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Mein Gastkind aus Palästina

Amal und ich stehen seit Jahren in Kontakt. Wir sind entfernt miteinander verwandt. Sie ist blind und lebt mit ihrer Familie im Westjordanland. Die ersten sechs Schuljahre besuchte sie ein Internat für blinde Kinder. Anschließend wechselte sie auf eine Regelschule und machte dort ihr Abitur, gefolgt von einem Studium für Englisch. Den Umgang mit dem PC hat sie sich selbst beigebracht, um mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen und sich Wissen anzueignen. Einen Job konnte sie in den letzten Jahren nicht finden. Ihr größtes Hobby ist das Singen. Außerdem spielt sie ein bisschen Klavier.
Im letzten Herbst habe ich sie eingeladen uns hier in Deutschland zu besuchen. Ich wollte mehr über diese junge Frau und ihre Lebensweise wissen. Und ich wollte meinen Kindern, die hier in Deutschland groß geworden sind, Gelegenheit geben sich mit der arabischen Kultur auseinanderzusetzen. Und ich wollte ihr ein bisschen von dem Wissen weitergeben, das mir geholfen hat ein selbstbestimmtes Leben als blinde Frau zu führen.

Einfach so mit einem Touristenvisum konnte sie nicht kommen. Also stellten mein Mann und ich den Antrag bei der Ausländerbehörde. Hier wurde über einen langen Zeitraum geprüft, ob wir in der Lage sind für ihren Unterhalt zu sorgen, ob wir genügend Wohnraum besitzen usw. Nachdem wir alle erforderlichen Formulare ausgefüllt und die entsprechenden Belege eingereicht hatten, wurde der Bescheid nach Palästina geschickt. In der Regel geht das durch einen Courier. Jemand, den man kennt, der einen kennt, nimmt das Formular mit nach Jordanien. Dort holte es meine Familie ab, und sorgte dafür, dass Amal es bekam. Nun musste sie damit zur deutschen Botschaft gehen, eine Auslandskrankenversicherung nachweisen, und das Besuchervisum beantragen. Probleme gab es, da Amal weder ein eigenes Konto, noch eine Kreditkarte besitzt. Blinde Menschen dürfen dort kein eigenes Konto eröffnen. In Ausnahmefällen bekommen sie eines, wenn sie vier sehende Zeugen mitbringen, die dann auch bei Abhebung von Bargeld das Geld ausgehändigt bekommen. Ich werde an anderer Stelle weiter auf diese Gesetze eingehen. Die Botschaft gab sich erst mal mit dem Konto ihres Vaters zufrieden. Und so bekam ich am 01. Januar 2019 einen Anruf von einem dortigen Mitarbeiter, der ein paar Fragen an mich hatte. Er wollte wissen warum wir Amal einladen, und wie wir zu ihr stehen. Das überzeugte ihn. Denn solche Anträge werden meist abgelehnt.
Jetzt ging es darum die Reise von Amal nach Deutschland zu organisieren. Als Palästinenserin kann sie nicht einfach mal von Tel Aviv nach Deutschland fliegen. Der Weg führt über die Jordanische Grenze, und von dort nach Amman. Das ist etwa eine Reise von sechs Stunden. Dort war mein Vater zu diesem Zeitpunkt, der Amal mit nach Deutschland bringen würde. Denn für sie war es ihr erster Flug.
Seit dem 10.01. ist Amal jetzt bei uns. Sie spricht bereits erste Worte in Deutsch, und hat die ersten Schritte mit dem Blindenlangstock gemacht. Wir werden daran arbeiten, dass sie lernt sich alleine zu orientieren. Weiter stehen Lebenspraktische Fähigkeiten auf meinem Aktionsplan. Wenn sie in drei Monaten wieder in ihre Heimat reist, wird sie diese Kenntnisse an andere blinde Menschen weitervermitteln können. Außerdem möchte ich, dass sie augenärztlich untersucht wird. Die letzte Untersuchung ist irgendwann in ihrer Kindheit gewesen. Ich möchte, dass eine Diagnose gestellt wird, damit wir wissen mit welcher Augenerkrankung wir es zu tun haben, und sich daran etwas verändern lässt.

Ich mache das, weil ich mich selbst in dieser jungen Frau sehe. Nur hatte ich das Glück, dass sich Menschen um mich kümmerten, und mir mein heutiges Leben ermöglicht haben. Das Meiste kriege ich irgendwie hin. Dennoch bin ich für jede Spende dankbar. Damit kann ich vielleicht kleine Hilfsmittel für Blinde kaufen, einen Augenarzt bezahlen oder einen Mobilitätstrainer, der prüft, ob ich ihr die Blindentechniken richtig beigebracht habe.

Und ich freue mich darauf ihr Deutschland ein bisschen zu zeigen. Nicht das Deutschland, welches sie aus den Medien ihrer Heimat kennt, sondern das, welches ich kenne und liebe gelernt habe. Und natürlich werde ich hier auf dem Blog über das Projekt Amal weiter berichten.

Ich habe spontan diesen Spendenpool über PayPal eingerichtet. Wenn Ihr meine Arbeit gut findet, und mich dabei unterstützen wollt, dann teilt diesen über Eure Netzwerke. Dafür danke ich Euch von Herzen. Eure Lydia

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Allgemein Bildung Zu Gast auf lydiaswelt

Tag der offenen Moschee, was passiert da eigentlich?

Auf dem Foto sitzt meine Gastautorin Susanne Aatz’ an einem Tisch. Ihre Finger gleiten lesend über eine mobile Braillezeile.

Susanne und ich kennen einander schon sehr lange. Durch ihren Umzug nach Hamburg beschränkte sich unser Kontakt auf Telefonieren und Schreiben. Bis ich dann Gelegenheit hatte sie Ende Oktober 2017 in Hamburg zu besuchen. Als sie mir im Laufe dieses Besuchs von ihrem Erlebnis „Tag der offenen Moschee“ berichtete, bat ich sie das einmal aufzuschreiben. Dabei ist dieser Bericht entstanden.

Das tägliche soziale Glaubensbekenntnis

Die Eröffnung des New Hamburg Festivals am 3. Oktober 2014 auf der Veddel führte meinen Freund, mich und eine kleine Gruppe Interessierter zum Tag der offenen Tür unserer örtlichen Moschee. Die islamische Gemeinde Veddel e. V. veranstaltete in Kooperation mit der örtlichen evangelischen Gemeinde eine Moscheeführung mit anschließendem Vortrag.

Die Veddel ist eine Insel zwischen Norder- und Süderelbe, mitten in Hamburg. Ich bin einige Monate zuvor in diesen einerseits interessanten, andererseits problembelasteten Stadtteil gezogen. Hier habe ich eine behindertengerechte Wohnung. Auf der Veddel leben zwischen Bahngleisen und der Autobahn A255 ca. 5000 Menschen unterschiedlicher Nationalitäten und Kulturen auf denkbar engem Raum zusammen. Der Anteil an sozial schwachen Bewohnerinnen und Bewohnern ist sehr hoch. Dadurch bekommt das Quartier Brennpunktcharakter.

siehe näheres zum Stadtteil.

Neben der islamischen Gemeinde gibt es auch eine evangelische Gemeinde und die Immanuelkirche. Beide Gemeinden arbeiten häufig zum Wohle aller Bewohnerinnen und Bewohner zusammen. So fand am 3. Oktober nicht nur der Tag der offenen Moschee, sondern auch ein Stadtteilfest auf dem Gelände der evangelischen Kirchengemeinde statt.

Mein Freund und ich besuchten das Fest und erfuhren, dass ein begleiteter Besuch in der örtlichen Moschee angeboten wurde.

So fanden wir uns gegen 16:15 bei der islamischen Gemeinde ein. Die Moschee ist in einem Wohnhaus im Erdgeschoß untergebracht. Außer dem Schild vor der Tür der Gemeinde gibt es keinerlei Hinweise, die darauf hindeuten könnten, dass hier der Islam gelebt und praktiziert wird.

Wir wurden sehr freundlich willkommen geheißen und erhielten zuerst die Gelegenheit beim Nachmittagsgebet dabei zu sein. Für den Tag der offenen Moschee wurde die Geschlechtertrennung aufgehoben. Eine nette junge Frau half meinem Freund und mir beim Schuhe ausziehen und verstauen und führte uns in den Gebetsraum der Männer. Dort saßen wir auf Stühlen, andere auf dem Boden, und lauschten dem Gebet. Ein bisschen fühlten wir uns wie Eindringlinge. Und so saßen wir still da und nahmen die sehr neuen Eindrücke in uns auf.

Im Anschluss wurde uns vom Beauftragten für Öffentlichkeitsarbeit und dem Imam der Gemeinde die Arbeit und die Struktur der Gemeinde erklärt. Zu Beginn seines kleinen Vortrages distanzierten sich der Imam und seine Vorstandsleute ganz deutlich von dem Gewaltakten des IS und vom sogenannten „Heiligen Krieg“!

Der Imam fragte in die Runde, was denn das Wort „Dschihad“ bedeuten würde. „Heiliger Krieg“ antwortete eine Teilnehmerin spontan. Ich betonte daraufhin, dass dies die Übersetzung ist, die in den Medien gebräuchlich ist.

Der Imam erklärte uns daraufhin, dass diese Übersetzung völlig falsch sei. Dschihad ist nichts anderes, so sagte er, als die tägliche Anstrengung oder Bemühung sich für seinen Gott, die Gemeinde und für seine Umwelt spirituell und sozial zu engagieren.

Der Tenor war, dass „Dschihad“ eher eine Haltung, denn ein Zustand ist. Jeder Mensch, der etwas Gutes tut, der sich engagiert, der über andere Menschen positiv denkt, wer anderen Beistand leistet, lebt „Dschihad“.

Wir sprachen dabei ausführlich über die Möglichkeiten den Koran auszulegen. Es wurde die Wichtigkeit des Dialoges vor allem innerhalb des Islams betont. Nur, wenn insbesondere junge Leute in ihrer Gemeinde eingebunden seien und im Umgang mit ihrer Religion angeleitet würden, könne eine Radikalisierung verhindert werden, erklärte der Imam.

Die radikalen Islamisten schadeten vor allem den Menschen in ihrer eigenen Religionsgemeinschaft, da sie zu ihrer Ausgrenzung und Stigmatisierung beitrügen, stellte der Imam weiter fest. Auf meine Frage, was sich denn geändert hätte, seit die Gräueltaten durch die Medien gehen, berichtete der Imam: Seit dem 11. September 2001 müsse sich jeder Muslim, müsse sich jede Gemeinde mal mehr mal weniger, bevor eine unvoreingenommene Begegnung möglich sei, von den Islamisten distanzieren und ihren Standpunkt klar erklären. Die Mitglieder der Gemeinde drückten Ihr Bedauern darüber aus.

Ziel der Arbeit muss also sein, dass innerhalb der Gemeinde eine verlässliche Gemeinschaft entsteht, die auf Unterstützung, soziales Miteinander und Toleranz zwischen Menschen, Kulturen und den Religionen setzt. Dies wird in der Zusammenarbeit beider Gemeinden auf der Veddel vorbildlich umgesetzt.

Die Aufgabe der Imame sei es den Koran und seine verschiedenen Deutungsmöglichkeiten im gesellschaftlichen Kontext so zu vermitteln, dass ein soziales Miteinander möglich ist.

Nach diesem Vortrag fühlte ich mich ein wenig ertappt. Denn ich kann nicht verhehlen, dass ich zu Beginn der Führung nicht ein wenig Sorge hatte. Vielleicht machst Du etwas falsch, dachte ich.

Es war eine gute Idee mit einer Gruppe in die Moschee zu gehen. So kam ein Dialog zu Stande, der sehr offen und entspannt verlief. Unsere Begleiterin zeigte uns auf unser Bitten hin noch die Einzelheiten der Moschee. Hier war dann noch einmal Gelegenheit zum Diskutieren und wir zogen Vergleiche zwischen der christlichen und der muslimischen Religion. Und vieles ist sich wirklich sehr ähnlich.

Wenn wir wieder einmal hingehen, sind wir entspannter, und werden dann keine Vorbehalte mehr haben.
Danke, liebe Susanne, für den schönen Bericht. Als Gastautorin bist Du mir stets willkommen.

Liebe Leserinnen und Leser,
wenn Euch das gefallen hat, freue ich mich, wenn Ihr auf „gefällt mir„ drückt, und oder einen Kommentar hinterlasst.
Eure Lydia