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Was heißt Schnee für blinde Menschen?

Schnee bedeutet für mich andere Bedingungen für die Orientierung. Darüber schreibe ich heute.

Das Bild zeigt mich mit Blindenstock und dunkler Brille auf einem Bürgersteig.

„Mama, es hat geschneit“. Mit diesem oder einem ähnlichen Satz bin ich schon so manches Mal morgens geweckt worden. Und während meine Kinder sich über die weiße Pracht freuen und überlegen wo sie ohne größeren Aufwand Schlitten fahren können, machen sich gemischte Gefühle in mir breit.

Warum ist das so? Ich habe einen Sehrest von ca. 2 %. Diese Zahl ist ein Richtwert, der zunächst einmal nichts weiter besagt, als dass ich dem Gesetz nach als blind gelte. Blindsein mit geringem Sehrest wirkt sich bei jedem unterschiedlich aus. Das ist abhängig von der Augenerkrankung.

Bei mir ist es so, dass ich stark auf Kontraste reagiere. Steht also ein dunkler Computer auf einem hellen Schreibtisch, kann ich diesen aus mehreren Metern Entfernung ausmachen. Stände dort ein heller Computer, würde ich ihn nur aus nächster Nähe erkennen können. Und wenn er in einem Lichtdurchfluteten Raum steht, dann sehe ich ihn gar nicht mehr.

Auf der Straße ist das noch ein bisschen extremer. Bei Sonnenlicht sehe ich Bürgersteige nur dann, wenn das Licht nicht direkt darauf fällt. Laufe ich gegen die Sonne, dann kann ich Bürgersteig und Straße nicht mehr optisch voneinander unterscheiden. Hier ist dann der weiße Blindenstock mein bester Freund.

Mit dem Stock kann ich fühlen ob der Weg, auf dem ich gerade laufe, unterschiedlich beschaffen ist. Kies, Kopfsteinpflaster oder beton lassen sich sehr gut ausmachen. Außerdem fühle ich, wenn es abwärts geht. Das ist vor allem wichtig, um auf dem Bürgersteig zu bleiben und nicht auf die Straße zu driften. Aus diesem Grund ist für mich wichtig, dass der Übergang vom Bürgersteig zu Straße hin fühlbar ist, also möglichst einen Höhenunterschied von 3 cm aufweist. Nullabsenkungen zur Straße hin können für blinde Verkehrsteilnehmer buchstäblich auf der Straße enden.

Im Schnee fühlt sich der Boden anders an. Da der Boden auch schon mal gefroren sein kann, gehe ich automatisch langsamer. Mit der Stockspitze kann ich zwar ertasten ob der Boden glatt ist, nicht aber wie weit ich von der Straße weg bin. Da ist Intuition und langjährige Erfahrung meine besten Freunde. Mein Sehrest hilft mir hier nur bedingt, da der Schnee das Licht reflektiert. Das macht alles wesentlich heller für mich. Ist der Bürgersteig geräumt, kann ich mich an dem Schnee links oder rechts davon orientieren. Alles andere passiert durch den Stock. Was ich überhaupt nicht mag ist durch Matsch zu laufen, der durch Streusalz entsteht. Mit dem Stock kann ich nicht richtig einschätzen wie tief das Ganze ist. Ich habe mir dadurch schon so manches Mal nasse Füße geholt. Es lebe also vernünftiges Schuhwerk.


Dieses Bild zeigt mich mit Blindenstock und dunkler Brille, während ich auf Schnee laufe.

Ist der Schnee etwas höher, und auch nichts geräumt, dann empfinde ich das Draußen sein als stressig. Mit dem Stock wird es schwierig den Untergrund zu erfühlen. Außerdem verändert Schnee die Geräusche. Autos hören sich gedämpfter an. Und Menschen, die mir entgegenkommen, höre ich nur dann, wenn der Schnee unter ihren Füßen zu knirschen beginnt. Das wirkt sich auf die Orientierung aus. Ich selbst meide dann Wege, die ich überhaupt nicht kenne, oder nutze gern öffentliche Verkehrsmittel. Denn da muss ich nicht jeden Schritt einzeln abtasten. Und ich finde, dass es auch Zeiten geben darf, wo man sich ein bisschen Bequemlichkeit zugestehen darf. Somit laufe ich bei so einem Wetter nur dann lange Strecken, wenn es unbedingt sein muss. Und ich glaube, dass ich mich da mit vielen normal sehenden in guter Gesellschaft befinde.

Von lydiaswelt

Ich bin blinde Mutter von zwei Kindern. Beiträge aus meinem Alltag und dem meiner Gastautoren finden hier eine Plattform.

11 Antworten auf „Was heißt Schnee für blinde Menschen?“

Ich findes es sehr gut solche Erfahrungen offen mitzuteilen, sodass sich z.B. sehende mal einen ersten Eindruck machen können und vielleicht zukünftig nicht über Blinde, die zu langsam sind oder als störend empfunden werden, sich aufregen.
Wünsche dir einen schönen geruhsamen Sonntag
VG Dieter

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Einen Punkt finde ich in dem Post sehr interessant. Bei Rollstuhlfahrern werden Bordsteine bzw. entsprechende Kanten gehaßt, weil sie sehr schwer zu überwinden sind. Für Blinde hingegen sind sie hilfreich, um eine klare Abgrenzung zu erreichen.
Sind da 3cm wirklich genug, um hier den Unterschied zuverlässig zu erkennen oder erfordert das schon eine erhöhte Aufmerksamkeit im Vergleich zu einem richtigen Bordstein, der für Rollstuhlfahrer ja ein erhebliches Hindernis sein kann.

Ich selbst leide auch bei der extremen Helligkeit und den Reflexionen. Andererseits liebe ich es, knirschend durch den Schnee zu laufen. Da nehme ich die Blendung in Kauf, wenn ich dafür einen schönen Winterspaziergang genießen kann.

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