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Blinde Eltern, sehende Kinder, Teil 5, schriftliche Mitteilungen

Eltern kennen schriftliche Aushänge, Ranzenpost und handschriftliche Mitteilungen von Lehrern. So bin ich als blinde Mutter damit umgegangen.

Schriftliche Mitteilungen und Aushänge.

Es ist mal wieder Elternabend im Kindergarten. Nachdem die Vorstellungsrunde abgehakt ist, melde ich mich zu Wort. Ich habe heute was ganz besonderes auf dem Herzen. Nämlich, dass wichtige Sachen den Eltern nur noch per Aushang mitgeteilt werden. Ich fand schon die Elternpost nicht besonders prickelnd, konnte aber gezielt nachfragen, wenn ich einen Zettel im Fach meines Kindes gefunden habe. Jetzt gibt es diese Zettel nicht mehr und ich brauche eine Lösung, um an die Elterninformationen zu kommen. Das Einfachste wäre, die bereits am Computer erstellten Infos per E-Mail an mich weiterzuleiten, ,aber das hat in der Vergangenheit nicht funktioniert. Also frage ich mal spontan in die Elternrunde, wer von den anderen Eltern so nett sein könnte, mir bei der Informationsbeschaffung zu helfen. Diese könnte per E-Mail oder telefonisch erfolgen.

Zunächst einmal wird es still im Raum. Dann beginnen ein paar Eltern nachzufragen, ob die Erzieher mir die Infos nicht separat geben können. Bevor eine Lösung gefunden werden kann, blockt eine Mitarbeiterin des Kindergartens die Diskussion ab. Schließlich könne ich ja nachfragen, ob es Informationen für mich gäbe. Okay, das wird hier nichts. Wenn ich mein Kind abhole, ist es meist ziemlich turbulent, so dass die Erzieher nicht so viel Zeit haben mich gesondert zu informieren. Wenn ich anrufe, ist der Zeitpunkt meist unpassend. Aber mich darauf zu verlassen, dass ich über wichtige Dinge informiert werde, das hat bereits in der Vergangenheit nicht geklappt. Und mein Arbeitgeber ist bestimmt nicht begeistert, wenn ich ihn früh morgens anrufe und darüber informiere, dass die Kita kurzfristig geschlossen hat und ich das nicht vorher wusste.

Gut, letztendlich haben mir ein paar Eltern später die eine oder andere Information per E-Mail gegeben. Somit hat sich das Fettnäpfchenwetthüpfen im Kindergarten ausgezahlt.

Es heißt „Von der Wiege bis zur Bahre, Formulare“. Besonders ist mir das aufgefallen, seit meine Kinder Kindergärten und Schulen besuchen. Angefangen bei Elternbriefen, über Einverständniserklärung zum Besuch eines Museums bis zur Elternbefragung war so ziemlich alles dabei. Damals hatte ich noch kein Vorlesesystem oder Smartphone, welches mir bei der Bewältigung helfen konnte. Für mich hieß das, dass ich auf die Hilfe einer sehenden Person angewiesen war.

In der Grundschule kamen dann noch die handschriftlichen Mitteilungen in das Elternheft, die mir kein Vorlesegerät hätte zugänglich machen können. Zusätzlich noch lose Blätter aus der Schule oder Hort. Und wenn man Kinder hat, die die Ordnung nicht gerade als ihren besten Freund betrachten, dann wird es spannend. Manchmal schickte mir die Mitarbeiterin aus dem Sekretariat eine E-Mail, aber in der Regel funktionierte das nicht.

Meine Tochter besuchte die dritte Klasse, als ich auf einem Elternabend fragte, wer mir von den Eltern hin und wieder mit der Informationsbeschaffung helfen könnte. Darauf meinte die Lehrerin vor versammelter Elternschaft, dass ich doch eine Betreuerin habe und die könnte sich darum kümmern. Sie meinte wohl die Dame, die mich einige Wochen zuvor zum Elterngespräch begleitet hatte. Damals ging es darum meine Tochter bei den Hausaufgaben zu unterstützen. Das konnte ich nicht so im Raum stehen lassen. Ich erklärte ihr, dass besagte Dame eine von mir bezahlte Nachhilfe sei. Es endete damit, dass zwei Eltern mich während der nächsten zwei Jahre zuverlässig mit wichtigen Informationen versorgten. Also eine Sorge weniger.

Als meine Tochter auf die weiterführende Schule kam, habe ich vor Ende der Sommerferien mit dem Klassenlehrer gesprochen. Und solange er ihr Klassenlehrer war, versorgte er mich mit dem Inhalt sämtlicher Elternbriefe und Informationen, die elektronisch zu ihm kamen. Das war Luxus pur. Erst recht, da ich nun nicht abhängig davon war, dass mein Kind daran dachte mir die Elternbriefe zu geben. Endlich sagte mal niemand zu mir, dass die Kinder selbst dran denken müssen, sondern handelte in meinem Sinne.

Überhaupt bekam ich viele Infos per E-Mail zugeschickt. Ich musste nur erklären, dass ich sie brauchte, und warum. Ich sagte also bei jedem Mitarbeiter oder Lehrer mein Sprüchlein auf, und gut. Die Wenigsten gaben so Sprüche von sich wie „Ihr Mann ist doch sehend“.

E-Mail war für mich die einfachste Möglichkeit auch mit den Fachlehrern meiner Kinder in Kontakt zu treten, Termine zu vereinbaren oder meiner Tätigkeit im Elternbeirat nachzugehen. Eine E-Mail schreibe ich dann, wenn ich gerade Zeit habe. Der Empfänger liest und bearbeitet sie, wenn er die Zeit dazu hat.

Manchmal fragte mich eine Lehrkraft, ob ich mir die Schrift nicht vergrößern könnte. Aber das bringt bei mir nicht viel, außer dass es anstrengend für meine Augen ist und sehr langsam geht. Und Formulare kann ich damit erst recht nicht ausfüllen. Ich habe zwar mal gelernt mit der Hand zu schreiben, nutze es aber höchst selten. Wenn ich jemandem etwas schriftlich mitteilen möchte, passiert dies als E-Mail. Und wenn das nicht möglich ist, schreibe ich meinen Text auf dem PC und drucke ihn aus.

Noch mal zusammengefasst: Handschriftliche Mitteilungen sind ohne guten Sehrest nicht lesbar. Auch nicht mit elektronischen Hilfsmitteln. Fließtext, wie in diesem Beitrag hier, lässt sich sehr gut mit Hilfe eines elektronischen Vorlesegerätes vorlesen, wenn er in Papier vorliegt. Kommt er in elektronischer Form, dann spart man sich den Umweg über das Einscannen mit anschließender Texterkennung, denn die kostet Zeit.

Kommen wir zu den viel geliebten Formularen. Ich habe noch keines, dass von einer Schule kam, je selbst ausgefüllt, denn die kommen in der Regel per Ranzenpost. Hier habe ich früher eine Assistenz bezahlt, die das mit mir zusammen tat. Inzwischen sind meine Kinder alt genug, um sich selbst darum zu kümmern. Mein Beitrag beschränkt sich nur noch auf das gemeinsame Durchgehen und anschließendem Unterschreiben. Ganz wichtig: sie sollen hier nicht meine Blindheit kompensieren. Vielmehr finde ich, dass auch solche Tätigkeiten zum Erwachsenwerden dazugehören. Jetzt kann ich sie noch begleiten und ihnen dabei helfen. Doch irgendwann brauchen sie meine Hilfe nicht mehr und das empfinde ich als sehr beruhigend.

Von lydiaswelt

Ich bin blinde Mutter von zwei Kindern. Beiträge aus meinem Alltag und dem meiner Gastautoren finden hier eine Plattform.

11 Antworten auf „Blinde Eltern, sehende Kinder, Teil 5, schriftliche Mitteilungen“

Du schreibst dazu, dass die Kinder die Formulare ausfüllen und du nur unterschreibst, „Ganz wichtig: sie sollen hier nicht meine Blindheit kompensieren“. Ich finde es gerade zum Augenrollen, dass Leute überhaupt auf die Idee kommen – anscheinend oft genug, dass es eine Extraerklärung braucht.
Ich hatte zwei sehende Eltern, aber auch bei uns wurde ab einem bestimmten Alter erwartet, dass wir Formulare usw. mit Ausnahme der Unterschrift ausgefüllt vorlegten. Beziehungsweise, es kam sogar „Was ist das und wozu dient das?“ – kurze Erklärung von uns – Unterschrift – fertig. Bei uns gehörte das auch ganz normal einfach zum Erwachsen- und selbständig werden dazu.

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ich verstehe nicht, dass in der heutigen zeit, wo jeder kram per e mail auf den schirm flattert, solche elternmitteilungen nicht ebenfalls auch auf diese weise verschickt werden können. geschrieben werden die doch bestimmt mit dem computer (oder gibts schulen, die noch mit mechanischen schreibmaschinen arbeiten?). mit dem passenden programm wäre es nur ein klick und alle eltern, die eine mailadresse haben, bekämen die mitteilung. zusätzlich kann sie auch ausgehangen werden für diejenigen ohne mailadresse. eine lösung, die allen zugute käme und ich bin sicher, dass sich nicht nur blinde und sehbehinderte eltern darüber freuen würden, mitteilungen als email zu bekommen.
jedenfalls zeigen die von dir geschilderten verhältnisse, dass die frage der barrierefreiheit überall im alltag für leute wie uns noch lange nicht geklärt ist. für die barrierefreiheit müssen wir noch ganz schön rudern und büerall immer wieder einfordern. zum glück gibt ers viele leute, die solche forderungen unterstützen…
beste grüße
peter

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Peter, das ist völlig unterschiedlich. Jetzt im Moment erlebe ich es, dass die Lehrer meiner Kinder mir E-Mails schicken. Der Lehrer meines Sohnes schickt sogar eine Rundmail an die Eltern, wenn es etwas mitzuteilen gibt. Und für die anderen Eltern gibt es eben einen Zettel wie bisher.

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Es ist mir unverständlich wie die Eltern der anderen Kinder aber auch die Kindergärtnerinnen und Lehrer so wenig Verständnis bzw. Hilfsbereitschaft zeigen können… Sehr schade!
Weiterhin gute Nerven und viele Grüße Silke

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Bei den Eltern gab es mehr Verständnis. Immerhin waren es die Eltern, die mich oft mit Infos versorgt haben. Es waren eher die Pädagogen im Kindergarten und Grundschule, bei denen das Problem bestand. Daher wünsche ich mir, dass dieser Beitrag auch Schulen und Kitas erreicht.

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Mein Bruder besucht die Mittelschule und dort ist es z.B. so das meine Mama immer ein SMS bekommt sogar. Alles was fürher in ein Mitteilungsheft hineingeschreiben worden ist, kriegen die Eltern mitterlweile per SMS. Z.B. wann ein Schjularbeit ist oder ein Auslflug oder auch wenn die Kinder mal eine Test haben. Weil ein Handy jat in der Zeit jeder zumindestens so ein Handy, das man SMS kriegen kann.

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