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Der Standardpatient ist nicht blind

Bild: Lydia während einer augenärztlichen Untersuchung.

Früher dachte ich immer, dass Augenärzte und Augenkliniken auf blinde und hochgradig sehbehinderte eingestellt sind. Die Wirklichkeit sieht anders aus.
Der Standardpatient ist meist älter und kommt in sehender Begleitung. Außerdem ist er nicht unbedingt blind, sondern verfügt noch über einen ausreichenden Sehrest, der ihm erlaubt den standardmäßigen Sehtest zu durchlaufen, oder ohne Begleitung der Krankenhausmitarbeiter von a nach b zu kommen. Der blinde Patient, der wie ich auch mal ohne Begleitung unterwegs ist, weicht total vom Standard ab.
Kurz zur Klärung der Begriffe: Bis zu einem Sehvermögen von 2% sprechen wir von Blindheit, bis ca. 5 % von hochgradiger Sehbehinderung und bis zu einem Restsehen von 30% gilt man als sehbehindert. Ich bin dem Gesetz nach blind, da mein Sehrest ca. 2% beträgt. Durch meine Hornhautverkrümmung bin ich sehr blendempfindlich. Normales Tageslicht ist mir schon zu hell. Daher trage ich draußen eine Brille mit Kantenfiltergläsern. Die sorgen dafür, dass mich das Licht nicht so blendet, und ich mich draußen grob orientieren kann.
Ich bekam das zum ersten Mal 1998 zu spüren, als mein behandelnder Augenarzt Urlaub hatte, und ich wegen eines akuten Problems seine Vertretung aufsuchte. Die Mitarbeiter der Praxis gaben direkt zu, dass sie mich nicht optimal versorgen konnten. Ich musste eine Weile suchen, bis ich einen Arzt gefunden habe, der auch vom Standard abweichende Patienten versorgen konnte.
Von meinen behandelnden Ärzten kannte ich das bisher so, dass Termine telefonisch oder persönlich mit mir vereinbart wurden. Nicht so bei der Augenklinik meines Vertrauens. Hier bekam ich die Termine grundsätzlich schriftlich mitgeteilt. Und zwar nicht per E-Mail, wie ich es gern gehabt hätte, sondern per Briefpost.
Es gab nur eine Ausnahme, nämlich vor einer kleinen Operation. Hier bekam ich einen Anruf, bei welchem der Termin mit mir vereinbart wurde. Die Bestätigung erhielt ich dann per Briefpost. Per E-Mail, so sagte man mir, dürfe man Termine nicht verschicken.
Manchmal habe ich mir vorgestellt, dass ich Kliniken und anderen Einrichtungen, die auf Briefpost bestehen, den anfallenden Schriftverkehr in Brailleschrift zukommen lassen würde.
Am besagten Tag war ich also pünktlich zur stationären Aufnahme um 9:00 Uhr in der Klinik. Dann durchlief ich das Prozedere mit Nummer ziehen und warten. In einem anderen Beitrag hatte ich bereits über dieses Thema geschrieben.
Auf Station angekommen wurde ich von einer Krankenschwester in Empfang genommen. Diese zeigte mir mein Zimmer und wies mir das Bett am Fenster zu, da noch eine Rollstuhlfahrerin erwartet wurde, für die das andere Bett besser passte. Okay, das hätten wir schon mal geklärt. Den Rest des Zimmers würde ich mir dann erarbeiten. Groß auspacken brauchte ich auch nicht, da ein Aufenthalt von zwei Tagen vorgesehen war. Es lebe der praktische Rucksack.
Irgendwann klopfte es, und ein auszubildender Krankenpfleger betrat das Zimmer. Er versorgte mich mit einem Kaffee und ging den Aufnahmebogen mit mir durch. Von ihm lernte ich auch wie das Bett einzustellen war und – ganz wichtig für mich – wo sich eine Steckdose befand.
Eine junge Ärztin holte mich ab und machte die Erstuntersuchung. Dabei bekam ich noch mal dieselben Fragen gestellt, die sich im Aufnahmebogen befanden. Leute, wo bleibt die Vernetzung? Anschließend ging es wieder zurück aufs Zimmer, wo inzwischen meine Mitpatientin eingetroffen war. Sie war älter, schwerhörig und wurde von ihrer Tochter begleitet. Sie war sehr kommunikativ und dabei etwas verwirrt. Wenn ich mich ihr mitteilen wollte, dann müsste ich beinahe schreien, um mich ihr verständlich zu machen. Das nenne ich Inklusion im Krankenhaus.
Ich atmete auf, als ich in die Augenambulanz gerufen wurde. Hier waren für heute diverse Untersuchungen für den morgigen Eingriff geplant. Als erstes kam eine Gesichtsfelduntersuchung. Ich erklärte der Mitarbeiterin, dass das bei mir nur Sinn macht, wenn ich Kontraste habe. Das Gerät war für meine Verhältnisse hell erleuchtet, und das Deckenlicht an. Für meine Lichtempfindlichen Augen problematisch. Damit war die Dame überfordert, weil das vom Standard abwich. Sie erklärte mir, dass sie nur bei bestimmten Erkrankungen im Dunkelfeld untersuchen dürfe. Letztendlich konnte ich sie davon überzeugen sich das Okay von woher auch immer zu holen, und alles war gut.
Als ich wieder zurück auf Station war, stand mein Mittagessen wahrscheinlich seit einer ganzen Weile auf dem Tisch. Ich hatte einfach nur Hunger. Deshalb war es mir so was von egal. Meine Zimmernachbarin hingegen versuchte mir immer wieder klarzumachen, dass es kalt sei. Und ich mit meinen inzwischen weit getropften Pupillen wollte einfach nicht reden. Also sah ich zu, dass ich nach dem Essen das Zimmer wieder verließ. Ich fand den Aufenthaltsraum und jemanden, der mir die dortige Kaffeemaschine erklärte. Nach dem Kaffee begann ich auf dem Krankenhausflur auf und ab zu gehen. Alles war besser als zu meiner Zimmernachbarin zurückzugehen. Normalerweise bin ich für ein Schwätzchen zu haben. Aber nicht mit weit getropften Pupillen. Da bin ich gestresst, und ziehe mich dann am liebsten etwas zurück, bis es wieder etwas besser geworden ist. Aber eben das konnte ich der Dame nicht so vermitteln, dass sie es verstand.
Endlich war der Oberarzt auf Station und wollte sich meine Augen ansehen. Anschließend wollte er noch eine Sache abklären, für die ich noch mal zur Augenambulanz begleitet werden musste. Das sollte durch die Pflegekräfte gemacht werden. Ich wartete also erst mal auf dem Flur, bis eine Krankenschwester mit einem Rollstuhl kam, und mich in einem keinen Widerspruch duldenden Ton aufforderte mich da reinzusetzen. Ich traute meinen Ohren nicht. Als ich ihr erklärte, dass ich laufen möchte, argumentierte sie damit, dass es so schneller ginge, und sie noch ganz viel anderes zu tun hätte. Nein, Freunde, nicht mit mir. Und erst recht nicht in diesem Ton. Kurz und gut, es endete damit, dass wir zu Fuß gingen. Ich hoffe, dass die Dame begriffen hat, dass blind und nicht ortskundig nicht mit gehbehindert gleichzusetzen ist.
Es war eine gute Stunde später, als ich wieder auf meinem Zimmer war. Inzwischen war es Abend geworden. Meine Zimmernachbarin erzählte mir, dass ihre Tochter sie nachher wieder abholen würde, da sie doch nicht operiert werden wollte. Also würde ich heute Nacht in den Genuss eines Einzelzimmers kommen.

Der Eingriff sollte am Mittag stattfinden. Theoretisch hätte ich also ausschlafen können. Aber Krankenhausalltag sei Dank wurde ich genauso früh geweckt wie alle anderen Patienten auf Station. Anschließend bekam ich eine ältere neue Mitpatientin. Sie war genauso klar im Kopf wie ich. Dennoch sprach die Krankenschwester die meiste Zeit nicht mit ihr, sondern mit ihrer Tochter über sie. Bei der gestrigen Bettnachbarin hatte ich das deren verwirrten Zustand zugeschrieben. Aber hier hätte die Krankenpflege direkt mit der Patientin sprechen können. Nicht nur Menschen mit Behinderung werden schon mal übergangen, sondern auch ältere Menschen.
Ich war schon einmal stationär in dieser Klinik. Und da hatte ich am Service absolut nichts auszusetzen. Diesmal habe ich viel Schulungsbedarf bei den Pflegekräften gesehen. Der Einzige, der uns alle mit zuvorkommender Freundlichkeit und intuitiv richtig behandelt hat, das war der auszubildende Krankenpfleger, der zu Beginn schon den Aufnahmebogen mit mir durchgegangen war. Auf Nachfrage erklärte er mir, dass ich die erste blinde Patientin sei, die er näher kennen lernt.
Natürlich drängt sich bei einigen die Frage auf, warum ich trotzdem immer wieder diese Klinik aufsuche, obwohl mir bestimmte Dinge Missfallen. Nun, ich gehe hin, weil ich mit deren augenärztlicher Behandlung sehr zufrieden bin, und deren Gründlichkeit schätze.
Dieselbe Beobachtung habe ich schon bei diversen Augenärzten und Augenkliniken gemacht. Die meisten Einrichtungen sind nicht auf blinde oder hochgradig sehbehinderte Patienten eingestellt. Dabei sollte man meinen, dass gerade die Mitarbeiter einer Augenarztpraxis oder Augenklinik mit unserem Personenkreis umgehen können. Aber darauf wird wahrscheinlich während des Studiums oder der Ausbildung sehr unzureichend eingegangen.
Dabei wäre es so einfach, wenn die Mitarbeiter uns Patienten fragen, wenn sie unsicher sind. Auch das habe ich schon in Kliniken erlebt, und es auch positiv vermerkt. Bei meinem vorletzten Aufenthalt in der Augenklinik wurde ich beispielsweise gefragt ob ich Hilfe bei der Körperpflege, beim Anziehen und so weiter brauche. Das fand ich super. Denn wer fragt vermeidet Missverständnisse und Fettnäpfchen.

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Was heißt Schnee für blinde Menschen?

Das Bild zeigt mich mit Blindenstock und dunkler Brille auf einem Bürgersteig.

„Mama, es hat geschneit“. Mit diesem oder einem ähnlichen Satz bin ich schon so manches Mal morgens geweckt worden. Und während meine Kinder sich über die weiße Pracht freuen und überlegen wo sie ohne größeren Aufwand Schlitten fahren können, machen sich gemischte Gefühle in mir breit.

Warum ist das so? Ich habe einen Sehrest von ca. 2 %. Diese Zahl ist ein Richtwert, der zunächst einmal nichts weiter besagt, als dass ich dem Gesetz nach als blind gelte. Blindsein mit geringem Sehrest wirkt sich bei jedem unterschiedlich aus. Das ist abhängig von der Augenerkrankung.