Kategorien
Allgemein Alltag blinde Eltern Sport und Freizeit

Blinde Eltern, sehende Kinder, Teil 6. Wenn die Kita Ferien hat.

Was tun, wenn die Kita geschlossen hat?

Was tun, wenn die Kita Ferien hat?

Mein Sohn war vier und meine Tochter fast sechs Jahre alt, als sich für uns zum ersten Mal die Frage stellte: Was tun während der Ferien? Vor Allem während der Sommerferien hatte der Kindergarten drei lange Wochen zu.

Aktivitäten wie Schwimmbad traute ich mir damals noch nicht alleine zu. Meine Kinder konnten noch nicht schwimmen, und ich bin ohnehin nicht so wirklich eine Wasserratte. Und bei der Geräuschkulisse habe ich keine Chance zwei bewegungsfreudige Kinder im Getümmel wiederzufinden. Zuhause bleiben war aber auch keine Alternative. Das wollte und konnte ich uns nicht antun.

Naiv wie ich war rief ich einige Wochen vor Beginn der Sommerferien beim Jugendamt an. Ich glaubte bis dato daran, dass sie mir sagen könnten wo Aktivitäten für Kindergartenkinder stattfinden. Die sogenannte Frau vom Amt war erst mal mit meiner Frage etwas überfordert. Erst recht, als ich ihr erklärte, dass mir mit einer Broschüre in Papierform nicht geholfen wäre. Ich wollte Anlaufstellen, Telefonnummern, Links oder Informationen per E-Mail haben. Und wahrscheinlich war ich die erste Mutter, die einen solchen Wunsch äußerte. Als sie mir dann anbot meine Kinder für die Schließungszeit des Kindergartens außerhalb der Familie unterzubringen, war selbst mir klar, dass wir hier nicht weiterkommen würden.

Ich war also wieder auf mich allein gestellt und musste selbst Ideen entwickeln. Und das für drei ganze Wochen. Wegfahren kam nicht in Frage. Dazu sagte mein Portmonee ganz klar nein. Und die meisten Freunde meiner Kinder, mit denen wir uns hätten zusammentun können, waren während dieser Zeit weg.

Zunächst einmal überlegte ich was wir hier zuhause während der Ferien tun konnten. Auf dem Dachboden, den wir zum Spielzimmer der Kinder umfunktioniert hatten, standen ein Trampolin, und eine Rutsche. Beides war auch für den Außenbereich geeignet. Diese Dinge zogen also in unseren Garten um. Außerdem hatten wir einen Pool, den ich bei schönem Wetter aufstellen konnte. Diese Sachen waren beliebig miteinander kombinierbar. Es passte sogar noch ein Zelt mit auf die Wiese, ohne dass es zu eng wurde. Auf diese Weise hatte ich einen Bereich, den ich auch als Blinde gut überblicken konnte. Tisch und Stühle standen auf der Terrasse. Hier wurde nur Geschirr aus Kunststoff verwendet. So konnte es auch keine Scherben geben. Denn die Kinder liefen meist barfuß herum. In diesem Sommer kam uns so manches Kind in unserem kleinen Gartenparadies besuchen.

Natürlich waren wir nicht rei Wochen am Stück in unserem kleinen Gartenparadies. Wir machten alle Spielplätze unsicher, die wir finden konnten, waren im Wald oder gingen nach Frankfurt und unternahmen dort etwas.

Irgendwann trauten wir uns auch mal in den Tannenwald. Das ist ein Spielpark, der auch Wasserspile für Kinder hatte. Hier suchten wir uns einen Platz, an dem ich es mir bequem machte. Die Kinder konnten spielen gehen. Es gab die Vereinbarung, dass sie sich von Zeit zu Zeit melden mussten. Ansonsten taten sie das ohnehin, wenn sie Hunger oder Durst hatten. Ich hatte meist selbst gebackenen Kuchen, Obst und Gemüse dabei. Und auch Getränke brachte ich immer selbst mit. Anfangs fiel es mir sehr schwer die Kontrolle aus der Hand zu geben. Ich sprach dann auch schon mal andere Mütter an und bat sie mal zu schauen ob bei meinen Kindern alles in Ordnung war.

Auf diese Weise lernte ich eine Freundin kennen, deren Kind im Alter meiner Kinder war. Wir kamen ins Gespräch. Sie holte mir einen Kaffee vom Kiosk, und ich bot ihr ein Stück meines selbst gebackenen Kuchens an. Die Kinder verstanden sich gut. Und so haben wir so manche Unternehmung gemeinsam gestartet.

Ich möchte diesen Beitrag mit einem Erlebnis aus diesem Sommer abschließen, von dem ich selbst lange nicht wusste wie ich es finden sollte.

Ich habe noch einen geringen Sehrest. Wir reden hier von weniger als 2 %. Damit kann ich noch grobe Umrisse sehen, jedoch keine Einzelheiten. Ich sehe also, wenn jemand direkt vor mir steht, kann aber nicht erkennen, ob das Männlein oder Weiblein ist. Je heller die Sonne scheint, desto weniger sehe ich. Einzelheiten wie Stufen oder Straßenlaternen ertaste ich mir mit meinem Blindenstock. Meine Kinder liefen zu diesem Zeitpunkt oft bei mir an der Hand. Meine Tochter, die etwas sicherer unterwegs war, lief auch schon mal vor mir her. Meinen Sohn hatte ich noch lange an der Hand. Da er noch etwas verträumt war, fühlte sich das einfach richtig an.

Wir kamen vom Spielplatz nach Hause und liefen gegen die Sonne. Rechts von mir waren der Fahrradweg, und anschließend die Straße. Mein Sohn lief an meiner linken Hand. Mit der rechten Hand habe ich in Schulterbreite mit dem Stock gependelt, um mir den nächsten Schritt zu ertasten. Plötzlich bremste ein Fahrrad scharf neben uns, und ein Mann schnauzte mich an. Er erklärte mir, dass ich gerade meinen Stab ausgefahren habe. Ich versuchte ihm zu erklären, dass ich das als Blinde brauche. Er fing man mit mir zu diskutieren, da er die Ansicht vertrat, dass ich doch ein Kind an der Hand habe, welches mich führt.

Jetzt frage ich Dich, lieber Leser, würdest Du Dich einem viereinhalbjährigen Kind blind im Straßenverkehr anvertrauen? Schreib mir Deine Meinung in die Kommentare.

Von lydiaswelt

Ich bin blinde Mutter von zwei Kindern. Beiträge aus meinem Alltag und dem meiner Gastautoren finden hier eine Plattform.

9 Antworten auf „Blinde Eltern, sehende Kinder, Teil 6. Wenn die Kita Ferien hat.“

Natürlich nicht, liebe Lydia. Es ist schon unfassbar, dass der Radfahrer überhaupt Disskussionsbedarf in diese Richtung verspürte.

Wunderbar, dass du den Mut hattest mit deinen Kindern rauszugehen, das stell ich mir sehr beängstigend für dich vor und so freut es mich sehr, dass du dabei so deutlich gewonnen hast.
Viele Grüße
Anja

Gefällt 1 Person

Liebe Anja, der Mann hat wahrscheinlich nicht verstehen wollen, dass ich den Stock zum sehen am Boden brauche. Der hat sich gedacht, aha, Kind sieht, Mama blind, also führt Kind Mama.

Like

Ich glaube, das der Fahrradfeharer Opfer eines erhöhten Pulsschlages bei mir werden würde und mit deutlichen Worten zu rechnen hätte, bis der Puls wieder bei Normalniveau ist…
Man kann sich über die verschiedensten Dinge aufregen aber wenn eine schlüssige Erklärung kommt oder man selbst realisiert hat, das man die Situation einfach falsch eingeschätzt hat, dann sollte ein kurzes Sorry reichen, um die Situation zu lösen.
Leider sind viele Menschen heute gedankenlos unterwegs und sprechen erst vor dem Nachdenken.

Gefällt 1 Person

Jetzt fällt mir spontan noch eine andere Geschichte ein, die ich 1999 selbst erlebt habe. Morgends um 07:30 mitten im Bankenviertel von Frankfurt. Ich fuhr mit dem Auto eine Straße entlang. Auf dem Bürgersteig eine Frau mit einem kleinen Kind, das ich auf 2-3 schätzen würde, das von der Mutter an der Hand geführt wurde – leider auf der falschen Seite. Als ich auf höhe der Mutter war dreht sich das Kind Richtung Straße, rieß sich aus der Hand der Mutter und lief los – nicht gehen sondern richtig laufen. Völlig grundlos und für mich als Autofahrer auch nicht nachvollziehbar – einfach aus dem Nichts…
Eine Vollbremsung hat schlimmeres verhindert, denn das Kind stand direkt vor dem Auto. Ich konnte nur noch den Kopf leicht oberhalb der Motorhaube sehen.
Die Frau fing tierisch an zu schreien und schimpfe mich aus. Ein paar Sekunden später hat sie realisiert was da passiert ist und sich sofort bei mir entschuldigt. Ich habe das vorherige Schreien ignoriert, weil es eine Schockreaktion war und deshalb die Entschuldigung selbstverständlich angenommen und war selbst sehr glücklich, das nichts weiter passiert ist.

Den Adrenalienschub habe ich bis heute nicht vergessen, weil es wirklich ein böses Bild ist, wenn Du vor Deinem Auto nur noch den Kopf eines Kindes sehen kannst und Du genau weißt, was da hätte passieren können.

Das war übrigends auch das Schlüsselereignis, weshalb ich bis heute extrem auf der Hut bin, wenn ich Kinder am Straßenrand sehe. Sie sind völlig unberechenbar und können Gefahren im Straßenverkehr nicht einschätzen. Als Erwachsener darf man sich nicht darauf verlassen, weil man sich und das Kind damit in Lebensgefahr bringt. Wer das nicht glaubt hat nie Kinder gehabt oder vergleichbare Situationen noch nie erlebt.

Ich denke mal, das ich Deine Frage damit sehr bildlich beantwortet habe, oder?

Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar