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Deine Ordnung ist mein Chaos

Hier geht es um die Fragen:
Was sollte man beachten, wenn man blinden Menschen im Haushalt hilft? Und darf man bei ihnen aufräumen?

Frühjahr 2007. In meinem Bekanntenkreis gibt es eine neue Frau, die stets darum bemüht ist mir das Leben zu erleichtern. Das ist erstmal nichts Ungewöhnliches. Und solange ich dabei bin, kann ich sagen wie ich was am liebsten möchte. Nicht aber wenn solche Aktionen in Form einer Überraschung stattfinden.
Ich habe Geburtstag. Und da ich am Vortag bis spät abends gearbeitet habe, freue ich mich, dass meine Familie sich um das Frühstück kümmert. Auf dem Frühstückstisch steht Kuchen, den meine Bekannte in der Nacht gebacken hat. Auf einer Karte finde ich einen lieben Gruß und die Nachricht, dass ihr Geburtstagsgeschenk an mich dieser Kuchen und noch zwei weitere in der Küche seien. Außerdem habe sie in der Nacht meine Küche hübsch gemacht. Ich bin noch nicht so richtig wach und erfasse die Tragweite noch nicht. Da meine Familie sich komplett um das Geschehen in der Küche rund um das Frühstück kümmert, mache ich mir erst einmal keine Gedanken.
Für den Nachmittag habe ich ein paar Freunde eingeladen. Also gehe ich in die Küche, um Kaffee zu kochen. Und jetzt erst nehme ich wahr, dass nichts mehr an seinem gewohnten Platz ist. Meine neue Bekannte hat nicht nur die Küche geputzt, sondern diese komplett neu eingeräumt. Und zwar so, dass ich mich nicht mehr zurechtfinde.
Ich fühle mich einfach hilflos und breche regelrecht in Tränen aus. Es kann doch nicht sein, dass ich in meiner eigenen Küche stehe, unfähig eine Kanne Kaffee zu kochen und den Tisch zu decken. Meine Freundin kommt und erfasst die Lage und leistet Erste Hilfe. Der Tisch wird gedeckt, und Kaffee und Kakao gekocht. Und am Ende wird es doch noch ein entspannendes Kaffeetrinken, da meine sehende Freundin sich kümmert. Wir werden später die Sachen so einräumen, dass ich mich wieder ohne fremde Hilfe zurechtfinden kann.
Als meine Bekannte eintrifft, ist sie absolut erstaunt, dass ich mich nicht über ihr Geschenk freuen kann. Sie hatte nicht gewusst, dass mir die Ordnung so wichtig ist. Sie hatte gesehen, dass ich mich sicher durch das Haus bewegen kann. Also würde ich auch mit ihrer Ordnung klarkommen.
Bleiben wir mal bei dem Beispiel Küche. Ich habe meine Anordnung der Lebensmittel, Haushaltsgeräte und Geschirr. Wenn ich also das Salz, den Zwiebelschneider oder eine bestimmte Salatschüssel brauche, weiß ich ohne nachzudenken welchen Schrank ich öffnen muss, um diese zu finden. Jeder, der regelmäßig in der Küche arbeitet, hat so ein System. Dabei ist es egal ob die Person sieht oder nicht. Interessant wird es, wenn der gesuchte Gegenstand nicht an seinem Platz ist. Der normal Sehende sieht sich um, schaut in die einzelnen Schränke, bis er den Gegenstand gefunden hat. Ich taste die Arbeitsflächen ab, taste das Innere eines jeden Schranks ab, bis ich den Gegenstand gefunden habe. Auch wenn ich schnell bin, kostet mich das mehr Zeit.
Vor einigen Jahren hatte ich eine Putzhilfe, die es als ihre Aufgabe ansah auch aufzuräumen. Ich hatte immer einen kleinen Putzeimer hinter der Badezimmertür stehen, damit ich ihn bei Bedarf schnell zur Hand hatte. Als es mal wieder so weit war, fand ich den Eimer nicht mehr an seinem gewohnten Platz. Auch meine Kinder fanden ihn im ganzen Haus nicht wieder. Irgendwann erfuhr ich von meiner Putzhilfe, dass sie diesen in einem Schränkchen im Bad gestellt habe, da dies besser aussieht. Auf die Idee wäre ich wahrscheinlich lange nicht selbst gekommen.
Das Beste hat sich eine Dame geleistet, die einige Monate bei mir beschäftigt war. Meine Kinder waren zu dem Zeitpunkt noch im Grundschulalter. Wenn sie Flächen abwischte, räumte sie alles, was ihr im Weg war, in die darunter befindlichen Fächer oder Schubladen. Nur vergaß sie ganz oft die Gegenstände nach dem Abwischen der Flächen wieder an ihren Platz zurückzustellen. Nach diesen Tagen suchten meine Kinder nach diversen Gegenständen. Und auch ich fand das ein oder andere nicht. Irgendwann fanden sich die Nintendo Spiele meiner Tochter nicht wieder. Wir suchten überall danach. Außer in den Schubladen. Die Dame selbst wusste von nichts. Nach einigen Wochen fanden wir die Spiele nebst einigen anderen gesuchten Gegenständen in einer Schublade wieder. Ich habe mehrfach versucht das abzustellen. Jedoch glänzte die Hilfe durch permanente Lernresistenz. Und da dies nur Stress für meine Familie und mich bedeutete, trennten sich unsere Wege.
Bei blinden Personen im Haushalt helfen bedeutet, dass man auf keinen Fall umräumen darf. Es sei denn der Blinde wünscht es ausdrücklich. Aufräumaktionen sollten gemeinsam abgesprochen werden. Nach der zu Beginn beschriebenen Aktion meiner Bekannten habe ich gemeinsam mit meiner sehenden Freundin meine Küche neu eingeräumt. Und zwar so wie ich es haben wollte. Denn schließlich koche ich in dieser Küche und nicht meine Bekannte oder meine Putzhilfe. Und ich möchte möglichst wenig Zeit mit dem Auffinden versteckter Gegenstände verschwenden. Zeit, die ich sinnvoller gestalten kann.

Von lydiaswelt

Ich bin blinde Mutter von zwei Kindern. Beiträge aus meinem Alltag und dem meiner Gastautoren finden hier eine Plattform.

3 Antworten auf „Deine Ordnung ist mein Chaos“

Ich sehe sehr normal, aber ich kriege den Rappel, wenn jemand anderes die Spülmaschine ausräumt und Sachen einfach irgendwohin räumt! Und weißt du, wie man prächtig Kollegen ärgern kann? Wenn man im Büro diese Unterschränke auf Rollen unter dem Schreibtisch hat… einfach mal vertauschen! Die Leute fühlen sich im ersten Moment total Banane, wenn nichts da ist, wo man es auf den ersten Griff erwartet!
Würde einfach jemand meine Küche umräumen, fände ich das sehr übergriffig, egal ob sehend oder blind!

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Oh Lydia, ich finde diesen alten Beitrag gerade erst und Du sprichst mir schonwieder so tierisch aus der Seele! Mein Partner ist wie Deine Bekannte, nur dass er nichtmal den Anspruch hat, aufzuräumen. Er zieht einfach sein eigenes Ding durch und ist ein Chaot. Für ihn funktioniert das prima, aber ich komme in unserem gemeinsamen Haushalt kaum noch zurecht, weil ich ständig alles suchen muss. Ich hoffe, irgendwann versteht er das. Sonst müssen auch unsere Wege sich trennen, was schon auch arg schade wäre…
liebe Grüße
Lea

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