Talha und Tarik haben vor einigen Jahren zusammen mit Freunden den Verein Insan e. V. in Neu-Isenburg gegründet. Hier sollte jungen Erwachsenen Perspektiven aufgezeigt werden, das wollte ich genauer wissen. Wir trafen uns in einem Eiskaffee zum Gespräch. Hier ließ ich ein Aufnahmegerät mitlaufen und stellte den Beiden einige Fragen zu ihrer Arbeit. Dieses Gespräch wurde dann verschriftlicht und mit Unterstützung von Matze vom Blog Mainrausch etwas in Form gebracht. Dabei ist das folgende Interview herausgekommen.
Lydia:
Hallo, ihr Beiden! Seid ihr so nett, euch unseren Lesern kurz vorzustellen?
Talha:
Gerne doch! Mein Name ist Talha, ursprünglich bin ich aus Bremen. Nach Frankfurt bin ich gekommen, um Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt Islam und Pädagogik zu studieren. Schon seit einigen Jahren arbeite ich mit viel Herzblut in einem Präventionsnetzwerk. Vor kurzem dann konnte ich gemeinsam mit einigen Freundinnen und Freunden einen Verein für Jugendarbeit gründen. Dessen Name ist „Insan“ – dazu erzähle ich nachher gerne mehr. Ich will ja nicht gleich alles verraten!
Tarik:
Und mein Name ist Tarik, aufgewachsen bin ich in Duisburg. Ich bin 28 Jahre alt und habe mich in Frankfurt Studien des Islam gewidmet. Inhaltlich haben Talha und ich uns also fast mit denselben Dingen beschäftigt. Ganz offiziell darf ich mich aber als Theologe bezeichnen!
Wir wollten uns Gedanken darübermachen, wie man noch viel früher ansetzen kann, wie Angebote junge Menschen noch viel früher erreichen können.
Diese Gedanken machen wir uns jetzt hauptamtlich in unserem Verein. Natürlich haben wir auch vorher schon ehrenamtlich viel geleistet, sodass wir all unsere Erfahrungen nun in unsere Arbeit für „Insan e.V.“ einfließen lassen können.
Lydia:
„Insan“, das bedeutet „Mensch“. Wie seid ihr auf diesen Namen gekommen?
Tarik:
Wir haben uns eine ganze Zeit lang Gedanken über einen zu unserem Verein passenden Namen gemacht. Wir haben uns gefragt: Was soll ein Name für unseren Verein leisten? Zunächst gefiel uns der Name „Bildungsakademie“, schließlich wollten wir Jugendbildungsarbeit betreiben. Andererseits wollten wir natürlich als Experten in ganz unterschiedlichen Fachbereichen Unterstützung für alle Menschen anbieten. Der Mensch, der stand für uns schon immer klar im Mittelpunkt, ganz unabhängig von seiner religiösen Zugehörigkeit, seines ethnischen Hintergrundes oder seiner Weltanschauung. Was lag also näher, als unseren Verein „Mensch“ zu nennen? Schlussendlich haben wir uns dann für eine etwas ästhetisch klingendere Variante des Wortes Mensch entschieden. Der Name „Insan“ war geboren!
Talha:
Wir werden ja immer wieder gefragt, warum wir uns „Mensch“ genannt haben. Sobald wir den Grund dafür erklärt haben, weiß unser Gegenüber gleich schon ziemlich viel über unsere Philosophie und unseren Antrieb. Eine tolle Sache, oder?
Lydia:
Vorwiegend richtet ihr eure Angebote aber an junge Erwachsene, oder? Gelten für diese bestimmte Altersgrenzen? Oder existiert sogar ein Mindestalter, ab dem eure Hilfe überhaupt erst Sinn macht?
Talha
Nein, wir haben keine fixen Altersgrenzen. Schon ab der Pubertät, vielleicht mit 15 oder 16 Jahren, macht unsere Arbeit Sinn. Neuntklässler haben schließlich schon ein wenig Lebenserfahrung sammeln können, haben eine gewisse Vorstellung von der Welt und eigene Aktivitäten entwickelt. Wir wollen ihnen dann einen Raum bieten, in denen sie ihr Potential entfalten können. Und nach oben, da gibt es keine Altersgrenze! Ich bin nun fast 30 und fühle mich selbst noch oft als Jugendlicher.
Lydia Zoubek:
Ja, und was soll ich denn da sagen? (lacht)
Tarik:
Du bist natürlich auch noch jugendlich! (lacht mit)
Lydia Zoubek:
Schon im Vorgespräch hattest du erzählt, dass euer Angebot Gesprächskreise beinhaltet. Für was und wen sind diese gedacht? Was bespricht man dort? Wofür ist das gut?
Tarik:
Zunächst einmal haben wir uns mit diesem Jugendbüro hier einen Raum gefunden, der mitten in der Stadt ist und somit gut von vielen Jugendlichen erreicht werden kann. Außerdem hat er einen ganz unabhängigen Charakter, was wichtig für unsere Gespräche ist.
Du willst wissen, über was wir hier so reden? Momentan reden wir zum Beispiel viel über Identität und Religion. Auch über ganz aktuelle Themen wird gesprochen – über das eben, was in den Medien zu sehen ist. Momentan ist dort das Thema Islam sehr präsent. Und wir diskutieren dann: Stimmt denn, was dort gesagt und behauptet wird? Wie sind unsere eigenen Erfahrungen, inwieweit berühren diese Themen unser eigenes Leben? Oftmals sprechen wir auch über ganz grundsätzliches.
Zum großen Teil kommen eben muslimische Jugendliche zu uns. Das heißt aber nicht, dass uns nicht auch schon Andersgläubige aufgesucht haben! Am Anfang bestand die Gruppe aus gerade einmal drei bis vier Jugendlichen. Gestern aber waren wir schon zu zehnt! Manche kommen sogar extra aus Offenbach.
Tarik:
Letztendlich ist es aber vor allem ein Raum frei von jeglichen Tabuthemen. Egal, was junge Menschen auch bewegt – hier können sie darüber sprechen! In unserer ersten Sitzung hatten wir gemeinsam erörtert: Was interessiert euch? Worüber würdet ihr gern sprechen, was liegt euch auf dem Herzen? Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Über die Jahre hinweg haben wir mit vielen pädagogischen Konzepten gearbeitet – einige unserer Mitarbeiter waren beispielsweise in Mannheim an der Entstehung von Kindertagesstätten beteiligt.
Unsere Erfahrung zeigt uns auch, dass junge Menschen ab einem gewissen Alter das Bedürfnis haben, eigene Erfahrungen und ihr eigenes Dasein aufzuarbeiten. Das ist ein sehr wichtiger Prozess, deswegen ermutigen wir die Teilnehmer stets dazu, sich selbst mit einzubringen. Wir begleiten das Ganze nur und bleiben Ansprechpartner. Wir wollen moderieren, nicht vorgeben! Die Gesprächsthemen werden jedenfalls allein von den Jugendlichen vorgegeben.
Talha:
Genau. Schließlich machen wir keinen Frontalunterricht, sondern einen Workshop. Wir lesen Texte, Werke und Artikel durch. Im Anschluss gibt’s dazu ein Frage-/Antwortspiel, die Jugendlichen sollen dabei möglichst gut untereinander ins Gespräch gekommen. Ihre Vielfalt bringt eine schöne Dynamik in die Gespräche hinein: Manche der jungen Leute kennen sich bereits, manche auch nicht. Der Eine studiert bereits, während ein Anderer noch mit dem Abitur beschäftigt ist. Egal, in welcher Situation sich ein Teilnehmer befindet: Hier findet er den Raum vor, in dem er sich ganz frei und ohne Druck von außen aussprechen und austauschen kann. Hier wird niemand be- oder verurteilt, das ist uns ganz wichtig.
Zwei weitere Säulen unserer Arbeit sind außerdem Ausflüge und Sport. Vor dem Jugendklub lädt ein Fußballkäfig zum Kicken ein, auch Basketball kann gespielt werden. Solche Sachen sind gleichfalls wichtiger Bestandteil unseres Angebots!
Lydia Zoubek:
Leider hört man aber auch immer wieder von Jugendlichen, die mit dem Gedanken spielen, in den Dschihad zu ziehen. Kannst du mir sagen, was junge Erwachsene zu solchen Überlegungen treibt? Was bewegt sie dazu, eine solche Richtung einzuschlagen?
Tarik:
Ja, leider. Hinter solchen Absichten können ganz unterschiedliche Motivationen stecken. Man kann nicht pauschal sagen, dass ein ganz bestimmter Schlag von Jugendlichen eine spezielle Neigung hin zur Radikalisierung hätte. Genauso wenig, wie es ein Patentrezept dafür gibt, sie von solchen Überlegungen abzubringen.
Eine große Rolle hierbei spielt aber die ganz eigene Biografie eines jeden jungen Menschen.
Ein Video auf YouTube allein macht einen Jugendlichen noch lange nicht zum Dschihad-Kämpfer, oftmals sind Ursachen für eine spätere Radikalisierung bereits in früher Kindheit zu finden. Wenn in der Vergangenheit etwas geschehen ist, das bei den Jugendlichen bestimmte Dinge und Verhaltensweisen ausgelöst hat, wenn sie bereits als Kind Diskriminierungen ausgesetzt waren und deswegen gegenüber der Gesellschaft eine gewisse Abneigung erfahren haben – dann laufen sie Gefahr, auf eine schiefe Bahn zu geraten. Oftmals haben sie schlichtweg nicht gelernt, anderweitig mit solchen Erfahrungen umzugehen und ihre Wut zu kanalisieren.
Auf all diese verschiedenen persönlichen Geschichten müssen wir uns ganz individuell einstellen. Da gibt es sehr emotionale Jugendliche, die sich leicht mit Mitleid ködern lassen, deren Wut leicht entfacht werden kann. Es gibt aber auch solche, die aus tiefer religiöser Überzeugung den radikalen Weg einschlagen. Für sie ist das Wort eines Predigers quasi Gesetz.
Talha:
Und natürlich spielt auch die Gruppendynamik eine große Rolle. Für viele junge Menschen stellt sich in radikalen Kreisen erstmals ein Gefühl der Zugehörigkeit ein. Dieses Gefühl lässt sie dann oftmals auch fatale Wege beschreiten.
Wir müssen uns die Frage stellen: Wie kann es sein, dass sich in einer Gesellschaft, der es an nichts mangelt, Menschen derart abkapseln? Ich persönlich bin der Meinung, dass hier etwas schiefläuft, dass eine soziale Schieflage existiert.
Wer sozial nicht ausreichend gefestigt ist, egal ob in Elternhaus oder Freundeskreis, wenn jemand nicht über ausreichende Ressourcen verfügt, um dem Erwartungsdruck unserer Gesellschaft standzuhalten – dann besteht die Gefahr, dass er in alternative soziale Netze abdriftet. Doch diese sind niemals eine positive Alternative!
Anerkennung und Geborgenheit sind Grundbedürfnisse eines jeden Menschen. Und es ist fatal, wenn diese nur noch innerhalb radikaler Kreise gestillt werden. Menschen, die sich ein Leben außerhalb dieser Strukturen schon gar nicht mehr vorstellen können, sind besonders anfällig für fatale Handlungen. Die religiöse Ideologie ist da eigentlich zweitrangig. Unsere Aufgabe ist es, ihnen anderweitig Anerkennung und Geborgenheit zu vermitteln – und sie schließlich als verlässlicher Partner beim Ausstieg aus der radikalen Szene zu begleiten.
Talha:
Einem Großteil unserer Jugendlicher – ich würde mal sagen, bei über 90 Prozent! – fehlt eine Vaterfigur. Auch das allein bedeutet natürlich nicht, dass potentiell alle von ihnen gefährdet sind. Aber diese fehlende Vaterfigur löst eben etwas in einem Jugendlichen aus, sie versuchen, diese Lücke zu füllen. Und leider sind es manchmal alleine radikale Gruppen, die diese Lücke zu füllen vermögen.
Lydia Zoubek:
Konkret bedeutet das also, dem Jugendlichen fehlt ein männliches Vorbild, das er irgendwann innerhalb einer radikalen Gruppe finden kann. Sie fühlen sich endlich ernst genommen.
Nun frage ich mich: Wie erreicht ihr einen solchen Jugendlichen? Wie findet ihr Zugang?
Tarik:
Es gibt ganz unterschiedliche Möglichkeiten Menschen zu erreichen. Da gibt es die klassischen Methoden der Sozialarbeit, da gibt es die aufsuchende Jugendarbeit. Es gibt viele Wege, nicht alle führen bei jedem zum Ziel. Zum Glück gibt es außerdem noch zahlreiche andere Institutionen, an die wir verweisen können, wenn jemand Hilfe sucht.
Seit drei Jahren arbeiten wir auch mit gefährdeten Extremisten und Radikalisierten. Hier ist es ganz wichtig, jemandem eine langfristige Begleitung an die Seite zu stellen, damit der Erfolg eines Ausstiegs gewährleistet werden kann. Es ist nicht immer einfach, mit unseren begrenzten Mitteln eine solche langfristige Partnerschaft zu erhalten. Auch unseren Möglichkeiten sind leider Grenzen gesetzt. Viel wichtiger ist es, sich zu fragen: Wie kann man von vornerein verhindern, dass junge Menschen in radikale Richtungen abgleiten? Es gilt, die Ursachen zu bekämpfen, weit bevor es zu spät ist und sich ein Mensch radikalisiert hat. Wenn das Kind erst einmal in den Brunnen gefallen ist, kann ich nur noch versuchen, es zu retten und aus der Szene zurück zu holen.
Diese Gedanken müssen bundesweit gemacht werden, genau wie es ein bundesweites Netz von Anlaufstellen geben muss, wo junge Menschen sich gut aufgehoben fühlen und über all das sprechen können, was sie bewegt. So wie sie das auch bei uns tun können. Unser Einflussgebiet ist natürlich begrenzt – doch wir sind absolute Lokalpatrioten! Wir haben Lust auf die Menschen unserer Heimat, wir haben Lust auf Community. Und die soll natürlich genauso Lust auf uns haben! Wir sind neugierig auf sie, unterbreiten ihnen ein Angebot. Und freuen uns immer wieder, wenn sie darauf eingehen!
Talha:
Genau. Eben das, was man „gelungene Bildungsarbeit“ nennt!
Lydia Zoubek:
Das bedeutet also auch, dass junge Leute zu euch kommen können, ohne Angst vor etwaigen Konsequenzen haben zu müssen? Ich kann mir gut vorstellen, dass sie oft Angst haben, dass ihre Eltern etwas über ihre Besuche bei euch erfahren…
Tarik:
Damit hast du voll und ganz Recht! Genau legen wir so großen Wert darauf, einen ganz unabhängigen und diskreten Raum anzubieten. Sonst wäre das Projekt wohl zwecklos.
Lydia Zoubek:
Und wenn die jungen Leute von euch überzeugt sind, dann können sie jederzeit wieder zu euch kommen?
Talha:
Genau. Ich habe feste Zeiten, in denen ich im Büro anzutreffen bin. Egal, ob jemand kommt oder nicht. Und wenn ich dort sitze, dann bin ich bereit, über alle Themen zu sprechen und ein offenes Ohr zu haben. Egal, ob nun nur Einer, ob zehn oder ob zwanzig Leute kommen!
Und sollte ich mal überrannt werden, dann ist das auch kein Problem:
Dann höre ich mir die einzelnen Anliegen genau an und schaffe danach Gruppen mit den Leuten, die momentan dasselbe beschäftigt. Da gibt es nämlich sowohl große Gemeinsamkeiten als auch große Unterschiede!
Tarik:
Wir betreiben ja auch ganz bewusst keine Präventionsarbeit, das können wir gar nicht leisten. Wir betreiben Bildungsarbeit. Viele Arbeitskonzepte gegen Extremismus zielen auf das Narrativ innerhalb extremistischer Gruppierungen ab. Wir finden allerdings, dass dies sehr antagonistisch wirkt. Wir glauben, das ist eine zu wenig erfolgversprechende, eine zu wenig positive Art, jungen Menschen entgegen zu treten. Wir wollen narrativ im positiven Sinne sein; unabhängig von althergebrachten Konzepten zur Extremismus-Arbeit.
Ich halte mich nicht an irgendwelche starren Vorgaben pädagogischer Konzepte, ich orientiere mich allein an den Bedürfnissen der Jungen und Mädchen, die unsere Hilfe suchen. Deswegen schreiben wir auch keine Gesprächsinhalte vor. Wir fragen nur: „Was beschäftigt euch? Was denkt ihr darüber? Woran glaubt ihr selbst? Wie geht ihr damit um?“. Ich will mal ein Beispiel bringen: Ein Großteil der Jugendlichen, die zu uns kommen, sind Muslime. Doch das bedeutet doch noch lange nicht, dass wir sie wie eine große, homogene Masse behandeln können! Wir schauen genau hin, hören uns genau an: Wo sind die Unterschiede? Wo liegen Gemeinsamkeiten? Ein Mensch besteht doch nicht allein aus seinem Glauben! Wir bemühen uns sehr, auch den Jugendlichen einen solchen differenzierten Blick zu vermitteln – denn oftmals haben sie bereits ein sehr pauschales Weltbild entwickelt.
Lydia Zoubek:
Der muslimische Glaube also als nur eine Eigenschaft von vielen?
Talha:
Ganz genau! Oftmals werden auch die Jugendlichen selbst von der Gesellschaft stigmatisiert, auf ihren Glauben reduziert. Oder aber: Niemand interessiert sich für ihren Glauben, weder Schule noch außerschulische Angebote.
Es gilt, hier einen Mittelweg zu finden. Ich zum Beispiel bezeichne mich gern als „Bremer Muslim“. Viele Fragen dann: „Wieso Bremer? Du bist doch Türke!“. Darauf entgegne ich dann: „Natürlich habe ich türkische Wurzeln, aber ich bin nicht in diesem Land aufgewachsen. Meine Kultur ist auch die Bremer Kultur. Und das empfinde ich als Bereicherung!“. Die Jugendlichen bezeichnen sich auch oft selbst als „Jugendliche mit Migrationshintergrund“. Diesen Begriff finde ich furchtbar! Wir sprechen viel lieber von „Jugendlichen mit kulturellen Zusatzqualifikationen“, wenn wir von ihnen sprechen. Das klingt doch deutlich positiver, oder? Auch und gerade für die Jugendlichen. Sie sehen sich dann nicht mehr als ein Halb-Halb-Wesen, sondern können ihre kulturelle Abstammung verbunden mit dem Ort, an dem sie leben, als doppeltes Glück empfinden. Sie kennen mehrere Sprachen, mehrere Esskulturen, mehrere Weltansichten – ist das nicht tatsächlich eine große Bereicherung?
Natürlich ist Religion immer ein wichtiger Aspekt. Religion wird in der sozialen Arbeit leider häufig auch vernachlässigt. Auch Religion muss Raum finden! Religion ist im Alltag überall ein Thema, dem kann man sich nicht entziehen. Und dafür brauchen die jungen Leute ein gewisses Grundlagenwissen. Neulich sind wir zum Beispiel in einer religiös gemischten Gruppe auf Jesus zu sprechen gekommen. Das war für alle sehr spannend! Auch über den Stammvater Abraham haben wir uns unterhalten, der für Juden, Christen wie auch Muslime eine große Bedeutung hat. Und die Jugendlichen waren begeistert! Sie wollten mehr erfahren, fragten mich sogar nach Empfehlungen für Lektüre.
Lydia Zoubek:
Lesen ist prima. Gibt’s deine Empfehlungen auch als E-Books?
Talha:
Na, das vermute ich doch! Wir treffen uns jedenfalls bald wieder mit der Gruppe, wir bringen Kekse mit und lesen gemeinsam.
Lydia Zoubek:
Gerne werde ich dieses Interview um einige deiner Lese-Tipps ergänzen!
Talha:
Aber noch einmal zurück zu unseren Jugendlichen: Ich hatte ja schon erwähnt, dass es ganz wichtig ist, vorhandenes Potential zu entdecken und anschließend zu fördern und in eine positive Richtung zu lenken. Um die Jugendlichen dort abzuholen, wo sie stehen, haben wir uns ein Konzept für Ideenwerkstätten überlegt. In diesen soll eigenes Potential entdeckt und Begeisterung entfacht werden.
Als konkretes Beispiel haben wir uns eine Schreibwerkstatt überlegt. Sie können sich von Bloggern und Autoren inspirieren lassen und anschließend selbst tätig werden. Eine weitere Idee wäre auch eine Kunstwerkstatt, in der gemalt und gezeichnet werden kann. Warum sollten nicht auch Begriffe wie „Zusammenleben“ oder „Toleranz“ künstlerisch dargestellt und anschließend vielleicht in einer Art Vernissage ausgestellt werden? Ich bin sicher, das würde sogar auf großes Interesse stoßen – und die Jugendlichen könnten stolz auf sich und ihre Kunstwerke sein!
asselbe gilt natürlich auch für eine Musikwerkstatt. Und unsere „Teestube“ mag ich auch nicht vergessen zu erwähnen, wo sich ganz zwanglos auf einen Tee getroffen und geplaudert werden kann.
Lydia Zoubek:
Vergleichbar mit dem „Café Grenzenlos“ in Neu-Isenburg? Ich war selbst leider noch nicht dort, aber ich musste eben daran denken.
Talha:
Genau! Darf ich noch von einer weiteren Idee erzählen? Nämlich den „Tag der Gebetsstätten“. Ich musste feststellen, dass kaum ein Zehntklässler jemals in einer Synagoge war. Das hat mich wirklich schockiert! Ich wollte daran etwas ändern, mit den Jugendlichen Gebetsstätten aller Religionen besuchen. Gerade das Rhein-Main-Gebiet strotzt doch nur so vor Vielfalt: Synagogen, Kirchen aller Art, Moscheen, sogar buddhistische Tempel! Solche Besuche sind sehr wertvoll und bauen Vorurteile ab.
Lydia Zoubek:
Wo du es gerade ansprichst: Ich finde Kirchen faszinierend! Jede von ihnen hat ihre ganz eigene Geschichte. Und an vielen wurde jahrzehntelang gebaut! Der Baumeister wusste quasi von vornherein, dass er die Fertigstellung nie erleben wird. Das finde ich total spannend!
Talha:
Allerdings! Wenn du dann noch einen Vertreter der Gebetsstätte dafür gewinnen kannst, seine Religion ganz unbefangen vorzustellen und zu erzählen, was seine Religion für ihn bedeutet – dann gelingt ein ganz wunderbarer Perspektivwechsel.
Lydia Zoubek:
Ein Bau als Gebetsstätte tut ja erst einmal niemandem was. Dennoch höre ich immer wieder Muslime sagen, sie würden niemals eine christliche Kirche betreten.
Talha:
… umso wichtiger, zu zeigen, dass allein durch einen Besuch niemand seinen eigenen Glauben verliert!
Tarik:
Ganz genau! Es geht lediglich darum, Berührungsängste und Vorurteile abzubauen. Einfach nur, aufeinander zuzugehen. „Aufstehen, aufeinander zugehen, voneinander lernen, miteinander umzugehen“ – von wem war dieses Lied doch gleich?
Lydia Zoubek:
Hey, den Song kenne ich! Aber frag‘ mich nicht, von wem das ist und wie es heißt…
[ANMERKUNG DES TRANSKRIPTORS:
„Aufstehen, aufeinander zugehen“ vom Interpreten Sven Schumacher]
Tarik:
Was zählt, ist am Ende zu vermitteln: Auf einen Menschen kann man zugehen und mit ihm ganz unverbindlich und vorbehaltlos sprechen. Niemand muss deswegen irgendeinen anderen Glauben annehmen, jeder darf denken und glauben, was er möchte. Ein solcher Austausch hat nichts mit einem „Missionieren“ zu tun!
Lydia Zoubek:
Ich bin sowieso ein großer Fan davon, sich Bauten anzuschauen. Da steckt so viel drin! Architektur, Mathematik, Physik… und natürlich Leidenschaft! Und Kommunikation! Wie haben die Bauarbeiter früher nur miteinander kommuniziert? Viele konnten ja gar nicht lesen und schreiben… Haben sie wohl gezeichnet? Und wenn ja, mit was? Alte Gebäude werfen so viele Fragen auf!
Tarik:
Mir ist dazu noch ein schöner Begriff für unser Handeln eingefallen: „Wir stärken das Wir“. Denn das „Wir“ soll kein abgrenzender Begriff sein, sondern ein Begriff einer allumfassenden Gemeinschaft!
Lydia Zoubek:
Ich bin mir sicher, einige meiner Leser würden euch nun gerne unterstützen. Wie können sie das tun? Welche konkrete Hilfe könnt ihr brauchen?
Talha:
Die größte Hilfe ist sicherlich, einfach mal vorbeizuschauen. Egal, ob ein Leser selbst Hilfe sucht oder sich einfach einbringen möchten:
Wir sind Mittwochabends zwischen 19.00 und 20.30 im Jugendbüro. Ein Jeder ist ganz herzlich eingeladen, uns zu besuchen! Fragt uns, sprecht mit uns. Kommt auf uns zu, lasst uns gemeinsam Vorbehalte abbauen!
Tarik:
Außerdem kann man uns auch als Kooperationspartner unterstützen! Wir sind tätig im Präventionsrat der Stadt Neu-Isenburg und wollen Seminare in der Gedenkstätte Bertha Pappenheim anbieten. Wenn jemand Interesse hat, dabei mit uns zusammenzuarbeiten, darf er sich gerne bei uns vorstellen! Vielleicht stellen wir ja anschließend ein gelungenes Seminarkonzept auf die Beine!
Talha:
… und begnadete Künstler, Musiker und Maler können uns natürlich bei unseren Ideenworkshops unterstützen!
Tarik:
Darüber würde auch ich mich sehr freuen!
Das würde auch mich sehr freuen!
der Verein Insan e. V. ist in Neu-Isenburg ansässig. Hier geht es zum entsprechenden Auftritt auf Facebook. Außerdem ist eine Homepage in Arbeit. Diese findet Ihr hier.
Und nun lade ich Euch ein in den Kommentaren über diesen Beitrag zu diskutieren.