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Ehrenamt oder auch mal nicht

Müssen Menschen mit Behinderung immer ehrenamtlich auftreten? Darüber schreibt meine heutige Gastautorin.

Meine heutige Gastautorin ist Jennifer Sonntag, die bereits den Beitrag Ich höre Eure Blicke nicht geschrieben hat. Auch diesmal greift sie ein Thema auf, welches unter Betroffenen immer wieder kontrovers diskutiert wird.

Expert*innen zweiter Klasse?

Wertschätzung und Augenhöhe sind auch uns Menschen mit Behinderung wichtig. Aktuell wurde ich als Podiumsteilnehmerin auf eine Tagung mit dem Titel “Wie geht es weiter auf dem Weg zur Inklusion?“ eingeladen. Kostenvoranschläge für Honorare konnten eingereicht werden. Ich freute mich über diesen Sinneswandel, denn bei uns Expert*innen mit Behinderung erwartet man leider nach wie vor ehrenamtliche Expertisen, obwohl wir mit gleichrangigen Qualifikationen antreten. Die Verträge unterschreiben jedoch andere. So werden wir die Über-uns-ohne-uns-Kultur nie verlassen. Und auch diesmal hatte ich mich zu früh gefreut. Ich erhielt eine irritierte Antwort. Die Honorare seien nicht auf mich bezogen gewesen und die anderen behinderten Podiumsteilnehmenden seien auch ehrenamtlich da.
Geschätzte Veranstaltende: Inklusion und Teilhabe heißt auch, dass Expert*innen mit Behinderung in Panels und an Podien nicht immer kostenlos sitzen können. An Ehrenämtern mangelt es vielen von uns nun wirklich nicht. Ich habe einen überquellenden Sack voll davon und engagierte mich allzu oft über meine Kräfte hinaus kostenlos. Aber gerade bei solchen Tagungen, bei denen es um unsere Belange geht, finde ich es ein wichtiges Zeichen, eben nicht wieder in der Ehrenamtsfalle zu landen. Viele von uns sind Freiberufler und wenn wir unsere Mitwirkung nicht als Funktionär*in eines Verbandes oder dienstlich verbuchen können, müssen wir ganz regulär Angebote schreiben und Rechnungen stellen. Ausgerechnet die, die sich über einen Kostenvoranschlag eines behinderten Menschen empören, sind ganz gewiss nicht ehrenamtlich zugegen. Und natürlich habe ich befreundete Organisationen im Blick, die Selbsthilfe, die wenig Geld hat und für die ich immer kostenlos arbeite. Aber es gibt geförderte Inklusion, oft an unseren Bedürfnissen vorbei, in die Taschen derer hinein, die unser Teilhaben an der Teilhabe eher behindern.

Hier die Honorarstaffel der ISL, die ich oben in der Mail erwähnte. Ich lag mit meinem Kostenvoranschlag deutlich darunter und wurde dennoch abgelehnt.
Hier der Link zum Gesamten Projekt mit den Links zu den Referent*innen, an dem sich Veranstaltende orientieren können.

Das ist natürlich nur ein kleiner Ausschnitt behinderter Menschen, die sich gezielt qualifizieren ließen, es gibt natürlich viele unter uns, die aufgrund anderer Qualifikationen oder Expertisen nicht immer kostenlos arbeiten können, da das auch Aufwand, Vorbereitung, Fahrtkosten, evtl. Assistenzkosten, Weiterbildung usw. bedeutet.

Bei allen bestärkenden und positiven Rückmeldungen gab es auch eine Rückmeldung eines blinden Mannes, die ich sehr verletzend fand. Er verstünde diese Selbstdarstellung nicht und ich wolle ja nur Werbung machen. Er selbst sei auch blind und Ehrenamt gebe ihm Kraft. Das ist ja auch gar nicht der Punkt. Ehrenamt kann was Tolles sein, aber wenn wir wieder die billigen Maskottchen am Rande sind, während andere Teilnehmer ihre Anwesenheit dienstlich verbuchen oder Honorare abrufen können, dann ist das gerade bei Tagungen rund um Inklusion keine Inklusion. Ich möchte da aber nicht für alle sprechen, mancher tritt gern ehrenamtlich auf, hat vielleicht einen gut bezahlten Job und möchte gern etwas zurückgeben. Mancher darf auch nichts hinzuverdienen oder möchte einfach keine komplizierten Abrechnungen. Jeder ist da anders. Aber uns immer kostenlos vorauszusetzen ohne nachzufragen ist übergriffig.

Jennifer Sonntag ist blinde TV-Moderatorin bei MDR-Selbstbestimmt. Über ihre Arbeit als Sozialpädagogin, Inklusionsbotschafterin und Buchautorin könnt Ihr Euch auf ihrer Seite blind verstehen informieren.
Zu diesem Thema möchte ich Euch noch zwei weitere Beiträge ans Herz legen, nämlich den auf Kobinet-Nachrichten und einen von Raul Krauthausen. Die Arbeit eines Menschen mit Behinderung wertschätzen heißt diese auch entsprechend zu honorieren, statt grundsätzlich davon auszugehen, dass es Lohn genug ist seine Geschichte zu erzählen.

An dieser Stelle möchte ich mich bei allen bedanken, die mich Regelmäßig bei Steady unterstützen, oder mir hin und wieder eine kleine Anerkennung für ein Eis oder einen Kaffes zukommen lassen. Auch das ist Wertschätzung.

Von lydiaswelt

Ich bin blinde Mutter von zwei Kindern. Beiträge aus meinem Alltag und dem meiner Gastautoren finden hier eine Plattform.

4 Antworten auf „Ehrenamt oder auch mal nicht“

Seid herzlich gegrüßt,

das ist wirklich ein super heißes Thema.

Vielen Dank für diesen schönen und wahren Artikel.

Ich gebe im Jahr so um 25 Workshops, Lesungen, Vorträge und Seminare zu Themen aus der Astronomie. Meist gebe ich mich damit zufrieden, wenn Fahrtkosten, Übernachtung und Verpflegung übernommen werden, die Sache also 0 zu 0 für mich ausgeht.

Ich entscheide die Honorar-Frage, sofern es keine festen Sätze gibt meist idealistisch. Niemals würde ich von einer Brennpunktschule etwas verlangen, wenn ich den Kindern mal einen inklusiven Workshop zu Astronomie anbieten darf.

Von einem Lions- oder Rotarier-Club hingegen, plagt mich kein schlechtes Gewissen, auch mal vier oder fünfhundert Euros zu nehmen.

Damit kaufe ich dann mal wieder ein Modell, bzw. lasse es 3D-Drucken.

Oft tut es aber als Honorar einfach ein gutes Tröpfchen oder ein von begeisterten Landfrauen gepackter Fresskorb, angefüllt mit schwäbischen Läckereien.

Aber ja. Das kann ich natürlich auch bestätigen, dass von uns Menschen mit Behinderung erwartet wird, dass wir aus welcher Solidarität auch immer, alles für nass machen.

Das kotzt mich mächtig an.

Und, was ich noch schlimmer finde. Die eigene Community fällt einem da oft in den Rücken.

Für externe sehende Referenten zahlen sie gute Honorare. Das habe ich selbst schon so erlebt. Wenn ich als selbst betroffener einen höchst qualifizierten Vortrag halte, wird erwartet, dass ich nichts nehme. Man muss Glück haben, wenn man von der Selbsthilfe die Unkosten gedeckt bekommt.

„Du bist doch einer von uns. Wie kannst Du es wagen, von uns Leidensgenossen Geld zu verlangen“.

Ich hatte mal einen Vortrag in Nürnberg. Bei über vierzig Grad fuhr ich mit dem Zug dort hin. Immerhin. Die Klimaanlage im Zug hielt durch.

Übernachtungskosten hatte ich keine, weil ich bei einem Freund untergekommen war.

Zwischen fünf Ventilatoren hielt ich meinen Vortrag. Danach ging ein Hut für mich herum. Was soll ich sagen. Gerade so, hatte ich die Fahrtkosten drin. Für meinen Kaffee am Bahnhof vor der Rückreise reichte es schon nicht mehr.

Ich verstehe, dass die Selbsthilfe wenig Geld hat, aber so wenig Wertschätzung, wie ich von Seiten der Selbsthilfe erfahre, bekomme ich sonst in der Öffentlichkeit nicht.

Oft ist ein Honorar selbstverständlich. Wie gesagt. Nicht immer. Die Erwartungshaltung dass wir dankbar die Hand aufhalten, weil jemand mal etwas für uns tut, gibt es schon.

Es ist tendenziell schon so, dass hier, ja, es mag jetzt krass klingen, die Behinderung die Qualifikation herabwürdigt.

Das ist unverschämt.

Das ist altes Schubladendenken. Das ist sogar“Nazi-Denken“. Das ist gegen Inklusion.

Schade, dass die Selbsthilfe hier nicht als Beispiel von Wertschätzung und Solidarität voran geht.

Beste Grüße

Gerhard.

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Lieber Gerhard,
sehr wahr, zumal Selbsthilfevereine oft ja regelrecht im Geld schwimmen. Ich kenne viele Vereine und die aus der Behindertenselbsthilfe sind definitiv die finanzkräftigsten und die mit den fettesten Spendeneinnahmen. Davon auch mal etwas an Leute mit echter Expertise weiterzugeben, wäre eigentlich das Mindeste.
viele Grüße
Lea

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Vielen Dank, liebe Lydia und liebe Jennifer, für diese deutlichen Worte! Ich stimme sowas von zu, habe selbst auch schon oft genug die stillschweigende Erwartung erlebt, es müsse doch Lohn genug sein, im Mittelpunkt zu stehen und die eigene Story loswerden zu dürfen. Das geht nicht, denn wir müssen oftmals von unserem Engagement leben, auch wenn wir es aus Überzeugung und wegen der Wichtigkeit des Themas machen, aber Luft, Liebe und Anerkennung sind eben nicht die Währung, mit der wir unsere Miete bezahlen oder uns etwas zu Essen kaufen können.
Ein Positivbeispiel kann ich aber auch beisteuern. Ich bin mit dem Verein GIPS in Schulen aktiv, um Kindern der sechsten Klasse unterschiedliche Behinderungen in Form von Selbsterfahrung und Fragerunden nahezubringen. Das wird nicht vergütet sondern ist reines Ehrenamt. Ab und zu gehen wir aber auch in Veranstaltungen mit Lehramtsstudierenden, also den Lehrer*innen der Zukunft, um über schulische Inklusion zu sprechen. Mein ebenfalls blinder Kollege und ich bekamen dafür ganz selbstverständlich ein Honorar angeboten und wurden aufgefordert, Rechnungen zu stellen. Diese wurden dann auch anstandslos bezahlt – Veranstalterin der Blockseminare, während derer wir unsere Veranstaltung durchführen, ist die RWTH Aachen, also eine rennomierte und sich für sehr toll haltende, aber in Sachen Inklusion ausgesprochen ausbaufähige Hochschule. Dennoch wird Arbeit hier als Arbeit wertgeschätzt und nicht als selbstverständliche, sich selbst entlohnende Freizeitbeschäftigung verstanden. Das sollte selbstverständlich sein und so behandele ich es auch, aber vergleichsweise muss mensch sich über diese eigentlich ganz normale Behandlung wirklich schon freuen.
viele Grüße und weiter so!
Lea

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