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Wie kann man blinden Menschen helfen?

Über das Thema blinden Menschen helfen streiten sich die Geister. Hier ein paar Antworten für nicht blinde Menschen.

Es ist Samstagabend, als ich aus dem voll besetzten Nahverkehrszug aussteige, und über den Frankfurter Hauptbahnhof laufe. Hinter mir liegen acht Stunden Zugfahrt. Und heute wollte es das Schicksal, dass ich jede in Frage kommende Verspätung mitgenommen habe. Wenn alles gut geht, werde ich in einer knappen Stunde zuhause sein.

Da ich den Frankfurter Hauptbahnhof kenne, laufe ich nicht an den Leitlinien für blinde Fußgänger entlang, sondern suche mir den Weg, der für mich am Schnellsten geht. Es gibt mehrere Möglichkeiten nach Hause zu kommen. Ich werde langsamer, und wäge für mich ab wie ich am besten fahren will. Plötzlich packt jemand meinen rechten Am, und versucht mich mit sich zu ziehen. Nach der ersten Schrecksekunde befreie ich mich aus dem festen Griff und erkläre meinem Gegenüber, dass ich das nicht will. Die ältere Dame meint, dass sie mich doch nur auf den richtigen Weg führen möchte. Echt jetzt? Kann die Gedanken lesen? Woher will die wissen wohin ich will, wenn ich selbst noch bis eben überlegt habe, ob ich mit der S-Bahn oder der U-Bahn fahren will? Ich nehme mir die Zeit zu fragen, warum. „Da ist doch der Blindenweg“, sagt sie, „und da bringe ich Sie jetzt hin“. „Und wenn ich da jetzt nicht hin will“, frage ich sie. Die Antwort bleibt sie mir schuldig. „Ein junger Mann, der das Szenario beobachtet hat, fragt mich, ob ich zur S-Bahn möchte. Dann könne er mich mitnehmen. Das nehme ich gern an.

Die Frage „Wie kann man einem blinden Menschen helfen“ ist eine jener Fragen, die mir sehr oft begegnet ist. Die Fragestellerin, oder der Fragesteller geht ganz selbstverständlich davon aus, dass blinde Menschen grundsätzlich Hilfebedürftig sind. Wer fragt, sucht nach Antworten, die ihm dabei helfen möglichst keinen Fehler zu machen. Und an diese Menschen richtet sich meine Antwort.

Schauen wir uns die Darstellungen von blinden Menschen in den Medien an, so wird viel über den Superhelden geschrieben, der einen Berg bestiegen, oder irgendwo eine Einrichtung für betroffene gegründet hat. Oder es wird über blinde Menschen berichtet, die absolut hilflos ohne ihre sehende Begleitperson, Betreuer oder was auch immer ist. Über den blinden Vater, die blinde Berufstätige Frau, oder die blinde Studentin, die ihren Alltag ganz normal in freier Wildbahn lebt, wird selten berichtet. Kurz, zwischen dem blinden Superhelden und dem hilflosen, blinden, älteren Herrn, der ohne seine sehende Begleitung völlig aufgeschmissen ist, gibt es noch ganz viel Anderes.

Blind ist nur eine von vielen Eigenschaften. Und blinde Menschen haben dieselben Eigenschaften wie nicht blinde Menschen. Das gilt nicht nur für Aussehen und innere Werte, sondern auch für die Selbständigkeit. Es gibt sie in absolut unbeholfen bis zum Superheld. Würde ich alle blinden Menschen miteinander gleichsetzen, wo käme das ungefähr der Aussage gleich, dass alle Mütter perfekte Hausfrauen seien. Auch das entspricht nicht der Realität. Es gibt gut organisierte Mütter, und andere, die mehr oder weniger Hilfe brauchen.

Kommen wir auf die ursprüngliche Frage zurück, ob und wie man einem blinden Menschen helfen kann. Ich wünschte manchmal, ich könnte eine pauschale Gebrauchsanweisung liefern. Aber eben diese gibt es nicht. Was es aber gibt sind zwei Ratschläge, die ich gern jedem auf den Weg mitgeben möchte:
Fasst man einen blinden Menschen unangekündigt an, dann erschreckt man die Person. Wenn ich jemanden nicht sehen kann, dann kann ich auch nicht einordnen, ob das jetzt Freund oder Feind ist. Bei guten Reflexen der blinden Person könnte das für den Helfer oder der Helferin schmerzhafte Folgen haben.
Und wie hilft man am besten?

Wer es geschafft hat den blinden Menschen zu fragen, ob er Hilfe braucht, der kann auch ruhig die Frage nach dem Wie stellen. Davon haben alle etwas. Und wer weiß, vielleicht ergibt sich daraus auch ein nettes Gespräch.
Ein Paradebeispiel für sinnvolle Hilfe.
Ich laufe an einer stark befahrenen Straße entlang, als ich mit dem Stock wahrnehme, dass etwas anders ist. Das fühlt sich an wie Baustelle. Gut, jetzt stellt sich mir die Frage, wie ich am Besten an eben dieser Baustelle vorbeikomme. Eine Frau spricht mich an, und fragt ob sie mir helfen kann. Ich bitte sie mir an dieser Baustelle vorbei zu helfen. Sie erklärt mir, dass ein Fußweg unter dem Baugerüst vorbei führt, und zeigt mir den Eingang, den ich nicht sehen konnte. Sie fragt, ob mir das ausreicht. Nachdem ich das bejaht habe, verabschieden wir uns voneinander. Und genauso wünsche ich mir das. Die Frau hat mir Hilfe angeboten, und es mir überlassen diese anzunehmen oder eben auch nicht. Und sie hat sich nach dem wie erkundigt. Ich wünsche mir, dass noch mehr Menschen so reagieren, und uns Menschen mit Behinderung als das ansehen, was wir sind, nämlich als Experten in eigener Sache.

Ich beispielsweise brauche jemanden, der mir sagt, welche Buslinie gerade vor meiner Nase hält. Einsteigen möchte ich lieber alleine. Ich brauche also keine Hilfe beim Einsteigen. Und erst recht niemanden, der mich an meinem Blindenstock greift und in eine bestimmte Richtung lenkt. Das wäre genauso, wenn euch jemand die Augen verbinden und irgendwohin schieben würde. Denn der Stock ist mein Auge auf der Straße.

Und nun freue ich mich auf Eure Meinung zu diesem Thema in den Kommentaren.

Von lydiaswelt

Ich bin blinde Mutter von zwei Kindern. Beiträge aus meinem Alltag und dem meiner Gastautoren finden hier eine Plattform.

14 Antworten auf „Wie kann man blinden Menschen helfen?“

Danke liebe Lydia für deine wunderbaren Beiträge. Ich hoffe, dies lesen ganz viele Menschen. Es wird mir so manche unangenehme Begegnung somit erspart und einige Fragen, die ich nicht immer schaffe zu beantworten. Ich werde auf deinem Blog verweisen und freue mich über weitere Beiträge von dir. Liebe Grüße Rose, die oft im Alltag genau die Erfahrungen macht, die du schilderst!

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Liebe Lydia,

ich denke, von derlei Erlebnissen wissen wir alle ein Lied zu singen.

Es gibt aber auch die andere Seite, wo ich in mitten vieler Menschen einfach keine Hilfe bekomme, wenn ich danach frage. Es nervt mich manchmal sehr, wie oft und laut ich in den Bus oder die Straßenbahn nach der Linie fragen muss, bis ich endlich mal eine Antwort bekomme. Und wenn dann auch noch mehrere Menschen unterschiedliche Linien ansagen, dann ist das wirklich ärgerlich. Die Gründe hierfür sind sicherlich vielseitig.

Manche nehmen es vielleicht wirklich nicht wahr.

Jeder denkt, der andere antwortet.

Man ist zu sehr mit Smartphone beschäftigt.

Jemand hat stöpsel in den Ohren.

Aber wie Du auch schön schreibst. Ich freue mich über viele positive Erlebnisse und habe diese zum Glück auch.

Beste Grüße

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Beim öffentlichen Verkehr kann man zum GLück einfach die Tür blockieren, bis man eine Antwort bekommt: Sprich, der Zug oder der Bus fährt einfach nicht weiter, bis man aus der Tür geht und das tut man erst, wenn man eine Antwort bekommt. Ich habe allerdings auch gelernt, dass ich selbst manchmal zu leise frage, man sollte also ruhig mutig seine Stimme freundlich erheben.

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Hallo Lydia, ein toller Text den hoffentlich viele lesen. Meine Mutter hat mir als Kind beigebracht nie nach dem Arm einer blinden Person zu greifen, es sei den die Person bittet mich darum. Ich bemerke dieses ungefragte Anfassen auch wenn ältere Menschen beim Einsteigen/Aussteigen in Bus oder Bahn etwas langsamer sind. Es ist natürlich gut gemeint aber ich finde es irgendwie unverschämt.

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Ich habe ja zuerst „Helfen oder lieber nicht“ gelesen, https://lydiaswelt.com/2016/07/07/helfen-oder-lieber-nicht/comment-page-1/#comment-593
Ich freue mich, dass hier die Antwort steht, wie Helfen besser geht. Denn das ist ja meist der Grund dafür, dass es nicht klappt, wie es soll. Übrigens fallen mir oft auch stille Beobachter auf, die sich ihren Teil denken, weil sie vielleicht schlechte Erfahrungen hatten oder Sorge haben, gleich welche zu sammeln. Dann gibt es jedoch vor allem die Sprachbarriere – aber ich freue mich, die Linienzahlen auch auf Türkisch, Arabisch oder Russisch zu erfahren – wenn ich doch mal in der Schule ein bisschen besser zugehört hätte… 🙂 Meist aber verstehen die Leute ja nicht, was ich überhaupt frage, also höre ich nur Schweigen, oder es schiebt mal jemand mich irgendwohin, wo es richtig sein könnte… Nun, morgens rate ich davon ab… 😉

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Vielen Dank für den interessanten Artikel! Als ich am Westbahnhof auf die Sbahn wartete, lief ein Blinder geradewegs auf einen Stahlträger zu. Ich konnte mich nur noch zwischen ihn und den Träger stellen und seinen Lauf abbremsen, sonst wäre er voll dagegen gerannt. Ja eine unangenehme Situation. Aber für mich in dem Moment die einzige Chance schnell zu Helfen bevor es weh tun würde. Ansonsten spreche ich Blinde oder Sehende grundsätzlich erst mal an bevor ich sie anfasse. Alles andere ist übergriffig.
Viele Grüße M

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Wenn ein Blinder seinen Stock beherrscht, passiert das nicht, weil der Stock als erstes auf das Hindernis trifft. So, und wenn besagter Blinde keinen Stock benutzt, sieht er entweder noch genug, um das Hindernis zu erkennen, oder er muss das lernen, indem er mit der Nase darauf stößt.

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Vielen Dank, dass du deine Perspektive mit uns geteilt hast, liebe Lydia! Der Beitrag ist verständlich geschrieben und gibt wertvolle Einblicke in den Alltag als blinde Person, vor allem, wenn man noch nicht so viel darüber weiß.

Mir selbst war zum Glück schon länger bekannt, dass man zuerst fragen sollte, ob und wie man einer behinderten Person helfen kann und darf, bevor man irgendetwas tut, aber viele wissen das leider noch nicht und verhalten sich — obwohl sie vielleicht gute Absichten haben — übergriffig und bevormundend.

Ich konnte deinen Beitrag heute nutzen, um das jemandem zu erklären, konnte also quasi dich als Betroffene für mich sprechen lassen, als ich auf diese Problematik aufmerksam machen wollte — und so sollte es ja idealerweise sein, wie ich finde. Danke dafür! 🙂

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