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Allgemein Zu Gast auf lydiaswelt

„lasst mich auch dabei sein!“

Ein Beitrag über hürden für blinde Nutzer bei der Zugänglichkeit von Dokumenten und Webseiten.

auf dem Bild ist ein Mann an seinem ComputerArbeitsplatz zu sehen.

Lydia bat mich, einen Gastbeitrag für Ihren Blog zu schreiben. Ich bin Markus Ertl, 43 Jahre, späterblindet und stehe mitten im Leben. Meine kleine Familie, das sind meine Frau, meine zwei Mädels und zwei Katzen und ich. Meine Arbeit ist die Personalentwicklung, d.h. ich schaue bei uns, was unsere Leute in der Sparkasse für Weiterbildungen brauchen und das macht mir richtig Spaß. Ich erlebe leider, und nicht nur in der Arbeit, dass ich auf viele Barrieren stoße, die mich immer wieder ein kleines Stückchen aus einer inklusiven Welt hinaus drücken möchten. Deshalb bin ich auch bei der Interessensgemeinschaft selbstbestimmt Leben e.V. (IsL) Inklusions-Botschafter geworden, um immer wieder über das Thema aufzuklären. Und deshalb freue ich mich, dass mich Lydia gefragt hat, hier zu schreiben.

Was bedeutet barrierefrei für Blinde in einer inklusiven Gesellschaft

Oft höre ich von Menschen, dass sie mit barrierefrei bisher immer nur eine Rampe, einen Aufzug oder einen abgesenkten Bordstein in Verbindung gebracht haben. Was aber für Rollstuhlfahrer, Rollator-Jockeys oder Kinderwagen für eine uneingeschränkte Zugänglichkeit absolut wichtig ist, braucht ein Blinder meist nicht.

Ich erlebe es oft, dass mich jemand zum Auszug, zur Rolltreppe oder zu einer Rampe führt und ich entgegne dann oft gerne, dass ich froh bin, nur Blind zu sein und ich gerne Treppen gehe, schon wegen der Fitness. Vielleicht schaut es für andere im ersten Moment ein bisschen tapsig aus. Aber seit dem ich mit meinem Stock unterwegs bin, bin ich keine Treppe mehr herunter gestürzt. Also hilft es mir und anderen Blinden bei dem Thema „Barrierefreiheit“ im ersten Moment grad nicht besonders weiter.

Jedoch haben wir andere Barrieren, die für uns gewisse Dinge nicht zugänglich sein lassen und es gilt, diese Hindernisse abzubauen, um auch am normalen Leben teilhaben zu können.

Nachdem wir vieles nicht visuell wahrnehmen können, profitieren wir einerseits von einer fortschreitenden Digitalisierung, werden aber andererseits durch eine, immer stärker visuell orientierten Gesellschaft wieder ausgebremst.

Und deshalb ist es für mich unbedingt wichtig, dass meine Mitmenschen verstehen, was für mich barrierefrei bedeutet und dies auch in Ihrem Tun immer wieder bedenken. Ich sage dann gerne immer, macht doch bitte mal die Augen zu und versucht das ohne Fremde hilfe zu lesen und zu erkennen.

Ich erlebe es immer wieder, dass mir in meiner Arbeit von Kollegen handschriftliche Notizen gereicht werden, dass meine Kinder von der Lehrerin eine Notiz, auch wieder handschriftlich mit nach Hause bringen, dass mir Freunde Bilder über WhatsApp schicken und ich bin mir bei allen drei Beispielen sicher, dass sie es nicht beabsichtigen, ich mich aber immer wieder aufs Neue mindestens schlecht fühle oder mir sogar auch schon mal ausgegrenzt vorkomme.

Und ich weiß auch, dass es nichts hilft eingeschnappt und böse zu sein, aber einmal muss ich da schon mindestens tief durchatmen.

Informations-Technologie, der Schlüssel zur Barrierefreiheit

Ich habe ja schon angedeutet, dass es eine große Chance für uns Blinde ist, die Digitalisierung für unsere Barrierefreiheit zu nutzen. ePaper, eBooks, Emails, www. , sind mit der entsprechenden Technik für uns gute Möglichkeiten am Leben maximal teilzuhaben.

Ich denke noch mit Entsetzen an eine Zeit zurück, ist erst ca. ein Jahr her, da hat mir meine Frau noch immer die lokale Zeitung vorlesen müssen. Sie hat selbst natürlich eine andere Priorität und ich bin oft an für mich wichtigen Informationen vorbeigelotst worden.

Das erste Mal wieder in einem vernünftigen ePaper-Format meine Zeitung lesen zu können war ein ordentliches Stück Selbstbestimmtheit und ich genieße jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit meinen eigenen Blick in die Tageszeitung und fühle mich gut dabei.

Ich habe auf meinem Smartphone nicht nur eine App für meine Heimatzeitung. Ich mache mir über diesen Weg auch andere Literatur wieder zugänglich. Ein E-Book-Format kann ich über Bluetooth auf eine Blindenschriftzeile, die sogenannte Braillezeile anzeigen lassen und so auch wieder Bücher lesen, ohne zu warten, dass die Deutsche Zentralbücherei für Blinde in Leipzig ein drei Mal so dickes Buch in Brailleschrift herausbringt.

Und ich kann mich an mein erstes E-Book in Brailleschrift noch gut erinnern. „Aus dem Leben eines Taugenichts“ von Joseph Eichendorff. Ein furchtbarer Schinken, aber es war halt auch ein Buch, dass ich schon als Sehender in meiner Schule gelesen hatte.

WhatsApp, Facebook & Co. sind täglich am PC und auf meinem Smartphone im Einsatz.

Viele fragen mich verwundert, wie ist so etwas nur möglich?

Eine Sprachausgabe ist auf jedem neuerem Smartphone vorinstalliert. Auch Windows hat einen integrierten Screen Reader, der die Zeichen, die für sehende auf einem Bildschirm zu sehen sind, für Blinde in Sprache oder in Brailleschrift ausgibt. Weiter gibt es auch noch andere professionelle Hilfsprogramme, die uns bei der Arbeit am PC und mit einem Touch-Screen helfen können.

Mit dieser Hilfstechnik sind Emails, Briefe, PowerPoint-Präsentationen und vieles mehr keine Zauberei für mich. Ich selbst habe sogar über die Blindentechnik gelernt, exakter und strukturierter zu arbeiten und gebe dieses Wissen auch in meiner Arbeit an andere weiter.

Was gibt es für Probleme, auf dem Weg zur inklusiven Informationstechnologie?

Jetzt hört sich das ja wunderbar an, was ich und viele andere Seheingeschränkte alles so machen können. Das ganze wäre noch schöner, wenn unsere Mitmenschen auf ein paar Dinge achten würden.

So komme ich auf die Informations-Technologie zurück,die ich zu Anfang beschrieben habe. Der Gesetzgeber hat hierfür sogar eine Norm geschaffen. Ein Bundes-Gleichstellungsgesetz (BGG)V sagt, dass alles, was der Bund macht barrierefrei sein soll und regelt diese Zugänglichkeit in einer Verordnung, der BITV 2.0

Ich möchte am Ende des Beitrages nochmals auf die für mich wichtigsten Aspekte eingehen.

Wenn schon beim Erstellen eines Dokuments, einer Web-Seite, einer App oder einer Software darauf geachtet wird, dass bestimmte Richtlinien beachtet werden,  ist sie auch Problemlos für Blinde und Sehbehinderte zugänglich. Die beste Art herauszufinden wie barrierefrei eine Website ist, ist sie von Betroffenen oder einem BITV-Tester überprüft zu lassen. Dann ist man auf der sicheren Seite.

Trotzdem treffe ich immer wieder auf Bariren die ich ohne hilfe nicht überwinden kann.

Daher habe ich es mit auf meine Fahnen geschrieben, viele Menschen darüber zu informieren und auf Unterstützungsfang zu gehen.

Ein wichtiger Kanal, den ich hier nutze, um aufzuklären ist Facebook. Und Facebook hat zudem noch ein hausgemachtes Problem. Die haben sich dafür entschieden, den Alternativtext im Bild nicht zuzulassen. So wird ein Bild hochgeladen und ich höre dann die automatische Bildbeschreibung von denen. Die lassen durch ein Programm das Bild scannen und meine Sprachausgabe liest mir dann vor:

„ Bild mit zwei Personen und Sonnenbrille und Text“.

„Bild zeigt Baum und Wasser mit Himmel und Text“

„keine Bildbeschreibung vorhanden“

Ja das mit dem Text, das ist der Zeitgeist. Viele schöne Bilder mit integriertem Text sind auf Twitter, Facebook oder über WhatsApp verteilt. Ich kann aber den Text mit der Texterkennung bei 90 % der Bilder nicht lesen und höre dann nur, wie bei diesem Bild


Texterkennung OpenBook (professionelles Texterkennungsprogram – OCR):
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Bis hierher habe ich aber schon viel Zeit gebraucht, um dann doch zu merken, dass ich hier alleine nicht weiterkomme.

Und das nervt dann tierisch, hier nicht dabei sein zu können, nur weil Text im Bild grad so schön zu posten ist

Und genau hier gehe ich gerne auf die Seiten, die so etwas posten, auf Freunde die das teilen, auf Bundesbehörden, die das bereits machen müssten, zu und bitte um einen Alternativtext außerhalb des Bildes.

Ein Text, der das Bild und den Text beschreibt, eingeleitet mit den Worten (Bildbeschreibung) oder „Bild zeigt …. und Text …..“ und dann einfach nur schreiben, was zu sehen ist. Wäre doch ganz easy?

Und! Siehe da!

Es gibt wirklich Seiten und Leute, die das sofort umgesetzt hatten. Und das ist für mich ein so unendlich gutes Gefühl, von Anfang an dabei zu sein.

Alle anderen bitte ich, auch an uns zu denken.

Denn hier beginnt Inklusion – bei jedem von Euch. Also Bild = Bildbeschreibung

Gerne möchte ich auch noch für eine wunderbare Gruppe auf Facebook Werbung machen. Sehen für Blinde und Sehbehinderte – ich leihe Dir mein Augenlicht  Hier sind sehende, die für uns Blinde und Sehbehinderte Bilder beschreiben. Hier darf auch gerne jeder mitmachen. Ob mit oder ohne Einschränkung

Wenn du Dokumente erstellst, Webseiten kreierst, oder was auch immer machst, google bitte mal auch gerne „barrierefrei Word support“ oder „barrierefrei .pdf support“ oder „barrierefrei –was auch immer‑ support“.

Was musst Du beachten?

  1. Struktur in einem Dokument und Internetseiten durch Überschriften (Formatierungsfunktion)
  2. Beschriftungen von weiterführenden Links, Schaltflächen und Eingabefeldern von Formularen. So kann ich z.B. nur meinen Namen eingeben, wenn es hier auch heißt, Name bzw. Vorname bitte hier eingeben
  3. Alternativtext für Graphiken (engl. Image), Bilder, Erklärungen usw.. Wenn Bilder nicht beschriftet sind, liest meine Sprachausgabe nur Graphik vor, oder bestens falls die Seite, von der ein Bild geklaut wurde, mit http:/….
  4. Audiodiskription von Videos und Filmen, denn ein Erklär-Film ohne Ton und Text erklärt mir gar nix.
  5. CAPTCHAs in barrierefreier Form.
  6. Du kennst die Eingabe von Buchstaben, die verzerrt dargestellt sind? Genau das geht nicht. Aber es gibt hier eine alternative Lösung mit Audio.
  7. Kontrast von Farben für sehbehinderte Menschen, so ist Dunkelblaue Schrift auf hellblauem Hintergrund ein no-go!

Von lydiaswelt

Ich bin blinde Mutter von zwei Kindern. Beiträge aus meinem Alltag und dem meiner Gastautoren finden hier eine Plattform.

15 Antworten auf „„lasst mich auch dabei sein!““

Herzlichen Dank für diese Anregungen. Ich selbst bin mittelgradig schwerhörig, habe beruflich mit Gehörlosen zutun, da ist alles stark visuell orientiert. Deshalb bin ich über konkrete Tipps, Anregungen und Hinweise immer sehr froh – gerade, wenn diese von den Betreffenden selbst kommen. Ich denke, anders und besser gehts auch nicht. Nach über 3 1/2 Jahrzehnten professioneller sozialer Arbeit weiß ich, dass man einfach nicht immer alles im Kopf hat. Da sind solche Hinweise einfach klasse.

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hallo markus, einen sehr interessanten artikel hast du da geschrieben. wir befassen uns ebenfalls seit einigen jahren mit diesem thema – auch im zusammenhang mit der digitalen ebene. als stark sehbehinderte ewmpfinden wir die möglichkeiten, die sich im zusammenhang mit smartphone, tablet und Co bieten als äußerst hilfreich. allerdings ist die technik nur die eine seite. die barrieren im denken mancher leute im zusammenhang mit uns sind technisch leider nicht zu überwinden. daher sehen wir aufklärungsarbeit als wichtigen aspekt auf dem weg zu einer wirklich inklusiven gesellschaft an. in dieser hinsicht sind beiträge wie deiner äußerst hilfreich und wir werden ihn daher auch rebloggen.
beste grüße
vera und peter

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