Wer blind ist, orientiert sich ganz anders als ein normal sehender Mensch im Straßenverkehr. Dabei sind markante Punkte, wie Straßenkreuzungen, Hauseingänge oder ein besonderer Straßenbelag eine große Hilfe. Doch in manchen Situationen kommen blinde Fußgänger an ihre Grenzen. Umso wichtiger wäre es Hausnummern, Straßenschilder oder die Aufschrift eines Ladenlokals lesen zu können. Denn nicht immer ist jemand auf der Straße unterwegs, den man fragen kann.
Herkömmliche Blindenstöcke stellen das Auge des Blinden am Boden dar. Mit Hilfe der Stockspitze kann der Bodenbelag, Stufen oder andere Hindernisse ertastet werden. Der Blindenlangstock wird mittels einer Pendelbewegung von links nach rechts in Schulterbreite ausgeführt. Die Länge ist von der Körpergröße des Nutzers abhängig, um eine größtmögliche Sicherheit im Straßenverkehr zu gewährleisten. Und wenn der Stock nicht mehr benötigt wird, ist er zusammenklappbar, und kann in einer Tasche, oder unter einem Stuhl verstaut werden.
Einer Forschergruppe aus Erlensee ist es erstmals gelungen einen innovativen Blindenstock zu entwickeln. Der Stick Reader 3000 sieht aus wie ein herkömmlicher Blindenstock, bringt jedoch einige nützliche Funktionen für blinde Nutzer im Straßenverkehr mit.
Der Stick Reader 3000 wurde als Vorlesestock entwickelt. Er kann beim Gehen wie ein herkömmlicher Blindenstock verwendet werden, bietet jedoch viele zusätzliche Vorteile. Mit seiner Hilfe lassen sich Straßenschilder oder Werbeplakate auslesen. Eine kleine Kamera befindet sich ca. 10 cm über der Stockspitze. Sie ist mit einer Klappe versehen, um sie vor Wasser und Schmutz zu schützen. Im Griff, der kaum dicker als der eines herkömmlichen Blindenstocks ist, sind ein Lautsprecher, der Akku, Audio- und Datenanschluss verbaut. Bei Bedarf kann auch ein Headset via Bluetooth angeschlossen werden. Das ist bei stark befahrenen Straßen besonders wichtig.
Um den Vorlesemodus des Stick Reader 3000 zu aktivieren, wird er mit der Spitze nach oben gehalten. Mehrere Fotos werden in Richtung der Stockspitze gemacht, und mit Hilfe einer OCR-Software aus den Bildern der Text herausgefiltert und vorgelesen.

Eine kleine Lampe sorgt bei schlechten Lichtverhältnissen für eine gute Bild- und Texterkennung. Die Akkulaufzeit beträgt zurzeit einen Monat im Stand-by-Modus. Bei eingeschalteter Lampe verkürzt sie sich auf zwölf Stunden. Ein Ladekabel wird mitgeliefert. Die Vorlese-Software ist Open Source und kann beliebig erweitert werden. Mit einem namhaften Elektronikkonzern soll demnächst eine Kleinserie produziert werden, um eine Testphase einzuleiten. So werden in Zukunft auch große Werbeplakate und Firmenschilder kein Problem darstellen. Und mit etwas Übung geht auch das Auslesen von Hausnummern und einfahrenden Bussen.

Doch die Entwickler des Stick Reader 3000 haben noch mehr vor. Wichtige Punkte sind eine Offlinelösung für die Vorlesefunktion des Stocks, damit blinde Nutzer unabhängig von Funklöchern sind. Damit könnte auch das Auslesen von Klingelschildern möglich werden. Außerdem soll es möglich werden den Griff des Stick Reader 3000 an das jeweilige Outfit des Nutzers oder der Nutzerin anzupassen. An einer entsprechenden Beleuchtungstechnik wird noch geforscht. Ebenfalls soll es möglich sein den Stick Reader 3000 per Smartphone aufzuspüren und einen lauten Piepton darauf zu schicken. Das ist besonders wichtig, wenn mal jemand den Standort des Stocks verändert hat, ohne den blinden Besitzer darüber zu informieren.
Die Entwickler sind selbst blind oder sehbehindert, und kennen daher die Bedürfnisse ihrer Zielgruppe am besten. Daher dürfen wir auf die Weiterentwicklung des Stick Reader 3000 gespannt sein.