Immer wieder werden Menschen mit Behinderung von Fahrgeschäften in Freizeitparks ausgeschlossen. Ungeachtet dessen, ob sie eine eigene Begleitperson mitbringen oder nicht. Darüber schreibt mein Gastautor Ramon Kathrein. Er ist seit Mai 2019 Stadtrat für die Liste Teilhabe und Inklusion im Freiburger Gemeinderat. Er ist seit seinem dritten Lebensjahr blind. Der Österreicher ist in Vorarlberg geboren und aufgewachsen. Den Magister in Politikwissenschaft erwarb er 2010 in Marburg. Seit 2008 lebt er in Freiburg und setzt sich dort auf kommunaler Ebene für die Themen Inklusion und Barrierefreiheit ein.
Diskriminierung blinder und mobilitätseingeschränkter Menschen bei Fahrgeschäften in deutschen Freizeitparks
Viele von euch kennen die Problematik bereits oder haben sie selbst schon erfahren müssen. In Deutschland gibt es kaum Freizeitparks, die Menschen mit Körper- oder Sinnesbehinderungen erlauben, ihre Attraktionen zu nutzen. Die Thematik ist sehr alt, ich persönlich habe mich deswegen bereits 2005 das erste Mal beschwert, viele weitere Beschwerden sind seither durch Blindenverbände, Behindertenbeauftragte, und nicht zuletzt durch Anwälte vorgebracht worden. Geändert hat sich an der Praxis dennoch wenig bis gar nichts. Der Europapark in Rust schreibt dazu auf seiner Webseite beispielsweise: „Aus Sicherheitsgründen hat uns der Technische Überwachungsverein (TÜV) nicht gestattet, die Beförderung von Menschen mit Gehbehinderungen und Blinden an folgenden Fahrgeschäften freizugeben: Abenteuer Atlantis, Alpenexpress „Enzian”, Alpenexpress Coastiality, Arthur, Atlantica SuperSplash, blue fire Megacoaster powered by Nord Stream 2, Euro-Mir, Eurosat – CanCan Coaster, Eurosat Coastiality, Fjord-Rafting, Fluch der Kassandra, Geisterschloss, Matterhorn-Blitz, Pegasus – Die YoungStar Achterbahn, Wasserachterbahn Poseidon, Poppy Towers, Schweizer Bobbahn, Silver Star, Volo da Vinci, Tiroler Wildwasserbahn, WODAN-Timburcoaster.
Wenn Sie in der Lage sind, optische Warnzeichen und Wegeleitsysteme wahrzunehmen, selbstständig zu laufen und hohe Treppenabstiege sicher zu bewältigen, dann dürfen Sie diese Fahrgeschäfte gerne nutzen.“
Nun wissen erfahrene Freizeitparkbesucher, dass es sich hier um eine ziemlich vollzählige Auflistung sämtlicher Fahrgeschäfte handelt, die für Menschen älter als drei Jahre interessant sind. Tatsächlich hatte ich in den letzten Jahren immer wieder von Menschen gehört, denen die Mitfahrt verweigert wurde, die nach stundenlangem Anstehen aus der Bahn geholt und teilweise sogar des Parks verwiesen wurden, wenn sie versuchten mit den Verantwortlichen zu diskutieren. Mir selber mag man nicht auf den ersten Blick ansehen, dass ich blind bin. Ich kennzeichne mich nicht und habe in der Regel keinen Stock dabei, wenn ich mich auf eine Begleitperson verlassen kann. Somit hatte ich bis dato mehr Glück und keinerlei Probleme, wenn ich den Europapark besuchte. Natürlich war aber auch für mich immer schon der größte Nervenkitzel abseits der Achterbahnen genau dieses stets über mir schwebende Damoklesschwert.
Ganz allgemein entspricht eine solche Regelung aber einfach längst nicht mehr den gesellschaftlichen Werten der heutigen Zeit. Auch behinderte Menschen haben längst die vielfältigen Möglichkeiten der Teilhabe an Freizeitaktivitäten bis hin zum Extremsport kennen und lieben gelernt. Längst erklimmen wir die höchsten Berge der Welt, segeln, surfen, raften oder klettern wir an allen möglichen und unmöglichen Orten, reisen, wandern skaten biken oder springen Fallschirm, kurzum, es gibt kaum etwas, was nicht in irgendeiner Form auch für blinde oder Rollstuhlfahrende möglich gemacht werden kann. Ein Verbot von Fahrgeschäften aus angeblichen Sicherheitsgründen mutet da einfach an, wie aus der Zeit gefallen und ist auch weltweit meines Wissens nur in Deutschland vorhanden.
Am 27.06.2020 war ich mit einer befreundeten Familie nach langer Zeit wieder einmal im Europapark. Auch dieses Mal war alles gut, bis ich die Tiroler Wildwasserbahn fuhr. Hier wurde ich, nachdem ich bereits mitgefahren war von einer Bediensteten angesprochen und als blind identifiziert. Sie hat uns daraufhin sehr deutlich klargemacht, dass das so nicht geht und ich das Fahrgeschäft nicht mehr benutzen dürfe. Auf eine Diskussion vor Ort habe ich verzichtet, da eine solche aus meiner Sicht das Problem nicht löst. Zur Erklärung, bei der Tiroler Wildwasserbahn handelt es sich um eine Bahn, die ab vier Jahren freigegeben ist. Man setzt sich dabei hintereinander in ein Boot, jeweils auf einen eigenen Sitz. Die ganze Fahrt besteht aus ein wenig rumschippern im Schritttempo und zwei Rampen, die das Boot nach unten fährt, um dann im Wasser aufzuplatschen. Für Kids ein riesen Spaß, für mich eher in der Kategorie gähn.
Nachdem ich also rausgeschmissen wurde, habe ich in der Woche danach eine Unterlassungsaufforderung an den Europapark formuliert da ich in diesen Vorschriften eine pauschale Diskriminierung blinder und mobilitätseingeschränkter Menschen sehe. Diese Unterlassungsaufforderung habe ich dem Europapark zugestellt und zeitgleich auf Facebook veröffentlicht. Ich habe sie auch an mehrere Hauptsponsoren gesendet, deren Namen unmittelbar mit den betroffenen Fahrgeschäften verbunden ist, darunter Mercedes Benz und Nordstream II. Nun war ich selbst erstaunt, welche Wirkung dieser Schritt vorerst entfaltet hat. Die lokale Presse hat sich umgehend bei mir gemeldet, Radio- Fernseh- und Zeitungsinterview folgten am nächsten Tag und auch die Parkleitung meldete sich. Mit dieser habe ich seither intensiven Email- und Telefonkontakt.
Die Parkleitung hat mir unmittelbar im ersten Telefonat zugesichert, dass bereits seit Längerem Möglichkeiten gesucht würden, diese Einschränkungen aufzuheben und, man höre und staune, die Benutzung durch blinde Menschen soll noch diesen Sommer ermöglicht werden. Mobilitätseingeschränkte Menschen sollen ab 2021 ebenfalls sukzessive zugelassen werden, hierfür sind Umbaumaßnahmen notwendig. Selbstverständlich werde ich nun in intensivem Kontakt mit der Parkleitung bleiben und über die weiteren Schritte gerne wieder berichten. Ich lasse sie nicht mehr vom Haken, versprochen! Dem Parkleiter habe ich angeboten, mit ihm meine erste offizielle Fahrt auf einem Fahrgeschäft seiner Wahl zu absolvieren, ich bin gespannt, ob er sich traut und ob er sich eher für den Silverstar oder lieber doch für die Geisterbahn entscheidet.
Natürlich erhoffen wir uns hier auch eine Signalwirkung für andere Freizeitparks. Wenn Ihr aber ähnliche Erfahrungen in anderen Parks gemacht habt, kann ich euch nur dazu raten, ebenfalls rechtliche Schritte zu prüfen. Auch der Europapark hätte bereits vor vielen Jahren seine Politik ändern können, die Betreiberfamilie Mack baut bereits seit etlichen Jahren barrierefreie Achterbahnen für den Weltmarkt, nur im eigenen Freizeitpark werden diese bislang nicht eingesetzt.
Ich danke Ramon für seinen Bericht, und hoffe, dass sich dahingehend etwas gegen diese Zustände tut. Habt Ihr ähnliches erlebt? Ich freue mich über Eure Beiträge in den Kommentaren.