Kategorien
Allgemein Alltag Bildung unterwegs

Der Tag des weißen Stocks 

Einen schönen Tag des weißen Stocks!

 

Heute feiern wir etwas ganz Besonderes – den White Cane Safety Day. Also: reden wir mal ganz einfach darüber, was es mit diesem weißen Stock eigentlich auf sich hat, warum er so wichtig ist und warum man besser keine voreiligen Schlüsse zieht, wenn man jemanden damit sieht.

 

Was ist der weiße Stock überhaupt?

Der weiße Stock ist nicht einfach nur ein Stock, den blinde oder sehbehinderte Menschen mit sich herumtragen. Nein, er ist viel mehr als das! Er ist sozusagen unsere Augen am Boden, unser Freiheitsstock und manchmal auch einfach unser treuer Reisebegleiter.

 

Mit dem Stock können wir spüren, was vor uns liegt: Stufen, Bordsteine, Pfosten, Löcher oder andere kleine Überraschungen, die die Welt so bereithält. Er hilft uns, sicher und selbstbewusst unterwegs zu sein – auch wenn wir nicht sehen können, was vor uns liegt.

 

Gleichzeitig zeigt der weiße Stock anderen: Diese Person sieht nicht so gut. Er erinnert Autofahrer und Passanten daran, etwas vorsichtiger und geduldiger zu sein.

 

Und falls du mal einen weißen Stock mit einem roten Ring oder einer roten Spitze siehst: Das bedeutet, dass die Person vielleicht zusätzlich eine Hörbeeinträchtigung hat.

 

Warum ist der weiße Stock so wichtig?

  1. Selbstständigkeit

Der Stock gibt uns Freiheit. Er ermöglicht es blinden und sehbehinderten Menschen, sich alleine zu bewegen, ohne ständig jemanden an der Seite zu brauchen.

  1. Sicherheit

Er warnt uns vor allem, was sich am Boden verändert – Bordsteine, Stufen, Löcher oder diese fiesen Mülltonnen, die plötzlich mitten im Weg stehen. So bleiben wir sicher unterwegs.

  1. Aufmerksamkeit für andere

Wenn Leute den weißen Stock sehen, verstehen sie: Diese Person sieht nicht gut und braucht vielleicht etwas mehr Platz oder Geduld. Das hilft, Missverständnisse und kleine Unfälle zu vermeiden.

  1. Symbol

Der weiße Stock steht für Stärke, Würde und Mut. Er zeigt: Blindheit ist keine Schwäche – sie ist eine andere Art, sich anzupassen, selbstbewusst und unabhängig zu sein.

 

Warum man keine voreiligen Schlüsse ziehen sollte

 

Bitte denkt daran: Nur weil jemand einen weißen Stock benutzt, heißt das nicht automatisch, dass er oder sie gar nichts sieht. Manche sehen ein bisschen, andere gar nichts – und das ist völlig in Ordnung. Der Stock ist für Sicherheit da, nicht für Aufmerksamkeit.

 

Und nein, er ist kein modisches Accessoire oder schicker Gehstock. Es ist ein wichtiges Hilfsmittel für unsere Mobilität.

 

Also: nicht starren, kein Mitleid, und bitte nicht einfach am Arm packen. Wenn du helfen willst, frag einfach kurz nach – das ist immer die freundlichste Art zu unterstützen.

 

Und falls du im Auto sitzt: Bitte hupe keine blinde Person an. Das bringt nichts, weil sie das Hupen nicht richtig zuordnen kann – und im schlimmsten Fall erschreckt es nur. Sprich sie lieber direkt an, das ist viel hilfreicher und respektvoller.

 

Und noch etwas: Wenn du etwas von einer blinden Person wissen möchtest, dann sprich sie bitte selbst an – nicht ihre sehende Begleitung. Blinde Menschen können sehr wohl für sich selbst sprechen. Es ist respektvoller und zeigt, dass du sie ernst nimmst.

 

Und ja, vielleicht lächelst du jemanden mit weißem Stock an, und die Person sieht es gar nicht. Aber weißt du was? Es zählt trotzdem. Denn du hast gelächelt – und das ist schon ein schönes Zeichen von Respekt und Freundlichkeit.

 

Zum Schluss

 

Am White Cane Safety Day denken wir daran, dass der weiße Stock kein einfacher Stock ist. Er ist Werkzeug, Signal und Symbol zugleich.

 

Er gibt blinden und sehbehinderten Menschen die Möglichkeit, sich frei zu bewegen, zu leben, die Welt zu entdecken und gesehen zu werden in einer Welt, die oft nur für Sehende gemacht ist.

 

Der weiße Stock steht für Freiheit, Selbstständigkeit und Stolz.

 

Also: Lasst uns weiter lernen, verstehen und Bewusstsein schaffen – denn wenn wir mehr wissen, können wir auch besser miteinander umgehen.

 

Einen tollen White Cane Safety Day euch allen.

 

Kategorien
Allgemein Alltag blinde Eltern unterwegs

Taxifahren mit Baby

Da mein Mann und ich zu blind zum Autofahren sind, waren wir mit unseren Kindern stets mit dem öffentlichen Nahverkehr unterwegs. Und wenn wir doch mal auf ein Auto angewiesen waren, dann fuhren wir mit dem Taxi. Aber im Babyalter habe ich das möglichst vermieden. Denn in Taxis gibt es zu 99,9 % keine Babyschalen, die für die Gewichtsklasse null im Auto vorgeschrieben sind. Eine Ausnahmeregelung bestand für Taxis. Hier lag es im Ermessen des Fahrers ein Baby zu transportieren oder eben nicht. Eine Geschichte fällt mir dazu ein, die mir das zum ersten mal klarmachte.

Winter 1999 in Frankfurt am Main. Mein Mann und ich hatten im Baumarkt eingekauft und wollten mit dem Taxi nach Hause. Gekommen waren wir mit dem Bus. Aber mit den gekauften Brettern und Werkzeugen brauchten wir ein Auto. Damals war meine Tochter vielleicht ein Vierteljahr alt und saß bei mir im Tragetuch. Also gingen wir zum Taxistand. Der Fahrer schaute uns an und sagte: „Sie kann ich mitnehmen, Ihr Kind aber nicht“. Es war mein erstes Kind. Und so muss ich ihn ziemlich blöd angeschaut haben. Jedenfalls erklärte er meinem Mann und mir, dass er kein Baby ohne Babyschale befördern kann. Und diese hätten wir mitzuführen. Da half kein Diskutieren. Das war ebenso.
Es war Winter, es wurde dunkel, und der Einkauf ohne Auto nicht zu befördern. Und ich wollte einfach nur nach Hause. Also schlug ich meinem Mann vor mit dem Einkauf Taxi zu fahren, während ich mein Baby mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause bringen würde. Es war die praktikabelste Lösung für alle Beteiligten.
Eine blinde Frau mit Blindenstock und Baby im Tragetuch nebst einem beladenen Einkaufswagen vor einem Baumarkt ist sicherlich kein alltäglicher Anblick. Jedenfalls wurde ein Mann auf uns aufmerksam und hatte die Diskussion um die Mitnahme des Babys verfolgt. Spontan bot er an mich und mein Kind mitzunehmen. Er erklärte uns, dass er selbst Familienvater sei und die Problematik kennt. Dann wandte er sich an den Taxifahrer und sagte, er würde ihm hinterher fahren. Das wäre das Einfachste. Daraufhin sagte der Taxifahrer, dass er mich mit Baby ausnahmsweise mitnehmen würde. Und so fuhren wir alle gemeinsam nach Hause. Auch wenn ich lange nicht verstanden habe was den Taxifahrer dazu bewogen hatte seine Meinung zu ändern. Es war das kleinere Übel mir während der Fahrt vorhalten zu lassen, dass ich keine Babyschale dabei hatte.
Natürlich wollte ich das genauer wissen. Ich telefonierte also am nächsten Tag mit dem Taxiunternehmen meines Vertrauens. Der Geschäftsführer erklärte mir, dass nun mal eine Kindersitzpflicht besteht, ich also die Babyschale mitzuführen habe. Auf die Frage wie ich das als blinde Mutter machen sollte, konnte er mir keine Antwort geben. Eine Hand war für den Blindenstock reserviert, und auf dem Rücken trug ich immer einen Rucksack. Und jeder, der so eine Babyschale in Händen gehalten hat, weiß wie schwer und sperrig so ein Ding sein kann. Das erklärte ich meinem Gesprächspartner also. Darauf bot er mir an eine eigene Schale in der Taxizentrale zu deponieren. Wenn ich also ein Taxi brauche, würde der Fahrer hinfahren, die Schale abholen und anschließend mich einsammeln. Natürlich müsse man mir die Fahrt von der Zentrale zu mir in Rechnung stellen. Ich fragte gar nicht erst nach ob ich die Fahrt der Babyschale zur Taxizentrale ebenfalls zahlen muss. Denn diese Lösung war für mich absoluter Quatsch mit Sauce.
Ich war bestimmt nicht die einzige Frau mit Baby, die ein Taxi brauchte, ohne eine sperrige Babyschale mitzuführen. Also musste es dafür auch eine entsprechende Vorschrift geben. Nach längeren Recherchen hatte ich eine Mitarbeiterin vom Ordnungsamt am Telefon, die mir erklärte, dass die Taxifahrer nicht verpflichtet seien einen Kindersitz für die Gewichtsklasse 0 mitzuführen. Denn der Platz im Kofferraum wird für das Gepäck der Fahrgäste benötigt. Und es liegt im Ermessen des Taxifahrers ein Baby ohne Kindersitz mitzunehmen. Den genauen Auszug aus der Taxiverordnung ließ ich mir schriftlich geben.

Fahrten mit dem Auto waren also mit Baby eine reine Organisationssache. Ich versuchte diese auf ein Minimum zu beschränken. Eine andere Alternative war bei der Taxizentrale anzugeben, dass ich ein Baby dabei habe. Und dann ging die Suche nach einem Fahrer los, der ein Baby transportieren konnte oder wollte. Spontane Taxifahrten waren somit Glücksache. Später lernte ich einen Fahrer kennen, der einen Kindersitz für Kleinkinder dabei hatte. Den habe ich dann zuerst angerufen, wenn ich ein Auto brauchte. Aber zum Glück ist das Frankfurter Verkehrsnetz gut genug, um fast überall ohne Auto hinzukommen.

Kategorien
Allgemein unterwegs Zu Gast auf lydiaswelt

Betreuung am Flughafen, eine Mitarbeiterin erzählt

Über das Reisen mit dem Flugzeug habe ich bereits einige Beiträge geschrieben. Diese handelten entweder von unsinnigen Vorschriften, oder Missverständnissen. Bei all diesen Beiträgen hatte ich nie Gelegenheit aus der Sicht der Mitarbeiter am Flughafen zu berichten. Daher habe ich mich riesig über einen Leserbrief von Melanie gefreut. Als ehemalige Mitarbeiterin des Betreuungsdienstes gibt sie Einblick in ihre Arbeit. Ich fand ihn so gut, dass ich ihn mit ihrem Einverständnis, jedoch unter anderem Namen veröffentliche.

Liebe Lydia,
vielen Dank für deinen Blog, ich lese immer wieder gerne rein und lerne viel!
Ich habe bis 2017 beim Betreuungsdienst am Frankfurter Flughafen gearbeitet, als Service Agent der Firma FraCareS, zur Unterstützung von mobilitätseingeschränkten Passagieren und Alleinreisenden Kindern. Daher fühle ich mich angesprochen und kann dir vielleicht annähernd deine Frage beantworten, warum immer der obligatorische Rollstuhl mitgeführt wird.
Der Arbeitsablauf für mich sieht (sah) folgendermaßen aus: Ich bekomme auf ein mobiles Endgerät einen Auftrag, in dem 4 Angaben stehen: Name des Gastes, der aktuelle Aufenthaltsort, der Zielort und ein Betreuungscode, der die Hilfestellung etwas beschreibt. Mehr Angaben dürfen aufgrund des Datenschutzes nicht übermittelt werden!

Diese lauten:
WCHR für Menschen, die prinzipiell laufen können, aber keine weiten Strecken;
WCHS für Menschen die laufen, aber keine Treppen bewältigen können;
WCHC für Menschen die gar nicht laufen können;
BLND für Menschen mit eingeschränkter Sehfähigkeit und
DPNA für Menschen mit geistiger Einschränkung.

Wer gibt diese Betreuungscodes ein und wer entscheidet welcher nun eingegeben wird?
Die Betreuungscodes werden meistens vom Reisebüro oder den eincheckenden Agenten der Airlines eingegeben, die nicht viel mit der Betreuung zu tun haben und sich oft damit nicht gut auskennen. Nicht nur in Deutschland sondern in ALLEN Ländern der Welt.

Wer benötigt Betreuung?

Die zu betreuenden Passagiere sind nicht nur Menschen mit Behinderung. Jeder, der Unterstützungsbedarf hat, kann diesen anmelden. Ein Nachweis durch einen Schwerbehindertenausweis wird nicht verlangt. Dabei ist es egal, ob jemand Wegen der Beine, wegen des Rückens, wegen der Augen, wegen des Gleichgewichtssinns, wegen der Orientierung, oder auch wegen der Sprache Hilfe benötigt, denn so hätten Menschen aus Ländern, in denen es so etwas nicht gibt, einen Nachteil. Wir sind nicht befugt zu fragen, was der Mensch hat, sondern welche Art der Unterstützung er oder sie benötigt.
Und so unterschiedlich wie Menschen sind, so unterschiedlich sind ihre Bedürfnisse und Vorlieben.
Somit habe ich auch immer einen Rollstuhl dabei gehabt, auch wenn ich einen Gast mit dem Betreuungscode BLND abholen wollte. Ich habe ganz offen gefragt „möchten Sie sich in den Rollstuhl setzen oder möchten Sie lieber mit mir laufen?“ und habe entsprechend dann den Rollstuhl an diesem Ort stehen gelassen und habe laufend betreut, oder den Rollstuhl geschlossen mitgeführt, oder bei entsprechendem Wunsch den Gast auch sitzen lassen. Selbstverständlich ist es ein Unding, wie von dir beschrieben, dass eine Mitarbeiterin am Flughafen, dass du dich in den Rollstuhl setzen sollst.
Aus meiner Erfahrung wollte ich dir kurz beschreiben, dass ich beispielsweise auch ältere Damen unterstützt habe, die schlecht sehen konnten und schlecht zu Fuß waren und weder deutsch noch englisch sprechen konnten. Diese Dame bevorzugte es, im Rollstuhl gebracht zu werden, da es eine enorme Erleichterung für sie darstellte.
2008 trat eine EU-Verordnung in Kraft, die festlegt, dass der PRM-Service (PRM = Passenger with reduced mobility) von dem jeweiligen Flughafen übernommen werden muss und nicht mehr von der jeweiligen Airline übernommen werden darf. Seit dem (denke ich und hoffe ich) wird das Personal gesondert geschult und sensibilisiert. Ich habe mich jedenfalls von der Firma gut vorbereitet gefühlt und fand es immer sehr gut, dass nicht nach Schema X vorgegangen werden muss, sondern wir auf den individuellen Unterstützungsbedarf des Passagiers reagieren sollten. Und das heißt auch, dass ich lieber einen Rollstuhl zu viel mitnehme, als den Passagier wegen falsch übermitteltem Betreuungscode warten lassen muss, weil ich erst einen Rollstuhl organisieren muss. Die Kommunikation an dem Ort, an dem die Betreuung beginnt ist wichtig. Ich muss abfragen was der Passagier braucht und muss abschätzen, was auf dem Weg, der uns erwartet davon wichtig ist. So kann ich am besten spontan reagieren.
noch ein anderer ganz pragmatischer Grund, warum ich einen Rollstuhl trotzdem dabei habe: es ist ein stressiger Vormittag, es herrscht Rollinotstand weil alle unterwegs sind, ich bin gerade mit meinem WCHR-Auftrag fertig und bekommen den BLND-Auftrag und weiß nicht was danach kommt. Ich halte meinen Rolli fest in der Hand weil ich sonst später über viele Kilometer einen suchen muss!

Diese Arbeit hat mir immer große Freude bereitet. Ich durfte so viele so unterschiedliche Menschen begleiten, so viele Sprachen hören, so viel Dankbarkeit spüren. Das hat mein Leben sehr bereichert.
Bestimmt habe auch ich manchmal Fehler gemacht, durch Stress und durch mangelnde Kommunikation. Aber kein Mensch ist perfekt und ich denke doch und hoffe auch, dass ich immer die Würde der Menschen bewahrt habe, niemanden in einen Rollstuhl gezwungen habe und möglichst sensibel die Rechte meiner Gäste vor dem Sicherheitspersonal und den Mitarbeitern der jeweiligen Airline verteidigt habe, wenn die Kollegen manchmal unsensibel wurden.
Ich hoffe, dass Dir meine Erklärungen weiterhelfen.
Melanie.

Ich danke Melanie für die Einblicke in ihre Arbeit. Und nun lade ich Euch zu einem Meinungsaustausch in den Kommentaren ein.