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Blind Fäden vernähen – so geht’s

Nachdem ich jetzt endlich gelernt habe Fäden eines gestrickten Stücks selbst zu vernähen, erkläre ich Euch wie das auch ohne zu sehen gehen kann.

Gestern hat sich einer meiner größten Wünsche in der Bewältigung meines Alltags erfüllt. Eine Rehalehrerin hat mir einem gezeigt wie ich die Fäden vernähen kann, nachdem etwas gestrickt habe. Bisher gab es nur die Option es selbst zu versuchen, und nicht zu wissen, wie es letztendlich aussieht, oder jemanden darum zu bitten das für mich zu tun. In den letzten Jahren habe ich so oft den Satz gehört, dass das so schwer sei und man unbedingt dazu sehen können muss. Und ich, die ich eigentlich solche Aussagen stets hinterfrage, war blöd genug, um das zu glauben. Vielleicht, weil ich mir das selbst nicht wirklich vorstellen konnte.
Anfangs ging es um das richtige Werkzeug. Wie kriege ich den Faden in die Nadel? Wenn die Wolle dick genug ist, kann ich den Faden direkt in das Nadelöhr schieben. Alternativ kann man den Faden etwas anfeuchten, damit er etwas steif wird, und sich auf diese Weise besser führen lässt. Einfacher geht es mit einer Einfädelhilfe, die man zuerst durch das Nadelöhr zieht, den faden rein tut, und dann die Einfädelhilfe mit samt dem Faden durch das Nadelöhr zieht. Ich habe gestern gelernt, dass es unterschiedlich große Einfädelhilfen gibt. Ich komme mit einer ganz Kleinen zurecht, finde eine größere Einfädelhilfe jedoch bequemer. Hier muss ich noch ein bisschen ausprobieren was für mich schneller geht.
Eine weitere Möglichkeit ist mit einer Patentnadel zu arbeiten. Gerade bei ganz dünner Wolle oder Nähgarn spart man sich das feine Einfädeln des Fadens. Alternativ kann man beim Vernähen des Fadens auch mit einer dünnen Häkelnadel arbeiten. Allerdings ist mir das etwas schwer gefallen, da ich das Strickstück, und die Häkelnadel in jeweils einer Hand halten muss, und parallel dazu tasten muss, wohin meine Häkelnadel geht. Machbar, aber etwas unbequem.
So, nachdem der Faden also erfolgreich auf der Nadel lag, habe ich mir das Muster des Strickstücks angefühlt, und den Faden so eingestochen, dass er mit dem Muster mitging. Das Ganze habe ich so sechs bis zehn Mal gemacht, und habe den Faden anschließend abgeschnitten. Dabei ist es wichtig nicht zu viel Spannung auf den Faden zu geben. Er muss sich genauso anfühlen wie das Muster selbst. Bei Fäden, die mitten im Strickstück sind, geht man ebenso vor. Nur überkreuzt man die Fäden vor dem Nähen, damit es keine sichtbaren Löcher gibt. Ganz wichtig ist es beim Einstechen mit dem Muster mitzugehen. Das kann man gut erfühlen.
Handelt es sich um mehrfarbige Wolle, dann ist es wichtig zu wissen welche Farbe wo ist, und die Fäden entsprechend an den Stellen zu vernähen. Wenn man das nicht mehr weiß, kann man sich mit einem Farberkennungsgerät behelfen, oder man fragt eine sehende Assistenz. Eine Alternative wäre auch die App  Be My Eyes – Helping blind see von Be My Eyes, mit der man sich sehende Hilfe über Videotelefonie holen kann.

Ich freue mich riesig, dass ich jetzt die Wahl habe meine Fäden selbst zu vernähen, oder mir dabei helfen zu lassen. Ich habe das Prinzip begriffen. Alles Weitere ist nun Übungssache. Die wichtigste Lektion aber war, dass ich wohl die falschen Berater an meiner Seite hatte.
Wie auch immer. Jedenfalls freue ich mich, dass es jemanden gab, der mir zu einem Stückchen mehr Lebensqualität verholfen hat. In diesem Zusammenhang möchte ich Euch meinen Beitrag Stricken mit Sehbehinderung ans Herz legen.

Wenn Ihr noch andere Tipps und Tricks habt, dann freue ich mich darauf diese in den Kommentaren zu lesen.

Von lydiaswelt

Ich bin blinde Mutter von zwei Kindern. Beiträge aus meinem Alltag und dem meiner Gastautoren finden hier eine Plattform.

4 Antworten auf „Blind Fäden vernähen – so geht’s“

Liebe Lydia,
ich hatte heute Fäden an Socken zu vernähen. Zuvor hatte ich diesen Blogeintrag gelesen.
Ich sehe, habe das im Laufe meines Lebens hundertfach gemacht, es vorhin erstmals mit verbundenen Augen ausprobiert. Mir ist klar, das ist anders, als blind zu sein.
Ich brauchte eine dreiviertelstunde für Etwas, das ich sonst innerhalb von zehn Minuten erledigt hätte. Hatte mir vorher, ich habe keine Einfädelhilfe, eine Nadel mit großer Öse herausgesucht.
Ich brauchte mehr Versuche als sonst, beim fünften hat es geklappt und ich war überrascht, wie viel ich fühlen kann und wie das Ergebnis nachher aussah. Nicht anders als gewohnt.
Ich möchte verstehen, deshalb frage ich:
War es für Dich jetzt neu, einen Faden vor dem Einfädeln anzufeuchten?
War es neu für Dich, bei Mustern Fäden zu verkreuzen?
Vielleicht ist meine Fantasie zu klein.
Liebe Grüße
Kaethemargarethe

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Wie man einen Faden auch ohne Einfädelhilfe einfädeln kann, war mir bewußt. Nicht aber der Ablauf, und wie das Ganze aussehen muss. Die Kunst beim Erklärt bekommen ist, dass man alle Schritte in Worte fasst, die man sonst zeigen würde.

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Eine einstige und anders als ich unterrichtende Kollegin, sagte mal: Wenn ich etwas wirhlich verstanden habe, kann ich das auch mit Äpfeln und Birnen erklären. Ich glaube, das gilt auch, wenn es um Worte finden geht, weil zeigen nicht der Weg, der für beide passt.
Ich glaube, da geht alltags für Alle ganz viel, wenn wir uns trauen, Fragen zu stellen.
Dem Kind, das ich mal war wurde auch gesagt, das kannst du nicht. Manche dieser alten Glaubenssätze wirken noch in mir. Manchmal gelingt es mir, sie zu durchbrechen. Dann feiere ich mich.

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Hey Lydia, wieder ein klasse Artikel. Ja ja so ist dass mit dem: „Das ist viel zu kompliziert.“ „dass kannst du nicht.“:-) Ich musste mich auch erst von dem Gedanken frei machen etwas trotz Blindheit nicht mehr machen zu können, ohne es überhaupt probiert zu haben.

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