Kategorien
Allgemein Alltag unterwegs

KVG-Hopper, wenn Du sehen kannst, darfst Du mit

Um Kosten für Buslinien zu sparen, die ohnehin kaum jemand nutzt, wurde in Neu-Isenburg der KVG-Hopper eingeführt. Ein modernes, cleveres Konzept – zumindest auf dem Papier. Kleine Elektrofahrzeuge sollten die herkömmlichen Bushaltestellen und zahlreiche virtuelle Haltepunkte in der Stadt anfahren. Die Fahrten optimiert, versteht sich, ein Algorithmus. Klingt effizient, oder?

 

Die Fahrzeuge kann man per App oder – für Nostalgiker – telefonisch bestellen. So spart man in den Randzeiten und an Sonn- und Feiertagen gleich mal die Linienbusse ein. Fortschritt à la Kommunalverkehr.

 

Die erste App allerdings war für blinde Menschen ungefähr so benutzerfreundlich wie ein Touchscreen im Dunkeln. Trotzdem wurde der Hopper als „barrierefrei“ beworben – ein Etikett, das offenbar ziemlich dehnbar ist. Irgendwann wechselte der Anbieter, und mit ihm kam eine neue App. Die war immerhin halbwegs bedienbar. Und so begann mein kleines Abenteuer mit dem KVG-Hopper.

 

Gerade in den Randzeiten ist die App praktisch alternativlos. Gibt man – sagen wir – von Neu-Isenburg Bahnhof  sein Ziel ein, wirft sie einem mehrere Routen aus. Dann heißt es: schnell sein! Innerhalb weniger Sekunden muss man alles erfassen und bestätigen, sonst heißt es von vorn. Ich beherrsche mein Smartphone durchaus, aber der Hopper-App ist das egal – sie testet offenbar, wie viele Finger man gleichzeitig und wie hektisch über den Bildschirm jagen kann. Gepaart mit meiner Sprachausgabe gleicht das einem Reaktionstest in

 

Hat man das Kunststück schließlich geschafft und eine Fahrt gebucht, wartet schon die nächste Prüfung. Im Profil kann man zwar angeben, dass man eine Sehbehinderung hat – allerdings dient das nur der Statistik. Eine Möglichkeit, der Fahrkraft mitzuteilen, dass man blind ist und bitte angesprochen werden möchte? Fehlanzeige. Wo der Hopper hält, entscheidet der Algorithmus – und der liebt Überraschungen. Mal steht das Fahrzeug auf der anderen Straßenseite, mal irgendwo, wo gerade kein Mensch weit und breit zu sehen ist.

 

Einige Fahrer bestätigten mir übrigens, dass sie gar nicht wüssten, dass Menschen mit einem weißen Langstock blind sind. Da hilft nur eins: selbst aktiv werden und Passanten um Hilfe bitten. Wenn denn welche da sind. Und das Beste: Für diesen Nervenkitzel zahle ich pro Fahrt 1,50 € „Komfortzuschlag“. Komfort – das ist wohl Ansichtssache.

 

Beim Aussteigen das gleiche Spiel. Der Haltepunkt hängt davon ab, wohin das Fahrzeug als Nächstes muss. Ich nenne das: Blindflug mit System.

 

Seit über zwei Jahren schlage ich mich nun mit diesem Hopper herum. Für mich ist er weniger ein Verkehrsmittel als ein Stressfaktor mit Elektroantrieb. Trotz unzähliger Rückmeldungen ist alles beim Alten geblieben. Immerhin hat man für mich eine „Einzellösung“ gefunden – ich darf als Telefonkundin buchen und bekomme klare Start- und Zieladressen. Nett gemeint, aber nicht wirklich nachhaltig. Und ob die Fahrer das immer wissen? Nun ja – neulich stand ich an einer genau definierten Adresse und sollte dem Fahrer telefonisch erklären, wie er mich findet. Zum Glück hatte ich keinen Zeitdruck.

  Vielleicht denken die Verantwortlichen des KVG-Hopper ja irgendwann einmal an Menschen mit Sehbehinderung – und ans Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Bis dahin bleibt der Hopper für mich ein Sinnbild moderner Mobilität: digital, elektrisch, algorithmisch – und leider nur bedingt zugänglich für alle.

Kategorien
Allgemein Alltag unterwegs

Die nächste Haltestelle ist keine Ahnung 

„Die nächste Haltestelle ist … keine Ahnung?“ – Unterwegs mit unsichtbaren Ansagen Es ist Freitagnachmittag, die Sonne scheint, die Laune ist gut. Meine Tochter und ich haben einen schönen Tag draußen verbracht, und jetzt geht’s nach Hause – Neu‑Isenburg, ich komme! Noch schnell umsteigen in Dietzenbach Mitte, dann 20 Minuten Busfahrt. Alles wie immer. Dachte ich.

 

Ich sitze vorne im Bus, der Motor schnurrt, der Frühling duftet durch die halb geöffneten Fenster – aber irgendwas fehlt. Keine Stimme, kein Piepen, keine Ansage. Und ich meine nicht die innere Stimme, die mir sagt: „Du hast vergessen, Brot zu kaufen.“

 

Ich rede natürlich von den Haltestellenansagen. Denen, auf die ich als blinde Frau angewiesen bin. Denn anders als sehende Fahrgäste kann ich nicht mal eben aus dem Fenster schauen, um zu sehen, wo wir gerade sind. Ich verlasse mich auf Technik, auf Barrierefreiheit – und auf ein kleines bisschen Mitdenken von Seiten des Fahrpersonals.

 

Also frage ich den Busfahrer freundlich, ob er bitte die Ansagen einschalten könnte. Keine große Sache, dachte ich. Denkste! „Diese Ansagen stören mich“, sagt er. Wirklich jetzt? Er erklärt mir ganz offen, dass er zehn Stunden täglich im Bus sitzt und sich die Ansagen nicht ständig anhören will. „Das ist echt nervig“, sagt er. Und wenn es nach ihm ginge, wären sie ganz aus – was er natürlich nicht darf, aber er regelt sie einfach so weit runter, dass sie niemand mehr hört. Tja, Problem gelöst. Für ihn. Ich bin ehrlich gesagt kurz sprachlos. Nicht, weil ich es nicht schon erlebt hätte – sondern weil ich es immer wieder erlebe. Also erkläre ich ruhig, dass ich die Ansagen wirklich brauche. Dass ich sonst nicht weiß, wo ich gerade bin. Dass ich nicht ständig andere Fahrgäste oder den Fahrer fragen will. Ich will nicht zur Bittstellerin werden, nur um an der richtigen Haltestelle auszusteigen. Schon öfter wurde ich einfach vergessen, bin irgendwo rausgekommen, wo ich nicht hinwollte. Das ist nicht nur ärgerlich, das kostet Zeit, Nerven und manchmal auch ein kleines Stück Selbstbestimmung.

 

Der Fahrer hört zu – so halb. Ich merke: Verständnis klingt anders.

 

Mir fällt eine Beschwerde ein, die ich mal gehört habe. Fahrgäste hätten sich darüber beklagt, dass die Ansagen sie beim Zeitunglesen stören. Ja, wirklich! Die gute alte Zeitung, bedroht durch eine Durchsage wie: „Nächste Haltestelle: Musterstraße.“ Man stelle sich den Lärm vor! Jetzt also Busfahrer, die sich in ihrer Arbeitsruhe gestört fühlen. Ich kann nicht anders – in meinem Kopf blinkt ein großes, fettes „Finde den Fehler!“

 

In solchen Momenten wünsche ich mir eine ganz einfache Übung: Setzt euch mal eine Augenbinde auf, liebe Leute, und fahrt eine Runde Bus. Dann reden wir weiter.

 

Ja, es gibt auch andere Extreme. Übersteuerte, viel zu laute Ansagen, die einen erschrecken wie ein Wecker am Sonntagmorgen. Aber meistens ist es das Gegenteil: so leise, dass man bestenfalls ahnt, dass gerade irgendetwas angesagt wurde. Gestern habe ich wieder einen Fahrer gebeten, die Ansagen einzuschalten. Er tat es – mit einem genervten Schnauben. Und ich bin mir sicher: Kaum war ich draußen, hat er sie wieder abgeschaltet. Zack, weg damit. Aus den Augen, aus dem Sinn?

 

Und das ist es, was mich ärgert. In vielen Bussen fühle ich mich wie eine Bittstellerin. Der Fahrer entscheidet, ob ich mich zurechtfinde oder nicht. Und wenn ich mich beschwere? Dann kommt meistens eine dieser fantastischen Standardantworten vom Verkehrsunternehmen: „Vielen Dank für Ihre Rückmeldung. Wir kümmern uns darum.“ Und dann – Stille. Ironischerweise wie bei ausgeschalteten Ansagen. Mein Appell an euch: Wenn euch auffällt, dass keine Ansagen laufen – sagt was! Auch wenn ihr sehend seid. Denn Barrierefreiheit geht uns alle an. Es sind die kleinen Dinge, die einen großen Unterschied machen. Allzeit gute Fahrt – und dass ihr immer da ankommt, wo ihr eigentlich hinwolltet!

 „Die nächste Haltestelle ist … keine Ahnung?“ – Unterwegs mit unsichtbaren Ansagen Es ist Freitagnachmittag, die Sonne scheint, die Laune ist gut. Meine Tochter und ich haben einen schönen Tag draußen verbracht, und jetzt geht’s nach Hause – Neu-Isenburg, ich komme! Noch schnell umsteigen in Dietzenbach Mitte, dann 20 Minuten Busfahrt. Alles wie immer. Dachte ich.

 

Ich sitze vorne im Bus, der Motor schnurrt, der Frühling duftet durch die halb geöffneten Fenster – aber irgendwas fehlt. Keine Stimme, kein Piepen, keine Ansage. Und ich meine nicht die innere Stimme, die mir sagt: „Du hast vergessen, Brot zu kaufen.“

 

Ich rede natürlich von den Haltestellenansagen. Denen, auf die ich als blinde Frau angewiesen bin. Denn anders als sehende Fahrgäste kann ich nicht mal eben aus dem Fenster schauen, um zu sehen, wo wir gerade sind. Ich verlasse mich auf Technik, auf Barrierefreiheit – und auf ein kleines bisschen Mitdenken von Seiten des Fahrpersonals.

 

Also frage ich den Busfahrer freundlich, ob er bitte die Ansagen einschalten könnte. Keine große Sache, dachte ich. Denkste!

 

„Diese Ansagen stören mich“, sagt er. Wirklich jetzt? Er erklärt mir ganz offen, dass er zehn Stunden täglich im Bus sitzt und sich die Ansagen nicht ständig anhören will. „Das ist echt nervig“, sagt er. Und wenn es nach ihm ginge, wären sie ganz aus – was er natürlich nicht darf, aber er regelt sie einfach so weit runter, dass sie niemand mehr hört. Tja, Problem gelöst. Für ihn. Ich bin ehrlich gesagt kurz sprachlos. Nicht, weil ich es nicht schon erlebt hätte – sondern weil ich es immer wieder erlebe. Also erkläre ich ruhig, dass ich die Ansagen wirklich brauche. Dass ich sonst nicht weiß, wo ich gerade bin. Dass ich nicht ständig andere Fahrgäste oder den Fahrer fragen will. Ich will nicht zur Bittstellerin werden, nur um an der richtigen Haltestelle auszusteigen. Schon öfter wurde ich einfach vergessen, bin irgendwo rausgekommen, wo ich nicht hinwollte. Das ist nicht nur ärgerlich, das kostet Zeit, Nerven und manchmal auch ein kleines Stück Selbstbestimmung.

 

Der Fahrer hört zu – so halb. Ich merke: Verständnis klingt anders.

 

Mir fällt eine Beschwerde ein, die ich mal gehört habe. Fahrgäste hätten sich darüber beklagt, dass die Ansagen sie beim Zeitunglesen stören. Ja, wirklich! Die gute alte Zeitung, bedroht durch eine Durchsage wie: „Nächste Haltestelle: Musterstraße.“ Man stelle sich den Lärm vor! Jetzt also Busfahrer, die sich in ihrer Arbeitsruhe gestört fühlen. Ich kann nicht anders – in meinem Kopf blinkt ein großes, fettes „Finde den Fehler!“

 

In solchen Momenten wünsche ich mir eine ganz einfache Übung: Setzt euch mal eine Augenbinde auf, liebe Leute, und fahrt eine Runde Bus. Dann reden wir weiter.

 

Ja, es gibt auch andere Extreme. Übersteuerte, viel zu laute Ansagen, die einen erschrecken wie ein Wecker am Sonntagmorgen. Aber meistens ist es das Gegenteil: so leise, dass man bestenfalls ahnt, dass gerade irgendetwas angesagt wurde. Gestern habe ich wieder einen Fahrer gebeten, die Ansagen einzuschalten. Er tat es – mit einem genervten Schnauben. Und ich bin mir sicher: Kaum war ich draußen, hat er sie wieder abgeschaltet. Zack, weg damit. Aus den Augen, aus dem Sinn?

 

Und das ist es, was mich ärgert. In vielen Bussen fühle ich mich wie eine Bittstellerin. Der Fahrer entscheidet, ob ich mich zurechtfinde oder nicht. Und wenn ich mich beschwere? Dann kommt meistens eine dieser fantastischen Standardantworten vom Verkehrsunternehmen: „Vielen Dank für Ihre Rückmeldung. Wir kümmern uns darum.“ Und dann – Stille. Ironischerweise wie bei ausgeschalteten Ansagen.

 

Deshalb mein Appell: Wenn euch auffällt, dass keine Ansagen laufen – sagt was! Auch wenn ihr sehend seid. Denn Barrierefreiheit geht uns alle an. Es sind die kleinen Dinge, die einen großen Unterschied machen.

  In diesem Sinne: Allzeit gute Fahrt – und dass ihr immer da ankommt, wo ihr eigentlich hinwolltet!  

Kategorien
Allgemein Alltag unterwegs

Schienenersatz trifft Personalmangel

Mittwoch, 8:00 Uhr. Eigentlich sollte ich längst im Blumenladen sein. Dort wartet ein vorbestellter Strauß auf mich. Ein Abschiedsgeschenk für eine Mitarbeiterin, die heute ihren letzten Arbeitstag in der Blindenselbsthilfe hat. Aber heute bin ich eben später dran. Sei’s drum.

 

Also los. Doch wo zum Kuckuck ist der Eingang des Blumenladens? Normalerweise stehen Pflanzen davor, aber heute – Fehlanzeige. Vermutlich, weil es noch früh ist. Ich laufe also elegant vorbei. Und weiter. Und weiter. Da ist die Tankstelle. – Moment mal, das war definitiv zu weit! Kommando zurück.

 

Irgendwann finde ich den Laden, aber nicht die Tür. Ich klopfe an die Scheibe, aber niemand nimmt Notiz von mir. Großartig. Und das ausgerechnet jetzt, wo ich Zeitdruck habe! Also Plan B: Ich rufe meinen Gärtner an, der sich tapfer durchtelefoniert, bis endlich jemand aus dem Laden auftaucht und mich von der Straße einsammelt. Zum Glück habe ich den Strauß vorbestellt – also nur noch bezahlen und weg hier.

 

Die Mitarbeiterin hilft mir noch über die Straße, weil die Ampel für blinde Menschen nicht nutzbar ist. Leider fehlen mir genau 20 Sekunden, um den Bus zu erwischen. Tja, der ist weg. Gut, dann eben ein Cappuccino in der Bäckerei – draußen in der Kälte eine halbe Stunde zu warten, ist keine Option.

 

Mit 30 Minuten Verspätung komme ich in der Blindenselbsthilfe an, überreiche den Strauß und erledige noch ein paar Dinge. Dann geht’s weiter ins Frankfurter Nordend. Normalerweise nehme ich die U-Bahn und steige in die Linie 36 um, aber heute nicht – Bauarbeiten. Also einmal mitten in die Stadt rein und dann wieder raus.

 

Doch damit nicht genug: Wegen Personalmangels endet meine U-Bahn an der Konstablerwache, also wieder umsteigen. Nach einer weiteren Stunde Verspätung erreiche ich endlich mein Ziel. Kaum erledigt, was zu erledigen war, entscheide ich: Zurück zur Blindenselbsthilfe.

 

Wieder U-Bahn, wieder Konstablerwache. Aber als ich auf dem Bahnsteig ankomme: Chaos. Keine Durchsagen, keine akustischen Infos, nichts. Ein freundlicher Mensch informiert mich, dass die U-Bahnen nicht fahren. Na wunderbar. Ein Mitarbeiter der VGF klärt uns auf: Schienenersatzverkehr mit Taxis. Abfahrt irgendwo zwischen Hauptwache und Eschenheimer Tor. Sehr präzise.

 

Also nach oben. Wo bitte sind diese Taxis? Keiner weiß es. Wir auch nicht. Angeblich haben sie gelbe Fähnchen, aber wenn man eines sieht, ist es schon voll. Meine Begleiterin und ich sind gut zu Fuß und marschieren zum Eschenheimer Tor – in der Hoffnung, dort weniger Chaos vorzufinden. Falsch gedacht. Die gleiche Idee hatten noch hundert andere Leute.

 

Nach einiger Drängelei schafft es meine Begleiterin, für mich einen Platz in einem Taxi zu ergattern. Allein hätte ich keine Chance gehabt – hier gilt das Gesetz „Wer zuerst kommt, fährt zuerst“. An meiner Station Fritz-Tarnow-Straße angekommen, frage ich den Fahrer, wo genau er hält. Seine Antwort? Schwammig mit ausländischem Akzent. Egal, raus hier.

 

Erst einmal horchen. Da! Die akustische Ampel für blinde Menschen! Jetzt weiß ich, wo ich bin. Noch fünf Minuten Fußweg, dann bin ich da. Ich bin heute schon genug gelaufen, also nehme ich den Fahrstuhl. Doch der hat andere Pläne. Stromausfall. Natürlich. Also Treppen.

 

Drei Stunden später ist der Strom zurück. Die U-Bahnen? Noch immer nicht. Einige blinde Kollegen, die zu einer Veranstaltung wollten, mussten unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Ohne Strom, keine U-Bahn.

 

Ich will nur noch heim. An der U-Bahn-Haltestelle dieselbe Frage: Wo fährt der Schienenersatzverkehr ab? Keine Ahnung. Und kaum jemand hier, den ich fragen könnte. Irgendwann ruft eine Frau von der Seite: „Die U-Bahn fährt nicht!“ Ah ja, danke für den Hinweis, das hatte ich noch nicht bemerkt.

 

Aber Glück im Unglück: Für mich und einen anderen Herrn wird ein Bus aufgehalten. Drinnen erfahre ich, dass er nicht nach Frankfurt Süd fährt, sondern irgendwo endet – an einem Ort, den ich nicht kenne. Also an der Miquel-Adickes-Allee raus und hoffen, dass mich ein Schinenersatztaxi mitnimmt.

 

Zusammen mit einer anderen gestrandeten Mitfahrerin schaffe ich es tatsächlich, ein Taxi nach Frankfurt Süd zu ergattern. Dort angekommen – na klar – ist mein Bus nach Neu-Isenburg längst weg. Der nächste kommt in einer Stunde. Also S-Bahn.

 

Ab 20:00 Uhr fährt in Neu-Isenburg kein Stadtbus mehr, dafür gibt es den „KVG-Hopper“ – ein Sammeltaxi, das man über eine App bestellen muss. Die App ist nicht barrierefrei. Natürlich nicht. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als auf gut Glück in die S-Bahn zu steigen.

 

In Neu-Isenburg angekommen, reicht es mir endgültig. 13 Stunden unterwegs. Keine Lust mehr. Ich rufe ein Taxi und lasse mich heimfahren.

  An solchen Tagen habe ich volles Verständnis für Autofahrer, die sich weigern, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Nur sind diese für blinde Menschen, die wie ich allein unterwegs sind, alternativlos. Zum Glück ist nicht jeder Tag so ein logistischer Albtraum wie dieser Mittwoch.

Kategorien
Allgemein Alltag unterwegs

Barrierefrei heißt nicht nur stufenlos

Blinde Menschen orientieren sich an markanten Punkten oder Merkmalen im Straßenverkehr. Das können Hauseingänge sein, Einfahrten oder auch mal ein Verteilerkaste. Ein Hauseingang, der bestimmte Stufen oder eine bestimmte Geräuschumgebung hat, ist für mich ebenfalls eine Unterstützung. Wichtig ist dabei, dass dieses Merkmal immer da ist.
Ebenso wichtig ist für mich die Beschaffenheit des Untergrunds. Wenn sich neben dem Fußweg ein Radweg befindet, reicht es nicht aus, dass er optisch sichtbar ist. Für mich ist es wichtig, dass der Untergrund sich von dem des Gehwegs unterscheidet. Dann kann ich den Unterschied mit dem Blindenstock ertasten. Auch eine kleine, fühlbare Absenkung wäre denkbar.
Bei Straßenübergängen sieht es ähnlich aus. Während für Nutzer eines Rollstuhls oder eines Rollators möglichst eine Nullabsenkung, also gar keine Stufe optimal ist, brauchen blinde Menschen eben diese Absenkung, um zu merken, dass sie den sicheren Gehweg verlassen. Dabei muss die Stufe für uns blinde Menschen gar nicht so hoch sein. Sie muss nur mit der Stockspitze eines Blindenlangstocks tastbar sein. Dafür genügen schon ca. 3 cm. Gut gemachte taktile Leitstreifen für Menschen mit Sehbehinderung haben längs und quer verlaufende Rillen. Diese zeigen einmal an, dass wir hier gefahrlos bis zum Straßenrand kommen, und an welcher Stelle wir besser nicht laufen. Dafür verlaufen Rillenplatten dann quer zur Laufrichtung. Das wird gern gemacht, wenn sich dahinter eine Nullabsenkung für Rollstuhlfahrer befindet.
Die quer verlaufenden Streifen findet man auch immer öfter vor Treppen. Das ist ein Tastbarer Hinweis darauf, dass ein Treppenauf- oder Treppenabgang vor einem liegt. Wenn die Platten gut gemacht sind, heben sie sich gut sichtbar vom Untergrund ab. So können auch sehbehinderte Fußgänger, die nicht auf einen Blindenstock angewiesen sind, erkennen, dass sie vorsichtig sein sollen.
Ein Irrglaube ist, dass blinde Menschen lieber mit dem Aufzug fahren als Treppen zu laufen. Doch blind alleine in einen unbekannten Aufzug zu steigen ist ein Lottospiel, wenn dieser keine Sprachausgabe hat, die das Stockwerk ansagt. Selbst wenn ich es schaffe den Knopf für ein bestimmtes Stockwerk zu drücken, gibt es nichts und niemanden, der mir garantiert, dass der Aufzug nicht vorher woanders hält. Es reicht also nicht aus Aufzüge mit fühlbaren Zahlen und Beschriftung in Braille auszustatten. Barrierefrei sind sie erst, wenn sie das angefahrene Stockwerk ansagen. Eine Ausnahme sind Aufzüge, die nur zwei Ebenen anfahren. Vor einigen Wochen ist mir ein Aufzug begegnet, dessen Bedienelemente ausschließlich auf Berührung reagieren. Auch das schließt blinde Menschen aus.
Ein großes Thema sind öffentliche Verkehrsmittel. Am besten sind eindeutige Haltepositionen für Bus und Bahn, wie ich in meinem Beitrag Wenn der Bus woanders hält beschrieben habe. Während für Menschen mit Gehbehinderung es einfacher ist hinten einzusteigen, brauchen blinde Menschen die Vordertür, um den Busfahrer nach der einfahrenden Buslinie zu fragen. Ausführlicher habe ich das in Öffentlicher Nahverkehr, diese Infos brauche ich behandelt. In vielen Städten hält der Bus nur dann, wenn jemand den Halteknopf gedrückt hat. Dafür braucht man richtig gehende und verständliche Haltestellenansagen. Davon profitieren nicht nur Menschen mit Sehbehinderung, sondern auch Fahrgäste, die nicht ortskundig sind, oder die optische Anzeige aus anderen Gründen nicht lesen können.
Barrierefreiheit ist ein Oberbegriff für Hindernisse, die uns im Alltag begegnen. Und sie fühlen sich für jeden anders an. Also, wenn Ihr die Möglichkeit zu einem Perspektivwechsel habt, nehmt diese Möglichkeit wahr, und erweitert damit Euren Horizont.

Kategorien
Allgemein Alltag unterwegs

Fasst uns nicht ungefragt an

U-Bahnstation Frankfurt Südbahnhof. Es ist Samstagmittag, und ich warte auf meine U-Bahn. Als sie einfährt suche ich mit dem Stock die Tür, indem ich an der Bahn entlangfahre. Ah, da ist sie. Ich bleibe kurz stehen, weil ich hören will, ob jemand in der Tür steht. Dann strecke ich meinen Blindenstock aus, um einzusteigen. Bevor ich das machen kann, kommt eine Hand aus dem nichts, hält mich mit festem Griff am Arm und schiebt. Ich verdanke es meinen guten Reflexen, dass ich nicht vornüberfalle. Ich drehe mich um, befreie mich aus dem Griff und sage der Person, die noch kein Wort zu mir gesprochen hat, dass sie mich erschreckt hat. „Ich wollte doch nur helfen“, sagt sie etwas beleidigt. Jetzt erst höre ich, dass es sich um eine Frau handelt. Ich sage ihr, dass man fremde Menschen nicht ungefragt anfasst. Daraufhin knurrt sie etwas wie „Ich wollte nicht, dass Sie stolpern“. Und weg ist sie.
Solche und ähnliche Situationen erlebe ich beinahe täglich. Für mich heißt das, dass ich schon in eine Art Habachtstellung gehe, wenn ich irgendwo ein- oder aussteige. Ich rechne ständig mit unangekündigten, übergriffigen Berührungen, die mir das Leben angeblich erleichtern sollen. Dabei nervt es dermaßen.
Wenn ich beim Einsteigen meinen Stock ausstrecke, ertaste ich damit wie hoch die Bahn oder der Bus ist, ob es einen Spalt zwischen Bahn und Bahnsteigkante gibt, oder ob ein Hindernis vor mir liegt. Beim Aussteigen verfahre ich ähnlich. Diese Dinge gehören zur Ausbildung im Umgang mit dem Blindenstock. Im Grunde ist das Ein- und Aussteigen einfach eine Technik gepaart mit Konzentration. Das Tasten mit dem Stock liefert mir zuverlässige Informationen. Dieser Prozess wird gestört, wenn ich irgendwohin geschoben, gezogen oder gar am Stock geführt werde. Letzteres fühlt sich an als würde man einen Brillenträger an der Brille irgendwohin ziehen, und dabei die Gläser zuhalten.
Ein erwachsener Mensch, der mit einem Blindenstock unterwegs ist, weiß was er tut. Es besteht also keine Notwendigkeit ungefragt tätig zu werden. Wenn Ihr dennoch der Ansicht seid helfen zu wollen, dann sprecht die Person an. Ein Satz wie „Brauchen Sie Hilfe“, „Darf ich helfen“ oder „Kommen Sie zurecht“ sind gute Beispiele. Auf diese Weise behandelt Ihr den Menschen wie eine erwachsene Person. Wenn mich jemand so anspricht, kann ich die Person einordnen. Und ganz wichtig, ich kann ihr sagen wie sie mir am besten helfen kann. Kommt aber aus dem Nichts eine Hand an meinen Körper, weiß ich erst mal nicht, ob das Freund oder Feind ist. Denn ich sehe die dazugehörige Person nicht.
Und jetzt noch ein paar Worte an die Menschen, die Menschen mit Behinderung gern mal Undankbarkeit vorwerfen, nur weil sie die aufgedrängte Hilfe ablehnen. Dankbar bin ich den Menschen, die in mir nicht nur die „Blinde“ sehen, sondern eine erwachsene Frau, die sich mit der Hilfe eines Blindenstocks orientiert. Menschen, die nicht nur die Perspektive „Wenn ich sehend die Augen zu mache, sehe ich nichts“ sehen, sondern akzeptieren, dass es auch andere Möglichkeiten gibt sich zurechtzufinden.
Wenn Ihr mir was Liebes tun wollt, verbreitet das. Helft mir und anderen Menschen mit Sehbehinderung dabei nicht ständig Opfer übergriffiger Menschen zu werden.

Eure Lydia