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Die Sache mit den Heilsversprechen

Vor ein paar Jahren habe ich die Ausbildung zur Blickpunkt Auge-Beraterin gemacht. Dabei geht es darum, Menschen mit Sehbehinderung durch ebenfalls betroffene Personen zu beraten. Stolz wie ich war, habe ich meinen Augenarzt gefragt, ob ich einige Flyer für das Beratungsangebot der Blindenselbsthilfe auslegen dürfte. Zunächst einmal bestand er darauf, die Unterlagen vorher zu sichten. Er begründete das damit, dass er regelmäßig Flyer mit allen möglichen Versprechungen angeboten bekam. Wieder sehen können durch Hand auflegen, und andere Abstrusitäten lehnte er grundsätzlich ab. Nun, da waren wir schon mal zwei. Heute darf ich alle Informationen bei ihm loswerden.

Ich hatte die Geschichte schon längst vergessen. Aber vor ein paar Tagen begegnet mir auf Facebook ein Beitrag von Alexander, der mich wieder daran erinnerte. Mit seinem Einverständnis teile ich den Text mit euch.

Heilsversprechen

 

„Wenn Du zu diesem oder jenem Gott betest, kannst Du wieder sehen!“

 

Ich weiß nicht, in wie vielen Varianten ich das in meinem Leben schon gehört habe. Und ich vermute, dass ich da nicht der einzige blinde Mensch bin. 

 

Ich mag die Abstrusität solcher Begegnungen. Aber, wenn man gerade erst blind wird, muss man da erst einmal reinkommen. Warum? Weil da doch auch ganz gerne ordentlich Druck aufgebaut wird.

 

Gut erinnere ich mich noch an eine frühe solche Begegnung. Vor rund 25 Jahren. Eine Augen-OP folgte der anderen. Ich kam gerade aus der Vollnarkose zu mir. Und fand mich wieder in einem 4-Bett-Zimmer in Köln. Das Krankenhaus ist in gewisser Weise übrigens ein sehr inklusiver Ort. Krankheiten sind Gleichmacher.

 

An meinem Bett stand ein Herr mit osteuropäischem Akzent und redete ununterbrochen auf mich ein. „Wenn Du an Gott glaubst, kannst Du wieder sehen und musst nie wieder operiert werden.“ So und ähnlich ging es in einer Tour fort.

 

Ich bemühte mich zunächst überhaupt herauszufinden, um welchen Glauben es da ging. Etwas Orthodoxes. Aber ganz ehrlich, ich wollte es nur in Erfahrung bringen, um ihn möglichst schnell zum Schweigen zu bringen. Nach OPs ist Ruhe schon ganz nett.

 

Meine recht direkte Aufforderung, er möge mich doch bitte erst einmal in Frieden lassen, ignorierte er einfach. Und sprach weiter auf mich ein. Also erzählte ich ihm, ihn sehr bestimmend unterbrechend, dass ich bereits einen Glauben hätte. Satan hieße mein Gott. Danach hatte ich Ruhe.

 

Schön auch die Begleitung, die ich mir vor einigen Jahren einmal auf dem Weg von der Arbeit nach Hause in Mayen einfing. Benjamin hießt der junge Mann. Und kam mit dem alten Lied, dass sein Gott mich wieder sehend machen würde, während er neben mir Her ging und auf mich einredete.

 

Dass es hochgradig störend ist, wenn man mit Blindenstock durch die Fußgängerzone geht, weil es einem die Orientierungsfähigkeit über die Ohren beeinträchtigt, verschwieg ich. Gut, aber Benjamin wollte ohnehin nur reden. Und nicht zuhören. 

 

Es gab eigentlich nur 2 Möglichkeiten. Entweder, ich würde ihn niederschlagen, oder, ich ertrug es bis zur Haustür. Da ich mir Gewalt weitestgehend abgewöhnt habe, ging es also bis zur Haustür. 

 

Dort angekommen musste ich mir dann sogar eingestehen, dass er ein recht netter Kerl war, dieser Benjamin. Ich hatte ihn richtig liebgewonnen. Trotzdem wollte ich ihn natürlich einfach stehen lassen. Doch dann zog er den Telefonjoker.

 

Er rief bei seinem Guru an und drückte mir sein Smartphone in die Hand. Und auch der, ein durchaus netter Kerl. Zugewandt, überzeugt davon, dass sein Glauben und er mir das Augenlicht wieder zurückgeben könnten.

 

Danke an Alexander, dass er das mit uns teilt. Auch ich erlebe immer wieder Menschen unterschiedlicher Glaubensrichtungen, die alle möglichen Tipps für mich haben, um mich wieder sehend werden zu lassen. Von denen hat kein einziger Zeitgenosse gefragt, ob ich das überhaupt möchte. Ich bin mit meinem Leben als blinde Frau zufrieden. Ich brauche weder Heilsversprechen, noch Mitleid. Wenn es jemandem Freude macht für mich zu beten, bitte sehr. Jeder soll das tun, was ihm den eigenen Seelenfrieden bringt. Schließlich leben wir in einer Demokratie, die Religionsfreiheit einschließt.

Zum Schluss noch eine kleine Begebenheit, die sich vor ein paar Wochen an der Konstablerwache Frankfurt abspielte. Ich stand dort, und habe auf meine Verabredung gewartet. Auf einmal fragte mich ein Mann mit Akzent, ob er für mich beten dürfe. Klar, wenn es ihm Freude macht. Irgendwann setzte die Überzeugungsmaschinerie bei ihm ein. In Ext Hase rief er „Jesus“. Daraufhin meinte ich „Allahu Akbar“, was auf Deutsch Gott ist groß heißt. Er wieder „Jesus“, und ich wieder „Allahu Akbar“. Während meine Lautstärke konstant blieb, wurde er immer lauter. Inzwischen kam meine Verabredung, auf die das Ganze doch etwas merkwürdig gewirkt hatte, und bereitete dem Ganzen ein Ende. Habt Ihr auch solche Erlebnisse gehabt? Dann lade ich Euch dazu ein, Eure Geschichten in den Kommentaren aufzuschreiben.