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Ranzenpost und Formulare bei blinden Eltern

Meine erste E-Mail-Adresse bekam ich 2003, gemeinsam mit einer Einführung in die Bedienung eines E-Mail-Programms und meinen ersten Gehversuchen im Internet. Eigentlich geschah das mehr aus Neugierde, als aus einer Notwendigkeit heraus. Denn bisher reichten mir für das, was ich zu tun hatte, die Kommunikation in Form von Telefon, Fax oder Papierpost. Gedruckte Briefe ließ ich mir entweder vorlesen, oder ich scannte sie ein, und ließ meinen Computer die gedruckten Buchstaben in Sprache oder Braille umwandeln. Und wenn ich etwas verschickte, dann schrieb ich diesen am PC, druckte ihn aus, oder schickte ihn per Fax weg. Gepaart mit dem guten alten Telefon war das für mich die Vorgehensweise, mit der ich gut gelebt habe.

Mit dem Einzug von E-Mail vereinfachte sich für mich die schriftliche Kommunikation. Bekam ich eine Info per Mail, brauchte ich diese nicht mühsam einzuscannen, und mögliche Fehlerquellen bei der Texterkennung einzukalkulieren. Ich hatte die Info quasi sofort. Es ersparte mir also nicht nur Papier, sondern auch viel Zeit. Denn Briefe in Papierform wollten eingescannt, in Braille beschriftet und richtig abgeheftet werden. Bei der E-Mail reichte eine übersichtliche Ordnerstruktur, um diese gezielt wiederzufinden. Außerdem besitzt mein PC eine Suchfunktion, mein Ordnerregal jedoch nicht.

Als meine Kinder in den Kindergarten kamen, bat ich die Mitarbeiter mir schriftliche Mitteilungen per E-Mail zu schicken. Das klappte mehr schlecht als recht. Für mich wäre es eine große Erleichterung gewesen. Denn ich kann Anhand eines Papiers, das im Fach meines Kindes liegt, nicht feststellen, ob es sich um ein gemaltes Bild oder einen Elternbrief handelt. Und ich kann auch keine Aushänge lesen. Ich musste viel fragen, und hoffen, dass mir keine wichtige Information, wie ein außerplanmäßiger Schließungstag, ein Elternabend oder ein „Wir haben Läuse im Haus“ entging. Manchmal halfen mir andere Eltern bei der Informationsbeschaffung.

Als meine Kinder in die Grundschule kamen, bekam ich immer mehr das Gefühl, das die Lehrkräfte E-Mails mehr fürchten als der Teufel das Weihwasser. Die einzige Mitarbeiterin, die ab und zu an mich dachte, war eine Mitarbeiterin im Sekretariat, die mir Mails schickte. Ein Lehrer meines Sohnes rief ab und zu an, wenn es ein Problem gab. Auch damit konnte ich gut leben. Aber oft genug musste ich mir anhören, dass die Kinder alt genug seien, um die Ranzenpost bei den Eltern abzugeben, oder das Elternheft zu zeigen.

Es gibt mehrere Informationsquellen, die man als Elternteil überblicken können muss. Da wäre einmal das Mitteilungsheft an die Eltern, in welches handschriftliche Mitteilungen gemacht werden können. Manche Lehrkräfte möchten, dass diese von den Eltern abgezeichnet werden. Dann gibt es die Elternmappe, in die das Kind Briefe der Schule oder Lehrkraft abheften soll. Und dann gibt es die losen Blätter, die viele Kinder vergessen in eben diese Mappe einzuheften. Und das sollen wir Eltern nach Möglichkeit kontrollieren. Denn mal Hand aufs Herz, wessen Kind im Grundschulalter ist so gewissenhaft, und gibt diese zuverlässig zeitnah an die Eltern weiter?

Eine sehende Mutter hat die Wahl selbst in den Schulranzen zu schauen oder die Verantwortung auf das Kind zu übertragen. Sie kann erkennen, ob es sich um ein Schreiben oder ein bemaltes Stück Papier handelt, ob etwas auszufüllen oder zu unterschreiben ist. Das kann ich nicht. Handschriftliche Mitteilungen sind für mich selbst mit meinen technischen Hilfsmitteln unlesbar. Eine Information, die per E-Mail zu mir kommt, kann ich ohne fremde Hilfe bearbeiten. Und da die meisten Elternbriefe ohnehin am PC erstellt werden, ist es kein Mehraufwand diese per E-Mail zu versenden.

Der Hort meiner Kinder hat das verstanden, und mir bei der Informationsbeschaffung geholfen. Für die Post aus der Grundschule fand ich Hilfe bei Miteltern oder bezahlte mir eine entsprechende Hilfe, die den Schulranzen regelmäßig durchsah.

Schwieriger wurde es auf der weiterführenden Schule. Hier gab es noch mehr Informationsquellen. Der Klassenlehrer meiner Tochter hat mir zu dem Zeitpunkt einen wertvollen Luxus geboten, indem er die Informationen für mich sammelte und lesbar machte. Ich besuchte den Elternsprechtag, und erklärte mehreren Lehrkräften, dass es schneller geht, wenn er oder sie per E-Mail mit mir Kontakt aufnimmt. Und die meisten verstanden das. Und das war auch gut so, da meine Kinder die Ordnung zeitweise nicht als ihren besten Freund ansahen.

Problematisch war die Kommunikation mit der Sorte Lehrkräfte, welche die Meinung vertraten, dass ein Kind in dem Alter selbst darauf achten müsse, dass die Informationen zu den Eltern kämen. Meine Bitte mir die für uns Eltern bestimmten Informationen in einer für mich als Eltern wahrnehmbaren Form zu Verfügung zu stellen artete auch schon mal in eine Grundsatzdiskussion über Selbstverantwortung der Kinder aus. Dabei sind wir einer Meinung, nämlich, dass Kindern ein bestimmtes ihrem Alter entsprechendes Maß an Verantwortung übertragen sollten. Dem gegenüber steht jedoch, dass ich meine Pflichten als Eltern wahrnehmen muss. Und das setzt vorraus, dass ich Informationen, die an mich als Eltern gerichtet sind, auch ohne die Hilfe meiner Kinder wahrnehmen kann. Das brauche ich, um meine Kinder auf dem Weg in ein selbständiges Leben zu unterstützen.

Meine Kinder sind inzwischen beinahe erwachsen, und können selbst darauf achten, dass ich relevante Informationen bekomme. Aber da draußen gibt es noch ganz viele Eltern, deren Kinder das noch nicht können. Und diese freuen sich über Mitteilungen ohne Barrieren.

Liebe Lehrer, Erzieher und alle Anderen, die mit Kindern blinder Eltern zu tun haben könnten!

Mitteilungen per Ranzenpost stellen eine Barriere dar, eine E-Mail oder ein Anruf der Schule nicht. Vor Allem macht Ranzenpost abhängig. Nämlich davon, dass das Kind diese abliefert, und davon, dass ein Formular nicht eigenhändig ausgefüllt werden kann. Und ich glaube nicht, dass das im Sinne des Lehrauftrags ist. Einfach fragen, und gemeinsam eine Lösung finden. Allerdings hören wir blinden Eltern Sätze wie „Das kann Ihnen jemand vorlesen“, oder „ihr Kind kann das ja machen“ überhaupt nicht gern. Denn auch wir sind in erster Linie Eltern mit Pflichten. Und unsere Kinder sind nicht dazu da, um die Behinderung zu kompensieren.

Eure Lydia

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Die Arab. Episkopal School, Teil 1

Die Arab. Episkopal School ist eine Schule, welche blinde, sehbehinderte und normal sehende Jungen und Mädchen aller Glaubensrichtungen unterrichtet. Sie liegt in Irbid, der zweitgrößten Stadt Jordaniens. Gegründet wurde sie 2003. Das Motto der Schule heißt nicht den Fokus auf die Unterschiede, sondern auf die Gemeinsamkeiten lenken.
Zunächst einmal möchte ich einige Zahlen und Fakten über Jordanien nennen. Diese sind wichtig, um die Zusammenhänge besser zu verstehen.

Jordanien ist etwa dreimal so groß wie Baden Württemberg und hat 9,7 Millionen Einwohner. Irbid ist etwa 90 km nördlich von der Hauptstadt Amman entfernt, und die zweitgrößte Stadt Jordaniens. Hier leben etwa 1,7 Millionen Einwohner und 359.000 syrische Flüchtlinge. Die Gegend um Irbid ist sehr ländlich und die Entfernungen zwischen den mehr als 70 umliegenden Dörfern weit.
In Amman, befindet sich die einzige Staatliche Blindenschule für ganz Jordanien. Hier gehen blinde und sehbehinderte Kinder im Alter von sechs Jahren auf ein Internat. Einen Kindergarten oder andere frühkindliche Einrichtung gibt es nicht. Für die Kinder bedeutet dies, dass sie erst im Alter von sechs Jahren die erste blindengerechte Förderung erfahren dürfen. Viele Familien halten behinderte Kinder im Verborgenen, da diese gesellschaftlich nicht anerkannt werden. Da die Schulpflicht in Jordanien lediglich 6 Jahre beträgt, braucht es eine Menge an Eigeninitiative der Familien, um blinden Kindern den Zugang zu Weiterbildung zu ermöglichen.

Pfarrer Samir Esaid von der anglikanischen Kirche verfolgte eine andere Idee. Er wollte, dass Kinder mit einer Sehbehinderung vom Kindergartenalter an eine Förderung bekommen. Und das sie gemeinsam aufwachsen, lernen und leben kann. Und zwar ohne von ihren Familien getrennt zu werden. Also wurde zunächst einmal ein integrativer Kindergarten ins Leben gerufen. Für die meisten blinden und sehbehinderten Kindern war dies die erste Gelegenheit außerhalb ihrer Familie zu sein und sich Kindgerecht zu entwickeln.
Neben der frühkindlichen Förderung wurde den blinden Kindern auch die Brailleschrift vermittelt. Diese sollte die Kinder in die Lage versetzen gemeinsam mit normal sehenden Kindern dem Unterricht in der Schule zu folgen. Zu den Aufnahmebedingungen der Schule gehört auch, dass ein Familienmitglied ebenfalls die Brailleschrift erlernen muss, um das Kind später in der Schule bei Hausaufgaben zu unterstützen.
Angedacht war, dass die Kinder nach dem Kindergarten auf umliegende Schulen verteilt und inklusiv beschult würden. Nur fand sich keine Schule, die auch die blinden Kinder unterrichten wollte. Daher ging man den umgekehrten Weg. Es wurde eine Schule für blinde Kinder gegründet und für sehende Kinder geöffnet. Bisher ein einzigartiges Konzept in diesem Land. Jedes Jahr kam eine weitere Klasse dazu.
Die meisten blinden oder sehbehinderten Kinder stammen aus ärmlichen Verhältnissen. Daher ist für sie der Schulbesuch kostenlos. Der Unterricht findet auf Privatschulnivo statt, um den Schulbesuch für normal sehende Kinder attraktiver zu machen. Der Rest finanziert sich durch Spenden aus verschiedenen Quellen, unter anderem auch aus Deutschland.
Inzwischen besuchen 256 Kinder die Schule, davon 40 blinde und sehbehinderte. Von 40 Lehrkräften sind 5 blind oder sehbehindert. Außerdem beschäftigt die Schule hauseigene Busfahrer, die die Schüler aus umliegenden Dörfern zur Schule und wieder nach Hause bringen. Weiter wird die Schule durch Volontäre aus Deutschland und Kanada unterstützt.
Ich hörte 2013 zum ersten Mal von dieser Einrichtung. Eine Schulfreundin schickte mir einen Zeitungsartikel zu, in welchem ausführlich darüber berichtet wurde. Kurz darauf erfuhr ich, dass es in den Räumen der Blindenselbsthilfe einen Jordanischen Abend mit arabischem Essen usw. geben würde. Hier wurde der Schulgründer als Referent erwartet. Das machte mich sehr neugierig. Und ich hatte eine ganze Reihe Fragen, die ich ihm stellen wollte.
Und so lernte ich Pfarrer Samir Esaid und seinen Begleiter Diakon Gunter Hell kennen. Es war ein mitreißender Vortrag. Dieser weckte wiederholt den Wunsch in mir bei diesem Projekt aktiv mitzuwirken.
Selbst als blindes Kind arabischer Eltern konnte ich die ‚Situation blinder und sehbehinderter Kinder‘ im ländlichen Irbid nachvollziehen. Nur hatte ich das Glück Eltern zu haben, die mir den Zugang zu Bildung geebnet haben. Sie sind mit mir nach Deutschland gezogen, haben mich mein Abitur machen lassen. Und sie haben sich zu keiner Zeit für meine Behinderung geschämt. Kurz, ich führe ein selbstbestimmtes Leben. Und jetzt hatte ich den Wunsch etwas davon weiterzugeben. Ich wollte dazu beitragen, dass andere blinde und sehbehinderte Kinder, die nicht so viel Glück hatten, mehr Hilfe erhielten.
Die folgenden Tage nutzte ich zur Recherche über die Schule und deren Mitarbeiter und Projekte. All das faszinierte mich so sehr, dass ich nun endgültig beschloss aktiv mitzuarbeiten. Ich traf mich später mit Diakon Gunter Hell und informierte mich darüber was am nötigsten gebraucht wurde. Dabei erfuhr ich, dass den Schülern oft elementare Dinge fehlten, wie eine Punktschriftmaschine. Das ist eine Schreibmaschine für Brailleschrift, bei der man alle Punkte zeitgleich betätigen kann. Sie schrieben oft noch mit Schreibtafeln, bei denen man mit einem spitzen Griffel jeden Punkt einzeln einstechen musste. Die Schule wünschte sich u. a. für jedes Kind ab der dritten Klasse eine eigene Schreibmaschine. Ähnlich stand es mit anderen Hilfsmitteln.
Ich wusste, dass viele Blinde in Deutschland das ein oder andere Hilfsmittel nicht mehr brauchten, oder gegen ein anderes, moderneres austauschten. Also suchte ich gezielt auf einschlägigen Internetseiten nach diesen Hilfsmitteln, die zu kleinen Preisen zum Verkauf angeboten wurden. Manchmal schaltete ich selbst Anzeigen und startete Spendenaufrufe.
Auf diese Weise kamen drei oder vier Punktschriftmaschinen zusammen, die ich 2014 nach Jordanien transportieren konnte. Das war für mich das Highlight nebst einiger Lupen und anderen Hilfsmitteln für den Alltag. Bei der Auswahl der Geräte achtete ich darauf, dass es Dinge waren, die robust oder leicht zu reparieren waren. Denn was nützt einem ein teures Hilfsmittel, welches irgendwann teuer gewartet werden muss?
2015 verließen die ersten Zehntklässler die Arab. Episkopal School. Angedacht war, dass die blinden und sehbehinderten Schüler auf eine weiterführende Schule wechseln, an welcher sie das Abitur machen können. Die leistungsschwächeren Schüler sollten eine Ausbildung machen. Es geht darum diesen jungen Menschen zu ermöglichen einen Beruf zu ergreifen und zum Unterhalt der Familie beizutragen. Bis jetzt konnte dieses Vorhaben aus Kostengründen noch nicht umgesetzt werden. Auch die blinden und sehbehinderten Schüler, die das Abitur schaffen könnten, wurden von umliegenden Schulen nicht angenommen. Wir hoffen, dass dies in nächster Zeit ermöglicht werden kann. Denn die Alternative heißt zuhause bleiben und finanziell von der Familie abhängig zu sein. Und das ein Leben lang.

Ich werde in meinem Blog weiter über dieses Projekt berichten. Für diejenigen, die aktiv helfen möchten. Schreiben Sie mich an, oder schauen Sie auf der Homepage der Schule nach.

Dort können Sie sich auch direkt an den Schulgründer wenden, der sehr gut deutsch spricht.