Kategorien
Allgemein unterwegs

Blind Bus fahren im CoronaStress

Es ist morgens kurz vor 9 Uhr, als ich Richtung Bushaltestelle laufe. Hier fahren fünf verschiedene Buslinien mit völlig unterschiedlichen Endzielen ab. Auf der Straße herrscht reger Verkehr, so dass ich nicht hören kann, ob außer mir noch jemand an derselben Bushaltestelle steht. Früher habe ich mich vorne an die Bushaltestelle gestellt, bin ganz vorne eingestiegen, nachdem ich den Busfahrer nach der Eingefahrenen Buslinie gefragt habe. Seit Corona geht das nicht mehr, da der Einstieg für die vordere Tür nun untersagt wurde. Ein Bus fährt ein. Da die Busse unterschiedlich halten, muss ich in möglichst kurzer Zeit die hintere Tür finden und dabei noch einen Fahrradweg überqueren. Jetzt gilt es herauszufinden, welcher Bus eingefahren ist. Also stelle ich einen Fuß in die Tür, und frage laut und deutlich „Welcher Bus ist das bitte“. Als keine Antwort kommt, wiederhole ich meine Frage. Erst mal kommt keine Antwort. Dafür greift eine Hand von hinten zu, und schiebt mich vorwärts. Nein, ich will vorher wissen in was ich da einsteige. Endlich fühlt sich ein Fahrgast dazu bemüßigt mir die Buslinie zu nennen. Vom Busfahrer ist bisher kein Laut gekommen.
Nachdem ich jetzt weiß, dass es sich bei dem eingefahrenen Bus um den von mir gesuchten handelt, steige ich ein. Jetzt geht es darum einen Sitzplatz zu finden, der auch noch ausreichend Abstand zu anderen Fahrgästen garantiert. Früher habe ich mich direkt hinter die vordere Tür gesetzt, fertig. Jetzt muss ich suchen. Denn erfahrungsgemäß werden Fahrgäste ganz still, wenn blinde Menschen einsteigen. Ich habe also zwei Optionen. Entweder stelle ich die Frage „Wo ist hier noch ein Platz frei“, oder, wenn mir niemand antwortet, taste ich mit dem Stock oder den Fingerspitzen die einzelnen Sitze ab, und entschuldige mich, wenn ich einen Menschen versehentlich berühre. Abstand halten ist bei diesen Voraussetzungen mehr als eine Herausforderung.
Bisher habe ich immer irgendwie einen Sitzplatz gefunden. Jetzt gilt es an der von mir gewünschten Bushaltestelle auszusteigen. Wenn die Haltestellen akustisch angesagt werden, dann ist das kein Problem. Allerdings zeichnen sich manche Buslinien dadurch aus, dass keine Ansage zu hören ist. Und wenn dann der Bus nur dann hält, wenn rechtzeitig gedrückt wird, wird es richtig spannend. Früher konnte ich mich schon mal beim Busfahrer rückversichern. Aber der ist für mich zu weit weg, um ansprechbar zu sein. Entweder kann ich mir mit einem guten GPS-Signal behelfen, oder frage andere Fahrgäste nach der nächsten Haltestelle. Allerdings hat sich das nicht wirklich bewährt. Viele sehende Fahrgäste wissen die Namen der Haltestellen nicht, da sie sich rein visuell orientieren. Beispiel: Wenn ich das Einkaufszentrum sehe, muss ich aussteigen, oder, wenn ich über die Brücke gefahren bin, bin ich da. Solche Informationen nutzen blinden Fahrgästen kaum bis gar nicht.
Vor etwa 2 Wochen wurde der Fahrkartenverkauf in Bussen meiner Heimatstadt wieder gestattet. Nämlich in denen, welche über eine Trennscheibe zwischen Busfahrer und Fahrgast verfügen.
Ich beobachte die kommenden Lockerungen mit großer Spannung. Denn ich wünsche mir, dass wir Menschen mit einer Sehbehinderung wieder vorne einsteigen, den Busfahrer nach der eingefahrenen Linie fragen und uns anschließend direkt vorne hinsetzen können. Ich wünsche mir sehr, dass die entsprechenden Entscheidungsträger unseren Personenkreis auf dem Schirm haben, damit wir wieder stressfrei mit dem Bus fahren können.

Und zum Schluss eine Bitte an nicht blinde Mitmenschen. Die meisten blinden Fahrgäste freuen sich darüber, wenn Ihr an Bushaltestellen die eingefahrene Linie ansagt. Und auch über den Hinweis auf einen freien Sitzplatz, der uns hilft uns an die Abstandsregeln zu halten, freuen wir uns.

In diesem Sinne, auf ein gutes Miteinander.

Kategorien
Allgemein Alltag

Ich möchte selbst einkaufen gehen

Das Thema Einkaufen mit einer Sehbehinderung beschäftigt mich seit den ersten Beschränkungen und Abstandsregelungen. In meinem Beitrag blind einkaufen und Corona hatte ich bereits über die Herausforderungen und Probleme geschrieben, die unseren Personenkreis betreffen. Heute möchte ich über ein Erlebnis schreiben, welches ich als Highlight der letzten Monate sehe.
Nach den vielen Einkaufslisten, die ich in den letzten Monaten erstellt hatte, und bei denen ich stets die Hälfte vergessen hatte, erklärte sich ein Freund dazu bereit mich in den Supermarkt zu begleiten. Ein Mensch, der keine Angst davor hatte sich einer Ansteckung durch Corona auszusetzen, indem er mich in seinem Auto mitfahren ließ und der kein Problem damit hatte, dass ich mich an seinem Arm festhielt. Endlich einmal unbeschwert durch den Supermarkt laufen können, sich von Angeboten inspirieren lassen und sich im Kühlregal austoben können. Ich konnte mein Glück kaum fassen.
Natürlich gab es immer wieder Angebote von sehenden Mitmenschen für mich einzukaufen. Aber das war und ist für mich immer nur die zweite Wahl. Selbst einkaufen gehen bedeutet für mich eine Mischung aus Selbstbestimmung und Lebensqualität. Und ich war noch nie gut im Schreiben von Einkaufszetteln. Ich bin eher jemand, der sich bestenfalls eine Gedächtnisstütze macht, aber dem im Supermarkt einfällt was er braucht.
Der Tag kam, und ich freute mich riesig darauf. Und um nichts zu vergessen, habe ich doch ein paar Dinge aufgeschrieben, die ich nicht vergessen durfte. Darunter war keines der heiß begehrten Produkte wie Toilettenpapier, Hefe oder Haferflocken. Diese Liste schickte ich meinem Begleiter, damit er eine Vorstellung davon hatte was ich haben wollte.
Wir waren in zwei unterschiedlichen Supermärkten, und ca. 2 Stunden gemeinsam unterwegs. Es tat richtig gut. Erst recht, da mein Begleiter mir stets das Gefühl vermittelt hat, dass wir alle Zeit der Welt hatten. Neben seinem eigenen Einkauf stapelten sich 5 volle Einkaufstüten im Auto. Dabei waren auch viele Dinge, die etwas länger haltbar waren. Denn wer weiß wann ich wieder Gelegenheit haben würde mit einer sehenden Begleitung durch einen Supermarkt zu laufen.
Was hält mich vom eigenständigen Gang in den Supermarkt ab? Da sind verschiedene Dinge. Fangen wir mal mit der vorgeschriebenen Mitnahme eines Einkaufswagens an, der den Abstand sicherstellen soll. Das funktioniert bei mir nicht, da ich den Einkaufswagen hinter mir herziehen muss. Wenn ich ihn schiebe, kann ich nicht mit dem Blindenstock kontrollieren, ob sich etwas vor uns befindet. Weiter geht es mit der Auswahl der Produkte. Ich muss alles anfassen, um es zu erkennen. Für mich kein Problem. Ich könnte mir Hygienetücher oder Desinfektionsspray mitnehmen. Dennoch möchte ich das anderen Kunden nicht zumuten. Erst recht nicht in der gegenwärtig angespannten Stimmung in vielen Märkten. Ein weiteres Problem sind die Schlangen an den Kassen. Die Markierungen, die die Abstände zwischen den Kunden anzeigen, sind nur optisch gekennzeichnet, und daher mit dem Blindenstock nicht fühlbar. Damit wird auch das Schlange stehen für mich zur Odyssee und Stressfaktor. Ich habe nur dann eine Chance, wenn mir jemand die entsprechenden Hinweise gibt.

Zum Schluss noch eine Bitte an sehende Leser. Seht Ihr einen blinden Menschen vor einem Geschäft, einer Kasse oder sonst wo im Schlangengeschehen, dann fragt ihn, ob er Hilfe braucht, und gebt ihm einen Hinweis wo er am besten steht, und wann er in welche Richtung weitergehen sollte. Das nimmt vielen die Verunsicherung. Erst recht, da viele Menschen ganz still werden, wenn sich ein blinder Mensch nähert. In redet weiter, wenn ich komme habe ich dieses Phänomen und dessen Auswirkungen beschrieben.

Und jetzt wünsche ich mir einen guten Meinungsaustausch in den Kommentaren.

Kategorien
Allgemein

Corona und ich

Wenn ich in der Schule für eine Arbeit lernen musste, dann habe ich das meist auf den letzten Drücker gemacht, oder gemeinsam mit anderen Mitschülern zu einem festen Termin gearbeitet. Nur so konnte ich mich mit dem inneren Schweinehund und anderen Kräften arrangieren. Diese Vorgehensweise habe ich auch im Erwachsenenalter beibehalten. Ganz gleich, ob es darum ging einen Widerspruch zu schreiben, meinen Einkauf zu planen oder einen Blogbeitrag zu schreiben. Ich brauchte ein gewisses Maß an Termindruck, um eine gute Arbeit abliefern zu können. Wie oft habe ich versucht das zu ändern, jedoch ohne großen Erfolg. Nur die Ausreden wurden kreativer.
Ich glaube, ich bin ein recht aktiver Mensch. Besonders gut geht es mir, wenn ich Termine habe, die mit anderen Personen zusammenhängen. So ging ich bisher ein bis zweimal wöchentlich zum Töpfern, habe einmal in der Woche Showdown gespielt oder Veranstaltungen der Blindenselbsthilfe besucht oder mich mit Freunden getroffen. Dazwischen habe ich meinen Alltag bewältigt, an meinem Blog geschrieben oder ein gutes Buch gelesen. Meinen Wocheneinkauf habe ich mit einer Freundin erledigt, so dass ich nur noch die frischen Sachen alleine organisieren musste. Kurz, ich hatte irgendwie alles im Griff.
Und Dann kam Corona. Anfangs dachte ich noch wie viele andere Personen auch, dass uns das nicht so trifft wie die Menschen, die beispielsweise in China leben. Aber irgendwann kamen die ersten Einschränkungen. Der Bus, der die vordere Tür nicht mehr öffnete, so dass blinden Fahrgästen der Kontakt zum Busfahrer fehlte, Veranstaltungen, die nach und nach abgesagt wurden, und dann auch die Termine, die mich direkt betrafen. Kein Sport mehr, kein Töpfern, keine Treffen mit Menschen außerhalb der eigenen Lebensgemeinschaft. Auch meine Assistenz für den Einkauf konnte nicht mehr zu mir kommen, da sie der Risikogruppe angehörte. Damit fiel Shopping grundsätzlich aus. Einkäufe erledigten nun meine Kinder meist ohne mich. Für jemanden, der es nicht gewohnt ist Einkaufszettel zu schreiben eine absolute Herausforderung. Und alles das passierte für mich von jetzt auf hier. Auf einmal war das meiste, was zu meiner Lebensqualität beigetragen hatte, weg. Meine Aktivitäten, meine Eigenständigkeit, meine sozialen Kontakte, die nur noch online oder telefonisch stattfinden durften.
Corona immer und überall. In den Nachrichten, in sozialen Netzwerken, in vielen Blogbeiträgen meiner Bloggerkollegen. Anfangs habe ich die unterschiedlichen Sichtweisen gelesen und kommentiert. Doch auch daran verliert man irgendwann die Lust. Einfach, weil es stets um dieselben Themen geht. Ich habe all die Kollegen bewundert, die richtige Corona Tagebücher oder Chroniken geführt haben, und es noch immer tun. Ich selbst hatte eine regelrechte Schreibblockade, der ich nur einige Beiträge abtrotzen konnte. Aber seit ein paar Wochen geht auch das nicht mehr.
Mich hat diese Situation einfach krank gemacht. Und es hat ziemlich lange gedauert, bis ich das richtig begriffen habe. Mir persönlich hat es nicht gut getan mich permanent mit mir selbst zu beschäftigen, gepaart mit der Tatsache, dass ich mich nicht bewusst dafür entschieden habe, sondern diese Entscheidung für mich getroffen wurde.
Da wir alle nicht wissen können, wie lange dieser Zustand anhalten wird, habe ich mir Hilfe geholt, damit es mir irgendwann wieder besser geht. Gepaart mit den inzwischen getroffenen Lockerungsmaßnahmen habe ich ein bisschen Optimismus zurückbekommen. Alles Weitere wird die Zeit zeigen.

Bis dahin, bleibt alle gesund.

Eure Lydia

Kategorien
Allgemein Alltag

Wünsche an sehende Mitmenschen zu Coronazeiten

In einem Newsletter schreibt der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband DBSV folgendes:
Liebe Leserinnen und Leser,

eigentlich ist es ja herausfordernd genug, als sehbehinderter oder blinder Mensch den Alltag zu bewältigen. In den vergangenen Wochen ist jedoch vieles noch erheblich schwieriger geworden. So gibt es infolge der Corona-Epidemie jetzt Warteschlangen mit großen Abständen – peinlich, wenn man die Wartenden nicht registriert und einfach in ein Geschäft spaziert, ohne sich anzustellen. Auch eine ganz normale Busfahrt kann zum Problem werden, seitdem man nicht mehr vorn beim Busfahrer einsteigen und erfragen kann, um welche Buslinie es sich handelt. Das sind Situationen, in denen man sich alleingelassen fühlt und Unterstützung sehr willkommen wäre.

Anlässlich des Sehbehindertentages am 6. Juni möchte der DBSV eine Liste mit Tipps veröffentlichen, wie man Menschen mit Seheinschränkung in der Corona-Krise helfen kann. Dazu benötigen wir Ihre Zuarbeit. Wir bitten alle sehbehinderten und blinden Menschen, uns bis zum 26. Mai 2020 die folgende Frage zu beantworten: Welche Unterstützung wünschen Sie sich in Corona-Zeiten von Ihren sehenden Mitmenschen?

Wir bitten Sie um möglichst konkrete Hinweise, was ein sehender Mensch Hilfreiches tun könnte.
Ihren persönlichen Wunsch können Sie ganz einfach „abgeben“ unter: https://www.dbsv.org/mein-thema.html
Damit Sie Ihren Beitrag anonym einreichen können, finden Sie dort ein einfaches Formular. Bei Problemen mit dieser Internetseite können Sie Ihren Wunsch aber auch per E-Mail an v.lenk@dbsv.org mitteilen oder per Post an die DBSV-Geschäftsstelle, Volker Lenk, Rungestr. 19, 10179 Berlin.

Leider läuft die Umfrage nur bis zum 26. Mai, damit wir vor dem Sehbehindertentag noch genügend Zeit haben, die Antworten auszuwerten und die Liste mit Tipps zu erstellen. Wir freuen uns, wenn Sie anderen sehbehinderten und blinden Menschen von unserer Umfrage erzählen!

Und hier sind meine Wünsche:
irgendwann wurde in Zusammenhang mit Corona die Entscheidung getroffen, dass der vordere Bereich in Bussen und Bahnen nicht mehr für Fahrgäste zugänglich war. Für blinde Fahrgäste hieß das, dass wir nicht mehr an die vordere Tür gehen, und den Busfahrer nach der Linie oder dem Endziel fragen konnten. Gepaart mit der Tatsache, dass die Busse nicht immer eine eindeutige Halteposition haben, ist das Einsteigen in die richtige Buslinie mit dem richtigen Abstand zur großen Herausforderung geworden. Solange das öffentliche Leben quasi stillstand, und meine ganzen Termine außer Haus ausfielen, spielte das für mich persönlich keine große Rolle. Doch jetzt habe ich ein paar Wünsche, die mir das Nutzen öffentlicher Verkehrsmittel erleichtern können.

  • Ich freue mich, wenn mir jemand anbietet die einfahrende Buslinie anzusagen.
  • Ich freue mich, wenn ich einen Hinweis bekomme wo sich die Tür des Busses oder der Bahn befindet.
  • Ich freue mich über einen Hinweis auf einen freien Platz. Dabei wären klare Angaben wie links, rechts, oder hinter Ihnen. Angaben wie „Da vorne“ oder „Dort“ nutzen blinden Menschen gar nichts.
  • Und liebe Busfahrkräfte, da ich Euch nicht direkt fragen kann, brauche ich präzise Ansagen der nächsten Haltestelle.

Schlangen vor Geschäften und Kassen. Die Markierungen, so sie vorhanden sind, kann ich mit dem Blindenstock nicht erfühlen. Hier wünsche ich mir eine Stimme, die mir sagt wie weit ich gehen, oder wo ich mich richtig anstellen muss. Ebenso wünsche ich mir klare Anweisungen wohin ich mein Geld oder die Karte hinhalten soll. Liebe Kassierer, Verkäufer und Passanten, wir brauchen dabei klare Anweisungen, klare Richtungsangaben. Dann geht es auch besser. Und ganz wichtig: Sätze wie „Warum nehmen Sie sich keine Begleitung mit“ braucht hier kein Mensch. Jeder hat Gründe, warum er gerade jetzt, hier und heute alleine unterwegs ist.
Ich möchte meine sehbehinderten und blinden Leser dazu ermutigen bei dieser Kampagne mitzumachen. Schreibt einen Beitrag dazu, füllt das Formular des DBSV aus oder schickt Eure Wünsche hin. Meine sehenden Mitleser bitte ich darum andere Menschen für unseren Personenkreis zu sensibilisieren. Schreibt einen Beitrag darüber, reblogt oder teilt die Seite des DBSV am Sehbehindertentag.

Kategorien
Allgemein Alltag

Blind einkaufen und Corona

Über das Thema Einkaufen mit Sehbehinderung habe ich bereits mehrfach geschrieben. Dabei standen Themen wie Orientierung im Supermarkt oder das Erkennen der gesuchten Produkte im Vordergrund. Ich habe versucht Lösungen aufzuzeigen, die es unserem Personenkreis ermöglichen möglichst stressfrei und selbstbestimmt einkaufen zu gehen.
Bisher war meine persönliche Lösung so, dass ich einmal in der Woche eine Assistenz hatte, die gemeinsam mit mir durch den Supermarkt ging. Dabei ging es nicht darum eine Einkaufsliste abzuarbeiten, sondern auch mal neue Produkte zu entdecken, sich die Zutatenliste eines Produkts vorlesen zu lassen, oder auch mal Preise zu vergleichen. Denn diese lassen sich auch mit meinen technischen Hilfsmitteln schwer bis gar nicht lesen. Oder es erfordert viel Geduld, die ich oft nicht habe.
Für die restliche Zeit der Woche habe ich entweder selbst die paar Dinge eingekauft, die wir brauchten, oder eines meiner Kinder mit einer kleinen Liste einkaufen geschickt. Die Alternative wäre ein Lieferdienst gewesen. Außer die üblichen Märkte wie Amazon gibt es auch den Rewe Lieferservice, dessen Angebot für blinde User gut bedienbar ist. In der Regel wartet man nicht länger als zwei bis drei Tage auf seinen Einkauf, und kann stressfrei seine Produkte zusammenstellen.
Seit der Corona-Pandemie sieht es nun ganz anders aus. Alleine einkaufen ist nur bedingt möglich. Denn als Mensch mit Sehbehinderung orientieren wir uns an tastbaren Dingen im Supermarkt. Die Markierungen, die die Abstände im Supermarkt kennzeichnen, sind mit dem Blindenstock nicht fühlbar. Und da nicht mehr so viel Geräuschkulisse an der Kasse ist, fällt diese für mich als Orientierungsmerkmal im Supermarkt weg. Alleine Einkaufen geht also für mich nur in kleinen Läden, wo ich auch mal eine Richtungsanweisung bekommen kann. Die Alternative wäre eine sehende Begleitung. Und auch hier musste ich mich komplett anders organisieren. Denn meine vertraute Assistenz steht mir während der Corona-Pandemie nicht zur Verfügung. Wenn ich eine sehende Begleitung bekomme, dann eher ab der Mittagszeit. Das heißt im Klartext, dass ich begehrte Produkte nicht einfach so bekomme. Ich habe eine ganze Woche gebraucht, bis ich für unseren Haushalt das begehrte Toilettenpapier bekommen habe. Für meinen bevorzugten Küchenreiniger oder die Handseife habe ich nur drei Tage gebraucht.
In dieser Zeit haben mich viele super tolle Ratschläge erreicht, wie „Da müssen Deine Kinder mal die Nachbarstädte abklappern“, oder „Du hättest eben vorsorgen sollen“, oder es gibt doch Lieferdienste“.
Gerade die Lieferdienste sind ziemlich überlastet. Wenn man bei Rewe versucht zu bestellen, hat man Glück, wenn man einen Liefertermin innerhalb der nächsten vierzehn Tage bekommt. Das ist vor Allem für diejenigen ein Problem, die sich ihre Einkäufe ausschließlich darüber liefern lassen. Darunter sind viele Menschen mit einer Seh- oder Gehbehinderung. Diese müssen sich jetzt komplett umorganisieren.
Hilfe winkt durch ehrenamtliche Nachbarschaftshelfer, die sich in vielen Städten gründen. Es sind meist junge Menschen, die für die Personen aus Risikogruppen einkaufen gehen oder andere Besorgungen machen, damit diese nicht das Haus zu verlassen brauchen. Diese Gruppen findet man entweder über die regionalen Gruppen in sozialen Netzwerken oder auf den Internetseiten der Städte. Alternativ lohnt sich ein Anruf bei der Stadtverwaltung.