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Blind am PC arbeiten, anders oder gleich

Der PC spielt in meinem Leben eine bedeutende Rolle. Ich arbeite zwar weder im IT-Bereich, noch irgendwo anders in der Computerbranche. Dennoch ist der PC für mich eines meiner wichtigsten Hilfsmittel im Alltag. Im Grunde ist er ebenso wichtig wie meine erste Tasse Kaffee am frühen Morgen, ohne die ich normalerweise keinen Tag vernünftig beginne.
Mein erster PC war tatsächlich so ein großes Teil mit Gehäuse, welches man nicht einfach so mitnehmen konnte. Damit war mein Schreibtisch immer vollgestellt. Denn nicht nur der Bildschirm, die Tastatur und der PC mussten darauf Platz finden, sondern auch ein Drucker und ein Scanner. Links und rechts vom Bildschirm kam noch je ein kleiner Lautsprecher für die Sprachausgabe. Eine Braillezeile kam so unter die Tastatur, dass ich mit den Händen einen möglichst kurzen Weg von der Tastatur zur Brailleschrift hatte. Wenn ich Platz auf meinem Schreibtisch haben wollte, musste ich den Rechner irgendwie unter den Tisch platzieren.
Später ersetzte ich den großen Rechner durch ein Notebook, wodurch ich nicht nur Platz auf dem Schreibtisch sparte, sondern auch ein mobiles Gerät hatte. Der PC ist mein Schreib- und Lesegerät. Im Gegensatz zu nicht blinden Computernutzern schreibe ich alles das über den PC auf, was sehende Personen mit einem Stift und Notizbuch festhalten. Wenn ich das mache, wird es ziemlich unleserlich. Vor Allem aber kann ich meine eigene Handschrift nicht mehr lesen. Daher tue ich mir und anderen den Gefallen alles mit dem PC aufzuschreiben. Das passiert mittels einer herkömmlichen Tastatur. Auf den Schulen für blinde Kinder ist das Beherrschen der Zehnfingertastatur ein Pflichtfach. Damit kann ich auf jedem PC mit fühlbaren Tasten schreiben. Nur bei Sondertasten muss ich mir einmal erklären lassen, wo diese liegen, da ich die Symbole und Beschriftung nicht sehen kann

Sprachausgabe.

Auf dem PC läuft eine Software im Hintergrund, die Veränderungen auf dem Bildschirm bzw. Tastatureingaben abgreift, und diese für mich wahrnehmbar macht. D. h. die Buchstaben, Sonderzeichen oder Wörter werden gesprochen. Ich kann einstellen wie genau ich die Eingabe auf der Tastatur gesprochen haben will. Gleiches gilt auch für eine Datei, die ich zum Lesen öffne. Ich kann einstellen was ich genau hören möchte. Denn es macht einen Unterschied, ob ich Fließtext höre, oder eine Excel Tabelle. Diese Programme nennt man Screen Reader.

Braillezeile

Gerade wenn ich einen Text Korrektur lese, brauche ich ihn buchstäblich unter den Fingern. Dafür gibt es die Braillezeile. Diese zeigt einen Ausschnitt in Brailleschrift, den ich beliebig über den Bildschirm verschieben kann. Denn manche Fehler hört man mit der Sprachausgabe nicht, während man sie in einer eins zu eins Übertragung auf der Braillezeile fühlt.
Wenn man vernünftig arbeiten möchte, braucht man einen Screen Reader, der die Informationen in Echtzeit liefert. Und da dieser Ressourcen braucht, ist es wichtig, dass mein PC die entsprechende Leistung und Arbeitsspeicher mitbringt.

Wie kommt das Geschriebene auf das Papier?

Wenn ich meine Briefe oder Notizen in meiner Textverarbeitung geschrieben habe, schicke ich diese an meinen Drucker. Die Wahl des Ausgabegeräts ist hier Geschmacksache. Für mich ist allerdings wichtig, dass ich diesen durch fühlbare Tasten bedienen kann. Mit einem Touchdisplay welches in der Regel nicht spricht, kann ich nichts anfangen.

Dokumente und Briefe.

Auch der Scanner steht nicht nur zur Dekoration auf meinem Schreibtisch. Ihn benutze ich, wenn ich gedruckte Briefe bekomme, welche ich einscanne, über eine OCR-Software laufen lasse, und diese dann in Sprache oder Brailleschrift umwandeln lasse. Denn viele Ämter, Krankenkassen oder andere Institutionen kriegen es nicht hin mir ein Schreiben auf elektronischem Weg zukommen zu lassen. Datenschutz ist hier das Totschlagargument gegen Barrierefreiheit für blinde Computernutzer. Vielleicht sollte ich ihnen meine Antworten künftig in Brailleschrift zuschicken.
Den Scanner nutze ich aber auch gern, um mir Dokumente unter einem sprechenden Namen zu archivieren, oder per E-Mail zu verschicken. Früher habe ich das auch schon mal genutzt, um eine handschriftliche Mitteilung oder Ankreuzformular einem Freund zu schicken, der mir dann die Angaben abschrieb, und per E-Mail zurück schickte. Denn Handschrift wird noch immer von keinem OCR-Programm zuverlässig erkannt. Genauso wenig wie die Ankreuzformulare meiner Krankenkasse. Wenn ich heute solche Dokumente habe, geht es schneller, wenn ich ein entsprechendes Foto über mein Smartphone mache, und es verschicke.

Fazit.

Für blinde Computernutzer, die überall in der Lage sein wollen, sich etwas zu notieren, ist ein portabler Computer unerlässlich. Meiner steht in einer Dockingstation. Damit ich nicht jedes Mal, wenn ich ihn mitnehme das gesamte Equipment neu verkabeln muss. Denn wenn ich unterwegs bin, dann reichen mir der PC und ggf. meine Braillezeile.
Im vergangenen Jahr habe ich die Brailleeingabe auf dem iPhone für mich entdeckt. Damit kann ich überall schnell und sicher schreiben. Das hat mich etwas unabhängiger von meinem PC gemacht, den ich allerdings gern zuhause für die Feinarbeit benutze. Für das Smartphone spricht jedoch, dass es besser in meine Handtasche passt. Den PC nehme ich nur noch dann mit, wenn ich längere Zeit unterwegs bin. Ansonsten tut es das Smartphone. Wenn ich weiß, dass ich längere Texte schreiben muss, nehme ich eine Tastatur mit, die sich mit meinem mobilen Gerät koppeln lässt. Gepaart mit einer Braillezeile bin ich bestens ausgerüstet.

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Einkaufsfuchs, nicht nur eine Einkaufshilfe

Früher konnte ich etwas besser sehen. Ich konnte mit Hilfe einer Lupe Bücher oder Briefe lesen. Mein Sehvermögen reichte aus, um die Beschriftung auf einer Verpackung zu erkennen. Ich konnte also etwas aus dem Tiefkühlfach oder Kühlregal nehmen und ohne fremde Hilfe lesen, um was es sich handelt. Ich konnte ein Produkt aus dem Regal im Supermarkt in die Hand nehmen und ohne zusätzliche Hilfe lesen, ob sich in einer Dose eine bestimmte Sauce, passierte Tomaten oder Kokosmilch befinden. Auch die helle Beschriftung auf dunklem Hintergrund, mit der meine Gewürze versehen waren, konnte ich lesen. Inzwischen geht das nicht mehr… außer wenn die Lichtverhältnisse besonders gut sind. Also brauchte ich Lösungen, um meinen Alltag mit möglichst wenig Aufwand zu gestalten. Daher habe ich mich auf die Suche nach einer Lösung gemacht, die mir ein Stückchen Unabhängigkeit wiedergibt. Dabei habe ich mehrere Hilfsmittel und Möglichkeiten kennengelernt, von denen ich heute eines vorstellen möchte. Der Einkaufsfuchs ist eine Einkaufshilfe mit digitaler Sprachausgabe für blinde und stark sehbehinderte Menschen. Er ermöglicht es, ohne fremde Hilfe Produkte die Barcodes, welche auf den meisten Verpackungen vorhanden sind, zu erkennen. Er macht es auch möglich, andere Gegenstände zu kennzeichnen und diese später sicher wieder zu erkennen. Der Einkaufsfuchs kennt viele Millionen Artikel: Vor allem sind das die wichtigsten Gebrauchsgüter im Haushalt, Lebensmittel und die meisten Musik-CDs. Die Datenbank des Einkaufsfuchses enthält viele Produkte, die in deutschen Supermärkten erhältlich sind. Damit kann ich also feststellen, welches Produkt ich gerade in der Hand halte. Das ist vor Allem bei Verpackungen, die sich identisch anfühlen, eine große Hilfe. Das quaderförmige Gerät liegt gut in der Hand. Es hat einen Schiebeschalter, zum Ein- und Ausschalten, einen Drehregler für die Lautstärke und einen Druckknopf für weitere Bedienungsmöglichkeiten. Die mitgelieferte Tasche kann sowohl umgehängt, als auch als Gürtelclip befestigt werden. Damit lässt sich der Einkaufsfuchs bequem mitnehmen.

Einkaufen

Ich kenne mich im Supermarkt meines Vertrauens aus. Ich weiß also, wo mein Lieblingsmüsli steht. Da es mehrere Verpackungen gibt, die sich gleich anfühlen, kann ich mit dem Einkaufsfuchs sicherstellen, dass ich das gewünschte Früchtemüsli in meinen Einkaufswagen gelegt habe. Auf dem Beitragsbild halte ich eine entsprechende Verpackung in der linken Hand, während ich mit dem Einkaufsfuchs in der rechten Hand das Produkt erkennen lasse. Bei Produkten, die ich noch nicht kenne, muss ich den Barcode suchen. Das funktioniert am besten, wenn ich den Einkaufsfuchs in einer Entfernung von etwa 15 cm auf das Produkt richte. Wird das Produkt erkannt, so ertönt ein Piepton gefolgt von einer Sprachmeldung. Wenn nicht, dann befindet sich der Barcode auf einer der anderen Seiten. Diese kann ich nacheinander ausprobieren. Am Anfang erfordert das ein bisschen Übung. Aber wenn man den Bogen raus hat, geht das richtig schnell.

Einkauf sortieren

Lydia sortiert ihren Einkauf mit Einkaufsfuchs.

In regelmäßigen Abständen mache ich einen Großeinkauf. Das heißt im Klartext, dass ich außer Obst und Gemüse, Dosen, Gläser und Päckchen in möglichst kurzer Zeit identifizieren und an den dafür vorgesehenen Platz räumen muss, und zwar möglichst so, dass ich diese sehr schnell wieder finden kann. Daher sortiere ich meinen Einkauf am liebsten selbst in Kühlschrank, Schränke oder Regale ein. Obst und Gemüse taste ich ab, genauso wie Produkte, die so verpackt sind, dass man den Inhalt ertasten kann. Konserven, Produkte im Tetrapack oder Gläser kann ich nur dann sofort erkennen, wenn ich nur eine Sorte eingekauft habe. Ich habe mal ein Foto von einem kleinen Großeinkauf gemacht, um das mal bildlich darzustellen: Hier ist mir der Einkaufsfuchs eine große Hilfe, um die eingekauften Produkte so zu sortieren, dass ich sie beim Kochen oder Putzen sofort zur Hand habe. Bei Gewürzen mache ich es so, dass ich sie erkennen lasse, und anschließend mit Braille beschrifte oder in einen bereits beschrifteten Behälter umfülle. Die Datenbank, auf die der Einkaufsfuchs zurückgreift, wird stetig erweitert. Dennoch kann es vorkommen, dass ein Produkt nicht erkannt wird. Dann meldet mir der Einkaufsfuchs, dass er das Produkt nicht kennt. Ich kann es dabei belassen, oder diesem unbekannten Code eine Sprachnotiz beifügen, wie z. B. „Ananas in Scheiben, Firma XY, 200 Gramm“. Diese wird dann abgerufen, wenn dieses Produkt wieder gescannt wird. Das Gerät ist somit lernfähig. Wenn ich etwas eingekauft habe, kann ich mir das ganz gut merken. Ebenso merke ich mir auch, wo ich welches Produkt eingeräumt habe. In einem Haushalt mit vier Personen bleibt es jedoch nicht aus, dass etwas aufgebraucht wird, ohne dass ich davon weiß. Und ebenso kann es vorkommen, dass ein Produkt nicht mehr an seinem gewohnten Platz steht. Mit dem Einkaufsfuchs kann ich sicherstellen, dass ich die richtige Konserve, das richtige Glas oder die richtige Tüte in der Hand halte. Das gilt nicht nur für Lebensmittel, sondern auch für Kosmetika, die sich in Flaschen befinden, welche sich ähnlich anfühlen.

Dokumente beschriften

Eine weitere Herausforderung ist das Kennzeichnen wichtiger Dokumente. Früher hatte ich diese in eine Klarsichtfolie gesteckt und diese mit Braille beschriftet. Bei wichtigen Dokumenten mache ich das noch immer so, oder ich scanne diese ein und speichere sie auf meinem PC. Eine brauchbare Alternative dazu ist es, Dokumente mit Hilfe des Einkaufsfuchses zu beschriften. Zu diesem Zweck liefert der Hersteller Aufkleber mit fertigen Barcodes mit. Ich mache das so, dass ich das Dokument in eine Klarsichtfolie stecke, und einen Aufkleber in die rechte obere Ecke klebe. Dieser kann mit einer kurzen Sprachnachricht in der Datenbank verknüpft werden, wie z. B. „Mietvertrag vom 22.03.2015“. Diese Nachricht kann immer wieder abgerufen werden. Wenn ich irgendwann in derselben Klarsichtfolie ein anderes Dokument aufbewahren möchte, lässt sich die alte Aufnahme mit einer anderen Sprachnachricht überschreiben. Am liebsten verwende ich Klarsichtfolien mit Lochung. Denn diese kann man in jeden handelsüblichen Ordner einheften.

Fotos unterscheiden

Ich selbst hebe meine Fotos gerne digital auf. Dazu gebe ich ihnen einen entsprechenden Namen und fertig. Aber was ist mit den Fotos, die ich nur in Papierform bekomme? Das Fotoalbum aus meinen Kindertagen, die Klassenfotos meiner Kinder, das Sofortbild von einer Party. Auch hier lässt sich mit dem Einkaufsfuchs Abhilfe schaffen: Ein Aufkleber mit einem Barcode lässt sich entweder auf der Rückseite des Fotos oder auf dem Fotoalbum anbringen und anschließend mit einer gesprochenen Bildbeschreibung versehen. Diese könnte lauten: „Lydia sortiert ihren Einkauf mit Hilfe von Einkaufsfuchs“, oder „Klassenfoto aus der achten Klasse“.

Verpackungen zuordnen

Der Scanner des Einkaufsfuchs ist auf den Barcode einer von mehreren Verpackungen gerichtet.

Ich gehöre zu den Kunden, die alle möglichen Verpackungen von Küchengeräten, Headsets oder anderen Elektronikartikeln aufheben. Es ist auch schon vorgekommen, dass ich die Verpackung von einem Gerät hatte, welches längst nicht mehr in meinem Besitz war. Nicht immer kann ich die Verpackung durch Abtasten dem Inhalt zuordnen. Irgendwann habe auch ich eingesehen, dass ich da mal aufräumen müsste. Also habe ich mir den Einkaufsfuchs geschnappt und die Verpackungen gescannt. Es gab eine Menge Produkte, die in der Datenbank waren. Diese konnte ich also ohne großen Aufwand sortieren. Bei den unerkannten Verpackungen musste ich erst mal herausfinden, zu welchem Gerät sie gehörten. Die Verpackungen, die ich behalten wollte, wurden mit einem Aufkleber und mit einer entsprechenden Sprachnachricht in der Datenbank versehen. Seitdem ist mein Schrank etwas übersichtlicher geworden. Auf diese Weise lassen sich ohne großen Aufwand alle Gegenstände, Dokumente und vieles andere mit Hilfe des Einkaufsfuchses wiederfinden oder kennzeichnen. Dieses Hilfsmittel arbeitet offline, braucht also kein Internet oder PC-Kenntnisse. Ein Update ist quasi durch den Austausch der mitgelieferten Speicherkarte möglich. Der Einkaufsfuchs ist im Hilfsmittelkatalog der gesetzlichen Krankenkassen enthalten. Das heißt, dass die Kosten nach Vorlage einer ärztlichen Verordnung von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden.

Fazit

Der Einkaufsfuchs ist ein Gerät, welches ohne großes technisches Verständnis und ohne Internet auskommt. Es liegt gut in der Hand und passt in jede Handtasche. Die Bedienelemente sind gut voneinander zu unterscheiden. Als wirkliche Einkaufshilfe ist es nur dann geeignet, wenn man eine gute Orientierung im Supermarkt hat und keinen Familieneinkauf damit bewerkstelligen muss. Als Sortierhilfe nach dem Einkauf finde ich den Einkaufsfuchs super. Und auch als Möglichkeit Gegenstände oder Verpackungen zu kennzeichnen leistet er gute Arbeit. Nähere Informationen zum Gerät gibt es auf der Seite der Firma SynPhon.

Und jetzt freue ich mich schon auf einen regen Meinungsaustausch in den Kommentaren.

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Allgemein Bildung

Bücher lesen geht auch blind

Das Beitragsbild zeigt mich mit einem Heft in Brailleschrift. Meine Finger liegen auf dem Papier.

Seit Jahren streiten sich die Geister darüber ob man lieber ein gedrucktes oder digitales Buch liest. Dabei geht man vom normalsehenden Leser aus. Aber wie verhält es sich bei blinden Lesern?

Mit diesem Beitrag nehme ich an einer Blogparade zum Thema „eBook oder gedrucktes Buch“ teil. Den Beitrag und die anderen Teilnehmer an der blogparade findet Ihr hier.

http://senkpiel.net/blogparade-ebook-oder-gedrucktes-buch/
Auf einem Elternabend im 2. Schuljahr erklärte die Klassenlehrerin meiner Tochter uns Eltern, dass es gut ist, wenn Kinder zuhause lesen. Dabei ist es völlig egal, ob sie ein Kinderbuch lesen, in einer Fernsehzeitung blättern oder die Aufschrift auf Gewürzbehältern entschlüsseln. Wichtig ist nur, dass sie es freiwillig und in ihrem Tempo tun, damit die Freude am Lesen wachsen kann.

Während der ersten zwei Schuljahre hatte ich nicht wirklich Freude am Lesen. Allerdings lag das daran, dass ich in einer Schule für sehbehinderte Kinder war. Hier arbeitete man bestenfalls mit vergrößerten Texten. Und ich war damals schon zu blind, um längere Texte entspannt lesen zu können. Lesen war somit eine Notwendigkeit für gute Noten. Erst als ich zu Beginn des dritten Schuljahrs eine Blindenschule besuchte, lernte ich Braille. Ich lernte, dass lesen Spaß machen konnte. Und als ich dann auch noch die Schulbücherei entdeckte, begann meine Laufbahn als angehende Leseratte.

Hier sieht man den Vergleich eines Buches in Braille und normaler Schrift.
Leider war die Auswahl der Literatur in Braille wesentlich eingeschränkter als Literatur, die normal sehenden Kindern zur Verfügung steht. Bücher von Astrid Lindgren oder einige Werke von Karl May waren in der Schulbücherei vorhanden, als ich begann mich dafür zu begeistern. Schwierig wurde es, als ich meine Vorliebe für Enid Blyton entdeckte. Es gab weder „Fünf Freunde“ noch „Hanni und Nanni“ in Braille. Wir hatten einen tollen Klassenlehrer, der die Abende auf Klassenfahrten mit dem vorlesen aktueller Kinderbücher füllte.

Mit 13 Jahren entdeckte ich für mich das Hörbuch. Auf dem Schulgelände befand sich eine für damals umfangreiche Hörbücherei, die sowohl wissenschaftliche als auch Unterhaltungsliteratur speziell für blinde Leser auf Kassette aufsprach. Diese wurden kostenfrei an die Mitglieder Versand. Nach dem Hören konnte ich sie kostenlos an die Hörbücherei zurücksenden, das war während der Ferien besonders praktisch.

Irgendwann bekam ich eine Lupe mit 12facher Vergrößerung. Diese ermöglichte es mir nach längerer Übung normal gedruckte Bücher zu lesen. Allerdings mussten hier die Lichtverhältnisse stimmen. Und es ging recht langsam.

Jetzt hatte ich also die Wahl ob ich ein Buch in Braille oder als Hörbuch lesen wollte. Ich machte das von der Literatur abhängig. Manche Bücher gab es in Braille, andere nur als Hörbuch. Außerdem  sind Bücher in Braille sehr umfangreich. Wenn ich viel unterwegs war, dann wog ein kleiner Kassettenrekorder nebst Hörbuch wesentlich weniger als ein Buch in Braille. Und wenn man mit kleinem Gepäck und ohne Auto reist, dann ist das ein entscheidendes Kriterium. Bekam ich ein Buch weder in einer Hörbücherei, noch in Braille, so las ich das auch schon mal mit der Lupe. Dazu gehörte beispielsweise die Serie „Dolly, Schulabenteuer auf der Burg“ von Enid Blyton.

Mitte der 90er Jahre zog ein Vorlesesystem bei mir ein. Es bestand aus einem PC nebst Scanner. Ich konnte ein beliebiges gedrucktes Schriftstück auf den Scanner legen. Es wurde eingescannt, dann durch eine Texterkennungssoftware geschickt und anschließend auf meinem PC gespeichert. Den Inhalt konnte ich mir mit Hilfe einer Sprachausgabe vorlesen lassen.

Jetzt konnte ich also in eine Stadtbücherei gehen, ein Buch meiner Wahl ausleihen, und es mir mit dieser Technik zugänglich machen. Damals schwärmte ich für die Fernsehserie „Unsere kleine Farm“. Die Bücher trieb ich irgendwie per Fernleihe auf und scannte sie mir ein. Auf diese Weise konnte ich mir so manche Literatur zugänglich machen, die es weder als Hörbuch, noch als Brailllebuch gab. Ich weiß noch, dass ich solange an meinem System feilte, bis ich es soweit hatte, dass ich die Seiten in schnellem Tempo einscannte. Anschließend ließ ich die Software in einer Arbeitsschleife das Ganze in Text umwandeln. Da diese Prozedur für ein dickes Buch mehrere Stunden dauern konnte, ließ ich den Computer arbeiten, wenn ich außer Haus war, oder über Nacht. Da ich meist nur Unterhaltungsliteratur einscannte, war es nicht so schlimm, wenn sich Erkennungsfehler im Text befanden. Und zum Korrekturlesen war ich einfach zu faul.

Und so gingen viele Jahre ins Land. Die Texterkennung wurde besser, es gab außer den Hörbüchereien für blinde Leser immer mehr kommerzielle Hörbücher, die man ganz normal in einem Buchladen, und später online als Download kaufen konnte. Und auch die Hörbüchereien für blinde Nutzer stellten irgendwann auf CD um, was die Bücher noch kleiner werden ließ. Bei mir zog ein Diktiergerät ein, welches nicht viel größer als eine Checkkarte war. Darauf konnte ich mir meine Bücher kopieren und sie überall anhören.

2012 zog das erste IPhone bei mir ein. Und damit die Möglichkeit mobil eBooks zu lesen, die es weder in einer Bücherei für blinde Nutzer, noch als käufliches Hörbuch gab. Und auch die Blindenhörbüchereien stellen nach und nach auf Download um. Es werden also kaum noch CDs verschickt, und müssen damit auch nicht mehr über den PC auf irgendein Gerät kopiert werden. Wenn ich also mitten in der Nacht das Bedürfnis habe ein Buch zu lesen, kann ich es mir auf diese Weise zeitnah besorgen.

Die Brailleschrift ist nach wie vor wichtig für mich. Allerdings nur, wenn ich etwas Korrektur lesen will, oder wenn ich es mit Zahlen oder Eigennamen zu tun habe. Auch das Erlernen von Vokabeln und ähnlichen Inhalten fällt mir leichter, wenn ich die Schrift unter meinen Fingern habe. Wenn ich jedoch einfach nur ein Buch zur Unterhaltung lesen möchte, dann liebe ich es möglichst klein und kompakt. Und das heißt für mich meine Bücher auf das IPhone zu laden und sie dort zu lesen, wo ich gerade möchte. Das kann auf meiner Couch, auf einer Parkbank oder in einem Zug sein. Wenn mein Buch lediglich die Größe eines Smartphone umfasst, dann geht das alles. Mit einem Buch in Brailleschrift wäre das recht unpraktisch, und damit nichts für die Handtasche. Ein solches Buch würde ich dann doch lieber lesen, wenn ich irgendwo gemütlich in einem Sessel oder an einem Tisch sitze. Denn es ist gleichzeitig ein schönes Gefühl mit den Fingern über die Punkte eines Buches zu gleiten und dessen Inhalt in sich aufzunehmen.