Wenn ich in der Schule für eine Arbeit lernen musste, dann habe ich das meist auf den letzten Drücker gemacht, oder gemeinsam mit anderen Mitschülern zu einem festen Termin gearbeitet. Nur so konnte ich mich mit dem inneren Schweinehund und anderen Kräften arrangieren. Diese Vorgehensweise habe ich auch im Erwachsenenalter beibehalten. Ganz gleich, ob es darum ging einen Widerspruch zu schreiben, meinen Einkauf zu planen oder einen Blogbeitrag zu schreiben. Ich brauchte ein gewisses Maß an Termindruck, um eine gute Arbeit abliefern zu können. Wie oft habe ich versucht das zu ändern, jedoch ohne großen Erfolg. Nur die Ausreden wurden kreativer.
Ich glaube, ich bin ein recht aktiver Mensch. Besonders gut geht es mir, wenn ich Termine habe, die mit anderen Personen zusammenhängen. So ging ich bisher ein bis zweimal wöchentlich zum Töpfern, habe einmal in der Woche Showdown gespielt oder Veranstaltungen der Blindenselbsthilfe besucht oder mich mit Freunden getroffen. Dazwischen habe ich meinen Alltag bewältigt, an meinem Blog geschrieben oder ein gutes Buch gelesen. Meinen Wocheneinkauf habe ich mit einer Freundin erledigt, so dass ich nur noch die frischen Sachen alleine organisieren musste. Kurz, ich hatte irgendwie alles im Griff.
Und Dann kam Corona. Anfangs dachte ich noch wie viele andere Personen auch, dass uns das nicht so trifft wie die Menschen, die beispielsweise in China leben. Aber irgendwann kamen die ersten Einschränkungen. Der Bus, der die vordere Tür nicht mehr öffnete, so dass blinden Fahrgästen der Kontakt zum Busfahrer fehlte, Veranstaltungen, die nach und nach abgesagt wurden, und dann auch die Termine, die mich direkt betrafen. Kein Sport mehr, kein Töpfern, keine Treffen mit Menschen außerhalb der eigenen Lebensgemeinschaft. Auch meine Assistenz für den Einkauf konnte nicht mehr zu mir kommen, da sie der Risikogruppe angehörte. Damit fiel Shopping grundsätzlich aus. Einkäufe erledigten nun meine Kinder meist ohne mich. Für jemanden, der es nicht gewohnt ist Einkaufszettel zu schreiben eine absolute Herausforderung. Und alles das passierte für mich von jetzt auf hier. Auf einmal war das meiste, was zu meiner Lebensqualität beigetragen hatte, weg. Meine Aktivitäten, meine Eigenständigkeit, meine sozialen Kontakte, die nur noch online oder telefonisch stattfinden durften.
Corona immer und überall. In den Nachrichten, in sozialen Netzwerken, in vielen Blogbeiträgen meiner Bloggerkollegen. Anfangs habe ich die unterschiedlichen Sichtweisen gelesen und kommentiert. Doch auch daran verliert man irgendwann die Lust. Einfach, weil es stets um dieselben Themen geht. Ich habe all die Kollegen bewundert, die richtige Corona Tagebücher oder Chroniken geführt haben, und es noch immer tun. Ich selbst hatte eine regelrechte Schreibblockade, der ich nur einige Beiträge abtrotzen konnte. Aber seit ein paar Wochen geht auch das nicht mehr.
Mich hat diese Situation einfach krank gemacht. Und es hat ziemlich lange gedauert, bis ich das richtig begriffen habe. Mir persönlich hat es nicht gut getan mich permanent mit mir selbst zu beschäftigen, gepaart mit der Tatsache, dass ich mich nicht bewusst dafür entschieden habe, sondern diese Entscheidung für mich getroffen wurde.
Da wir alle nicht wissen können, wie lange dieser Zustand anhalten wird, habe ich mir Hilfe geholt, damit es mir irgendwann wieder besser geht. Gepaart mit den inzwischen getroffenen Lockerungsmaßnahmen habe ich ein bisschen Optimismus zurückbekommen. Alles Weitere wird die Zeit zeigen.
Bis dahin, bleibt alle gesund.
Eure Lydia
4 Antworten auf „Corona und ich“
Liebe Lydia,
dein Beitrag passt sehr zu meinen Gedanken, das Gesundheit – und Gesundheitsschutz – nicht nur einseitig körperlich gesehen werden darf! In der Phase der stärksten Isolation ging es mir recht ähnlich wie dir. Herzlich alles Gute und wieder mehr seelische Leichtigkeit wünsche ich dir, deine „Blogger-Kollegin“ Sarah
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Mir geht es genau ähnlich. Auch mir ist die Isolation nicht bekommen. Jetzt gehe ich wieder raus. Dafür muss ich Abstand zu den Eltern halten, die im gleichen Haushalt leben.
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Hallo Lydia, dies ist einer der ehrlichsten Texte, die ich zu Corona gelesen habe. Ich bin sicher, wie Dir geht es vielen Menschen. Konsequent holst Du Dir nun Hilfe. Respekt. Da ich fürchte, Maskenpflicht und Abstandsgebot bleiben uns noch lange erhalten, arrangiere ich mich so gut es geht. Das fällt mir umso schwerer, da ich von Beginn an alles für völlig übertrieben halte. Viele Grüße sendet Thorsten
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[…] OK, gelockert war jetzt vieles gutes. Man traf sich langsam wieder und das Leben nahm wieder Fahrt auf. Das galt allerdings nicht für uns menschen mit Blindheit. bis auf die Schreibblockade, die eine blinde Bloggerin beschreibt, erlebte auch ich die Krise so, wie sie es sehr lesenswert und treffend formuliert hat. Schlimmer noch. Ich habe keine sehenden Kinder, und keine sehende Partnerin,wie sie, die ich mit dem Auto einkaufen schicken kann. Ich werde asozial beschimpft, wenn ich mal einen Abstand nicht einhalten kann. Selbst der Gang zum Bäcker ist durch die Lockerungen zum Überlebenstraining geworden. Nichts, aber auch gar nichts geht mehr selbstständig außerhalb der eigenen Wohnung. Als alle im Lockdown waren, war das für alle klar, dass man sich hilft. Jetzt ist nichts mehr klar. Trotz allem komme ich mit meinem Tonstudio, meiner Astronomie, meinen Gitarren und allem ganz gut durch. Aber wir als Gesellschaft müssen uns schon langsam Gedanken darüber machen, wie menschenunwürdig ehemals selbstständige Menschen mit Einschränkung momentan leben müssen. Und ich jammere hier absolut auf sehr, sehr, sehr hohem Niveau. Wie auch immer. Ich finde den Artikel sehr gut. Er zieht mich nicht runter. Ganz im Gegenteil. Es tut gut, von anderen zu lesen, wie sie das ganze erleben. Hier findet ihr den erwähnten Artikel. […]
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