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Die blinde Mutter und der Autokauf

Ich habe mich nie besonders für Autos interessiert. Für mich war das ein Gehäuse auf vier Rädern. Auch die meisten Autotypen sagten mir wenig. Ich glaube, ich hatte ebenso viel Ahnung von den Eigenschaften eines Autos wie ein normal sehender Mensch von den Unterschieden bei der Brailleschrift.
Als ich klein war, hatten wir ein Auto in der Familie, welches von meinem Vater gefahren wurde. Meine Mutter erledigte ihren Alltag komplett ohne Auto. Und auch ich lernte ohne Auto zu denken. Und wenn ich doch mal einen Ort erreichen musste, der mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht erreichbar war, nahm ich mir ein Taxi, oder organisierte mir ein Auto inklusive Fahrer. Als meine Kinder im Vorschulalter waren, wurde das Auto noch mal interessant. Ich bezahlte eine Assistenz dafür mit mir den Familieneinkauf, den ich alleine nicht nach Hause tragen konnte, zu erledigen. Und wenn mein Sohn am Wochenende zu einem Treffpunkt für sein Fußballspiel musste, dann war ich auf die Hilfe von anderen Eltern angewiesen, oder ich bezahlte ein Taxi.
Auch meine Kinder lernten ohne Auto zu denken. Während ihrer Grundschulzeit war alles in meiner Heimatstadt zu Fuß erreichbar. Und als sie älter wurden, durften sie das Fahrrad benutzen. Dadurch erweiterte sich ihr Aktionsradius. Denn die weiterführende Schule war in der Nachbarstadt. Bei gutem Wetter fuhren sie mit dem Fahrrad hin, während sie im Winter den Bus nahmen. Wenn es mal richtig stark regnete, dann fanden wir entweder andere Miteltern, die meine Kinder mitnahmen, oder ich bestellte ihnen ein Taxi.
Mit 17 Jahren machte meine Tochter ihren Motorradführerschein. Dadurch erweiterte sich ihr Aktionsradius noch mal. Für sie war das wichtig, da das Einzugsgebiet ihrer aktuellen Schule sich vergrößert hatte, und der ÖPNV in manchen Situationen sehr zeitaufwändig war. Jetzt war es auch mal möglich für vier Freistunden nach Hause zu fahren, was mit dem Bus kompletter Unsinn war.
Anfang 2018 bekam sie nun ihren PKW-Führerschein. Endlich hatten wir jemanden in der Familie, der ein Auto fahren durfte. Aber woher jetzt ein Auto bekommen? Mein Mann und ich hatten versäumt uns mit der Materie Auto auseinanderzusetzen. Und jetzt bekamen wir die Rechnung präsentiert. Wir brauchten jemanden, der gemeinsam mit uns nach einem passenden PKW suchte. Und hier lag das Problem. Auf einmal hatten wir im sozialen Umfeld ganz viele selbst ernannte Experten, die uns mit so vielen Ratschlägen bombardierten, dass mir jedes Mal der Kopf schwirrte. Wir fuhren Gebrauchtwagenhändler ab, machten Termine mit verschiedenen Privatleuten, die Autos verkauften, um dann festzustellen, dass das Angebot sich vom tatsächlichen Objekt unterschied. Hurra, es lebe die Bildbearbeitung! Ein Verkäufer wollte uns sogar weiß machen, er habe das falsche Auto fotografiert. Schade, dass ich zu dem Zeitpunkt keine Visitenkarte vom ansässigen Blindenverband dabeihatte.
Mit dem Autokauf fühlte ich mich völlig überfordert. Vielleicht könnte man das mit einem nicht blinden Menschen vergleichen, der eine geeignete Braillezeile für einen Blinden aussuchen soll. Dabei konnte es doch kein Hexenwerk sein, ein Auto zu kaufen. Oder vielleicht doch? Und so langsam lief uns die Zeit davon.
Irgendwann telefonierte ich mit einem Bekannten, und sprach das Thema an. Dieser kannte sich aus, und hatte Freunde im Autohandel, die er fragen würde. Wir brauchten einen Gebrauchtwagen, der fahrtüchtig und ohne Bastelbedarf war. Eine Woche später fuhren meine Tochter und ich zu ihm nach Düsseldorf, wo wir eine Auswahl in Frage kommender Autos fanden. Wir entschieden uns für eines, und wurden handelseinig. Ich würde die Hälfte des Geldes überweisen, danach würden die Fahrzeugpapiere zu uns geschickt, und der Kaufvertrag aufgesetzt. Danach konnten wir hier das Auto versichern, anmelden, und anschließend in Düsseldorf abholen.
Es dauerte eine Woche, bis wir die Unterlagen hatten und eine Versicherung gefunden hatten.
Jetzt musste das Auto noch von Düsseldorf nach Frankfurt. Meine Tochter war Fahranfängerin. Daher wollte ich nicht, dass sie diese Strecke allein fuhr. Für 300 € hätte der Händler es uns auch geliefert. Doch wollte ich das Geld nicht ausgeben. Am Ende konnte ich eine Freundin der Familie dafür gewinnen das Auto gemeinsam mit mir zu fahren.
Diese Freundin fuhr mit mir zur Zulassungsstelle nach Langen, um das Auto anzumelden. Die dortigen Mitarbeiter hatten wohl noch nie einen blinden Menschen live und in Farbe gesehen. Jedenfalls erfüllten sie alle gängigen Klischees. Sie sprachen mit meiner sehenden Begleiterin, wenn sie etwas wissen wollten. Einige starrten mich an, als hätte ich eine neue Warze auf der Nase. Und gleich mehrere Mitarbeiter stellten meiner Freundin die Frage, ob sie mir bei der Unterschrift die Hand führen würde. Nein, tut sie nicht. Sie zeigt mir wo die Unterschrift hin soll.
Am nächsten Tag fuhren wir mit dem Zug nach Düsseldorf, und holten das Auto ab. Ein kleines Auto, das für uns alle Platz bietet, und meinen Kindern einen größeren Aktionsradius ermöglicht.

Was hat sich für mich seitdem geändert
In meinem Alltag hat sich nicht viel geändert. Ich bewege mich nach wie vor ohne Auto durch meinen Alltag. Die Ausnahme bildet der Großeinkauf, den wir jetzt mit dem Auto erledigen können. Außerdem können wir hin und wieder mal einen Ausflug an einen der naheliegenden Baggerseen machen. Diese sind für mich ohne Auto oder Fahrrad unerreichbar. Und wenn wir unterwegs sind, brauche ich mir keine Gedanken zu machen, dass ich zu jeder Zeit mein Gepäck selbst tragen können muss. Das Auto ist ein kleines Bonbon für meine Familie. Aber es wird nie meinen Alltag beherrschen. Dafür liebe ich meine Mobilität und Unabhängigkeit zu sehr.

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Ranzenpost und Formulare bei blinden Eltern

Meine erste E-Mail-Adresse bekam ich 2003, gemeinsam mit einer Einführung in die Bedienung eines E-Mail-Programms und meinen ersten Gehversuchen im Internet. Eigentlich geschah das mehr aus Neugierde, als aus einer Notwendigkeit heraus. Denn bisher reichten mir für das, was ich zu tun hatte, die Kommunikation in Form von Telefon, Fax oder Papierpost. Gedruckte Briefe ließ ich mir entweder vorlesen, oder ich scannte sie ein, und ließ meinen Computer die gedruckten Buchstaben in Sprache oder Braille umwandeln. Und wenn ich etwas verschickte, dann schrieb ich diesen am PC, druckte ihn aus, oder schickte ihn per Fax weg. Gepaart mit dem guten alten Telefon war das für mich die Vorgehensweise, mit der ich gut gelebt habe.

Mit dem Einzug von E-Mail vereinfachte sich für mich die schriftliche Kommunikation. Bekam ich eine Info per Mail, brauchte ich diese nicht mühsam einzuscannen, und mögliche Fehlerquellen bei der Texterkennung einzukalkulieren. Ich hatte die Info quasi sofort. Es ersparte mir also nicht nur Papier, sondern auch viel Zeit. Denn Briefe in Papierform wollten eingescannt, in Braille beschriftet und richtig abgeheftet werden. Bei der E-Mail reichte eine übersichtliche Ordnerstruktur, um diese gezielt wiederzufinden. Außerdem besitzt mein PC eine Suchfunktion, mein Ordnerregal jedoch nicht.

Als meine Kinder in den Kindergarten kamen, bat ich die Mitarbeiter mir schriftliche Mitteilungen per E-Mail zu schicken. Das klappte mehr schlecht als recht. Für mich wäre es eine große Erleichterung gewesen. Denn ich kann Anhand eines Papiers, das im Fach meines Kindes liegt, nicht feststellen, ob es sich um ein gemaltes Bild oder einen Elternbrief handelt. Und ich kann auch keine Aushänge lesen. Ich musste viel fragen, und hoffen, dass mir keine wichtige Information, wie ein außerplanmäßiger Schließungstag, ein Elternabend oder ein „Wir haben Läuse im Haus“ entging. Manchmal halfen mir andere Eltern bei der Informationsbeschaffung.

Als meine Kinder in die Grundschule kamen, bekam ich immer mehr das Gefühl, das die Lehrkräfte E-Mails mehr fürchten als der Teufel das Weihwasser. Die einzige Mitarbeiterin, die ab und zu an mich dachte, war eine Mitarbeiterin im Sekretariat, die mir Mails schickte. Ein Lehrer meines Sohnes rief ab und zu an, wenn es ein Problem gab. Auch damit konnte ich gut leben. Aber oft genug musste ich mir anhören, dass die Kinder alt genug seien, um die Ranzenpost bei den Eltern abzugeben, oder das Elternheft zu zeigen.

Es gibt mehrere Informationsquellen, die man als Elternteil überblicken können muss. Da wäre einmal das Mitteilungsheft an die Eltern, in welches handschriftliche Mitteilungen gemacht werden können. Manche Lehrkräfte möchten, dass diese von den Eltern abgezeichnet werden. Dann gibt es die Elternmappe, in die das Kind Briefe der Schule oder Lehrkraft abheften soll. Und dann gibt es die losen Blätter, die viele Kinder vergessen in eben diese Mappe einzuheften. Und das sollen wir Eltern nach Möglichkeit kontrollieren. Denn mal Hand aufs Herz, wessen Kind im Grundschulalter ist so gewissenhaft, und gibt diese zuverlässig zeitnah an die Eltern weiter?

Eine sehende Mutter hat die Wahl selbst in den Schulranzen zu schauen oder die Verantwortung auf das Kind zu übertragen. Sie kann erkennen, ob es sich um ein Schreiben oder ein bemaltes Stück Papier handelt, ob etwas auszufüllen oder zu unterschreiben ist. Das kann ich nicht. Handschriftliche Mitteilungen sind für mich selbst mit meinen technischen Hilfsmitteln unlesbar. Eine Information, die per E-Mail zu mir kommt, kann ich ohne fremde Hilfe bearbeiten. Und da die meisten Elternbriefe ohnehin am PC erstellt werden, ist es kein Mehraufwand diese per E-Mail zu versenden.

Der Hort meiner Kinder hat das verstanden, und mir bei der Informationsbeschaffung geholfen. Für die Post aus der Grundschule fand ich Hilfe bei Miteltern oder bezahlte mir eine entsprechende Hilfe, die den Schulranzen regelmäßig durchsah.

Schwieriger wurde es auf der weiterführenden Schule. Hier gab es noch mehr Informationsquellen. Der Klassenlehrer meiner Tochter hat mir zu dem Zeitpunkt einen wertvollen Luxus geboten, indem er die Informationen für mich sammelte und lesbar machte. Ich besuchte den Elternsprechtag, und erklärte mehreren Lehrkräften, dass es schneller geht, wenn er oder sie per E-Mail mit mir Kontakt aufnimmt. Und die meisten verstanden das. Und das war auch gut so, da meine Kinder die Ordnung zeitweise nicht als ihren besten Freund ansahen.

Problematisch war die Kommunikation mit der Sorte Lehrkräfte, welche die Meinung vertraten, dass ein Kind in dem Alter selbst darauf achten müsse, dass die Informationen zu den Eltern kämen. Meine Bitte mir die für uns Eltern bestimmten Informationen in einer für mich als Eltern wahrnehmbaren Form zu Verfügung zu stellen artete auch schon mal in eine Grundsatzdiskussion über Selbstverantwortung der Kinder aus. Dabei sind wir einer Meinung, nämlich, dass Kindern ein bestimmtes ihrem Alter entsprechendes Maß an Verantwortung übertragen sollten. Dem gegenüber steht jedoch, dass ich meine Pflichten als Eltern wahrnehmen muss. Und das setzt vorraus, dass ich Informationen, die an mich als Eltern gerichtet sind, auch ohne die Hilfe meiner Kinder wahrnehmen kann. Das brauche ich, um meine Kinder auf dem Weg in ein selbständiges Leben zu unterstützen.

Meine Kinder sind inzwischen beinahe erwachsen, und können selbst darauf achten, dass ich relevante Informationen bekomme. Aber da draußen gibt es noch ganz viele Eltern, deren Kinder das noch nicht können. Und diese freuen sich über Mitteilungen ohne Barrieren.

Liebe Lehrer, Erzieher und alle Anderen, die mit Kindern blinder Eltern zu tun haben könnten!

Mitteilungen per Ranzenpost stellen eine Barriere dar, eine E-Mail oder ein Anruf der Schule nicht. Vor Allem macht Ranzenpost abhängig. Nämlich davon, dass das Kind diese abliefert, und davon, dass ein Formular nicht eigenhändig ausgefüllt werden kann. Und ich glaube nicht, dass das im Sinne des Lehrauftrags ist. Einfach fragen, und gemeinsam eine Lösung finden. Allerdings hören wir blinden Eltern Sätze wie „Das kann Ihnen jemand vorlesen“, oder „ihr Kind kann das ja machen“ überhaupt nicht gern. Denn auch wir sind in erster Linie Eltern mit Pflichten. Und unsere Kinder sind nicht dazu da, um die Behinderung zu kompensieren.

Eure Lydia

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Die Behinderung der Eltern ausnutzen

Es gibt eine Frage, die viele neue Bekanntschaften von mir beschäftigt, sobald sie wissen, dass nicht nur ich blind bin, sondern auch mein Mann eine Sehbehinderung hat. Die Leute mit großem Mundwerk stellen sie sofort, andere brauchen lange dafür. Aber in beiden Kategorien brodelt die Frage: „Nutzen die Kinder Eure Behinderung nicht auch schon mal aus“? 
Liebe Miteltern, Lehrer und Erzieher!

haben Eure Kinder noch nie eine Schwäche von Euch ausgenutzt, um etwas zu erreichen? 
Ich denke, dass jeder lösungsorientiert denkende Mensch sich überlegt wie er möglichst schnell an ein bestimmtes Ziel kommen kann. Und dabei werden selbstverständlich Schwachpunkte des Gegenübers einkalkuliert. Für den Versicherungsvertreter mag das der Vertragsabschluss für eine Haftpflichtversicherung sein, für ein Kind das Stückchen Schokolade, dass es stibitzen kann, ohne dass die Eltern es merken. 
Wenn ich mir das bewusst mache, kann ich die Frage mit einem klaren Nein beantworten. Denn wenn mein Kind eine weitere Scheibe der Lieblingswurst vom Tisch nimmt, oder die ungeliebte Käsescheibe wieder zurück auf den Teller legt, dann tut es das nicht mit dem Gedanken: „Die ist ja blind, mit der kann ich es machen“, sondern eher mit dem Gedanken „Ich mag Wurst lieber als Käse. Mal sehen ob Mama das merkt“. 
Lösungsorientierte Kinder suchen nach Möglichkeiten ein Ziel zu erreichen. Und sie sind lernfähig. Sie erkennen, dass Mama weniger sieht als Papa, dass man ihr einen Gegenstand in die Hand gibt, oder sie beschreibt, da Draufzeigen keinen Erfolg haben. 
Jedes Elternteil hat Stärken und Schwächen. Und da Kinder lernfähig sind, lernen sie diese einzuschätzen und ihr Handeln danach auszurichten.

Dafür galt, dass ich vieles, was die Kinder taten, nicht sehen konnte. Dafür habe ich vieles gehört. Ich weiß noch, als meine Tochter in der ersten Klasse ihrer Freundin erzählte, dass sie leise sprechen müssten, da ihre Mama sonst mithört. 
Aber auch ich bin lernfähig. Wenn ich nicht will, dass meine Kinder heimlich an Süßigkeiten gehen, dann habe ich sie auch nicht in großen Mengen zuhause. Oder ich bewahre sie für Kinder unerreichbar auf. Gleiches gilt für Putzmittel, Medikamente und andere Gefahren. 
Kommen wir mal zum Angstfaktor „Digitale Medien“. Wir hatten einen Fernseher. Und der stand im Wohnzimmer. Diesen habe ich nie verteufelt, sondern mir gemeinsam mit meinen Kindern Filme angesehen. Heimlich Fernsehen war sozusagen uninteressant. Und wenn man das reglementieren will, so bietet die Technik diverse Hilfsmittel an, die das ermöglichen. Gleiches gilt für den Computer, den meine Kinder hatten. Ein Smartphone hatten meine Kinder erst zu einem Zeitpunkt, als ich sie nicht mehr reglementieren wollte. Sie hatten inzwischen gelernt welche Seiten man besser nicht aufruft, und wie man mit persönlichen Daten umgehen sollte. 

Problematisch wurde es, als meine Kinder in die Schule kamen, und ich Arbeiten und andere Mitteilungen abzeichnen sollte. Ich habe es so gehalten, dass ich nichts unterschrieben habe, was ich nicht selbst lesen konnte. Kamen die entsprechenden Nachrichten nicht per E-Mail zu mir, so ließ ich sie mir von einer dritten Person vorlesen. Das war mir wichtig, um sämtliche Versuche meine Behinderung ausnutzen zu wollen, im Vorfeld zu vermeiden. Gleichzeitig habe ich meinen Kindern immer wieder gepredigt, dass schlechte Nachrichten kein Weltuntergang sind. Und sie sind nur halb so schlimm, wenn ich es vom Kind selbst erfahre. Es war ein langer Prozess, hat sich aber letztlich bezahlt gemacht. Heute kann ich darauf vertrauen, dass ich die Nachrichten aus erster Hand und ungefiltert bekomme. Dafür bin ich dankbar. Denn ich weiß, dass nicht alle Eltern dieses Glück haben, und nicht alle Kinder sich trauen schlechte Nachrichten mit nach Hause zu bringen, aus Angst vor strafen oder Liebesentzug. 
Kurz, ich bin in erster Linie Mutter. Ich habe zwei Kinder, mit allen Eigenschaften, die sie als Kinder mitbringen. Und ich habe ihnen vorgelebt, dass der Überbringer schlechter Nachrichten nicht gleich enthauptet wird. Und noch etwas: Ein Kind veräppelt mich nicht aufgrund meiner Behinderung, sondern aufgrund eines Ziels, welches es gerade jetzt erreichen will. Und es ist an mir als der erfahreneren Mutter das nicht zu persönlich zu nehmen. Ich will einfach glauben, dass meine Kinder mir zu keinem Zeitpunkt wirklich wehtun wollten. 

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Blinde Eltern, sehende Kinder, Teil 3

Kleidung und Wäschepflege

Als mich zum ersten Mal jemand fragte wie ich das mit dem Anziehen meiner Kinder mache, war ich zunächst etwas hilflos. Ich wusste nicht wie die Frage gemeint war. Ich glaube heute, dass die Fragestellerin wissen wollte wie ich die Kleider meiner Kinder zusammenstelle. Und damit ergibt diese Frage wieder einen Sinn für mich.
Während des Babyalters stellte sich mir diese Frage oft nicht. Ich habe entweder praktische Einteiler als Strampler benutzt, oder auch schon mal zusammenpassende Outfits gekauft. Damit war garantiert, dass die Sachen farblich aufeinander abgestimmt waren. Hier waren Freunde, Verwandte und Verkäufer meine besten Berater, da mein Mann und ich beide keine Farben erkennen können. Für mich war wichtiger, dass die Kleidung praktisch war. Und wer schon mal ein ausgelaufenes Kind, oder ein quengelndes Baby gewickelt hat, der weiß wovon ich rede. Bodys oder Strampler, die man schnell aufknöpfen kann, sind in der Handhabung nun mal Zeitsparender als solche, die man binden oder erst mühsam über den Kopf ziehen muss. An dieses Prinzip habe ich mich sehr lange gehalten. Auch später noch, als meine Kinder schon liefen, hieß das Zauberwort Zeitersparnis. Jeder, der sein Kind schon mal auf einem Spielplatz oder in einem Restaurant umziehen musste kennt das sicherlich.
Als meine Kinder mehr auf Spielplätzen unterwegs waren, galt das Prinzip, dass die Kleidung so beschaffen sein musste, dass sie Schlammschlachten jeglicher Art standhalten musste. Viele Sachen stammten aus Secondhandläden oder vom Discounter. Das schonte meine Nerven und meinen Geldbeutel, wenn die Sachen mal kaputt gingen.
Sätze wie „Mach Dich nicht schmutzig“ haben meine Kinder auf dem Spielplatz oder so nie zu hören bekommen. Dafür habe ich ihnen nie zweimal hintereinander dieselbe Kleidung angezogen. Denn auch wenn sie sich noch sauber anfühlte, musste sie nicht auch wirklich sauber sein. Ich habe die Kleidung lieber einmal mehr prophylaktisch gewechselt. Denn ich wollte sicher sein, dass meine Kinder das Haus mit sauberen Kleidern und gepflegtem Äußerem verließen. Und da ich zu dieser Zeit berufstätig war, waren Waschmaschine und Timer meine besten Freunde.
In diesem Alter haben meine Kinder auch schon mal selbst Wünsche geäußert welches Oberteil sie zu welcher Hose anziehen wollten. Auf diese Weise haben sie so allmählich ihren eigenen Geschmack entwickelt. Die Sachen, die sie nicht anziehen durften, wurden so platziert, dass die Beiden sie nicht gleich gesehen haben. Das waren die sogenannten Guten Sachen.
Irgendwann begannen wir die Kleidung gemeinsam einzukaufen. Das war zwar anfangs etwas anstrengend, jedoch sehr effektiv. Vor allem wenn wir eine gute Verkaufsberatung hatten, die etwas Geduld mitbrachte. Dafür suchte ich mir gern Zeiten aus, wo nicht so viel in den entsprechenden Läden los war. Ich nahm lange Zeit nur ein Kind mit, da das einfacher zu handhaben war. Das änderte sich jedoch mit dem Eintritt in die Grundschule. Da konnten wir gemeinsam einkaufen gehen.
Wenn etwas Besonderes gebraucht wurde, dann suchte ich in meinem sozialen Umfeld nach einer sehenden Begleitung, oder ich bezahlte jemanden dafür, dass er mir assistierte. Auch das fällt für mich unter den Begriff Elternassistenz.
Mit dem Eintritt in die Grundschule begann ich auch mehr auf die Kleidung meiner Kinder zu achten. D.h., dass ich eine sehende Assistenz damit beauftragte die Kleidung auf nicht fühlbare Mängel durchzusehen. Ich wollte auf diese Weise verhindern, dass meine Kinder aufgrund ihrer Kleidung ausgegrenzt wurden. Denn es heißt nicht umsonst, dass Kleider Leute machen.
Irgendwann begann ich damit meine Kinder ihre ‚Sachen‘ alleine aussuchen zu lassen. Sie durften über Schnitt und Farbe entscheiden, ich über den Preis und die Qualität. Das war für uns alle ein weiterer Schritt in die Unabhängigkeit. Der nächste Schritt war dann, dass meine Kinder alleine in ein bestimmtes Geschäft gehen durften. Dort haben sie sich Sachen ausgesucht, die wir besprochen hatten. Ich bin nur noch hingegangen, um das ganze abzusegnen und zu bezahlen.
Ich bin kein großer Freund von stundenlangem Schoppen. Dazu bin ich einfach zu ungeduldig. Daher habe ich mich stets gefreut, wenn meine Kinder ihren Einkauf eigenständiger gemacht haben. Inzwischen machen sie das in Eigenregie. Ich kann also mitgehen, muss es aber nicht.