich in Duisburg. Ich bin 28 Jahre alt und habe mich in Frankfurt Studien des Islam gewidmet. Inhaltlich haben Talha und ich uns also fast mit denselben Dingen beschäftigt. Ganz offiziell darf ich mich aber als Theologe bezeichnen!
Wir wollten uns Gedanken darübermachen, wie man noch viel früher ansetzen kann, wie Angebote junge Menschen noch viel früher erreichen können.
Diese Gedanken machen wir uns jetzt hauptamtlich in unserem Verein. Natürlich haben wir auch vorher schon ehrenamtlich viel geleistet, sodass wir all unsere Erfahrungen nun in unsere Arbeit für „Insan e.V.“ einfließen lassen können.

Lydia:
„Insan“, das bedeutet „Mensch“. Wie seid ihr auf diesen Namen gekommen?

Tarik:
Wir haben uns eine ganze Zeit lang Gedanken über einen zu unserem Verein passenden Namen gemacht. Wir haben uns gefragt: Was soll ein Name für unseren Verein leisten? Zunächst gefiel uns der Name „Bildungsakademie“, schließlich wollten wir Jugendbildungsarbeit betreiben. Andererseits wollten wir natürlich als Experten in ganz unterschiedlichen Fachbereichen Unterstützung für alle Menschen anbieten. Der Mensch, der stand für uns schon immer klar im Mittelpunkt, ganz unabhängig von seiner religiösen Zugehörigkeit, seines ethnischen Hintergrundes oder seiner Weltanschauung. Was lag also näher, als unseren Verein „Mensch“ zu nennen? Schlussendlich haben wir uns dann für eine etwas ästhetisch klingendere Variante des Wortes Mensch entschieden. Der Name „Insan“ war geboren!

Talha:
Wir werden ja immer wieder gefragt, warum wir uns „Mensch“ genannt haben. Sobald wir den Grund dafür erklärt haben, weiß unser Gegenüber gleich schon ziemlich viel über unsere Philosophie und unseren Antrieb. Eine tolle Sache, oder?

Lydia:
Vorwiegend richtet ihr eure Angebote aber an junge Erwachsene, oder? Gelten für diese bestimmte Altersgrenzen? Oder existiert sogar ein Mindestalter, ab dem eure Hilfe überhaupt erst Sinn macht?

Talha
Nein, wir haben keine fixen Altersgrenzen. Schon ab der Pubertät, vielleicht mit 15 oder 16 Jahren, macht unsere Arbeit Sinn. Neuntklässler haben schließlich schon ein wenig Lebenserfahrung sammeln können, haben eine gewisse Vorstellung von der Welt und eigene Aktivitäten entwickelt. Wir wollen ihnen dann einen Raum bieten, in denen sie ihr Potential entfalten können. Und nach oben, da gibt es keine Altersgrenze! Ich bin nun fast 30 und fühle mich selbst noch oft als Jugendlicher.

Lydia Zoubek:
Ja, und was soll ich denn da sagen? (lacht)

Tarik:
Du bist natürlich auch noch jugendlich! (lacht mit)

Lydia Zoubek:
Schon im Vorgespräch hattest du erzählt, dass euer Angebot Gesprächskreise beinhaltet. Für was und wen sind diese gedacht? Was bespricht man dort? Wofür ist das gut?

Tarik:
Zunächst einmal haben wir uns mit diesem Jugendbüro hier einen Raum gefunden, der mitten in der Stadt ist und somit gut von vielen Jugendlichen erreicht werden kann. Außerdem hat er einen ganz unabhängigen Charakter, was wichtig für unsere Gespräche ist.
Du willst wissen, über was wir hier so reden? Momentan reden wir zum Beispiel viel über Identität und Religion. Auch über ganz aktuelle Themen wird gesprochen – über das eben, was in den Medien zu sehen ist. Momentan ist dort das Thema Islam sehr präsent. Und wir diskutieren dann: Stimmt denn, was dort gesagt und behauptet wird? Wie sind unsere eigenen Erfahrungen, inwieweit berühren diese Themen unser eigenes Leben? Oftmals sprechen wir auch über ganz grundsätzliches.
Zum großen Teil kommen eben muslimische Jugendliche zu uns. Das heißt aber nicht, dass uns nicht auch schon Andersgläubige aufgesucht haben! Am Anfang bestand die Gruppe aus gerade einmal drei bis vier Jugendlichen. Gestern aber waren wir schon zu zehnt! Manche kommen sogar extra aus Offenbach.

Tarik:
Letztendlich ist es aber vor allem ein Raum frei von jeglichen Tabuthemen. Egal, was junge Menschen auch bewegt – hier können sie darüber sprechen! In unserer ersten Sitzung hatten wir gemeinsam erörtert: Was interessiert euch? Worüber würdet ihr gern sprechen, was liegt euch auf dem Herzen? Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Über die Jahre hinweg haben wir mit vielen pädagogischen Konzepten gearbeitet – einige unserer Mitarbeiter waren beispielsweise in Mannheim an der Entstehung von Kindertagesstätten beteiligt.
Unsere Erfahrung zeigt uns auch, dass junge Menschen ab einem gewissen Alter das Bedürfnis haben, eigene Erfahrungen und ihr eigenes Dasein aufzuarbeiten. Das ist ein sehr wichtiger Prozess, deswegen ermutigen wir die Teilnehmer stets dazu, sich selbst mit einzubringen. Wir begleiten das Ganze nur und bleiben Ansprechpartner. Wir wollen moderieren, nicht vorgeben! Die Gesprächsthemen werden jedenfalls allein von den Jugendlichen vorgegeben.

Talha:
Genau. Schließlich machen wir keinen Frontalunterricht, sondern einen Workshop. Wir lesen Texte, Werke und Artikel durch. Im Anschluss gibt’s dazu ein Frage-/Antwortspiel, die Jugendlichen sollen dabei möglichst gut untereinander ins Gespräch gekommen. Ihre Vielfalt bringt eine schöne Dynamik in die Gespräche hinein: Manche der jungen Leute kennen sich bereits, manche auch nicht. Der Eine studiert bereits, während ein Anderer noch mit dem Abitur beschäftigt ist. Egal, in welcher Situation sich ein Teilnehmer befindet: Hier findet er den Raum vor, in dem er sich ganz frei und ohne Druck von außen aussprechen und austauschen kann. Hier wird niemand be- oder verurteilt, das ist uns ganz wichtig.
Zwei weitere Säulen unserer Arbeit sind außerdem Ausflüge und Sport. Vor dem Jugendklub lädt ein Fußballkäfig zum Kicken ein, auch Basketball kann gespielt werden. Solche Sachen sind gleichfalls wichtiger Bestandteil unseres Angebots!

Lydia Zoubek:
Leider hört man aber auch immer wieder von Jugendlichen, die mit dem Gedanken spielen, in den Dschihad zu ziehen. Kannst du mir sagen, was junge Erwachsene zu solchen Überlegungen treibt? Was bewegt sie dazu, eine solche Richtung einzuschlagen?

Tarik:
Ja, leider. Hinter solchen Absichten können ganz unterschiedliche Motivationen stecken. Man kann nicht pauschal sagen, dass ein ganz bestimmter Schlag von Jugendlichen eine spezielle Neigung hin zur Radikalisierung hätte. Genauso wenig, wie es ein Patentrezept dafür gibt, sie von solchen Überlegungen abzubringen.
Eine große Rolle hierbei spielt aber die ganz eigene Biografie eines jeden jungen Menschen.
Ein Video auf YouTube allein macht einen Jugendlichen noch lange nicht zum Dschihad-Kämpfer, oftmals sind Ursachen für eine spätere Radikalisierung bereits in früher Kindheit zu finden. Wenn in der Vergangenheit etwas geschehen ist, das bei den Jugendlichen bestimmte Dinge und Verhaltensweisen ausgelöst hat, wenn sie bereits als Kind Diskriminierungen ausgesetzt waren und deswegen gegenüber der Gesellschaft eine gewisse Abneigung erfahren haben – dann laufen sie Gefahr, auf eine schiefe Bahn zu geraten. Oftmals haben sie schlichtweg nicht gelernt, anderweitig mit solchen Erfahrungen umzugehen und ihre Wut zu kanalisieren.
Auf all diese verschiedenen persönlichen Geschichten müssen wir uns ganz individuell einstellen. Da gibt es sehr emotionale Jugendliche, die sich leicht mit Mitleid ködern lassen, deren Wut leicht entfacht werden kann. Es gibt aber auch solche, die aus tiefer religiöser Überzeugung den radikalen Weg einschlagen. Für sie ist das Wort eines Predigers quasi Gesetz.

Talha:
Und natürlich spielt auch die Gruppendynamik eine große Rolle. Für viele junge Menschen stellt sich in radikalen Kreisen erstmals ein Gefühl der Zugehörigkeit ein. Dieses Gefühl lässt sie dann oftmals auch fatale Wege beschreiten.
Wir müssen uns die Frage stellen: Wie kann es sein, dass sich in einer Gesellschaft, der es an nichts mangelt, Menschen derart abkapseln? Ich persönlich bin der Meinung, dass hier etwas schiefläuft, dass eine soziale Schieflage existiert.
Wer sozial nicht ausreichend gefestigt ist, egal ob in Elternhaus oder Freundeskreis, wenn jemand nicht über ausreichende Ressourcen verfügt, um dem Erwartungsdruck unserer Gesellschaft standzuhalten – dann besteht die Gefahr, dass er in alternative soziale Netze abdriftet. Doch diese sind niemals eine positive Alternative!
Anerkennung und Geborgenheit sind Grundbedürfnisse eines jeden Menschen. Und es ist fatal, wenn diese nur noch innerhalb radikaler Kreise gestillt werden. Menschen, die sich ein Leben außerhalb dieser Strukturen schon gar nicht mehr vorstellen können, sind besonders anfällig für fatale Handlungen. Die religiöse Ideologie ist da eigentlich zweitrangig. Unsere Aufgabe ist es, ihnen anderweitig Anerkennung und Geborgenheit zu vermitteln – und sie schließlich als verlässlicher Partner beim Ausstieg aus der radikalen Szene zu begleiten.

Talha:
Einem Großteil unserer Jugendlicher – ich würde mal sagen, bei über 90 Prozent! – fehlt eine Vaterfigur. Auch das allein bedeutet natürlich nicht, dass potentiell alle von ihnen gefährdet sind. Aber diese fehlende Vaterfigur löst eben etwas in einem Jugendlichen aus, sie versuchen, diese Lücke zu füllen. Und leider sind es manchmal alleine radikale Gruppen, die diese Lücke zu füllen vermögen.

Lydia Zoubek:
Konkret bedeutet das also, dem Jugendlichen fehlt ein männliches Vorbild, das er irgendwann innerhalb einer radikalen Gruppe finden kann. Sie fühlen sich endlich ernst genommen.
Nun frage ich mich: Wie erreicht ihr einen solchen Jugendlichen? Wie findet ihr Zugang?

Tarik:
Es gibt ganz unterschiedliche Möglichkeiten Menschen zu erreichen. Da gibt es die klassischen Methoden der Sozialarbeit, da gibt es die aufsuchende Jugendarbeit. Es gibt viele Wege, nicht alle führen bei jedem zum Ziel. Zum Glück gibt es außerdem noch zahlreiche andere Institutionen, an die wir verweisen können, wenn jemand Hilfe sucht.
Seit drei Jahren arbeiten wir auch mit gefährdeten Extremisten und Radikalisierten. Hier ist es ganz wichtig, jemandem eine langfristige Begleitung an die Seite zu stellen, damit der Erfolg eines Ausstiegs gewährleistet werden kann. Es ist nicht immer einfach, mit unseren begrenzten Mitteln eine solche langfristige Partnerschaft zu erhalten. Auch unseren Möglichkeiten sind leider Grenzen gesetzt. Viel wichtiger ist es, sich zu fragen: Wie kann man von vornerein verhindern, dass junge Menschen in radikale Richtungen abgleiten? Es gilt, die Ursachen zu bekämpfen, weit bevor es zu spät ist und sich ein Mensch radikalisiert hat. Wenn das Kind erst einmal in den Brunnen gefallen ist, kann ich nur noch versuchen, es zu retten und aus der Szene zurück zu holen.
Diese Gedanken müssen bundesweit gemacht werden, genau wie es ein bundesweites Netz von Anlaufstellen geben muss, wo junge Menschen sich gut aufgehoben fühlen und über all das sprechen können, was sie bewegt. So wie sie das auch bei uns tun können. Unser Einflussgebiet ist natürlich begrenzt – doch wir sind absolute Lokalpatrioten! Wir haben Lust auf die Menschen unserer Heimat, wir haben Lust auf Community. Und die soll natürlich genauso Lust auf uns haben! Wir sind neugierig auf sie, unterbreiten ihnen ein Angebot. Und freuen uns immer wieder, wenn sie darauf eingehen!

Talha:
Genau. Eben das, was man „gelungene Bildungsarbeit“ nennt!

Lydia Zoubek:
Das bedeutet also auch, dass junge Leute zu euch kommen können, ohne Angst vor etwaigen Konsequenzen haben zu müssen? Ich kann mir gut vorstellen, dass sie oft Angst haben, dass ihre Eltern etwas über ihre Besuche bei euch erfahren…

Tarik:
Damit hast du voll und ganz Recht! Genau legen wir so großen Wert darauf, einen ganz unabhängigen und diskreten Raum anzubieten. Sonst wäre das Projekt wohl zwecklos.

Lydia Zoubek:
Und wenn die jungen Leute von euch überzeugt sind, dann können sie jederzeit wieder zu euch kommen?

Talha:
Genau. Ich habe feste Zeiten, in denen ich im Büro anzutreffen bin. Egal, ob jemand kommt oder nicht. Und wenn ich dort sitze, dann bin ich bereit, über alle Themen zu sprechen und ein offenes Ohr zu haben. Egal, ob nun nur Einer, ob zehn oder ob zwanzig Leute kommen!
Und sollte ich mal überrannt werden, dann ist das auch kein Problem:
Dann höre ich mir die einzelnen Anliegen genau an und schaffe danach Gruppen mit den Leuten, die momentan dasselbe beschäftigt. Da gibt es nämlich sowohl große Gemeinsamkeiten als auch große Unterschiede!

Tarik:
Wir betreiben ja auch ganz bewusst keine Präventionsarbeit, das können wir gar nicht leisten. Wir betreiben Bildungsarbeit. Viele Arbeitskonzepte gegen Extremismus zielen auf das Narrativ innerhalb extremistischer Gruppierungen ab. Wir finden allerdings, dass dies sehr antagonistisch wirkt. Wir glauben, das ist eine zu wenig erfolgversprechende, eine zu wenig positive Art, jungen Menschen entgegen zu treten. Wir wollen narrativ im positiven Sinne sein; unabhängig von althergebrachten Konzepten zur Extremismus-Arbeit.
Ich halte mich nicht an irgendwelche starren Vorgaben pädagogischer Konzepte, ich orientiere mich allein an den Bedürfnissen der Jungen und Mädchen, die unsere Hilfe suchen. Deswegen schreiben wir auch keine Gesprächsinhalte vor. Wir fragen nur: „Was beschäftigt euch? Was denkt ihr darüber?  Woran glaubt ihr selbst? Wie geht ihr damit um?“. Ich will mal ein Beispiel bringen: Ein Großteil der Jugendlichen, die zu uns kommen, sind Muslime. Doch das bedeutet doch noch lange nicht, dass wir sie wie eine große, homogene Masse behandeln können! Wir schauen genau hin, hören uns genau an: Wo sind die Unterschiede? Wo liegen Gemeinsamkeiten? Ein Mensch besteht doch nicht allein aus seinem Glauben! Wir bemühen uns sehr, auch den Jugendlichen einen solchen differenzierten Blick zu vermitteln – denn oftmals haben sie bereits ein sehr pauschales Weltbild entwickelt.

Lydia Zoubek:
Der muslimische Glaube also als nur eine Eigenschaft von vielen?

Talha:
Ganz genau! Oftmals werden auch die Jugendlichen selbst von der Gesellschaft stigmatisiert, auf ihren Glauben reduziert. Oder aber: Niemand interessiert sich für ihren Glauben, weder Schule noch außerschulische Angebote.
Es gilt, hier einen Mittelweg zu finden. Ich zum Beispiel bezeichne mich gern als „Bremer Muslim“. Viele Fragen dann: „Wieso Bremer? Du bist doch Türke!“. Darauf entgegne ich dann: „Natürlich habe ich türkische Wurzeln, aber ich bin nicht in diesem Land aufgewachsen. Meine Kultur ist auch die Bremer Kultur. Und das empfinde ich als Bereicherung!“. Die Jugendlichen bezeichnen sich auch oft selbst als „Jugendliche mit Migrationshintergrund“. Diesen Begriff finde ich furchtbar! Wir sprechen viel lieber von „Jugendlichen mit kulturellen Zusatzqualifikationen“, wenn wir von ihnen sprechen. Das klingt doch deutlich positiver, oder? Auch und gerade für die Jugendlichen. Sie sehen sich dann nicht mehr als ein Halb-Halb-Wesen, sondern können ihre kulturelle Abstammung verbunden mit dem Ort, an dem sie leben, als doppeltes Glück empfinden. Sie kennen mehrere Sprachen, mehrere Esskulturen, mehrere Weltansichten – ist das nicht tatsächlich eine große Bereicherung?
Natürlich ist Religion immer ein wichtiger Aspekt. Religion wird in der sozialen Arbeit leider häufig auch vernachlässigt. Auch Religion muss Raum finden! Religion ist im Alltag überall ein Thema, dem kann man sich nicht entziehen. Und dafür brauchen die jungen Leute ein gewisses Grundlagenwissen. Neulich sind wir zum Beispiel in einer religiös gemischten Gruppe auf Jesus zu sprechen gekommen. Das war für alle sehr spannend! Auch über den Stammvater Abraham haben wir uns unterhalten, der für Juden, Christen wie auch Muslime eine große Bedeutung hat. Und die Jugendlichen waren begeistert! Sie wollten mehr erfahren, fragten mich sogar nach Empfehlungen für Lektüre.

Lydia Zoubek:
Lesen ist prima. Gibt’s deine Empfehlungen auch als E-Books?

Talha:
Na, das vermute ich doch! Wir treffen uns jedenfalls bald wieder mit der Gruppe, wir bringen Kekse mit und lesen gemeinsam.

Lydia Zoubek:
Gerne werde ich dieses Interview um einige deiner Lese-Tipps ergänzen!

Talha:
Aber noch einmal zurück zu unseren Jugendlichen: Ich hatte ja schon erwähnt, dass es ganz wichtig ist, vorhandenes Potential zu entdecken und anschließend zu fördern und in eine positive Richtung zu lenken. Um die Jugendlichen dort abzuholen, wo sie stehen, haben wir uns ein Konzept für Ideenwerkstätten überlegt. In diesen soll eigenes Potential entdeckt und Begeisterung entfacht werden.
Als konkretes Beispiel haben wir uns eine Schreibwerkstatt überlegt. Sie können sich von Bloggern und Autoren inspirieren lassen und anschließend selbst tätig werden. Eine weitere Idee wäre auch eine Kunstwerkstatt, in der gemalt und gezeichnet werden kann. Warum sollten nicht auch Begriffe wie „Zusammenleben“ oder „Toleranz“ künstlerisch dargestellt und anschließend vielleicht in einer Art Vernissage ausgestellt werden? Ich bin sicher, das würde sogar auf großes Interesse stoßen – und die Jugendlichen könnten stolz auf sich und ihre Kunstwerke sein!
asselbe gilt natürlich auch für eine Musikwerkstatt. Und unsere „Teestube“ mag ich auch nicht vergessen zu erwähnen, wo sich ganz zwanglos auf einen Tee getroffen und geplaudert werden kann.

Lydia Zoubek:
Vergleichbar mit dem „Café Grenzenlos“ in Neu-Isenburg? Ich war selbst leider noch nicht dort, aber ich musste eben daran denken.

Talha:
Genau! Darf ich noch von einer weiteren Idee erzählen? Nämlich den „Tag der Gebetsstätten“. Ich musste feststellen, dass kaum ein Zehntklässler jemals in einer Synagoge war. Das hat mich wirklich schockiert! Ich wollte daran etwas ändern, mit den Jugendlichen Gebetsstätten aller Religionen besuchen. Gerade das Rhein-Main-Gebiet strotzt doch nur so vor Vielfalt: Synagogen, Kirchen aller Art, Moscheen, sogar buddhistische Tempel! Solche Besuche sind sehr wertvoll und bauen Vorurteile ab.

Lydia Zoubek:
Wo du es gerade ansprichst: Ich finde Kirchen faszinierend! Jede von ihnen hat ihre ganz eigene Geschichte. Und an vielen wurde jahrzehntelang gebaut! Der Baumeister wusste quasi von vornherein, dass er die Fertigstellung nie erleben wird. Das finde ich total spannend!

Talha:
Allerdings! Wenn du dann noch einen Vertreter der Gebetsstätte dafür gewinnen kannst, seine Religion ganz unbefangen vorzustellen und zu erzählen, was seine Religion für ihn bedeutet – dann gelingt ein ganz wunderbarer Perspektivwechsel.
Lydia Zoubek:
Ein Bau als Gebetsstätte tut ja erst einmal niemandem was. Dennoch höre ich immer wieder Muslime sagen, sie würden niemals eine christliche Kirche betreten.
Talha:
… umso wichtiger, zu zeigen, dass allein durch einen Besuch niemand seinen eigenen Glauben verliert!

Tarik:
Ganz genau! Es geht lediglich darum, Berührungsängste und Vorurteile abzubauen. Einfach nur, aufeinander zuzugehen. „Aufstehen, aufeinander zugehen, voneinander lernen, miteinander umzugehen“ – von wem war dieses Lied doch gleich?

Lydia Zoubek:
Hey, den Song kenne ich! Aber frag‘ mich nicht, von wem das ist und wie es heißt…
[ANMERKUNG DES TRANSKRIPTORS:
„Aufstehen, aufeinander zugehen“ vom Interpreten Sven Schumacher]

Tarik:
Was zählt, ist am Ende zu vermitteln: Auf einen Menschen kann man zugehen und mit ihm ganz unverbindlich und vorbehaltlos sprechen. Niemand muss deswegen irgendeinen anderen Glauben annehmen, jeder darf denken und glauben, was er möchte. Ein solcher Austausch hat nichts mit einem „Missionieren“ zu tun!

Lydia Zoubek:
Ich bin sowieso ein großer Fan davon, sich Bauten anzuschauen. Da steckt so viel drin! Architektur, Mathematik, Physik… und natürlich Leidenschaft! Und Kommunikation! Wie haben die Bauarbeiter früher nur miteinander kommuniziert? Viele konnten ja gar nicht lesen und schreiben… Haben sie wohl gezeichnet? Und wenn ja, mit was? Alte Gebäude werfen so viele Fragen auf!

Tarik:
Mir ist dazu noch ein schöner Begriff für unser Handeln eingefallen: „Wir stärken das Wir“. Denn das „Wir“ soll kein abgrenzender Begriff sein, sondern ein Begriff einer allumfassenden Gemeinschaft!

Lydia Zoubek:
Ich bin mir sicher, einige meiner Leser würden euch nun gerne unterstützen. Wie können sie das tun? Welche konkrete Hilfe könnt ihr brauchen?

Talha:
Die größte Hilfe ist sicherlich, einfach mal vorbeizuschauen. Egal, ob ein Leser selbst Hilfe sucht oder sich einfach einbringen möchten:
Wir sind Mittwochabends zwischen 19.00 und 20.30 im Jugendbüro. Ein Jeder ist ganz herzlich eingeladen, uns zu besuchen! Fragt uns, sprecht mit uns. Kommt auf uns zu, lasst uns gemeinsam Vorbehalte abbauen!

Tarik:
Außerdem kann man uns auch als Kooperationspartner unterstützen! Wir sind tätig im Präventionsrat der Stadt Neu-Isenburg und wollen Seminare in der Gedenkstätte Bertha Pappenheim anbieten. Wenn jemand Interesse hat, dabei mit uns zusammenzuarbeiten, darf er sich gerne bei uns vorstellen! Vielleicht stellen wir ja anschließend ein gelungenes Seminarkonzept auf die Beine!

Talha:
… und begnadete Künstler, Musiker und Maler können uns natürlich bei unseren Ideenworkshops unterstützen!

Tarik:
Darüber würde auch ich mich sehr freuen!
Das würde auch mich sehr freuen!

der Verein Insan e. V. ist in Neu-Isenburg ansässig. Hier geht es zum entsprechenden Auftritt auf Facebook. Außerdem ist eine Homepage in Arbeit. Diese findet Ihr hier.

Und nun lade ich Euch ein in den Kommentaren über diesen Beitrag zu diskutieren.

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Allgemein Alltag

Behinderung und Perfektionismus

Von je her habe ich einen leichten Hang zum Perfektionismus. Vor allem dann, wenn ich mich von normal sehenden Leuten beobachtet fühle. Es gibt Menschen, in deren Gegenwart ich nicht mehr in der Lage bin ein Glas Wasser unfallfrei einzuschenken, weil ich mich beobachtet fühle.

Lange Zeit habe ich geglaubt, dass es mir alleine so geht, und den Fehler allein bei mir gesucht. Ich habe lange gesucht, bis ich langsam dahinter gestiegen bin, womit dieses Problem zusammenhängt.

Ich bin in einem behüteten Haushalt aufgewachsen. Meine Mutter kümmerte sich um so ziemlich alles. Und insbesondere um mich, ihr blindes Kind, das es besonders zu umsorgen gilt. Ich glaube, meine Eltern machten sich keine Gedanken darüber, dass ich irgendwann alleine in der Lage sein musste mich zu versorgen oder so. Sie handelten einfach so, wie sie es für richtig hielten. Erst recht, da es in ihrem Umfeld niemanden gab, der ihnen erklärte, dass blinde Kinder sehr wohl in der Lage sind wie andere Kinder auch im Haushalt mitzuhelfen, sich ein Brot zu schmieren oder was sonst so anstand.

Mit neun Jahren wechselte ich auf eine Blindenschule mit Internat. Damit änderten sich viele Dinge in meinem Alltag. Hier gehörte es zum Alltag, dass wir unser Brötchen aufschneiden und streichen mussten. In jeder Woche waren zwei Schüler mit Küchendienst dran. Das bedeutete, dass wir morgens vor Schulbeginn das Geschirr vom Frühstück abwaschen, abtrocknen und wieder an seinen Platz stellen mussten. Bei den Mahlzeiten standen die Schüsseln mit den Beilagen auf dem Tisch, so dass sich jeder davon nehmen konnte. Gleiches galt auch für Getränke wie Tee oder Kakao, den wir uns selbst einschenkten. Ebenso achteten unsere Erzieherinnen darauf, dass wir alle das Besteck richtig hielten.

Meine Mitschüler kannten das alles schon, und waren nicht gerade zimperlich mit mir, die ich das alles noch nicht konnte. Das war für mich anfangs ziemlich schrecklich. Mein Glück war, dass ich ehrgeizig genug war, mir das Versäumte anzueignen, und unsere Erzieherinnen mir alles solange zeigten, bis ich die entsprechenden Handgriffe beherrschte. Einen Satz wie „Ich mach das mal eben für Dich“, bekam ich in dieser Zeit nie von ihnen zu hören.

Im Alter von 13 Jahren wechselte ich auf das Gymnasium nach Marburg. Zum dortigen Schulkonzept gehörte nicht nur der Schulstoff, der allen Schülern standardmäßig vermittelt wird, sondern auch einige zusätzliche Dinge, die uns blinden und sehbehinderten Schülern ein selbständiges Leben ermöglichen sollten. Damals war es so, dass wir mit 10 Schülern und vier Betreuern auf dem Schulgelände untergebracht waren. In dieser Zeit standen Mobilitätstraining und Lebenspraktischefertigkeiten wie Essen, Kochen usw. auf dem Stundenplan. Das passierte im Einzelunterricht, da jeder einen anderen Bedarf hat.

Nach zwei Jahren wechselte ich in eine Wohngruppe, die in der Stadt war, so dass mein Schulweg mit Stadtbus und Fußweg etwa 25 Minuten betrug. Wir bekamen eine Haushaltskasse und sorgten selbst für Frühstück, Abendbrot und Wochenenden. Wir waren sieben oder acht Schüler mit drei Betreuern, von denen eine ihre Wohnung über unserer WG hatte.

Mit 18 Jahren wechselte ich in eine Gruppe mit insgesamt vier Schülern. Wir hatten nur noch eine Betreuerin, die wir in der Regel zweimal wöchentlich sahen. Einmal zur Gruppenbesprechung, und einmal im Einzelgespräch für spezielle Belange. Zusätzlich hatten wir eine Putzhilfe, die sich um die gemeinschaftlich genutzten Bereich wie Küche, Bad und Flur kümmerte. Unsere eigenen Räume mussten wir selbst sauber halten. Wer damit nicht zurechtkam, konnte bei unserer Betreuerin Hilfe zur Selbsthilfe einfordern.

Diese Entwicklung zur Selbständigkeit fand leider ohne meine Eltern statt. D.h. für sie blieb ich nach wie vor das hilfsbedürftige Kind, welches intelligent genug war, um das Abitur zu bestehen, jedoch Hilfe bei der Erledigung einfachster Handreichungen brauchte. Manchmal rebellierte ich dagegen. Dann sollte ich mein Glas eben selbst einschenken. Aber ich wurde beobachtet, und mein Tun kommentiert. Und wenn dann doch mal ein paar Tropfen daneben gingen, was übrigens in den besten Familien vorkommt, dann war meine Sehbehinderung daran schuld.

„Ich mach das schnell, denn ich sehe ja“, ist ein Satz, der mich seither begleitet. Lange Zeit dachte ich, ich könnte das beeinflussen, indem ich besonders gute Leistungen ablieferte. Jahrelang glaubte ich, ich muss 200prozentige Leistung erbringen, um wenigstens 50prozentige Anerkennung zu erfahren. Es hat viele Jahre, viel Arbeit an mir selbst und gute Freunde gebraucht, um zu begreifen, dass das der falsche Weg war. Ich habe damit nur mich selbst unter Druck gesetzt. Und damit ist auf Dauer keinem geholfen.
Liebe normal Sehende, die Ihr diesen Satz gern verwendet,
habt Ihr Euch mal Gedanken darüber gemacht, wie er bei Eurem Gegenüber ankommt? Ich will einfach glauben, dass Ihr nicht die Absicht hattet Euer Gegenüber klein zu machen. Vielleicht nutzt Ihr künftig mal einen anderen Satz wie: „Darf ich Dir Zucker in den Kaffee tun“? Oder „Wäschst Du ab oder ich“, so wie Ihr das bei einer Person ohne Behinderung machen würdet. Und Bitte, wenn mal was daneben geht, oder tropft, so ist das kein Drama. Spart Euch also Kommentare wie: „Hätte ich das gemacht, wäre das nicht passiert“.

Ich muss niemandem mehr etwas beweisen. Wenn mir jemand Hilfe anbietet, dann nehme ich sie gern an. Ich muss in keiner fremden Umgebung die Zuckerdose selbst suchen, wenn meine sehende Freundin mir anbietet das für mich zu machen. Und wenn ich bei Menschen bin, die seit Jahrzehnten nicht verstehen wollen, dass ich nicht mehr das absolut hilfebedürftige blinde Mädchen bin, bitte, dann lasse ich mich auch mal bedienen. Das schont meine Nerven und spart meine Energie, die ich darauf verwenden kann andere Dinge zu tun.

So wie mir geht es vielen Menschen mit Behinderung, deren Umwelt sie auf die Dinge reduziert, die sie ihrer Meinung nach nicht können. Und jeder versucht seinen eigenen Umgang damit zu finden. Je nach Wesen des Betroffenen. Dabei brauchen wir Menschen mit Behinderung weder Mitleid, noch permanentes Bemuttern. Was wir brauchen sind Menschen, die uns helfen uns selbst zu helfen. Und wir brauchen Menschen, die nicht nur die Behinderung als unsere Haupteigenschaft sehen, sondern auch unsere anderen Eigenschaften. Ich beispielsweise bin nicht nur blind, sondern schwarzhaarig, habe braune Augen, bin eine Leseratte, Strickerin und Bloggerin.