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Allgemein Alltag

Wie sag ich’s einem Blinden? Teil 1

Wer kennt das nicht? Man isst, schaut dabei sein Gegenüber an, oder den laufenden Fernseher, und Ups, da ist auf einmal eine Nudel vom Teller auf die natürlich weiße Hose gefallen. Oder das Eis tropft beim Laufen auf das gerade frisch angezogene T-Shirt. So etwas ist zwar ärgerlich, kommt aber in den besten Familien vor. Kein Grund zur Aufregung. Oder vielleicht doch?
Ich setze einmal voraus, dass ein normal sehender Mensch den hinterlassenen Fleck auf der Hose oder dem T-Shirt von selbst bemerkt. Er entscheidet selbst, ob er weiter damit herum läuft, oder ob er versucht den Fleck zu beseitigen. Möglicherweise zieht er sich auch was anderes an.
Bei einem blinden Menschen funktioniert das ein bisschen anders. Gut, dass eine Nudel oder andere Speisen vom Teller auf der Hose gelandet sind, kann ich erfühlen. Somit kann ich besagte Nudel auch wieder von der Kleidung wegnehmen. Ob das ganze einen Fleck hinterlassen hat, sehe ich nicht. Ich kann es nur ahnen. Schließlich habe ich in meinem Alter irgendwann gelernt, dass Tomatensauce auf heller Kleidung sichtbar bleibt und das ziemlich gut. Was das tropfende Eis angeht, so fühle ich das nur, wenn es kalt oder feucht wird. Oder wenn meine Kleidung sich klebrig anfühlt.
Wenn ich mir unsicher bin, frage ich nach ob meine Kleidung noch sauber ist. Wenn ich mit sehenden Freunden unterwegs bin, frage ich diese, sonst frage ich auch mal die Bedienung im entsprechenden Lokal. Diese Information ist für mich persönlich wichtig, da ich Wert auf ein gepflegtes Äußeres lege.
Ich empfinde es als sehr hilfreich, wenn mir jemand sagt, dass ich beispielsweise einen Fleck auf dem Kleid, der Hose oder dem Rock habe. Das ist eine Information, die ich von normal sehenden brauche. Ich habe dann die Wahl es dabei zu belassen, den Fleck zu beseitigen oder ggf. die Kleidung zu wechseln.
Noch mehr freue ich mich, wenn die Information so unauffällig wie möglich zu mir kommt. So Dinge wie von einem Tischende durch das halbe Lokal zu brüllen: „Du hast Sauce auf deinem Pulli“. gehen gar nicht. Es trägt nur zur allgemeinen Aufmerksamkeit bei. Man kann das Ganze auch steigern. Vor beinahe zwanzig Jahren sagte die Bedienung in einem Lokal zu meiner sehenden Begleiterin, sie möge mir doch mal das T-Shirt sauber machen. Heute kann ich darüber lächeln. Damals habe ich mir das berühmte Erdloch gewünscht, dass mich verschluckt.
Mir fällt es leicht um Hilfe zu bitten. D.h. jedoch nicht, dass alle Blinden so reagieren wie ich. Denn den typischen Blinden gibt es nun mal nicht. Es gibt ja auch nicht die Frau, die Katze oder den Tisch.
Also, wenn Ihr seht, dass beispielsweise mit der Kleidung Eures blinden Gegenübers was nicht stimmt, dürft Ihr ruhig fragen ob Ihr helfen dürft. Aber tut dies bitte möglichst leise und unauffällig. Floskeln wie „Sie sehen es ja nicht“, braucht kein Mensch. Dass blinde etwas nicht sehen, wissen sie selbst. Gleiches gilt für das typische Mitleid, dass Sehende oft beim Anblick eines Blinden befällt. Es hilft niemandem, wenn Ihr mit dem Blinden leidet. Aber die diskrete Info, die er von Euch bekommt, die kann sehr hilfreich sein.

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Allgemein Alltag unterwegs

Helfen oder lieber nicht?

Frankfurt, S-Bahnstation Ostendstrasse. Es ist Samstag später Nachmittag, als ich aus der S-Bahn steige und zügig in Richtung Rolltreppe aufwärts gehe. Ich mag diese Station nicht, und sehe daher zu, dass ich sie möglichst schnell hinter mir lasse. Ich bin auf dem Weg zur Arbeit und hatte bis eben noch einen historischen Krimi auf den Ohren. Als ich auf der Rolltreppe stehe, nehme ich wahr, dass ich mit einem Fuß zwischen zwei Treppen stehe. Ich tue nichts dagegen, da es mich nicht stört. Plötzlich fühle ich wie mich jemand links und rechts an den Hüften packt. Instinktiv hole ich mit einem Arm aus, nach dem Motto „Erst schlagen, dann fragen“. Schließlich weiß ich nicht warum ich hier gepackt werde. In diesem Moment höre ich eine weibliche Stimme sagen: „Ich habe Sie nur mal richtig hingestellt. Sie standen zwischen zwei Stufen.“ Ich glaube, wir waren beide ziemlich erschrocken.
Dieses Beispiel bringe ich oft an, wenn ich gefragt werde ob man einem Blinden helfen soll oder nicht.
Die Dame hat gesehen: Da ist eine blinde Frau, die falsch auf der Rolltreppe steht. Sie ist vermutlich von ihrem eigenen Empfinden ausgegangen, gepaart mit dem Gedanken: Wenn ich jetzt die Augen zu mache, könnte ich nicht sehen, dass ich zwischen zwei Stufen stehe. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass man auch fühlt wie und wo man steht. Und da hat sie mal eben zugepackt, ohne auch nur einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden, dass sie uns beide in Gefahr bringen könnte.
Ich finde es gut, wenn mir Menschen ihre Hilfe anbieten. Das lässt mir die Wahl die Hilfe anzunehmen oder nicht. Bekomme ich diese Hilfe aber regelrecht aufgedrückt, dann werde ich auch schon mal ungemütlich. Ich mag es überhaupt nicht, wenn man mich ungefragt anfasst, oder wenn man versucht für mich zu denken, nur weil ich blind bin. Ich habe ein Problem mit den Augen, nicht mit dem Hirn.
Wenn ich Hilfe angeboten bekomme, und diese annehme, dann ist es auch meine Aufgabe meinem Gegenüber zu sagen welche Hilfe ich brauche. Schließlich bin ich hier die Expertin für meine Behinderung. Im Klartext heißt das, dass ich alt genug bin selbst einzuschätzen wann und wo ich mir helfen lassen möchte.
Also, wenn Ihr das Gefühl habt, dass jemand in Eurer Nähe Hilfe braucht, dann macht Euch bemerkbar und fragt einfach. „Kann ich helfen“, „Brauchen Sie Hilfe“ oder wie auch immer. Nur bitte redet mit einem Blinden. Der sieht das nicht, wenn Ihr ihn fragend anschaut. Und er wird sich erschrecken, wenn Ihr ihn ungefragt anfasst und versucht ihn irgendwohin zu schieben. Blinde Menschen sehen auch nicht sofort, ob es sich dabei um Freund oder Feind handelt, der einen gerade anfasst.
Es gibt Situationen, da möchte ich keine Hilfe annehmen. Das liegt vielleicht daran, dass ich alleine klarkomme, mir einen Weg erarbeite, oder einfach nur auf jemanden warte und nur deshalb an einem Ampelpfosten stehe. Das hat also nichts mit dem Anbieter der Hilfe persönlich zu tun, sondern ausschließlich mit mir.
Es gibt aber auch Situationen, die ich einfach nur nervig finde. Das sind Fragen und Floskeln wie: „Kann man da nichts machen“? „Sie tun mir so leid“. Oder „Ich finde das toll, wie Sie ihr schweres Schicksal meistern“. Mal ehrlich: Wie würdet Ihr Euch fühlen, wenn jemand so etwas zu Euch sagt, den Ihr gerade mal 2 Minuten lang kennt?
Zum guten Schluss möchte ich ein Phänomen erwähnen, das viele Blinde Menschen immer wieder erleben. Nämlich, dass manche normal Sehenden meinen besonders laut und deutlich mit uns sprechen zu müssen. Ich bin sehbehindert und nicht taub.
Im vergangenen Sommer war ich im zwei Minuten entfernten Einkaufszentrum. Als ich wieder draußen war, regnete es in Strömen. Also stand ich erst mal unter der Überdachung und überlegte, ob ich den Regenguss abwarte und trocken nach Hause komme, oder ob ich lieber durch den Regen renne und mich dann umziehe. Ich hatte mich extra an die Seite gestellt, um niemandem im Weg zu stehen. Auf einmal brüllte mir ein Herr ins Ohr: „Also, Sie sehen es nicht. Deshalb sage ich es Ihnen. Es regnet.“ Nun, was soll ich sagen? Meine Freunde auf Facebook hatten viel Spaß mit dieser Geschichte. Denn schließlich ist geteilte Freude auch doppelte Freude.

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Allgemein Alltag

Blind einkaufen Teil 1

Immer wieder werde ich gefragt wie blinde Menschen einkaufen gehen. Daher möchte ich im Folgenden auf dieses Thema eingehen.
Zunächst einmal ganz wichtig: den typischen Blinden gibt es nicht. Somit gibt es auch keine typische Vorgehensweise wie blinde Personen einkaufen. Das was auf mich und meine Vorgehensweise zutrifft, ist für einen anderen blinden Menschen nicht zwangsläufig die beste Lösung.
Als erstes einmal will ich auf die Art des Einkaufens bei vielen normal sehenden Menschen eingehen. Manche machen sich zuhause einen Einkaufszettel und arbeiten diesen strickt ab, fertig. Andere machen sich vielleicht irgendwelche Notizen und lassen sich ein stückweit inspirieren, und wieder andere machen sich gar keinen Einkaufszettel und schauen was es so im Angebot gibt, und ob sie das haben möchten. Kurz, jeder hat seine Vorgehensweise, mit der er am besten zurechtkommt.
Auch ich gehöre zu denjenigen, die sich nie einen Zettel schreiben. Das hat nichts damit zu tun, dass blinde Personen ein super tolles Gedächtnis haben, sondern ist mehr meiner Faulheit geschuldet. Einen Zettel mache ich nur dann, wenn ich eines meiner Kinder zum Einkaufen schicke. Also eher selten. Aber einfach mal eben so durch den Supermarkt bummeln und durch die Regale stöbern geht auch nicht. Es würde für mich bedeuten, dass ich jedes Regal mit Inhalt einzeln ertasten müsste. Das ist mir persönlich zu stressig und zu zeitintensiv.
Meist gehe ich in den Supermarkt meines Vertrauens. Hier kenne ich die grobe Anordnung der Produkte. Am liebsten gehe ich früh morgens einkaufen, wenn noch nicht so viel Betrieb herrscht. Zum einen lässt es sich entspannter einkaufen, zum zweiten kann ich mir helfen lassen, wenn ich ein Produkt nicht gefunden habe oder Fragen auftauchen.
Bei Dingen wie Obst oder Gemüse brauche ich keine Hilfe. Auch wenn es noch immer Leute gibt, die mir, sobald ich etwas in die Hand nehme, erklären wollen was ich da gerade in Händen halte. So Kommentare wie „Das was sie in der Hand haben ist eine Gurke“, oder „Das sind Bananen“ empfinde ich als absolut überflüssig. Leute, ich bin zwar blind, aber nicht doof! Ich sage doch auch nicht zu einer sehenden Frau: „Das was sie auf ihrem Kopf fühlen sind ihre Haare“, oder „Das unter ihren Fußsohlen sind ihre Schuhe“. Was Qualität von Obst oder Gemüse angeht, das rieche und fühle ich. Und wenn ich etwas abwiegen muss, dann packe ich die Menge, die ich haben möchte, in eine Tüte und lasse sie an der Kasse abwiegen. Gut, dass es diese Möglichkeit gibt. Denn die Waagen im Supermarkt sind nicht barrierefrei.
Hilfe brauche ich bei Dingen, die ziemlich unkenntlich verpackt sind. Ich meine jetzt nicht, dass sie nicht gekennzeichnet sind, sondern dass die Form der Verpackung nicht unbedingt auf den Inhalt schließen lässt. Hier mal ein Beispiel. Wenn ich Nudeln habe, die in einer flexiblen Plastikverpackung sind, kann ich durch Erfühlen feststellen ob es sich um Spaghetti, Spiralnudeln oder Penne handelt. Sind diese aber in einem gleich großen Karton verpackt, dann wird es schwieriger. Denn auch wenn man die Verpackung schüttelt, kann man nicht immer hören was genau darin ist. Besonders spannend wird es dann bei Salaten, Käsescheiben oder Konservendosen.
Meistens mache ich das so, dass ich erst einmal die Sachen zusammensuche, die ich alleine finden kann. Die wenigen, die übrig bleiben, lasse ich mir dann von einem der Mitarbeiter heraussuchen. Das sind in der Regel die Dinge, die nicht eindeutig verpackt sind, oder die ich nur selten einkaufe.
Jeder, der für eine Familie einkauft weiß, dass einmal einkaufen nicht ausreicht. Und erst recht nicht, wenn man diesen ohne Auto bewerkstelligt und Wert auf frisches Obst und Gemüse im Haus legt. Seit einiger Zeit habe ich eine sehende Freundin, mit der ich einmal in der Woche noch mal einkaufen gehe. Hier kann ich auch mal nach Neuheiten oder Aktionsangeboten fragen. Ich empfinde das als entspannend, da ich mich nicht so sehr konzentrieren muss, als wenn ich alleine einkaufen gehe.
Früher hatte ich das Gefühl, dass der Supermarkt meines Vertrauens die Ordnung der Ware recht oft änderte. Da ich damals nicht die Möglichkeit hatte morgens einkaufen zu gehen, und das ständige suchen mir Stress bereitete, bezahlte ich Jahrelang jemanden, der alle paar Wochen mit mir zum Einkaufen fuhr. Mit dem Auto konnte man alles einkaufen und mitnehmen, was sich hält. Mit dem restlichen Einkauf konnte ich problemlos alleine fertig werden. Als mir diese Assistenz irgendwann nicht mehr zur Verfügung stand, habe ich auf der Suche nach Lösungen alles Mögliche ausprobiert.
In einem anderen Supermarkt musste ich die Erfahrung machen, dass ich zwar Hilfe beim Einkaufen bekam, jedoch unter Bedingungen, die nicht schön waren. Einmal musste ich miterleben wie zwei Mitarbeiter sich darüber Stritten wer denn jetzt mit der blinden Frau einkaufen gehen muss. Oder man stellte mir eine Praktikantin zur Seite, die sich nicht besser in dem Supermarkt auskannte als ich es tat. Das Highlight war dann, dass ich eine Mitarbeiterin hatte, deren Kenntnisse der deutschen Sprache so schlecht waren, dass ich mich kaum mit ihr verständigen konnte. Ich habe dann die Sachen, die ich dort suchte, woanders gekauft und um dieses Geschäft lange Zeit einen großen Bogen gemacht.
Ich erinnere mich noch an einen Einkauf bei Real, der mich wirklich begeistert hat. Ich hatte dort angerufen und nachgefragt ob ich Hilfe bekommen könnte. An der Information wurde ich von einer echt taffen Auszubildenden abgeholt, die sich erst mal ein grobes Bild von meinen Einkaufswünschen machte und dann sehr systematisch durch den Markt ging. Dabei las sie mir auch Sonderangebote und Aktionen vor, was ich richtig klasse fand.
Oft bekomme ich die Frage gestellt wie ich meinen Einkauf denn nach Hause bekomme. Das ist eine berechtigte Frage. Nun, einen kleinen Einkauf bekomme ich im Rucksack nach Hause. Allerdings bin ich kein Fan davon schwere Einkäufe nach Hause zu tragen. Ich bevorzuge einen Shopper, den ich hinter mir herziehen kann. Anstatt die Produkte in einen großen Einkaufswagen zu füllen, dieses sperrige Teil hinter mir herzuziehen und mich anschließend darüber zu ärgern, das mein Einkauf nicht mehr in meinem kleinen Wagen passt, nehme ich gleich den Shopper und laufe damit durch den Supermarkt. So habe ich sofortige Kontrolle darüber, ob mein Einkauf nicht zu viel für das kleine Teil ist. Außerdem ist mein Wagen leichter zu handhaben.
Natürlich gibt es inzwischen einige Supermärkte, die nach Hause liefern, oder Onlineportale, bei denen man ein reichhaltiges Angebot findet. Allerdings konnte ich mich noch nicht damit anfreunden. Dafür liebe ich es einfach zu sehr meinen Einkauf selbst zu machen. Allerdings nutze ich solche Portale auch schon mal zum virtuellen Schaufensterbummel. Jedenfalls wenn die Beschreibungen der Artikel gut und die Portale barrierefrei sind. Bis jetzt ist das bei nur wenigen Anbietern der Fall. Aber als hoffnungslose Optimistin möchte ich daran glauben, dass immer mehr Portale für blinde und sehbehinderte Kunden zugänglich gemacht werden.