Susanne und ich kennen uns schon sehr lange. Ihr verdanke ich ein wunderschönes Wochenende in ihrer Heimatstadt, zu dem sie mich einmal eingeladen hatte. Auf meinem Blog ist sie eine stets willkommene Gastautorin. Beiträge von ihr sind beispielsweise „Heißt selbstständig auch schnell sein“ oder „Tag der offenen Moschee“.
Respektvoller Umgang miteinander beim Helfen ist eine tägliche Herausforderung sowohl für mich als Frau mit Behinderung, wie auch für meine Mitmenschen, die meistens keine Behinderung, aber eine irgendwie geartete Vorstellung davon haben, wie es sich mit Behinderung lebt. Alle sind bemüht, niemand möchte etwas falsch machen. Alle haben ihre Vorstellungen und Vorurteile, und offenbar auch Bedürfnisse, die sie über die Hilfe verwirklichen wollen. Auch zwischen den Generationen gibt es große Unterschiede. Mir scheint, so habe ich es auch gelernt, dass die ältere Generation von der jüngeren nicht nur Respekt, der steht jedem zu, sondern auch Folgsamkeit erwartet. In unserer westlichen Gesellschaft ist Selbstbestimmung ein hohes Gut. Auch für mich. Für die ältere Generation scheint sie eine andere Bedeutung zu haben. Das führt zu Konflikten und Missverständnissen, wie folgende Situation zeigt:
Es ist Montagmorgen 8:30 Uhr, ich bin die Rrste bei meiner Friseurin und freue mich auf meinen Haarschnitt. Meine Frisur ist völlig außer Form und ich bin froh, wenn die Wolle wieder ab ist. Meine Friseurin wirkt noch etwas müde, wir lassen uns Zeit und eröffnen so ganz langsam den Laden. Während des Haareschneidens sprechen wir über den Urlaub und welche Gegenden wir besonders mögen. Alles ganz normal.
Nach dem Haareschneiden gehen wir zusammen nach vorne, wo die Garderobe und der Empfang sind. Und da wird es dann interessant. Ich habe in der Regel nichts dagegen mir in meine Jacke oder Weste helfen zu lassen. Heute habe ich, aus Gewohnheit, dorthin gegriffen, wo ich meine Weste zuvor selbst hingehängt habe. Eine ältere Dame, die Auf dem danebenstehenden Sofa wartete, griff sofort zu, weil ich versehentlich ihre Jacke in der Hand hatte. Meine Weste hing jetzt wohl woanders.
Ob sie mir denn helfen solle, fragt sie. Bevor ich etwas sagen konnte hatte meine Friseurin meine Weste vom Haken genommen und mir hinein geholfen. „Ach so“ sagt die Dame zu meiner Friseurin, „Sie machen das ja schon. Ich hätte sonst gerne geholfen. Das geht ja dann schneller, wenn das jemand für Sie macht!“
Ich gebe ehrlich zu, ich bin genervt von solchen Situationen. Ich kann nicht verstehen, warum es immer der Maßstab der Mehrheitsgesellschaft ist, der bestimmt, ob jemand Hilfe benötigt oder für zu etwas fähig gehalten wird. Ich habe der Dame dann zu erklären versucht, dass es nicht darauf ankommt, ob etwas schneller geht, sondern ob es allen gut geht und dass ich Dinge gerne in meinem Tempo tue. Daraufhin sagte mir die Dame wörtlich: „ Mir geht es gut, wenn ich anderen helfen kann! Und es ist doch schön sich einmal helfen zu lassen, oder?“ Ich antworte ihr, dass das stimmt, es mir aber dann gut geht, wenn ich über die Hilfe selbst bestimmen darf. Dass ich Hilfe am liebsten habe, wenn sie mich nicht zwei Stufen unter die helfende Person stellt.
Ich möchte als vollwertige Person, auch bei Hilfeleistungen, respektiert werden. Ich habe Schwierigkeiten mit der impliziten und expliziten Hierarchie, die sich aus der Zuschreibung von Unfähigkeit, oder Bedürftigkeit ergeben. Es ist etwas anderes, ob mir meine Friseurin oder jemand anderes in die Weste hilft, weil sie dies aus Höflichkeit tut und weil sie dies für jeden und jeder ihrer Kundinnen und Kunden tut. Auch das ist eine Form von gegenseitigem Respekt. Aber diese ältere Dame auf dem Sofa hat mir ihren Maßstab und ihre Vorstellungen von dem, wie Dinge zu tun sind aufgedrückt und ist davon ausgegangen, dass sie Recht hat. Und weil ich offensichtlich ihrem Maßstab nicht entsprochen habe, fand sie, ich solle mir doch helfen lassen.
Ich frage mich gerade ernsthaft, wie das wird, wenn ich irgendwann wirklich einmal alt und pflegebedürftig bin. Bin ich dann ein reines Objekt für diejenigen, denen es gut geht, wenn ich hilfsbedürftig bin und unter ihnen stehe? Habe ich dann jedes Recht auf eine respektvolle Behandlung verloren? Vor allem aber hat sich die Dame herausgenommen einzuschätzen, ob ich mir, aus ihrer Perspektive, ausreichend helfen lasse. Sie kennt mich nicht und kann nicht wissen, dass es viele Situationen gibt, in denen ich mir gerne helfen lasse und auch Hilfe erbitte. Und das fand ich ziemlich respektlos. Da frage ich mich dann, wie ich wohl im Alter bin und mit den jüngeren Generationen umgehen werde. Hoffentlich kann ich reflektieren und muss denen nicht meine Maßstäbe aufdrücken. Auch dann, wenn ich etwas mal nicht verstehe. Das geht mir mit der Jugendkultur ja heute schon so.
Auch hoffe ich, in Zukunft mitbestimmen zu dürfen, was mit und an mir gemacht wird, und was nicht. Und ich hoffe sehr, dass meine Umgebung fähig ist ihre Maßstäbe zu hinterfragen, so wie es von mir ja auch ständig erwartet wird. Als Angehörige einer Minderheit bin ich mit den Maßstäben der Mehrheit tagtäglich konfrontiert und mache das Beste daraus! Ich hinterfrage sie, passe mich aber auch oft genug an. So gut es eben geht! Schade, dass eigentlich niemand anerkennt, was das für mich tagtäglich bedeutet sich der Mehrheitsgesellschaft beugen und anpassen zu müssen. Und das flaue Gefühl im Bauch, dass ich habe, wenn ich etwas aushalten muss, damit es anderen gut geht, kann ich gar nicht beschreiben. Ich freue mich, wenn es anderen gut geht! Aber ist Abhängigkeit von Hilfe, meine armselige Existenz, ich übertreibe bewusst, wirklich der passende Motor dafür, dass andere sich wohl und respektiert fühlen können? Was heißt hier eigentlich gegenseitige Respekt in dieser Situation? Ich habe keine 100-prozentige Antwort darauf!
Die Friseurin hat mir danach nicht wie sonst die Tür aufgehalten. Kein Problem, ich kann sie selbst öffnen. Falls das eine direkte Konsequenz aus meiner Aussage war, dann hat sie entweder das Zutrauen in mich, dass ich schon klarkomme, denn die andere Kundin wollte dann ja auch sofort dran kommen. Nichts mehr mit eben noch jemanden rauslassen und die Tür aufhalten. Da hatte sie plötzlich keine Zeit mehr, da wollte sie nicht mehr helfen.
Im respektvollen Miteinander gibt es einen Unterschied zwischen Höflichkeit, und Bevormundung. Diese erfordert sich Zeit für Absprachen zu nehmen und nicht eben mal schnell, schnell über den Kopf des jeweils anderen eine Entscheidung zu treffen.
Es hätte zum Beispiel so laufen können: die Dame auf dem Sofa hätte mich fragen können, ob ich Hilfe benötige. Dann hätte sie mir anbieten können wir in die Weste zu helfen. Das hätte ich dann, wenn ich frei hätte entscheiden können, vielleicht sogar bejaht. Die Friseuren war schneller. In dem Zusammenhang hätte die Dame sich die Beurteilung über meine Fähigkeiten und mein Leben einfach verkneifen können. Ich erlaube mir ja in dem Moment auch nicht die Aussage, dass sie vom Leben mit Behinderung keine Ahnung hat, und ich ihr raten würde sich zurückzuhalten. Auf der Zunge hatte ich diese Bemerkung allerdings. Aus Respekt auch vor meiner Friseurin, habe ich das nicht gesagt.
Ich danke Susanne für ihren Beitrag, mit dem sie an meiner „Blogparade zum Thema Respekt“ teilnimmt, und freue mich auf einen regen Meinungsaustausch in den Kommentaren.
5 Antworten auf „Sich helfen lassen, damit es anderen gut geht“
Ein sehr guter Beitrag! Ich kenne dieses flaue Gefühl, dieses Unterschätztwerden oder das, was sich zumindest so anfühlt, als würden Andere mir nicht szutrauen, nur, weil ich nicht so gut gucken kann wie sie. Aus einem vermutlich falsch verstandenen Respekt den Leuten und ihren guten Absichten gegenüber sage ich dann sehr oft nichts, obwohl es in mir auch oft schon brodelt. Bevormundung und Übergehen von Wünschen mögen aber noch so gut gemeint sein, es sind respektlose Verhaltensweisen, mit denen die hilfswilligen Menschen uns vermeintlich Hilfebedürftigen ein sehr mieses Gefühl geben. Aber wie kann Unsereins das rückkoppeln, ohne die Leute vor den Kopf zu stoßen und ihre Hilfsbereitschaft zu ruinieren, weil sie dann alle Menschen mit Behinderung für undankbare Arschlöcher halten? Freundlich aber bestimmt die eigene Position klar machen – vermutlich ist das die einzige Möglichkeit.
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Da hast du recht! Freundlich, aber bestimmt. Mir hat vor Jahren an diesem Punkt ein Selbstbehauptungstraining geholfen. Aber ganz ehrlich: ich nehme mir gelegentlich das Recht an einem schlechten Tag und freundlich zu sein. Ich muss mir von den anderen ja auch die schlechte Laune antun. Und dann darf ich auch mal einen schlechten Tag haben, auch wenn ich behindert bin. Das wird uns nämlich gerne abgesprochen und mit Abhängigkeit begründet. Und das läuft so nicht!
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Ich kann mir vorstellen, dieses Gefühl ist ungefähr so, wie wenn man in Freizeitkleidung (oder sonst irgendwie nicht passend / zu groß, zu klein, zudick, zu dünn, was auch immer) in eines dieser Geschäfte reingeht, die meinen etwas ganz tolles, „gehobenes“ zu sein – zuerst wird man ange“schaut“, dann wird darum gewürfelt, wer einen bedienen muss und dann wird einem unterschwellig aber durchgängig das Gefühl vermittelt, man passe hier nicht wirklich her und alles, was man sich da anschaut, ist ohnedies zu teuer.
Das nervt mich immer ganz besonders. Weil das Geld, dass ich auszugeben gedenke nehmen Sie dann ja auch – unabhängig von ihren Vorurteilen.
Seltsamerweise passiert einem das in den WIRKLICH guten, teuren Geschäften nicht -vielleicht ist da nur das Verkaufspersonal besser geschult 😉
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Übergriffigkeit ist eine Thema, das nicht auf die Beziehung zwischen Menschen mit und ohne Behinderung beschränkt ist. Es ist allgegenwärtig. Das beste (aber auch schwierige) ist, es bei der übergriffigen Person zu belassen: es ist ihr Thema, ich brauche es nicht zu meinem zu machen. Ein anderes ist, ob manche Menschen besonders empfindlich sind und sich bereits bevormundet fühlen, wo der andere nur einen unerbetenen Rat erteilt. Wer mt einer Behinderung lebt, ist wahrscheinlich besonders dünnhäutig.
Übrgens lassen sich die beiden o.a. links nicht öffnen.
Liebe Grüße!
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Natürlich bin ich wach sein und meine Sinne sind auf dieses Thema geschärft. Ich glaube aber nicht, dass ich dünnhäutig bin. Für mich ist Selbstbestimmung, egal wen sie betrifft, ein hohes Gut. Und es gibt viele Gelegenheiten, wo mir Menschen einen Rat erteilen, oder ich dies auch tue. Einen behinderten Menschen per se für dünnhäutig zu halten, weil er oder sie ihre Bedürfnisse äußert und Grenzen setzt, Ist im Grunde eine Form der Abwertung. Der behinderte Mensch wird dafür pathologiesiert, dass er sich um sich und seine Rechte kümmert. Das ist ein guter Trick, um die Schuld beim behinderten Menschen zu lassen. Da muss man nichts dazu lernen und auch nichts ändern. Ich glaube übrigens, dass ich die Dame recht nachdenklich zurückgelassen habe. Und meine Friseurin hat mir übrigens gestern in die Jacke geholfen, ich war gestern nämlich noch mal da.
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