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Auffindbarkeit und Orientierung

Was für Rollstuhlfahrer stufenlos ist, ist für blinde Menschen die Auffindbarkeit von Orten. Ein paar Beispiele für Barrieren bei der Orientierung.

Während ein sehender Mensch viele Dinge mit einem Blick erfassen kann, braucht es ein paar Griffe in die Trickkiste, um sich diese blind zu erschließen. Dabei spielen Restsehen, Mobilität und die Kreativität des Einzelnen eine entscheidende Rolle.
Einen Weg erschließe ich mir dadurch, dass ich mir Merkmale suche, an denen ich mich orientieren kann. Das kann eine Einfahrt, eine Absperrung, ein Verteilerkasten oder auch ein feststehender Müllbehälter sein. Das sind markante Punkte, also Merkmale, die ihren Standort nicht verändern. Die meisten dieser Punkte befinden sich nicht in der Mitte eines Bürgersteigs, sondern eher am Wegesrand. Daher laufe ich gern dort entlang, wenn ich auf der Suche nach meinem nächsten Orientierungsmerkmal bin. Wenn ich dann in regelmäßigen Abständen mit dem Stock eine Pendelbewegung gegen eine Hauswand mache, erschrecke ich so manchen entgegenkommenden Passanten. Dabei mache ich das ebenfalls zur Orientierung. Mauerwerk klingt je nach Beschaffenheit unterschiedlich. Und manchmal brauche ich dieses Geräusch, um zwischen zwei Zäunen einen Eingang wiederzufinden. Was ich dabei überhaupt nicht brauchen kann, sind Fahrräder oder andere Kleinfahrzeuge, die jemand einfach mal so an der Hauswand oder an einem Laternenpfahl abgestellt hat. Erst recht nicht, wenn der Fahrradlenker hervorsteht. Dann ist er über der Höhe, die ich mit dem Blindenstock abdecken kann.
Das Thema Auffindbarkeit spielt auch im öffentlichen Nahverkehr eine große Rolle. Möchte ich mit dem Bus fahren, dann muss ich erst mal die Haltestelle finden. Da ich die Markierung der Halteposition nicht sehen kann, stelle ich mich möglichst an das Haltestellenschild, und hoffe, dass der Bus so hält, dass ich den Fahrer direkt nach der Buslinie fragen kann. Problematisch wird es, wenn besagtes Schild irgendwo steht, und ich das nicht weiß. Dann haben wir die Szenerie, dass der Bus hält, und ich in möglichst kurzer Zeit die vordere Tür finden muss. Die brauche ich, um den Fahrer nach der Buslinie zu fragen. Das ist besonders dann nervig, wenn auf dem Weg dorthin Fahrräder, Bäume und andere unliebsame Überraschungen direkt an der Straße stehen, die ich erst dann wahrnehme, wenn ich mit dem Stock gegen sie komme. Die Erfahrung zeigt, dass ich besonders schnell sein muss, da ich nie weiß, ob der Fahrer mich als potentiellen Fahrgast wahrgenommen hat, oder mich für eine Spaziergängerin hält. Dieser Zeitdruck erzeugt Stress. Daher suche ich mir am liebsten Wege aus, die ich kenne, und deren Hindernisse mir geläufig sind.
Kürzlich fragte ich einen Busfahrer nach der Nummer der Buslinie. Ich bekam erst mal keine Antwort, und musste meine Frage mehrfach wiederholen. Danach gab es eine Diskussion mit dem Fahrer. Dieser bestand darauf, dass ich ihm sage wohin ich will, und er dann ja oder nein sagte. Das möchte ich nicht, da ich schon schlechte Erfahrungen damit gemacht habe. Ich möchte die Buslinie oder das Endziel hören. Nur das garantiert mir, dass ich tatsächlich im richtigen Bus sitze.

Zur Auffindbarkeit gehören für mich auch die akustischen Ansagen der Haltestellen. Eine Strecke, die ich gut kenne, kann ich mit etwas mehr Konzentration selbst bewältigen. Das funktioniert jedoch nur bei exakter Kenntnis des Streckenverlaufs. Natürlich könnte man auch dem Busfahrer Bescheid sagen. Aber auch da habe ich schon die Erfahrung machen müssen, dass ich vergessen wurde. Schließlich sind das auch nur Menschen, und ich bin nicht der einzige Fahrgast, mit dem sie sich beschäftigen.

So, das waren ein paar Beispiele, die gern in den Kommentaren ergänzt werden dürfen.

Von lydiaswelt

Ich bin blinde Mutter von zwei Kindern. Beiträge aus meinem Alltag und dem meiner Gastautoren finden hier eine Plattform.

11 Antworten auf „Auffindbarkeit und Orientierung“

Toll geschrieben und auf den Punkt gebracht Liebe Lydia. Ich hatte vor einiger Zeit mit dem Busfahrer meiner Linie die Diskussion, das ich gern vorne aussteigen möchte bzw. muss. Der kapierte das nicht und anstatt mir die Türe zu öffnen, wo ich davor stand vorne im Bus wo ich auch zuvor saß, gab es besagte Diskussion und er nötigte mich hinten auszusteigen und ich beschwerte mich bei den Verkehrsbetrieben meiner Stadt. Denn hinten war mein Orientierungspunkt natürlich nicht da und es ist auf dem Weg auch ein Parkplatz in den man leicht hineinlaufen kann. Da kommen auch fahrende Autos angefahren. Zum Glück sind die meisten Fahrer freundlich dieser gehörte jedoch nicht dazu.

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Da bin ich aber froh, dass ich es im Alltag mit den Kieler Verkehrsbetrieben zu tun habe. Die bilden ihre Fahrer gut aus. Und da lernen sie auch, dass blinde Fahrgäste auch vorn aussteigen dürfen. Sollte einer da mal anders ticken, verweise ich darauf, was er/sie eigentlich hätte gelernt haben müssen. Sie sagen mir beim Einsteigen sogar ungefragt die Linie an – meistens jedenfalls und manchmal sogar, wenn ich in Begleitung bin und die Info daher offensichtlich gar nicht bräuchte. Aber ich bedanke mich trotzdem dafür, denn zu kompliziert sollten ihre Verhaltensregeln auch nicht werden. Sie müssen doch auf so viele Dinge achten als Busfahrer. Ist kein leichter Job. Und deshalb bin ich immer freundlich und versuche mit Fröhlichkeit positive Energie zu versenden. Wer positive Energien empfängt, gibt die oft auch gern weiter.
Aber Kiel hat – glaube ich -vieles gut und richtig gemacht. Unsere Fahrer-Crew ist bunt: jung und alt, schwarz und weiß, männlich und auch sehr weiblich und multikulturell. Andere Verkehrsbetriebe sind da längst noch nicht zu weit. Aber ausruhen kann sich eh keiner. „Luft nach oben“ ist überall.

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Hallo Lydia, ich finde deine Einblicke immer richtig interessant. Ich frage mich gerade, ob es dir helfen würde, wenn ich dir als ebenfalls an der Haltestelle Wartende sagen würde, welcher Bus gerade kommt. Oder würdest du das übergriffig finden?
Gerade bei mehreren Bussen gleichzeitig in der Haltestelle stelle ich es mir sehr schwer vor, rechtzeitig den richtigen zu finden.
Viele Grüße von Maryme

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Das ist sehr lieb, aber leider gibt es Zeitgenossen, die absichtlich sagen das sei nicht Linie 3. Dann wartet man weiter und der Fahrer des nächsten Busses sagt dann, die gesuchte Linie sei doch gerade vorher gefahren.

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Deshalb stellt man immer offene Fragen.
Besser ‚Welche Linie fährt gerade ein?‘ statt ‚Ist das die Linie 3?‘.
Die Leute machen es meistens unabsichtlich.

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