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Allgemein Bildung Zu Gast auf lydiaswelt

Inklusion, ich war immer die Ausnahme

Das Thema inklusiver Unterricht wird immer wieder kontrovers diskutiert. Doch nur selten kommen Menschen zu Wort, die tatsächlich mit Behinderung auf einer Regelschule sind oder waren.
Niklas ist 29 Jahre alt. Er besuchte zehn Jahre lang als blindes Kind eine Regelschule. Anschließend absolvierte er eine Ausbildung zum Informatikkaufmann an der Blindenstudienaanstalt Marburg. Ich freue mich, dass er bereit war mir einige Fragen zu seinen Erfahrungen an der Regelschule zu beantworten.
Lydia: Warum haben Deine Eltern sich dafür entschieden Dich an einer Regelschule anzumelden?
Niklas: Meine Eltern haben sich dafür entschieden, weil sowohl sie als auch ich nicht wollten, dass ich mit 6 Jahren in ein Internat komme und somit von zu Hause weg.
Lydia: Wann hast Du erfahren, dass es auch Schulen für blinde Kinder gibt, und wie hast Du darüber gedacht?
Niklas: Ich wusste von Blindenschulen schon seit ich in der Schule war. Ich dachte nicht negativ darüber. Wenn eine Blindenschule bei mir Vorort gewesen wäre, wäre ich auch hin gegangen.
Lydia: Wie sah Dein Schulalltag in der Grundschule aus, und wie ging es Dir damit?
Niklas: Ich hatte in der Schule täglich einen Zivildienstleistenden gehabt, der mich morgens abgeholt hat und mich zur Schule gefahren hat. Nach der Schule hat er mich dann wieder nach Hause gefahren.
In der Schule hat der Zivi dann mir auch geholfen von Raum zu Raum zu kommen, Tafelanschriebe mit zu schreiben usw. Es gab von der Blindenschule Neuwied einen Blindenlehrer für eine Gewisse Anzahl von Stunden, der Materialien die im Unterricht benötigt wurden für mich aufbereitet hat. Wie es mir damit ging, ist schwer zu sagen. Ich kannte damals ja nichts anderes.
Lydia: Hattest Du während Deiner Schulzeit Freunde, mit denen Du Dich auch außerhalb der Schule getroffen hast?
Niklas: Dies war schwierig, weil durch die Hausaufgaben nicht viel Zeit blieb sich zu treffen. Außerdem war es auch durch meine Blindheit schwierig sich zu treffen. Viele meiner sehenden Mitschüler hatten Schwierigkeiten damit klar zu kommen, dass ich blind war und wollten nicht wirklich was mit mir zu tun haben.
Lydia: Wie wurden Dinge wie Kunst- Sport oder Klassenfahrten gestaltet?
Niklas: Bei Kunst hatte ich oft Einzelförderunterricht, weil dort viel mit Wasserfarben gemalt wurde. Dies ging natürlich für mich nicht.
Sport habe ich mitgemacht was möglich war, aber Dinge wie Ballsportarten konnte ich nicht mit machen und habe dann Förderunterricht bekommen.
Bei Klassenfahrten habe ich an allen Aktivitäten teilgenommen. Hatte auch meinen Zivi, der mich führte.
Lydia: Gab es ein Schulfach, an welchem Du nicht teilnehmen konntest?
Niklas: Ganze Schulfächer gab es nicht. Es gab nur einzelne Themen an denen ich nicht teilnehmen konnte.
Lydia: Wie hätte Dein Unterricht besser für Dich gestaltet werden können?
Niklas: Ich hätte mir teilweise mehr Integration gewünscht. Das heißt: Ich hatte teilweise viel Einzelunterricht mit meinem Blindenpädagogen oder meinem Zivi. Die Fachlehrer haben sich teilweise sehr zurückgezogen.
Lydia: Wie oft hattest Du Kontakt mit anderen blinden Schülern?
Niklas: Eigentlich nur bei Freizeiten für integrativ beschulte Kinder, die von diversen Blindenschulen angeboten wurden. Sonst nicht.
Lydia: Hast Du irgendwann vermisst, dass Du Dich nie mit anderen blinden Mitschülern vergleichen konntest?
Niklas: Das habe ich ja nie richtig kennengelernt und somit auch nie vermisst.
Lydia: Auf dem Lehrplan einer Blindenschule stehen Mobilitätstraining und lebenspraktische Fertigkeiten. Wie war das bei Dir?
Niklas: Dies viel in der Integration weg. Es hab keinen Kostenträger, der dies finanzierte. Meine Eltern und ich hatten damals noch nicht viel Erfahrung und wussten auch nicht wo man rechtliche Unterstützung speziell hierfür herbekommen kann.
Lydia: Wie kam es dazu, dass Du eine Ausbildung in einer Einrichtung für blinde Schüler gemacht hast, und was hat sich für Dich dadurch geändert?
Niklas: Dies hing damit zusammen, dass die Integration nach und nach schwieriger wurde. Der Stoff wurde komplexer und dadurch auch die Arbeit des Umsetzens. Außerdem kam in der Integration die Selbstständigkeit zu kurz und auch dies führte dazu die Ausbildung in einer Blindengerechten Einrichtung zu absolvieren.
Lydia: Was würdest Du Eltern blinder Kinder gern mit auf den Weg geben, die mit dem Gedanken spielen ihr Kind an einer Regelschule anzumelden?
Niklas: Ich würde mit auf den Weg geben, dass man bedenken solle, dass das ganze Material aufbereitet werden muss und dies viel Zeit kostet. Des Weiteren würde ich empfehlen, auf jeden Fall ein Mobilitäts- und LpF-Training zu beantragen. Dies kam bei mir zu kurz und ich hatte es in der Blista in Marburg schwer das alles aufzuholen.

Ich danke Niklas für seine Offenheit. Und nun lade ich Euch ein hier in den Kommentaren über diesen Beitrag zu diskutieren.

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Allgemein Alltag Haushalt

Das kannst Du nicht, lass mich das machen

Diese und ähnliche Aussagen kennen Menschen mit einer Behinderung nur zu gut. Als blindes Kind bedeutete das für mich, dass ich stets mit Dingen konfrontiert wurde, die ich nicht konnte. Jedenfalls Dinge, die zu einem lebensfähigen Menschen dazu gehörten.

Praktische Beispiele bis zum 9. Lebensjahr waren:
– Ich konnte mir nie ein Glas Wasser oder Tee selbst einschenken.
– Ich habe nie gelernt ein Kleidungsstück zusammenzulegen.
– Ich durfte nie eine Straße ohne sehende Hilfe überqueren.

Ich habe also gelernt, dass ich blind, und damit hilflos bin. So, wie mein Umfeld mich eben sah. Meine Eltern sahen in mir aber auch, dass ich Schulstoff sehr schnell aufnahm. Und weil ich sehr schnell besser deutsch sprach als meine restliche Familie, war für meine Eltern klar, dass ich einen Beruf wie Übersetzerin oder Lehrerin ausüben würde. Ich würde einen sehenden Mann heiraten, der mich zur Arbeit fahren und in Allem unterstützen würde. Und mit viel Glück würde ich sehende Kinder bekommen, die mir später helfen würden. Ja, und solange würde meine Familie für mich sorgen. Und weil ich meinen Eltern vertraute, glaubte ich selbst lange Zeit an diese Lebensplanung
Die große Veränderung kam, als ich mit neun Jahren auf eine Schule für blinde Kinder wechselte. Bisher hatte ich eine Schule für sehbehinderte Kinder besucht, die mit einem Schulbus erreichbar war. Nun musste ich auf das angeschlossene Internat, weil die
Schule zu weit weg war, um täglich nach Hause zu kommen. Ein Lehrer aus der Schule hatte uns zuhause besucht, und mir viel von der Blindenschule und den Kindern erzählt. Ich fand das spannend. Denn ich kannte keine anderen blinden Kinder. Und ich würde Freunde finden, mit denen ich in und nach der Schule spielen konnte. Für meine Eltern brach damit eine Welt zusammen, als sie ihr blindes Kind weggeben mussten. Es dauerte sehr lange, bis sie begriffen, dass auch andere für mein Wohl sorgen konnten, und dass sie damit keine Rabeneltern waren.
Ich erlernte die Brailleschrift, entdeckte die Schulbücherei und gewann Freunde, mit denen ich nicht nur gemeinsam lernte, sondern auch Spiele, Sport und Blödsinn machte. Eben all das, was zum Kind sein dazu gehörte. Ich lernte, dass ich auch Spiele wie „Mensch ärgere Dich nicht“ spielen konnte, da die Farben der Steinchen als fühlbare Oberflächenstruktur dargestellt wurden. Heute spricht man von Adaption. Und auch im lebenspraktischen Bereich erweiterte ich meinen Horizont. Denn Küchendienst, Brot selbst streichen oder seinen Tee einschenken waren auch blind machbar, wie mir Erzieher und Mitschüler zeigten. Ich lernte, dass ich meinen Kleiderschrank auch blind beherrschen konnte, wenn die Anordnung nicht von jemand anderem verändert wurde.
Vor Feiertagen wie Ostern, Weihnachten oder Muttertag wurde im großen Aufenthaltsraum gemeinsam gebastelt. Anstatt „Du kannst das nicht“ hörte ich „Probiere das mal“ oder „Wir machen das zusammen“. Gleiches galt auch für die Schulfächer Kunst oder Werken. Man versuchte uns so viel wie möglich alleine machen zu lassen. Und das rechne ich den Erzieherinnen und Lehrkräften hoch an.

Meine Familie besuchte ich nur noch am Wochenende und während der Ferien. Und als ich später auf ein Gymnasium für blinde und sehbehinderte Schüler wechselte, sah ich meine Familie nur noch einmal im Monat und während der Ferien. Hier gehörten der Umgang mit dem Blindenstock und der Umgang mit der Bratpfanne genauso zum Lehrplan wie der Schulstoff. Diese stetige Weiterentwicklung verpasste meine Familie ein bisschen. Für sie blieb ich lange Zeit das hilflose blinde Kind, das permanent umsorgt werden muss. Dazu kam, dass ich zuhause keine festen Freunde hatte, mit denen ich all das teilen konnte, was zum Erwachsenwerden gehörte. Und meine Schulfreunde waren ebenfalls bei ihren Familien. Zu weit weg, um sich mal eben für einen Nachmittag zu verabreden. Briefe in Braille oder auf Kassette, oder telefonieren waren die einzigen Möglichkeiten miteinander in Kontakt zu bleiben. Meine Punktschriftmaschine, meine Reiseschreibmaschine und jede Menge Bücher oder Hörbücher aus den entsprechenden Büchereien waren meine besten Freunde. Es war also ein völlig anderes Leben in einer etwas anders denkenden Umgebung.

Wenn zu meiner Schulzeit blinde Kinder integrativ an einer Regelschule unterrichtet wurden, dann war das etwas ganz besonderes. Schüler, die mitten in der Schullaufbahn aus der Regelschule auf das Internat für blinde Schüler wechselten, erlebten oft den Schock ihres Lebens. Denn oft wird der Focus auf den Schulstoff gelegt, und die Selbständigkeit eher stiefmütterlich behandelt. Ich habe Schüler erlebt, die ein super Zeugnis hatten, jedoch nicht in der Lage waren alleine von einem Raum zum Nächsten zu gehen, weil sie stets von Mitschülern oder einem Schulbegleiter an die Hand genommen wurden. Und Orientierung muss man nicht nur in ein paar Stunden Training erlernen, sondern auch permanent üben.

Alle Welt spricht von Inklusiver Beschulung behinderter Kinder. Dabei betrachten die einen das als gemeinsamen Unterricht, andere als eine Möglichkeit der Kinder in ihren Familien zu bleiben. Soweit, so gut. Bei dieser Diskussion vermisse ich den Ausblick in die Zukunft. Ich denke, dass Eltern daran liegt, dass ihr Kind zu einem selbständigen Menschen heranwächst. Das sollte auch für Kinder mit einer Behinderung gelten. Und das funktioniert nicht, wenn man dem Kind alles aus der Hand nimmt, von dem man denkt, es könne ihm Schaden.

Kinder mit einer Sehbehinderung haben einen Anspruch auf Frühförderung, Mobilitätstraining und andere Fördermaßnahmen, die ihnen zur Selbständigkeit verhelfen sollen. Diese Maßnahmen erfolgen durch speziell ausgebildete Fachkräfte, die wissen wie blinde und sehbehinderte Menschen arbeiten, und wie man ihnen etwas vermitteln kann. Und sie bringen die Geduld mit einen etwas ausprobieren zu lassen, was im Elternhaus oft nicht stattfindet.

Liebe Angehörige und Freunde von Kindern mit einer Sehbehinderung,
wir arbeiten anders als Ihr. Daher ist es wichtig, dass Ihr die Geduld mitbringt den blinden Menschen seine Erfahrungen machen zu lassen. Das ist ganz wichtig, damit es irgendwann funktioniert, wenn Eure helfende Hand nicht mehr da ist. Und noch etwas: Regt Euch nicht darüber auf, wenn mal was daneben geht. Das kann man aufwischen. Außerdem ist es völlig unnötig jeden Handgriff des Blinden zu kommentieren. Niemand mag es, wenn er oder sie unter Beobachtung steht. Ich persönlich kann bis heute nicht arbeiten, wenn ich das Gefühl habe, dass mir jemand auf die Finger schaut. Auch wenn es nicht so gemeint ist, fühlt es sich an wie in einer Art Prüfung. Und wenn Ihr Euch an Eure eigenen mündlichen oder praktischen Prüfungen erinnert, fragt Euch wie sich das angefühlt hat.

Für Euer Verständnis bedankt sich Eure Lydia

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Allgemein Alltag Bildung blinde Eltern

Ranzenpost und Formulare bei blinden Eltern

Meine erste E-Mail-Adresse bekam ich 2003, gemeinsam mit einer Einführung in die Bedienung eines E-Mail-Programms und meinen ersten Gehversuchen im Internet. Eigentlich geschah das mehr aus Neugierde, als aus einer Notwendigkeit heraus. Denn bisher reichten mir für das, was ich zu tun hatte, die Kommunikation in Form von Telefon, Fax oder Papierpost. Gedruckte Briefe ließ ich mir entweder vorlesen, oder ich scannte sie ein, und ließ meinen Computer die gedruckten Buchstaben in Sprache oder Braille umwandeln. Und wenn ich etwas verschickte, dann schrieb ich diesen am PC, druckte ihn aus, oder schickte ihn per Fax weg. Gepaart mit dem guten alten Telefon war das für mich die Vorgehensweise, mit der ich gut gelebt habe.

Mit dem Einzug von E-Mail vereinfachte sich für mich die schriftliche Kommunikation. Bekam ich eine Info per Mail, brauchte ich diese nicht mühsam einzuscannen, und mögliche Fehlerquellen bei der Texterkennung einzukalkulieren. Ich hatte die Info quasi sofort. Es ersparte mir also nicht nur Papier, sondern auch viel Zeit. Denn Briefe in Papierform wollten eingescannt, in Braille beschriftet und richtig abgeheftet werden. Bei der E-Mail reichte eine übersichtliche Ordnerstruktur, um diese gezielt wiederzufinden. Außerdem besitzt mein PC eine Suchfunktion, mein Ordnerregal jedoch nicht.

Als meine Kinder in den Kindergarten kamen, bat ich die Mitarbeiter mir schriftliche Mitteilungen per E-Mail zu schicken. Das klappte mehr schlecht als recht. Für mich wäre es eine große Erleichterung gewesen. Denn ich kann Anhand eines Papiers, das im Fach meines Kindes liegt, nicht feststellen, ob es sich um ein gemaltes Bild oder einen Elternbrief handelt. Und ich kann auch keine Aushänge lesen. Ich musste viel fragen, und hoffen, dass mir keine wichtige Information, wie ein außerplanmäßiger Schließungstag, ein Elternabend oder ein „Wir haben Läuse im Haus“ entging. Manchmal halfen mir andere Eltern bei der Informationsbeschaffung.

Als meine Kinder in die Grundschule kamen, bekam ich immer mehr das Gefühl, das die Lehrkräfte E-Mails mehr fürchten als der Teufel das Weihwasser. Die einzige Mitarbeiterin, die ab und zu an mich dachte, war eine Mitarbeiterin im Sekretariat, die mir Mails schickte. Ein Lehrer meines Sohnes rief ab und zu an, wenn es ein Problem gab. Auch damit konnte ich gut leben. Aber oft genug musste ich mir anhören, dass die Kinder alt genug seien, um die Ranzenpost bei den Eltern abzugeben, oder das Elternheft zu zeigen.

Es gibt mehrere Informationsquellen, die man als Elternteil überblicken können muss. Da wäre einmal das Mitteilungsheft an die Eltern, in welches handschriftliche Mitteilungen gemacht werden können. Manche Lehrkräfte möchten, dass diese von den Eltern abgezeichnet werden. Dann gibt es die Elternmappe, in die das Kind Briefe der Schule oder Lehrkraft abheften soll. Und dann gibt es die losen Blätter, die viele Kinder vergessen in eben diese Mappe einzuheften. Und das sollen wir Eltern nach Möglichkeit kontrollieren. Denn mal Hand aufs Herz, wessen Kind im Grundschulalter ist so gewissenhaft, und gibt diese zuverlässig zeitnah an die Eltern weiter?

Eine sehende Mutter hat die Wahl selbst in den Schulranzen zu schauen oder die Verantwortung auf das Kind zu übertragen. Sie kann erkennen, ob es sich um ein Schreiben oder ein bemaltes Stück Papier handelt, ob etwas auszufüllen oder zu unterschreiben ist. Das kann ich nicht. Handschriftliche Mitteilungen sind für mich selbst mit meinen technischen Hilfsmitteln unlesbar. Eine Information, die per E-Mail zu mir kommt, kann ich ohne fremde Hilfe bearbeiten. Und da die meisten Elternbriefe ohnehin am PC erstellt werden, ist es kein Mehraufwand diese per E-Mail zu versenden.

Der Hort meiner Kinder hat das verstanden, und mir bei der Informationsbeschaffung geholfen. Für die Post aus der Grundschule fand ich Hilfe bei Miteltern oder bezahlte mir eine entsprechende Hilfe, die den Schulranzen regelmäßig durchsah.

Schwieriger wurde es auf der weiterführenden Schule. Hier gab es noch mehr Informationsquellen. Der Klassenlehrer meiner Tochter hat mir zu dem Zeitpunkt einen wertvollen Luxus geboten, indem er die Informationen für mich sammelte und lesbar machte. Ich besuchte den Elternsprechtag, und erklärte mehreren Lehrkräften, dass es schneller geht, wenn er oder sie per E-Mail mit mir Kontakt aufnimmt. Und die meisten verstanden das. Und das war auch gut so, da meine Kinder die Ordnung zeitweise nicht als ihren besten Freund ansahen.

Problematisch war die Kommunikation mit der Sorte Lehrkräfte, welche die Meinung vertraten, dass ein Kind in dem Alter selbst darauf achten müsse, dass die Informationen zu den Eltern kämen. Meine Bitte mir die für uns Eltern bestimmten Informationen in einer für mich als Eltern wahrnehmbaren Form zu Verfügung zu stellen artete auch schon mal in eine Grundsatzdiskussion über Selbstverantwortung der Kinder aus. Dabei sind wir einer Meinung, nämlich, dass Kindern ein bestimmtes ihrem Alter entsprechendes Maß an Verantwortung übertragen sollten. Dem gegenüber steht jedoch, dass ich meine Pflichten als Eltern wahrnehmen muss. Und das setzt vorraus, dass ich Informationen, die an mich als Eltern gerichtet sind, auch ohne die Hilfe meiner Kinder wahrnehmen kann. Das brauche ich, um meine Kinder auf dem Weg in ein selbständiges Leben zu unterstützen.

Meine Kinder sind inzwischen beinahe erwachsen, und können selbst darauf achten, dass ich relevante Informationen bekomme. Aber da draußen gibt es noch ganz viele Eltern, deren Kinder das noch nicht können. Und diese freuen sich über Mitteilungen ohne Barrieren.

Liebe Lehrer, Erzieher und alle Anderen, die mit Kindern blinder Eltern zu tun haben könnten!

Mitteilungen per Ranzenpost stellen eine Barriere dar, eine E-Mail oder ein Anruf der Schule nicht. Vor Allem macht Ranzenpost abhängig. Nämlich davon, dass das Kind diese abliefert, und davon, dass ein Formular nicht eigenhändig ausgefüllt werden kann. Und ich glaube nicht, dass das im Sinne des Lehrauftrags ist. Einfach fragen, und gemeinsam eine Lösung finden. Allerdings hören wir blinden Eltern Sätze wie „Das kann Ihnen jemand vorlesen“, oder „ihr Kind kann das ja machen“ überhaupt nicht gern. Denn auch wir sind in erster Linie Eltern mit Pflichten. Und unsere Kinder sind nicht dazu da, um die Behinderung zu kompensieren.

Eure Lydia

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Allgemein Alltag

Behinderung und Perfektionismus

Von je her habe ich einen leichten Hang zum Perfektionismus. Vor allem dann, wenn ich mich von normal sehenden Leuten beobachtet fühle. Es gibt Menschen, in deren Gegenwart ich nicht mehr in der Lage bin ein Glas Wasser unfallfrei einzuschenken, weil ich mich beobachtet fühle.

Lange Zeit habe ich geglaubt, dass es mir alleine so geht, und den Fehler allein bei mir gesucht. Ich habe lange gesucht, bis ich langsam dahinter gestiegen bin, womit dieses Problem zusammenhängt.

Ich bin in einem behüteten Haushalt aufgewachsen. Meine Mutter kümmerte sich um so ziemlich alles. Und insbesondere um mich, ihr blindes Kind, das es besonders zu umsorgen gilt. Ich glaube, meine Eltern machten sich keine Gedanken darüber, dass ich irgendwann alleine in der Lage sein musste mich zu versorgen oder so. Sie handelten einfach so, wie sie es für richtig hielten. Erst recht, da es in ihrem Umfeld niemanden gab, der ihnen erklärte, dass blinde Kinder sehr wohl in der Lage sind wie andere Kinder auch im Haushalt mitzuhelfen, sich ein Brot zu schmieren oder was sonst so anstand.

Mit neun Jahren wechselte ich auf eine Blindenschule mit Internat. Damit änderten sich viele Dinge in meinem Alltag. Hier gehörte es zum Alltag, dass wir unser Brötchen aufschneiden und streichen mussten. In jeder Woche waren zwei Schüler mit Küchendienst dran. Das bedeutete, dass wir morgens vor Schulbeginn das Geschirr vom Frühstück abwaschen, abtrocknen und wieder an seinen Platz stellen mussten. Bei den Mahlzeiten standen die Schüsseln mit den Beilagen auf dem Tisch, so dass sich jeder davon nehmen konnte. Gleiches galt auch für Getränke wie Tee oder Kakao, den wir uns selbst einschenkten. Ebenso achteten unsere Erzieherinnen darauf, dass wir alle das Besteck richtig hielten.

Meine Mitschüler kannten das alles schon, und waren nicht gerade zimperlich mit mir, die ich das alles noch nicht konnte. Das war für mich anfangs ziemlich schrecklich. Mein Glück war, dass ich ehrgeizig genug war, mir das Versäumte anzueignen, und unsere Erzieherinnen mir alles solange zeigten, bis ich die entsprechenden Handgriffe beherrschte. Einen Satz wie „Ich mach das mal eben für Dich“, bekam ich in dieser Zeit nie von ihnen zu hören.

Im Alter von 13 Jahren wechselte ich auf das Gymnasium nach Marburg. Zum dortigen Schulkonzept gehörte nicht nur der Schulstoff, der allen Schülern standardmäßig vermittelt wird, sondern auch einige zusätzliche Dinge, die uns blinden und sehbehinderten Schülern ein selbständiges Leben ermöglichen sollten. Damals war es so, dass wir mit 10 Schülern und vier Betreuern auf dem Schulgelände untergebracht waren. In dieser Zeit standen Mobilitätstraining und Lebenspraktischefertigkeiten wie Essen, Kochen usw. auf dem Stundenplan. Das passierte im Einzelunterricht, da jeder einen anderen Bedarf hat.

Nach zwei Jahren wechselte ich in eine Wohngruppe, die in der Stadt war, so dass mein Schulweg mit Stadtbus und Fußweg etwa 25 Minuten betrug. Wir bekamen eine Haushaltskasse und sorgten selbst für Frühstück, Abendbrot und Wochenenden. Wir waren sieben oder acht Schüler mit drei Betreuern, von denen eine ihre Wohnung über unserer WG hatte.

Mit 18 Jahren wechselte ich in eine Gruppe mit insgesamt vier Schülern. Wir hatten nur noch eine Betreuerin, die wir in der Regel zweimal wöchentlich sahen. Einmal zur Gruppenbesprechung, und einmal im Einzelgespräch für spezielle Belange. Zusätzlich hatten wir eine Putzhilfe, die sich um die gemeinschaftlich genutzten Bereich wie Küche, Bad und Flur kümmerte. Unsere eigenen Räume mussten wir selbst sauber halten. Wer damit nicht zurechtkam, konnte bei unserer Betreuerin Hilfe zur Selbsthilfe einfordern.

Diese Entwicklung zur Selbständigkeit fand leider ohne meine Eltern statt. D.h. für sie blieb ich nach wie vor das hilfsbedürftige Kind, welches intelligent genug war, um das Abitur zu bestehen, jedoch Hilfe bei der Erledigung einfachster Handreichungen brauchte. Manchmal rebellierte ich dagegen. Dann sollte ich mein Glas eben selbst einschenken. Aber ich wurde beobachtet, und mein Tun kommentiert. Und wenn dann doch mal ein paar Tropfen daneben gingen, was übrigens in den besten Familien vorkommt, dann war meine Sehbehinderung daran schuld.

„Ich mach das schnell, denn ich sehe ja“, ist ein Satz, der mich seither begleitet. Lange Zeit dachte ich, ich könnte das beeinflussen, indem ich besonders gute Leistungen ablieferte. Jahrelang glaubte ich, ich muss 200prozentige Leistung erbringen, um wenigstens 50prozentige Anerkennung zu erfahren. Es hat viele Jahre, viel Arbeit an mir selbst und gute Freunde gebraucht, um zu begreifen, dass das der falsche Weg war. Ich habe damit nur mich selbst unter Druck gesetzt. Und damit ist auf Dauer keinem geholfen.
Liebe normal Sehende, die Ihr diesen Satz gern verwendet,
habt Ihr Euch mal Gedanken darüber gemacht, wie er bei Eurem Gegenüber ankommt? Ich will einfach glauben, dass Ihr nicht die Absicht hattet Euer Gegenüber klein zu machen. Vielleicht nutzt Ihr künftig mal einen anderen Satz wie: „Darf ich Dir Zucker in den Kaffee tun“? Oder „Wäschst Du ab oder ich“, so wie Ihr das bei einer Person ohne Behinderung machen würdet. Und Bitte, wenn mal was daneben geht, oder tropft, so ist das kein Drama. Spart Euch also Kommentare wie: „Hätte ich das gemacht, wäre das nicht passiert“.

Ich muss niemandem mehr etwas beweisen. Wenn mir jemand Hilfe anbietet, dann nehme ich sie gern an. Ich muss in keiner fremden Umgebung die Zuckerdose selbst suchen, wenn meine sehende Freundin mir anbietet das für mich zu machen. Und wenn ich bei Menschen bin, die seit Jahrzehnten nicht verstehen wollen, dass ich nicht mehr das absolut hilfebedürftige blinde Mädchen bin, bitte, dann lasse ich mich auch mal bedienen. Das schont meine Nerven und spart meine Energie, die ich darauf verwenden kann andere Dinge zu tun.

So wie mir geht es vielen Menschen mit Behinderung, deren Umwelt sie auf die Dinge reduziert, die sie ihrer Meinung nach nicht können. Und jeder versucht seinen eigenen Umgang damit zu finden. Je nach Wesen des Betroffenen. Dabei brauchen wir Menschen mit Behinderung weder Mitleid, noch permanentes Bemuttern. Was wir brauchen sind Menschen, die uns helfen uns selbst zu helfen. Und wir brauchen Menschen, die nicht nur die Behinderung als unsere Haupteigenschaft sehen, sondern auch unsere anderen Eigenschaften. Ich beispielsweise bin nicht nur blind, sondern schwarzhaarig, habe braune Augen, bin eine Leseratte, Strickerin und Bloggerin.

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Allgemein Alltag

Von meinem ersten Versuch einen Kuchen zu backen

Meine Freundin Jenny und ich lernten uns in der siebten Klasse kennen. Wir hatten Schulen für blinde Kinder aus unterschiedlichen Bundesländern besucht. Und jetzt besuchten wir beide das Gymnasium an der Blista in Marburg. Wir sahen total gegensätzlich aus. Dennoch verwechselte man uns ständig. Wahrscheinlich lag es daran, dass wir während der Schulzeit zusammen hingen, in der Schule nebeneinander saßen und auch einen Großteil unserer Freizeit zusammen verbrachten.
Marburg war zu weit weg, um täglich nach Hause zu fahren. Daher lebten wir Schüler in einem Internat. Genauer gesagt in Wohngruppen, die in den ersten beiden Jahren aus etwa zehn Schülerinnen und Schülern und vier Betreuern bestanden. Sowohl meine Wohngruppe, als auch die, in der Jenny wohnte, befanden sich auf dem Schulgelände. Das hieß für uns, dass wir einen kurzen Schulweg hatten, zum zweiten aber auch, dass Jenny und ich uns jederzeit gegenseitig besuchen konnten. Wir waren beide in der Pubertät, und taten all das, was andere Kinder in diesem Alter eben tun.