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Kuchen backen, wenn man blind ist

Nicht nur das Verzehren von süßem Gebäck bereitet mir Freude, sondern auch das Backen selbst. Ich liebe es einen Kuchen zu backen, wenn ich weiß, dass meine Familie und ich diesen am Nachmittag gemeinsam genießen werden. Oder wenn ich weiß, dass ich lieben Besuch erwarte, dem ich mit einem selbst gebackenen Kuchen eine Freude machen möchte.

Ich denke, dass ich mich mit vielen anderen Hobbybäckern in guter Gesellschaft befinde. Der einzige Unterschied ist, dass ich blind bin, und sich das Backen für mich etwas anders gestaltet. Und darüber schreibe ich heute.

Wo ist das Rezept?

Fangen wir mal mit der Rezeptfindung an. Ich kann keine Kochbücher in normal gedruckter Schrift lesen. Es sei denn, ich mache ein Foto davon, und jage dieses durch ein Programm zur Texterkennung. Das geht mit Hilfe meines PC oder auch mit meinem Smartphone. Aber dazu bin ich meist zu faul, wenn es auch anders geht. Es gibt Kochbücher in Brailleschrift. Allerdings ist die Auswahl recht spärlich. Ich habe auf meinem PC eine Sammlung meiner liebsten Rezepte. Und wenn ich was Bestimmtes Suche, dann hält das Internet das gesuchte Rezept für mich bereit. Eine gut bedienbare Seite ist beispielsweise Chefkoch. Alternativ tausche ich mich auch mal mit Freunden aus, wie viele andere Bäcker auch. Wichtig ist dabei, dass ich das Rezept in Wort oder Schrift habe. Eine Anleitung, die ausschließlich aus Bildern besteht, ist für mich wertlos.

Abmessen, abwiegen und dosieren

Irgendwann haben die meisten Köche und Bäcker so viel Erfahrung gesammelt, dass sie die meisten Zutaten ohne Waage zuverlässig dosieren können. Auch mir geht es so. Wenn ich bei einer Zutat doch mal abwiegen muss, dann habe ich eine Waage mit einer Sprachausgabe. Oder ich benutze auch mal Messlöffel zum Backen. Manche Rezepte leben von Mengenangaben wie Tassen oder Gläsern oder Angaben in Löffeln. Und mit ein bisschen Erfahrung weiß ich was dem Teig noch fehlt, wenn ich ihn leicht anfasse. Das verrät mir die Konsistenz.

Was ist wo drin?

Wenn man auf eine Tüte mit Mehl, Haferflocken oder Zucker drückt oder klopft, fühlt es sich unterschiedlich an. Ich meine nicht die Verpackung, sondern das Druckgefühl auf der Packung. Alternativ kann man diese leicht schütteln. Auch hier entstehen unterschiedliche Geräusche. Daran merke ich sofort was ich in der Hand habe. Dass ich diese Dinge in Dosen aufbewahre, mache ich deshalb, weil ich es schöner finde. Dinge die sich unterschiedlich anfühlen, erkenne ich sofort, Dinge, die sich gleich anfühlen, markiere, beschrifte ich, oder bewahre es in entsprechenden Behältnissen auf. Die meisten meiner Gewürze haben eine Beschriftung in Braille, da sich die Behälter ziemlich gleich anfühlen.

Wo sind meine Utensilien?

In meiner Küche weiß ich, wo meine Küchengeräte, Kochutensilien oder Lebensmittel stehen. Dementsprechend sitzt dann auch jeder Handgriff. Grundsätzlich ist es für mich wichtig, dass alles an seinem Platz ist. Hat jemand meinen Mixer auf die andere Seite der Küche platziert, erfasse ich das nicht wie eine sehende Person mit einem Blick, sondern muss erst mal solange durch meine Küche tasten, bis ich meinen Mixer gefunden habe. Dementsprechend länger dauert es.

Vor Jahren wollte mir eine Bekannte eine große Freude zum Geburtstag machen, und räumte meine Küche über Nacht um. Für mich bedeutete das eine Katastrophe, da ich mich nicht mehr alleine in meiner eigenen Küche zurecht fand. Es endete damit, dass ich mit einer anderen Freundin den ohnehin fälligen Frühjahrsputz in der Wohnung einläutete. Veränderungen finden entweder gemeinsam mit mir oder gar nicht statt. Alles andere bedeutet Stress und Auseinandersetzung mit unnötigen Zeitkillern.

Haushaltsgeräte.

Ich benutze genauso Mixer, Küchenmaschine usw. wie andere auch. Für mich ist wichtig, dass meine Geräte nicht auf bloße Berührung reagieren, sondern wirklich eingeschaltet, gedrückt oder gedreht werden müssen. Mein Handmixer rastet bei jeder Geschwindigkeitsstufe ein, meine Küchenmaschine lässt sich drehen, und damit für mich einstellen. Auch mein Herd und mein Backofen rasten bei jeder Stufe ein. Außerdem gibt es eine klar fühlbare Markierung auf der Stufe 0. Das ist wichtig, damit ich den Herd sofort und gezielt ausschalten kann. Ich arbeite mit einem Zeranfeld. Es hat ein bisschen gedauert, bis ich mir gemerkt habe wie mein Topf oder meine Pfanne draufstehen muss, um exakt über der Kochplatte positioniert zu sein. Auch meine Mikrowelle funktioniert mit zwei Drehbaren Reglern. Einer für die Zeit, der andere für die Intensität.

Immer mehr Geräte kommen auf den Markt, die auf bloße Berührung hin eine Funktion ausführen, oder ein optisches Menü haben, um eine Funktion auszuwählen und auszuführen. Das ist für blinde Nutzer einfach nicht ohne fremde Hilfe machbar. Und für jeden, der gern allein in der Küche arbeitet, eine absolutes Nogo.

Es gibt immer mehr Haushaltsgeräte, die man mit dem Smartphone bedienen kann. Ich selbst habe damit noch keine Erfahrungen sammeln können, beobachte diese Entwicklung jedoch mit großem Interesse. Vielleicht ist das eine Perspektive für blinde Nutzer, die mit einem Smartphone umgehen können.

Die heißen Angelegenheiten.

Nein, ich verbrenne mir die Finger nicht öfter als ein normal sehender Koch. Ich sehe zwar nicht, kann aber die Hitze rechtzeitig fühlen. Und so habe ich meine Techniken entwickelt, mit deren Hilfe ich heiße Dinge anfassen, aus dem Backofen holen oder bearbeiten kann. Gute Topflappen, Handschuhe aus Silikon oder andere Küchenhelfer tun ihr Übriges zu meiner Unversehrtheit.

Die Angaben über die Backzeit sind lediglich Richtwerte. Wenn ich feststellen möchte, ob mein Teig bereits fertig gebacken ist, stecke ich eine Gabel in den Teig. Klebt nichts dran, dann ist es gut. Wenn nicht, braucht der Kuchen noch etwas Zeit.

Und zum guten Schluss.

Ich fasse meine Arbeit öfter an als jeder, der sieht. Dafür wasche ich mir nach jedem Kontakt mit dem Teig die Hände. Denn wenn es klebt, fühle ich nicht mehr so gut. Das ist vergleichbar mit einer Brille, die beschlagen und daher Trüb wird. Der Blick wird wieder klar, sobald man sie wieder geputzt hat.

In meiner eigenen Küche komme ich bestens zurecht. Bin ich in einer anderen Umgebung, dann habe ich zwei Optionen, entweder lasse ich mir helfen, oder erarbeite mir die neue Umgebung Schritt für Schritt. Ein Beispiel dafür ist eine Ferienwohnung, in der ich mich voraussichtlich einige Tage aufhalten werde. Da bedeutet es für mich Lebensqualität, wenn ich mir selbst etwas aus dem Kühlschrank holen, eine Kleinigkeit zu essen machen oder aufräumen kann.

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Von meinem ersten Versuch einen Kuchen zu backen

Meine Freundin Jenny und ich lernten uns in der siebten Klasse kennen. Wir hatten Schulen für blinde Kinder aus unterschiedlichen Bundesländern besucht. Und jetzt besuchten wir beide das Gymnasium an der Blista in Marburg. Wir sahen total gegensätzlich aus. Dennoch verwechselte man uns ständig. Wahrscheinlich lag es daran, dass wir während der Schulzeit zusammen hingen, in der Schule nebeneinander saßen und auch einen Großteil unserer Freizeit zusammen verbrachten.
Marburg war zu weit weg, um täglich nach Hause zu fahren. Daher lebten wir Schüler in einem Internat. Genauer gesagt in Wohngruppen, die in den ersten beiden Jahren aus etwa zehn Schülerinnen und Schülern und vier Betreuern bestanden. Sowohl meine Wohngruppe, als auch die, in der Jenny wohnte, befanden sich auf dem Schulgelände. Das hieß für uns, dass wir einen kurzen Schulweg hatten, zum zweiten aber auch, dass Jenny und ich uns jederzeit gegenseitig besuchen konnten. Wir waren beide in der Pubertät, und taten all das, was andere Kinder in diesem Alter eben tun.

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Abwiegen, abmessen und dosieren – so mache ich das blind

Bild: Lydia mit einem halb gefüllten und einem vollen Messlöffel.

Es ist Samstagvormittag, als ich damit beginne den ersten von zwei Kuchen zu backen. Schließlich steht heute Nachmittag ein Kindergeburtstag an. Und wie jedes Jahr gibt es bei uns eine klare Aufteilung. Während mein Mann die obligatorische Schatzsuche vorbereitet und später auch begleitet, bin ich für das Backen zuständig. Und wie die meisten Mamas liebe ich es ganz besonders, wenn mich während des Backens keiner stört oder mir im Weg steht.
Halt, Stopp, blind, und Kuchenbacken? Das heißt doch abwiegen, abmessen oder so was. Geht das? Ja, das geht. Und zwar vollkommen blind. Hier zeige ich Euch ein paar Möglichkeiten auf.

Natürlich gibt es Rezepte, bei denen man nicht viel abmessen braucht. Die sogenannten Tassenkuchen. Die liebe ich, weil sie einfach schnell gehen.

Hier ein Rezept für einen solchen Kuchen:
1 Tasse Öl, 1 Tasse Zucker, 5 Eier, 1 halbes Päckchen Backpulver und 4 Päckchen Puddingpulver. In dieser Reihenfolge zusammenrühren und anschließend ca. 45 Minuten bei 180 Grad Heißluft backen. Fertig. Wenn man ihn besonders locker haben mag, dann trennt man die Eier und schlägt das Eiweiß zu Eischnee und hebt ihn darunter.

Nun sind aber nicht alle Rezepte so einfach, dass man ohne Abwiegen oder Abmessen auskommt. Brauche ich präzise Messwerte, so gibt es Waagen, welche mit einer Sprachausgabe ausgestattet sind. D.h., dass die Waage mir sagt, wie viel Gramm ich jetzt in der Schüssel habe. Besonders schätze ich daran die Zuwiegefunktion. Und inzwischen sind sie auch erschwinglicher als vor 20 Jahren. Damals habe ich für meine 160 DM gezahlt. Heute gibt es welche für unter 30 €.
Für diejenigen, die lieber einen Messbecher benutzen möchten, gibt es auch diese mit einer Sprachausgabe. Ich selbst habe so einen allerdings noch nie benutzt. Dafür hatte ich mal einen, der eine fühlbare Markierung auf der Innenseite hatte. Damit konnte ich Flüssigkeiten wie Milch ganz gut abmessen. Das mache ich inzwischen mit Tassen, von denen ich weiß wie viel ml Fassungsvermögen sie haben.
Irgendwann habe ich Messlöffel für mich entdeckt. Diese hatte ich mir mal aus Neugierde bei einem Versand mitbestellt. Es waren 5 Löffel aus Kunststoff mit 100, 50, 15, 5 und 1 ml Inhalt. Bei den zwei größeren Löffeln befand sich in der Mitte eine fühlbare Markierung, um 50 und 25 ml abmessen zu können. Dazu gab es eine Messtabelle in Brailleschrift, die Angaben darüber enthielt wie schwer 100 ml Zucker, Mehl usw. Sind. Außerdem gab es noch eine Tabelle mit Angaben darüber wie viel ml 100 g von Zucker, Mehl usw. ergaben. Irgendwann fing ich an damit zu experimentieren.

Mit der Zeit brauchte ich die Tabelle nicht mehr, da ich die Dinge, die ich häufig brauchte, auswendig konnte. Außerdem sind Maßangaben bei Rezepten im Grunde nur Richtwerte.
Was ich nach wie vor als Herausforderung empfinde ist das Abmessen kleiner Mengen. Ich weiß noch, als eines meiner Kinder täglich inhalieren, und ich das Kochsalz abmessen musste. Die Kinder waren noch zu klein, um mir hier helfen zu können. Also brauchte ich die rettende Idee.
Ich ließ mir vom Kinderarzt eine Einwegspritze geben. Diese markierte ich mir am Kolben mit einem Küchenmesser so, dass ich fühlen konnte wie viele ml Flüssigkeit ich aufgezogen hatte. Die Flüssigkeit konnte ich somit präzise aufziehen und direkt in den Inhalator geben. Das andere Medikament konnte ich mit der Pipette hineintropfen. Das kann man hören. Und so konnte ich mir behelfen, wenn ich keine normal sehende Person in meiner Nähe hatte. Generell fand ich es einfacher Medikamente mit der Spritze aufzuziehen als mit dem Löffel zu geben. Denn dazu hätte ich drei Hände gebraucht: Eine, die den Löffel hält, eine die kontrolliert wie voll der Löffel ist, und eine die das Medikament eingießt. Und für mich, Mama mit zwei Händen, ist das ein wirkliches Problem.

Zurzeit habe ich keine sprechende Waage mehr. Irgendwann hat sie ihren Geist aufgegeben. Und seither trage ich mich mit dem Gedanken, mir eine Neue ins Haus zu holen. Inzwischen sind einige Jahre ins Land gegangen. Und ich habe noch immer keine. So viel zum Thema Dinge aufschieben. Und irgendwie haben mir meine Messlöffel bisher ganz gut geholfen. Jedenfalls für das was ich machen muss. Und für wirklich präzise kleine Mengen, muss nach wie vor eine Einwegspritze herhalten. Doch wie heißt es so schön? Der Zweck heiligt die Mittel.